HORROR EXPERT 1 – Jack the Ripper
Die Frage stellt der Klappentext der ersten Nummer von Horror expert. Aber beantwortet er sie auch?
Jack the Ripper
Wer den Klappentext aufmerksam liest, wird informiert, dass es sich hier nicht um einen Roman handelt, sondern um vier Kurzgeschichten.
Robert Bloch: Ihr ergebener - Jack the Ripper
Der Brite Sir Guy Hollis sucht in Chicago Hilfe bei dem Psychiater John Carmody, dem Ich-Erzähler der Geschichte. Hollis ist besessen von Jack the Ripper und fest davon überzeugt, dass er noch immer lebt und mordet. Er ist ähnlichen Verbrechen über Kontinente gefolgt und fest von seiner Theorie überzeugt. Dem Argument, dass der Ripper längst tot sein müsste, verschließt er sich. Seiner Ansicht nach bleibt der Ripper durch seine Blutopfer jung. Er bittet Carmody, ihn auf eine Party seiner Freunde mitzunehmen. Dort will er den Ripper entlarven.
Natürlich geht das trotz einiger dramatischer Augenblicke schief. Kein Ripper. Aber Hollis lässt sich nicht von seiner fixen Idee abbringen. In einer nebligen Gasse versichert er seinem Psychiater, niemals aufzugeben. Irgendwann wird er den Ripper stellen. Carmody gibt ihm recht. Und zieht ein Messer und tötet ihn mit den Worten "Nennen Sie mich Jack."
Dorothy Eden: Schatten in Beige
Louise lebt mit ihrem jüngeren Bruder, dem sie Vater und Mutter ersetzt, in Sidney. Das Geld ist knapp. Da lernt sie in dem Damenartikelgeschäft, in dem sie arbeitet, die Abingers kennen. Olivia ist mit ihrem erwachsenen Sohn Maurice auf Reisen und wie vom Donner gerührt, sieht Louise doch genauso aus wie ihre Tochter Laura, die mit einem nicht standesgemäßen Mann weggelaufen und verschollen ist. Olivia Abinger bittet Louise, als ihre Gesellschafterin mit ihnen zu reisen. Luxuskabinen auf dem Kreuzfahrtschiff, nächster Halt Europa. Verführt von dem großzügigen Lohn willigt Louise ein, auch wenn ihr Mutter und Sohn etwas seltsam vorkommen. Plötzlich wird die Reise abgekürzt, da Olivias Mutter im sterben liegt. Olivia bittet ihre Gesellschafterin, sich doch für die sterbende Mutter als ihre Tochter Laura auszugeben, um der alten Frau eine Freude zu machen. Und ehe sich Louise versieht, ist sie in einem Zimmer eingesperrt und wartet auf ein ungewisses Schicksal, weil sie in einen Erbschaftsbetrug hineingeraten ist.
Robert Bloch: Der Mantel
Henderson sucht ein Kostüm für die Party an Allerheiligen. In einem Kostümladen wird er fündig, der alte Besitzer drängt ihm förmlich einen alten Umhang auf. Es gibt ihn sogar kostenlos. Der Vampirumhang ist ein großer Erfolg; irgendwie reagieren alle nervös, wenn sie Henderson sehen. Er lernt die schöne Sheila kennen, die als Engel verkleidet ist. Der Umhang scheint ihn aber negativ zu beeinflussen, verspürt er doch die Gelüste eines Vampirs. Völlig aus der Bahn wirft ihn, als er in der Abendzeitung liest, dass der Kostümladen eben abgebrannt ist. Er glaubt jetzt, vom Geist eines Vampirs besessen zu sein. Er beichtet Sheila alles, weil er sich in sie verliebt hat. Aber die sieht das gelassen. Denn schließlich sind sie füreinander bestimmt. Ist sie doch auch ein Vampir, wie sie beweist, als sie Henderson beißt.
August Derleth: Mrs. Lannisfree
Ich-Erzähler Jack verdient sich etwas Geld, indem er Mr. Roger Lannisfree betreut, der sich in einer Hütte am See erholen soll, ein paar Meilen vom Meer entfernt. Jack entdeckt, dass sein Schützling wohl nachts schlafwandelt, weil da Wasserpfützen auf dem Boden sind. Aber warum ist es Salzwasser? Da hört er eine Frauenstimme, die nach Roger ruft. Jack glaubt, dass Roger Besuch von einer Geliebten erhält und sagt nichts. Aber dann kommt er der Abend, an dem er doch nachsieht. Da steht Mrs. Lannisfree und kann nicht ins Zimmer ihres Mannes, da die Tür verschlossen ist. Aber warum ist sie so nass und kalt? Hilfreich und höflich schließt Jack ihr die Tür auf. Am nächsten Morgen ist Roger tot, erwürgt mit einer schwarzen Haarsträhne. Sechs Stunden, nachdem Jack Mrs. Lannisfree sah. Darum glaubt er auch nicht, dass die Frau tot ist, weil man ihre Leiche gefunden hat, nachdem ihr Gatte sie angeblich einen Monat zuvor im Meer aus Eifersucht ertränkt hat.
Bewertung:
Es ist 1970. Der Luther-Verlag plant seine drei Taschenbuchreihen, die den Markt im Sturm erobern sollen. Der erste Band soll den Leser packen, der immerhin eine ganze Mark mehr zahlen muss als bei den Produkten der Konkurrenz. Horror hat es auf diesem Markt in der Form noch nicht gegeben, also ist das ein brandneues Produkt. Da steht eine Investition auf dem Spiel. Die Leser interessieren sich für Grusel, wie der Erfolg von Zauberkreis und seinem Dan Shocker zeigt. Das könnte eine sichere, einträchtige Sache auf dem Buchmarkt sein. Und womit beginnt man? Mit zwei Bänden Kurzgeschichten, die in Bd.1 zwischen zehn und dreißig Jahren auf dem Buckel haben. Interessante Wahl.
Um auf die Frage des Klappentexts zurückzukommen, sind Horror-Geschichten etwas Schreckliches? In diesem Fall eher nicht. Obwohl ...
aus dem Jahre 1943 ist eine der am häufigsten anthologisierten Geschichten von Robert Bloch, so abstrus sie letztlich auch sein mag. Von allen Psychiatern in Amerika findet Hollis mit seiner bizarren Besessenheit ausgerechnet den, der der Ripper ist? Der Mann hätte Lotto spielen sollen. Aber es ist eine gut geschriebene, spannende Geschichte, deren Pointe am Ende durchaus funktioniert und 1943 bestimmt ein Knaller war. Und man konnte auf dem Titelbild mit dem üblichen "Autor von Psycho" werben. Aber, und das ist in dem Zusammenhang des ersten Bandes einer neuen Reihe ein großes Aber, es ist keine deutsche Erstveröffentlichung. Die gab es bereits 1964 in "15 Grusel-Stories" bei Heyne, einer Collection von Robert Bloch.
ist dann schon eine andere Kategorie. Nicht umsonst ist die Story zuerst 1939 in "Unknown" erschienen, dem kurzlebigen amerikanischen Kurzgeschichtenmagazin von John W. Campbell, in dem es hauptsächlich um "Urban Fantasy" ging, wie man es heute bezeichnen würde. Es ist eine jener kurzen Pointengeschichten, für die Bloch später so berühmt wurde. Bekannt ist die Geschichte vielleicht, weil sie 1971 von Amicus verfilmt wurde, in einer ihrer Horroranthologien. Es ist das letzte Segment von "The House that dripped Blood", auf Deutsch "Totentanz der Vampire." In der Rolle des Henderson ist Jon Pertwee zu sehen, und Sheila heißt hier Carla und wird von Ingrid Pitt verkörpert. Das Ganze ist noch mehr auf Comedy getrimmt als in der Vorlage.
Putzig ist die Übersetzung, die mit dem Begriff "Halloween" 1970 noch nichts anzufangen wusste, darum geht Henderson ja auf eine "Allerheiligen-Party". Gelungen auch die Frage an den kostümierten Helden: "Wo hast du dieses Machwerk her" worauf Henderson erwidert: "Machwerk? Ich trage kein Machwerk." Gemeint ist Make-up, so wie es im Original steht, was irgendwie auch mehr Sinn ergibt, ist Henderson doch dank des magischen Umhangs plötzlich sehr blass. Die "Pferde liebenden Frauen", bei denen eigentlich "pferdegesichtige Frauen" gemeint sind, ist zwar galant, aber auch mehr als nur knapp daneben.
Die größte Überraschung hier ist allerdings, dass das ebenfalls keine deutsche Erstveröffentlichung ist. Die Geschichte erschien zuvor 1968 in der Ausgabe "Frankenstein wie er mordet und lacht" im Verlag Bärmeier und Nickel. Und die Übersetzung ist dort um einiges lesbarer, selbst Make-up ist richtig erkannt worden.
Die längste Geschichte im Band ist von Dorothy Eden aus dem Jahre 1960. Die Neuseeländerin Eden war zu der Zeit durchaus eine bekannte Autorin unter anderem von Gothics, die man damals hierzulande "Spannungsromane für Frauen" nannte, weil man mit dem Begriff "Gothics" nichts anfangen konnte oder wollte. Eden wurde schon Mitte der 60er von Heyne veröffentlicht und war 10 Jahre später auch im Hardcover im Mainstream zu erhalten; sie galt hier nie als typische Genreautorin. Die Story ist ein typischer Vertreter der Kategorie "Jungfrau in Nöten", nett erzählt aber sehr harmlos. Am Ende wird Louise – welche Überraschung – vom galanten Neffen der Familie gerettet, der sich nach einer kurzen Begegnung unsterblich in sie verliebt hat. Ja klar. Die Story ist viel zu lang für ein Buch, das sich immerhin "Horror expert" nennt. Und wenn man es genau nimmt, ist das auch Etikettenschwindel. Das einzig Gruselige ist hier die Naivität der Heldin, aber 1960 war noch eine andere Welt. Da war dieser Plot noch glaubhaft. Oder sagen wir glaubhafter.
August Derleth, der selbsternannte Nachlassverwalter von H.P.Lovecraft, hat viele Kurzgeschichten unter eigenem Namen und Pseudonym veröffentlicht. von 1945 ist eine typische "Rache aus dem Grab"-Geschichte, die auf ihre Weise vom Plot her gar nicht so übel ist. Nur vermochte es der Autor nicht, das Potenzial wirklich herauszuholen. Die Erzählweise ist doch recht schlicht, und die Übersetzung tut ihr erneut dabei keinen Gefallen. Immerhin ist es eine von Derleths Geschichten, die oft anthologisiert wurde, und das nicht nur in Weird Tales-Zusammenfassungen. Unverständlicherweise ist es ebenfalls keine deutsche Erstveröffentlichung; sie war bereits 1969 bei Krüger erschienen in dem Hardcover "Kurt Singer: Horror". (Mit 77 Illustrationen von Günther Stiller). Nachdruck bei Heyne.
Also abgesehen von Eden, wo die Quellenlage schwierig ist, sind alle Geschichten bereits zuvor in Deutschland erschienen. Da fragt man sich doch, warum das niemandem aufgefallen ist. Oder warum es offenbar völlig egal war.
Aus damaliger Sicht betrachtet kann man es teilweise nachvollziehen. Die (vermeintliche) Niveaugrenze zwischen Kiosk und Buchhandlung war ziemlich strikt; jemand, der eine Gruselanthologie im Hardcover vom Belletristikverlag Krüger kaufte, interessierte sich eher weniger für Groschenromane und Dan Shocker im Zauberkreis-Taschenbuch. Umgekehrt galt das verstärkt; Dan Shockers Zielpublikum wäre kaum in die Buchhandlung gegangen, um dort 20 DM für ein Buch mit unbekannten Autoren auszugeben. Insofern spielte es keine große Rolle, dass der Inhalt alles andere als neu war. Für den Bahnhofsbuchhandel und den Kiosk war er so gut wie neu.
Man kann auch davon ausgehen, dass die Geschichten 1971 bedeutend unverbrauchter waren. So gesehen ist das Aufgebot durchaus solide. Nicht spektakulär, und Dorothy Eden hat wirklich nichts in einem Buch zu suchen, bei dem "Horror" in schaurig-schönen blutroten Buchstaben auf dem Titelbild steht. Aber halbwegs respektabel. Und meilenweit von dem Ruf entfernt, den Luther heute allgemein hat.
Trotzdem. Bei so vielen Zweitveröffentlichungen wirft es die Frage nach der redaktionellen Kompetenz auf. Kann das wirklich niemandem aufgefallen sein? Als erstes Buch einer Reihe mit Horrorgeschichten ist es eine merkwürdige und irgendwie unbeholfene Auswahl. Bedenkt man, dass in der Folgezeit nur Romane veröffentlicht wurden, ist es auch ein seltsamer Anfang. Oder sollte es zuerst eine Reihe mit Kurzgeschichten sein, was dann aber kurzfristig umgeworfen wurde, weil die reinen Kurzgeschichtenanthologien wie das "Grusel+Horror Cabinet" schon in den Startlöchern standen? Es erscheint alles wenig durchdacht und legt den Schluss nahe, dass man einfach nicht gewusst hat, dass die Geschichten bereits alle irgendwie vorlagen.
Sieht man sich bei dem ausländischen vorliegenden Geschichtenmaterial von 1970 einmal flüchtig um, fällt es auch nicht schwer, hochwertigeres Material zu finden. Allein auf dem englischen Markt hätte man aus dem Vollen schöpfen können. Herbert van Thal, Peter Haining, Christine Bernard – sie alle konnten da schon auf eine beträchtliche Backlist zurückblicken. Van Thals "Pan Horror Stories" erschienen seit 1959 – der erste Band erschien dann ja auch in Deutschland in gekürzter Form im Vampir Horror-Taschenbuch -, Hainings klassische Vampir-Anthologie "The Midnight People", nur um eine von Dutzenden zu nennen, erschien 1969 – später in Deutsch bei Fischer -, und Bernards "Fontana Book of Great Horror Stories" gab es ab 1966. Zugegeben, in den frühen Jahren sammelten auch diese Publikationen vielfach betagte Stories, für deren Rechte man nichts mehr bezahlen musste, dennoch war das Niveau teilweise schon höher als ausgerechnet bei konzeptionell schlichten Anthologien wie den Produktionen von Kurt Singer, deren Zusammenstellung nie besonders interessant waren. Sein "The Gothic Reader", aus dem hier zwei Geschichten stammen und auf den man auch in den Folgebänden zurückgreifen wird, ist trotz ein paar Geistergeschichten in der Tat eine Anthologie, bei der es um Gothics geht und nicht um Horror. Auch ein Verlag wie Belmont war trotz Robert Bloch eher ein Schundverlag.
Allerdings war Psycho-Bloch auf dem Titelbild der Nr.1 sicher werbeträchtig. Dass Luther nicht zusätzlich mit Quellen wie "Weird Tales" geworben hat, was heute ein bekannter Markenname ist, ist auch verständlich. Der Mehrzahl der Leser dürfte bestimmt nicht klar gewesen sein, wie alt die meisten dieser Geschichten in Wirklichkeit waren. Und in den 70ern wollte man "modern" sein. Da wäre das Label "Vorkriegsgeschichten" eher hinderlich gewesen.
Horror expert Nr. 1 ist als Einstiegsband mit relativ beliebigen, wenn auch kompetenten Geschichten gefüllt. Die Übersetzungen könnten besser sein, alles wirkt von redaktioneller Seite wenig informiert und lustlos in der Präsentation. Nicht gerade der Start, den man bei einer Reihe, die Neuland betrat, vielleicht erwartet hätte.
Die Originale:
Das Titelbild:
Die Reihe blieb bis zum Schluss dem grundsätzlichen Layout treu. Aus dem großen Schriftzug Horror "blutet" das Titelbild heraus. Die Illustration von Herbert Papala steht allerdings in keinem Zusammenhang mit dem Inhalt. Papala arbeitete als Cartoonist, Grafiker und Kunstmaler. Er war für alle gezeichneten Cover der Reihe zuständig, bis man schließlich zu Standfotos aus Filmen wechselte. Die Zeichnungen im klassischen Stil sind sehr atmosphärisch und bieten zumindest in diesem Fall mehr "Horror" als der Inhalt.
Kommentare
Interessant ist, dass die Sachen von Luther hierzulande kaum Vorbilder hatten aus denen man lernen konnte, aber dass die Reihe so sanft anfing wundert mich.
Bin gespannt, was noch kommt...
Ja, dieses erste TB kommt ja durchaus noch sehr brav daher. Obwohl die Story mit dem Ripper könnte mich durchaus reizen, ich mag ja Sachen von Robert Bloch irgendwie recht gerne.
Es war wirklich schade, daß der 1. Band drei ziemlich bekannte Storys enthielt. Hab ihn trotzdem gekauft.
Vielleicht wollte der Verlag mit der Story von Mrs. Eden ja die weibliche Leserschaft ansprechen. Doch die dürfte schon das Titelbild des Buches nicht unbedingt zum Kauf angereizt haben.
Das von dir angesprochene Buch "Frankenstein, wie er mordet und lacht" (s.Zt. als HC für 17,90 DM zu haben) ist eine - wie ich finde - sehr empfehlenswerte Anthologie.