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Der Luftpirat und Matthias - Band 7 Das Geheimnis des Japaners

Der Luftpirat und MatthiasBand 7 –
Das Geheimnis des Japaners

Was Innovation und abstruse Ideen betraf, reichte vor dem 1. Weltkrieg keine Serie an  »Der Luftpirat« heran, nach Einschätzung vieler Experten die erste Science-Fiction-Reihe der Welt überhaupt. Erschienen sind um 1910 genau 165 Abenteuer, die in einem Format herauskamen, das zwischen dem heutigen A5 und A4 angesiedelt war. Ich unternehme nun eine Lesereise und berichte über die Abenteuer des Luftpiraten. Folgt mir auf diesem Weg ...


Das Geheimnis des JapanersBand 7 – Das Geheimnis des Japaners 
Schauplatz:
Französische Provinz. Japan. Die russische Festung Port Arthur (heute die chinesische Stadt Dalian)

Was bisher geschah
Europa, um 1905. Kapitän Mors war einst ein genialer Ingenieur, der im Kaukasus lebte. Auf seine großartigen Erfindungen wurde bald ein Ring von hochkrimineller politischer Abenteurer aufmerksam, die versuchten, ihn in seine Ziele einzuspannen. Als Mors merkt, das er benutzt wird, versucht er auszusteigen. Die Verschwörer ermorden seine Familie und stellen es so hin, dass er für schuldig gehalten wird. Im Geheimen baut der Ingenieur mit anderen Verfemten und ihm treuen Gehilfen ein gigantisches Kriegs-Luftschiff aus Metall, rüstet es mit hypermodernen selbsterfundenen Superwaffen aus und räumt zunächst unter seinen Feinden auf, die er in den Wirren der russischen Aufstände 1905 in Odessa in einer Art Privatkrieg grausam hinrichtet.

Danach zieht er als Robin Hood der Lüfte durch die Welt und überfällt Schiffstransporte, Gold- und Diamantenminen, um das Geld den Armen zu schenken. Ein nicht unbeträchtlicher Teil des Reichtums nutzt der tollkühne Ingenieur aber für sein Lieblingsprojekt – die Planung und den Bau eines Raumschiffes, um eines Tages ins Weltall vorstoßen zu können...

Anmerkung: Diesmal spielt das Heft vor den Ereignissen von Heft 1, nämlich 1904 und Anfang 1905. (Die Ereignisse von Heft 1 finden im Sommer 1905 statt.) Das sorgt für Verwirrung. Zum einen könnte man zwar davon ausgehen, dass der Luftpirat auch schon vor dem Einsetzen der Handlung mit seinem Luftschiff sein Unwesen trieb. Zum andern deutet der Text an, dass auch 1904 schon überall in der Welt Gerüchte über dessen Luftschiff im Umlauf sind. Das widerspricht dem Kapitel 1 in Heft 1 – ein Zeichen dafür, wie schlecht die redaktionellen Absprachen waren.) 

Inhalt:
1904. Anwohner der französischen Provinz werden immer wieder durch gewaltige Explosionen aufgeschreckt, die in einem mit Stacheldraht abgesperrten Gebiet erfolgen. Gerüchten zufolge ist dies ein Versuchsgelände, das die japanische Regierung für Experimente dem Französischen Staat abgekauft hat. Außerdem sind immer wieder seltsame Flugmaschinen am Himmel zu sehen, vermutlich experimentiert Japan dort mit einer Art Jagdbomber-Prototyp!

Leiter des Instituts ist der Wissenschaftler Kowaro, dessen rasender patriotischer Fanatismus schon den Wahnsinn streift. Kowaro träumt von einer Superwaffe, einem Elementarsprengstoff, der mit wenigen Bomben Hunderttausende in den Tod reißt. Und er ist nahe daran, diesen Plan in die Wirklichkeit umzusetzen! Doch während eines Versuchsflugs mit einem Bomber (hier Drachenflieger genannt) erscheint das Luftschiff von Kapitän Mors. Er zwingt das Jagdflugzeug zur Landung und nimmt Kowaro samt seinem Stab gefangen. Dann sprengt er die gesamte Anlage in die Luft und setzt die tobenden Japaner in Japan(!) wieder ab.

Inzwischen ist der russisch-japaniische Krieg ausgebrochen. Heftigste Kämpfe um die militärisch wichtige russische Hafenfestung Port Arthur sind im Gange. Der Luftpirat liest in der Zeitung von gigantischen, bisher nie dagewesenen Explosionen, die die Festungsmauern sprengen und weiß: Kowaro ist wieder am Werk! Der Fanatiker war die Gnade nicht wert, die Mors hat walten lassen!

Er muß den Wissenschaftler stoppen! Zumal der seine alten Forschungen, wie Mors bald in einem belauschten Gespräch erfährt, fast vollendet hat und die Formel für den absoluten Supersprengstoff fertig ist. Allerdings hat Kowaro sie nirgendwo aufgeschrieben und nur im Kopf, aus Angst, sie könne geklaut werden. Der Luftpirat schleicht sich nach Winnetou-Manier in die Festung und ersticht den Japaner. Obwohl das Attentat entdeckt wird, kann der Luftpirat entkommen und mit dem Luftschiff den japanischen Verfolgern knapp entfliehen.    

Kommentar
Dies ist eins der ersten richtig guten Luftpiraten-Hefte, die beweisen, dass es bizarre und kurzweilige SF-Abenteuer mit schon in der Reihe gibt, bevor Mors im Heft 32 sein Raumschiff erstmals startet. Zunächst, aus aktuellem Anlass, sei auf die seltsame Anfangskonstellation hingewiesen, in der der japanische Staat mit Billigung der französischen Republik Flugversuche auf einem abgesperrten französischen Gebiet unternimmt. Unglaubwürdig? Durchaus nicht. 1929 enthüllte der Luftfahrtexperte Walter Kreiser, dass die deutsche Republik heimlich mit Billigung Stalins in Russland Experimente mit deutschen Militärflugzeugen anstellte. Unter anderem deswegen wurde er und sein verantwortlicher Redakteur Carl von Ossietzky wegen Landesverrats angeklagt und verurteilt. Beide wurden zu je 18 Monaten Haft verurteilt.

Auch sonst geht es diesmal fast realistisch zu im Heft. Der Autor hat seinen Supersprengstoff nicht aus der Luft gegriffen. Presseberichten zufolge griff Japan das Port Arthur mit Kanonen bisher unbekannter Größe an – diese 28-Zentimener-Haubitzen galten als die bis dato größten Kanonen der Welt und gaben schon mal einen Vorgeschmack auf die Schrecken des ersten Weltkriegs. Da lag es nahe, geheime Pläne der Japaner hinzuzuphantasieren, den entsprechenden Sprengstoff zu erfinden.

Die Darstellung der Japaner, vor allem Kowaros, sind fast comichaft überzeichnet, sehr rassistisch und schablonenhaft. Aber der Fall liegt hier etwas anders als bei den schon erwähnten Ureinwohnern Südamerikas. Japan hatte sich damals im russisch-japanischen Krieg den Zorn fast aller zivilisierten Staaten zugezogen, weil es in diesem Krieg mit ungeheurer Brutalität vorging und in so ziemlich allen Belangen gegen die Menschenrechtskonventionen verstieß. Nach dem Attentat auf den Wissenschaftler kann Kapitän Mors – ganz im Sinne der damaligen Vorstellungen von einem „gerechten“ Krieg wieder ruhig schlafen:

„Nun mag der Kampf seinen Fortgang nehmen“, sprach der Maskierte. „Aber das ist jetzt ein ehrlicher Kampf, der nicht mehr mit heimtückischen Mitteln geführt werden darf. Millionen von Menschenleben hätte dieser Kowaro dahingeopfert, um seinen glühenden Ehrgeiz zu befriedigen.“

Krieg ja – aber wenn, dann bitteschön anständige Gemetzel. Aber dies Denken ist vielleicht gar nicht so wilhelminisch – auch heute werden ja zwar Bio- und Chemiewaffen geächtet, ohne den Krieg selbst pauschal zu negieren.

Interessant ist das Heft auch wegen der ewigen Datierungsdebatte der Serie. Die Empörung auf die Japaner muss zum Zeitpunkt der Niederschrift noch sehr hoch lodern, sonst hätte eine solche vehemente Überzeichnung sicher nicht stattgefunden. Und so heißt es auch ganz eindeutig an einer Stelle:

„Es ist sattsam bekannt, wie sich dieser Krieg entwickelte, die Ereignisse sind ja noch zu frisch im Gedächtnis“

Ein hochinteressanter Satz. Besonders das ›zu‹ deutet drauf hin, dass hier noch nicht viel Zeit verstrichen ist, das ›sattsam‹, dass alle Ereignisse von der Tages- und Wochenpresse schon bis zum Überdruss durchgekaut wurden. Nur extrem selten gibt ein Luftpiraten-Heft so genaue textliche Hinweise auf sein Erscheinen ! Meine These, dass die Serie bereit 1907 startete (2 Jahre nach den Ereignissen), wird dadurch bestärkt.

Das wird übrigens nicht das letzte Mal sein, dass der russisch-japanische Krieg in der Serie eine zentrale Rolle spielt...

Aber diese faszinierenden Aspekte sagen ja noch nichts aus über die Lesbarkeit des Hefts selbst. Hier ist durchaus die bisher beste und spannendste Erzählung der Serie gelungen.

Die technischen Implikationen wirken auch heute noch faszinierend – was für ein Gedanke, dass, wäre der Luftpirat nicht dazwischengegangen, Japan Russland mit Flugzeugen angegriffen hätte – 1904 !!! Auch die in der Unterhaltungsliteratur später so beliebte Figur des Mad scientist ist in dieser frühen Version schon ganz so wahnsinnig, wie wir ihn aus den Filmen der 1930er bis 70er Jahre kennen.

Die Action-Handlung nimmt übrigens auch schnell Fahrt auf. Anders als in einigen Heften, wo der eigentliche Spaß auf den letzten anderthalb Seiten zusammengedrängt wird, steigert sich das Heft schon auf Seite 6 zu einem ersten Höhepunkt beim Luftkampf zwischen Mors und Kowaro.

Die Szene am Ende mit dem Herumgeschleiche in der Festung klingt zwar wenig wahrscheinlich, und der Dolchstoß ein wenig atavistisch, wo doch der Käptn selbst so viele schöne Superwaffen hat...Aber vielleicht waren grade die das Problem? Vermutlich wäre es etwas heuchlerisch rübergekommen, den geächteten Erfinder von Superwaffen mit einer anderen Superwaffe zu meucheln. Daher der gute alte Karl-May-Touch am Ende.

Hier entwickelt der Kapitän auch erstmals die entzückende Inspektor-Clouseau-Note, von der ich in der Einführung gesprochen habe. Angedeutet wurde die schon immer dann, wenn Mors aufgrund seiner Superhero-Allüren von normalen Menschen für bekloppt gehalten wurde. Das ist allerdings einer der schönsten Züge an der Serie (jedenfalls für mich): Dieses Spiel mit den Klischees. Ein ewiger Konfliktstoff (auch später in den Raumfahrtabenteuern) ist, das eben Mors aus einer Welt des Edlen, Heroischen und Übernatürlichen kommt und einfach nie in der Lage ist, das Konzept des Bösen, die Psychologie des Kriminellen zu erfassen, oft zum Entsetzen seiner Mitstreiter. So stößt der völlig schwachsinnige Plan, den fiesen Japaner, nachdem er gehörig ausgeschimpft wurde, in Japan abzusetzen, bei Mors' Anhängern auf konsterniertes Erstaunen. Er redet sich aber mit pathetischen edlen Comic-Phrasen heraus.

Nachdem der schurkische Japaner dann wieder in Port Arthur auftaucht, klingt er nicht mehr ganz so schwungvoll:

„Ich habe es geahnt“, sprach er zu seinem getreuen Lindo, der den Kapitän wie in starrem Dahinbrüten im Wohnraume fand. „Ich habe es geahnt, die Schlange hat doch noch einen Giftzahn behalten“.

Nix hat er geahnt! Ich das soll wohl ein bisschen nach Winnetou klingen, ich höre dabei die Stimme von Peter Sellers.

Alles in allem ein schöner Luftpirat und ein sehr amüsantes Exemplar der Groschenheftära um 1908.

Die lustigsten Sätze
Landschaftsbeschreibungen waren nie die Stärke von Heftromanen. Manchmal sind sie aber so mies, dass sie eine Erwähnung verdienen:

„Tief unten die Wolkenmassen, ringsum leichte Wölkchen oder stahlblauer Himmel, in denen die Sonne, der Mond wie eine stahlblaue Scheibe glänzte.“

Das ist schon sehr dunkel. Also nicht die Landschaft, sondern der Satz. Bis in meine Träume hinein verfolgt mich ein stahlblauer Himmel, in dem sich eine stahlblaue Sonne und ein stahlblauer Mond befinden. Also, es gibt Perry-Rhodan-Passagen, die weit weniger kühn sind...

Im Ernst – auch das ein interessanter Satz, der eine Analyse verdient. Hier handelt es sich vermutlich um den Rohentwurf im Manuskript des Autors, den Redakteur & Setzer 1:1 übernommen haben.

»Glänzte« (Einzahl) deutet daraufhin, dass hier eigentlich zwei Versionen ineinandergeschoben wurden. Der ursprüngliche Satz lautete:

„Tief unten die Wolkenmassen, unten leichte Wölkchen oder stahlblauer Himmel, in denen die Sonne glänzte.“

Dann fiel dem Autor auf, dass es ja inzwischen in der Handlung Nacht geworden war. Also schrieb er zwischen den Zeilen, vermutlich recht chaotisch, eine Korrektur:

Tief unten die Wolkenmassen, ringsum leichte Wölkchen, in denen der Mond wie eine stahlblaue Scheibe glänzte.

Was allerdings auch absurd klingt, denn der Mond ist nicht stahlblau.

Immerhin scheint mir festzustehen, dass der Setzer hier aus einem Korrekturchaos einen herrlichen Nonsens fabrizierte.

Warum schreibe ich das so ausführlich? Weil es für Momente einen Blick freigibt auf die heute völlig unbekannte Arbeitsweise in Heftroman-Verlagen vor 100 Jahren. Eine ernsthafte redaktionelle Korrektur scheint nicht stattgefunden zu haben. Das mag für die Leser der Zeit recht ärgerlich gewesen zu sein, deutet aber darauf hin, dass die Autorenmanuskripte, von Kürzungen vielleicht abgesehen, kaum angerührt wurden, wir sie also ohne Filterung lesen können. Das wäre, wenn es denn stimmt, ein Hinweis darauf, dass hier anders gearbeitet wurde als im Kolportage-Heftverlag. Denn wie wir aus den Gerichtsprozessen May gegen Münchmeyer und Briefen von Robert Kraft wissen, wurde da sehr wohl extrem viel vom Verlag verändert.

Natürlich ist auch möglich, dass der Setzer ganz einfach die Korrekturen des Redakteurs nicht lesen konnte... Halte ich zwar für unwahrscheinlich, denn die andere Handschrift wäre wohl aufgefallen, während eine Korrektur in gleicher Tinte und Handschrift kaum die Aufmerksamkeit des Setzers erregt hätte. Aber – alles Spekulation...

Das Cover:
Hatte ich schon erwähnt, dass der Autor während der großen Schlacht am Ende zu den japanischen Superkanonen auch noch einen Taifun samt Gewitter hinzuaddiert? Das ist natürlich eine Steilvorlage für die reißerische Titelzeichnung, die diesmal nichts zu wünschen übrig läßt.

Sonstiges
Gute Nachrichten – größere Cover zum Draufklicken kommen bald! Es gab grünes Licht vom Verleger der Reprints, Ralph Ehrig, der sie uns demnächst zur Verfügung stellt.

Übersicht:

  • Band 8 - Die Meuterer in der Mandschurei (1.9.)
  • Bans 9 - Die geheimnisvolle Insel des Kapitän Mors (15.9.)

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Kommentare  

#1 Andreas Decker 2015-08-18 12:25
Das ist schon interessant, wenn man die Entstehungszeit bedenkt.

Zitat:
Japan hatte sich damals im russisch-japanischen Krieg den Zorn fast aller zivilisierten Staaten zugezogen, weil es in diesem Krieg mit ungeheurer Brutalität vorging und in so ziemlich allen Belangen gegen die Menschenrechtskonventionen verstieß.
Ich glaube, die Vorstellung, dass es da eine Nation gibt, die die alten europäischen Kolonialmächte in die Schranken verweist, dürfte auch eine Rolle gespielt haben. Wenn man sich Wilhelms aufmunternde Ansprache an sein Expeditionskorps beim Boxerkrieg ansieht, zeigt sich, was die Europäer von den Asiaten im allgemeinen gehalten haben.

Diese Mär vom fairen Krieg, die mit das Klima für den Ersten Weltkrieg prägte, hat sich dann angesichts der modernen Kriegsführung auch relativ schnell verflüchtigt. Ich habe den Eindruck, dass gerade der Luftpirat schön aufzeigt, dass die Autoren trotz aller Phantasie wie der Rest der Nation sich nicht vorstellen konnten, auf welch tönernen Füßen ihre Welt steht. Aber das können wir ja auch nicht ;-)

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