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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Das Satanszeichen (Gespenster-Krimi 58)

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Das Satanszeichen«
Gespenster-Krimi 58 von A.F. Mortimer (Friedrich Tenkrat)

Aus der Abteilung ›Was ich bisher noch gar nicht wusste...‹ : schwarze Fingernägel sind ein deutlicher Hinweis auf diabolische Umtriebe im genetischen Material! Soso!

Bei uns in der guten alten Gothic-Szene gilt das immer noch als ›state of the art


Zumindest so als „must have“, wenn die alljährliche Zeit der Festivals mal wieder gekommen ist, da weiß ich ja jetzt, warum mich die Leute in der Leipziger U-Bahn manchmal so komisch angeschaut haben, bevor sie mich zum Christentum zu konvertieren versuchten („Ach, sie sind getauft???“).

Hier versetzt die Modetorheit variabel einige Leute in Panik, während andere das auftretende Phänomen in eine eher unwichtige Sparte einordnen, dem Milchschorf gleichgesetzt.

Jaja, man ahnt es schon: hier geht es um einen gar üble Neugeborenen, der das komplett und freudig angetretene Pflegepersonal aufmischt – das geht hier tatsächlich noch agiler zu als bei der Einschulung von Rosemarys Baby.

Ausgedacht hat sich dieses heiße Garn Friedrich Tenkrat, der mich in den späten 80ern über lange Zeit sehr vergnüglich mit seinem Dämonenjäger und Detektiv Tony Ballard verwöhnt hat (bis auch der anfing, an Ideenmangel dahin zu siechen) und im Gespenster-Krimi die meisten Romane mit einem speziellen Helden (eben diesem Tony) verfasste, nämlich stattliche 67. Da kommen auch Sinclair und Frank Connors nicht mit, aber vielleicht lag es auch daran, dass Bastei zu lange gezögert hat.

Weil Tenkrat aber ein fleißiges Kerlchen ist – und noch dazu ein patenter Dauerschreiber – hat er praktisch jede Serie von Bastei mit seiner Anwesenheit beglückt, schrieb munter für Zamorra, ergänzte flott die ersten 200 Romane von „John Sinclair“, wann immer Helmut Rellergerd mit dem Batterieschreiben nicht hinterher kam, verfasste reihenweise Frauengrusel und machte auch vor „Vampir“, „Geisterkrimi“ und „Silber Gruselkrimi“ nicht Halt.

Beim Gespenster-Krimi war er gleich mit mehreren Pseudonymen unterwegs, darunter eben sein Ballard-Standard „A.F. Morland“ (immer noch mein Lieblingspseudonym) und das recht artverwandte „A.F.Mortimer“, welches er in der Frühzeit der Serie benutzte. Dieser Roman hier ist noch vom Ballard befreit, fällt aber schon in die Phase der ersten Romane um den Detektiv, doch das soll mal eine andere Geschichte sein.

Hier geht es – mal abseits typischer Geisterjäger und Dämonenbekämpfer – um eine teuflische Bedrohung, die einen saftigen Bodycount nach sich zieht, der Roman hätte bestimmt als knackiger kleiner Kino-Reisser im Okkultfahrwasser der 70er Jahre sein Publikum gefunden. Als Roman dreht er sich leider ein wenig im Kreis, da der Autor die Identifizierung von Held oder „Final Girl“ geschickt komplett vermeidet und stattdessen alle paar Seiten einen Todesfall auf den nächsten stapelt, was die Spannungskurve nicht eben fördert, was aber im Horrorfilm dann in den nächsten 20 Jahren guter Videothekenstandard wurde, als es nur darum ging, wie bunt und phantasievoll man seine Figuren in die nächste Welt befördern konnte.

Hier fällt das nicht ganz so blutig oder detailliert aus, stattdessen darf man sich an der Dekonstruktion der glücklichen Familie erfreuen. Leider bleibt der Hintergrund der Story etwas nebulös, die Nähe zu Klassikern wie dem besagten Polanski oder dem zwei Jahre später erfolgreichen „Das Omen“ ist allerdings bemerkenswert.

Ob sich heute noch jemand daran trauen würde, ein Baby zum mehrfachen Mörder zu machen, ist zumindest geschmacklich fraglich, offenbar kamen aber auch Tenkrat Bedenken, dass das Ergebnis ggf etwas absurd geraten könnte und wechselte die bösen Besessenen dann doch im Romanverlauf mehrfach aus – eine sehr übersichtliche Inhaltsangabe kann das aber nicht verhindern...

Das SatanszeichenTop-Arbeitsvertrag zu vergeben: Hausmädchen, gern schwanger, egal von wem, Weiterbeschäftigung garantiert...
Noch einmal Presswehen, dann ist es geschafft: Hausmädchen Jennifer, beschäftigt bei der begüterten Anwaltsfamily der Scotts, bringt tapfer und unter Schmerzen ihren Sohnemann auf die Welt. Sie kennt zwar den Vati nicht und ist sich auch sonst nicht so sicher, wie sie überhaupt schwanger geworden ist, aber das scheint niemand zu stören. Nachfragen wäre wohl unhöflich. Offenbar sind wir in England.

Arbeitgeber Mel Scott ist ein ganz Herziger, der Kost und Logis gleich auch weiterhin in Aussicht stellt, weil Familienzuwachs generell eine tolle Sache ist. Dabei ist die Bude eigentlich schon recht voll: Ehefrau Carol, Tochter Karen (Kennzeichen: wogender Busen, olala...), Schwiegersohn in spe Mike, dazu eine Haushälterin und ein toller Hausarzt namens Dr. Blaire bei Fuß.

Letzterer findet übrigens nichts an den schwarzen Fingernägeln des Säuglings, welche der Hebamme im Kreißsaal gleich mal eine Angstattacke beschert haben, weiß man doch (nicht), dass das das Mal des Teufels ist.

Leider bleibt es nicht bei diesen Indizien, denn das Neugeborene guckt recht hasserfüllt drein, erst glotzt es Mel finster an, dann mustert es den Arzt gar hasserfüllt.

Blaire ist nicht wohl bei der Sache, verwirft den Eindruck aber als unsinnig, bis er auf der Heimfahrt den fiesen Blick vom Rücksitz wieder spürt. Sein Körper gehorcht ihm nicht mehr, das Auto ebenso nicht und nach einer Crashfahrt landet er im Dorfteich, wo er das Stethoskop abgibt, obwohl zwei hilfsbereite Trinker noch zur Rettung eilen.

Die nächste auf der Liste ist die Haushälterin Mrs. Van Cleef (dick und gütig), für die der Säugling eine bissige Wolfsschnauze entwickelt. Natürlich kommt sie mit ihrer Panikattacke bei der Brötchengeberin nicht gut an (klingt auch doof, so in der Nacherzählung) und geht früh zu Bett.
Das hätte sie lassen sollen, denn nun kriegt Jennifer Schlagseite, erbt von ihrem Kind zeitweise den Nagellack und bösen Blick und meuchelt die Kollegin mit dem nächsten Kissen übers Gesicht. Dann tarnt sie das Verbrechen als Werk eines Einbrechers.
Karen findet die Leiche und holt sich ihren ersten Nervenknacks ab.

Dummerweise bricht in der folgenden Nacht tatsächlich ein Langfinger in das Haus ein und klaut Mrs. Van Cleefs Schmuck, weswegen er dann später auch mit einer Mordanklage rechnen muss.

Jennifer hat am nächsten Morgen ihre Tat vergessen, doch ihr bekommt die Mutterschaft auch nicht recht, als sie ihr Kind stillt und der Kleine ordentlich Blut aus ihren Brüsten saugt, dumpf knurrt und dann auch noch höhnisch lacht.

Eine Woche später kommt Karen mal wieder zu Besuch und schenkt dem Kleinen ein Spielzeug, was auch sofort benutzt wird, um die Tochter des Hauses zum Dank zu hypnotisieren und ihr diabolisch einzuimpfen, sich doch mal 20 Schlaftabletten einzupfeifen. Zum Glück kommt Mike in letzter Sekunde für einen Ausflug und bleibt dann bis zum Magenauspumpen mit akuter Jenseitsnähe.
Karen überlebt, empfiehlt dann aber doch eine Entfernung Jennifers aus dem Haus, was ihre Eltern abschlägig bescheiden, obwohl Carol selbst langsam Muffe vor dem Nachwuchs kriegt.

Die ist auch berechtigt, denn in der nächsten Vollmondnacht geht der Satansbraten zur Attacke über:  der Hauch des Bösen geht mal wieder auf Jennifer über und mit einer patenten Vorhangschnur stranguliert sie ihre Brötchengeberin. Als der holde Gatte kurz darauf bei Heimkehr entsetzt das Ergebnis präsentiert bekommt, wird er der Nächste auf der Liste: ihm wird das Genick gebrochen.

Derweil kann sich der von der Polizei gefasste Schmuckdieb von der Anklage reinwaschen, indem er einen parallel begangenen Raub zugibt. Dann haut aus dem Revier ab, wird aber von einem Auto mit dem Baby am Steuer überfahren (ja, nee, is klar...).

Die restlichen Überlebenden stehen nun dumm da: Jennifer ahnt irgendwoher, dass das Haus zu einem Tanzplatz des Teufels gemacht werden soll und läuft, als Mike sie zur Rede stellt, mehrfach gegen die nächste Wand. Dann flieht sie aus dem Haus und springt von der nächsten Brücke, wird aber von einem wackeren Angler gerettet.

Weil Karen in der Klapse ist und Jennifer ebenfalls in der Psychiatrie landet, sitzt nun Mike mit dem dicken Brocken allein da. Er liefert ihn vorsorglich bei einem befreundeten Internisten und dessen Sohn ab, deren tapferer Hund sich sofort und auf der Stelle im Anschluss in den brennenden Kamin schmeißt.

Mit Infos von Jennifer entwickelt Mike aber einen so einfachen wie patenten Plan: er wartet beim nächsten Vollmond einfach, bis das vermeintliche Böse den Säugling verlässt und deponiert den Windelkönig in der nächsten Kirche. Dann muss man nur rausfinden, wer jetzt spontan finstere Dinge auf der Agenda hat und ihn irgendwie bis Morgengrauen vom Morden abhalten. Nun trifft es leider Internistensohn Bill, doch mit vereinten Kräften und Baseballschläger kann man ihn von schlimmen Greueltaten abhalten. Dann kräht der Hahn und der Satan findet keinen sicheren Hafen – Fall gelöst!

»Brauchen wir einen Exorzisten?« - »Nein! Sie brauchen einen Grundstücksmakler!«
Ich mach es kurz, denn dieser recht simple Abzählreim von einem Grusler stolpert gemütlich von einem Opfer zum nächsten und kriegt seine Seiten sogar brauchbar voll.

Natürlich erlahmt das Interesse zunehmend, sobald man einmal weiß, wie der Hase läuft und man kann dann eigentlich auf das „wer“ und das „wie“ vorblättern.

Tenkrat ist kein großer Literat, aber er ist ein geschickter Routinier und so laufen dann auch so lächerliche Szenen wie das autofahrende Baby nicht ganz ins Abseits, wobei man noch ein wenig mehr auf gruselige Atmosphäre hätte setzen können.

Wenn das Kindelein dann immer hasserfüllt schaut, dann hat das nur begrenzten Effekt, die Nummer mit dem höhnischen Lachen funktionierte schon besser, aber letztendlich sind die Möglichkeiten des Lütten natürlich begrenzt.

Stattdessen darf dann die temporär bitterböse Jennifer ran, die auch nicht gerade mit Persönlichkeit geprügelt ist, aber immerhin ihre Mordaufträge nach der geringsten Zeitersparnis erledigt.

Hilfreich ist dabei, dass man die Besessenen meistens nicht oder kaum aufhalten kann, was dann gegen Ende ein wenig windig wird, wenn der Angler der suizidalen Jennifer bei anhaltender Gegenwehr mal kräftig im Fluss aufs Maul haut, damit er die Rettung vollenden kann.

Bonuspoints für Dinge, die man sich später vielleicht nicht mehr getraut hat, verteile ich an die Szene, in der es ans unappetitliche Säugen geht und da ganz andere Sachen als Muttermilch zum Vorschein kommen, da hat der Roman kurz die alptraumhaften Gründe gestreift, die bei dem Thema möglich gewesen wären.

Den Selbstmord des Hundes im Kamin allerdings nehme ich extremst übel und das würde sich heute kein Romanheftlektorat noch so staubtrocken auf die letzten 12 Seiten trauen, weil das reichlich Meinungsgegenwind geben würde.

Man merkt also schon: das ist eher die alte Schule (der Roman ist von 1974) und da gingen die Uhren ansatzweise noch anders, wirklich beeindrucken konnte man das jetzt aber nicht, vielleicht auch weil keiner der Charaktere besonders überzeugend ist. Praktisch auf die letzte Viertelstunde wird dann Mike und nicht Karen zum Helden, während der im sonstigen Roman vielfach bemühte Polizist nach der Flucht des Diebes einfach aus der Handlung verschwindet.

Und wahrhaft gruselig ist das auch nicht, wenn sich drei Leute nach Kräften auf die Omme kloppen, bis endlich die Sonne aufgeht, da gab es schon bessere Showdowns, aber auch handfestere Gegner.

Dennoch hab ich von Tenkrat selten wirklich Schlechtes gelesen (abgesehen jetzt mal so von Tony Ballard Band 130 an vielleicht, wo er wirklich auf Strecker und Füller zurück gegriffen hat, die ersten 90 sind und waren aber immer noch super...) und auch hier gilt eher, dass es sich um „klein aber fein“, vielleicht sogar mit etwas „kurios und abstrus“ handelt.

Aber das aus dem Handgelenk zu beherrschen, eine 60seitige Handlung geschlossen abrollen zu lassen, auch bei nicht so reichhaltigen Themen, das muss man erst mal schaffen! Solide Leistung!

Und jetzt mal ne Übersetzung...

Kommentare  

#1 Cartwing 2017-02-07 06:18
Zitat:
Dennoch hab ich von Tenkrat selten wirklich Schlechtes gelesen (abgesehen jetzt mal so von Tony Ballard Band 130 an vielleicht, wo er wirklich auf Strecker und Füller zurück gegriffen hat, die ersten 90 sind und waren aber immer noch super...)
nun ja... mal abgesehen von den ersten Bänden, die z.T noch sehr schwach waren. Befasse mich gerade in meiner Artikelserie "Tony Ballard revisited" damit)
#2 Silvan Prefetzky 2017-02-10 18:07
Ja, das stimmt, die ersten Romane der eigenständigen Serie waren etwas zäh, aber so ab Band 10 ging es gut ab. Im zweiten Hundert habe ich mich dann aber oftmals sehr durch die Romane gemüht, während die ersten eigentlich nur darunter litten, dass er seine Serienmythologie erst noch richtig entwickeln musste.

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