HORROR EXPERT 23 – Das neue Gesicht
Das neue Gesicht
Was passiert?
London. Wieder mal die Swinging Sixties. Sir John Rowan, Anfang 40, ist ein hervorragender Chirurg. Seine Patienten vergöttern ihn, seine Kollegen bewundern ihn. Sir John will demnächst heiraten. Lynn Nolan ist halb so alt und ein Model. (Was kann da schiefgehen?)
Lynn schleppt den Chirurgen auf eine Party ihres Fotografen. Zuerst hat Rowan keine Lust, dann widert ihn das freizügige Treiben der jungen Leute an. Wie die Tiere. Als Lynn dann auch noch eine improvisierte Fotosession hinlegt und sich auszieht, platzt Rowan der Kragen. Er will seine Verlobte gewaltsam aus der Wohnung zerren. Es kommt zu einer Rangelei. Lynn kriegt einen Scheinwerfer ins Gesicht. Danach ist sie kein Model mehr. Nicht mal mehr eine schöne Frau.
Rowan ist verzweifelt. Er betreut die depressive Lynn bei sich zu Hause. Dabei hilft ihm Lynns Schwester Val. Lynn will mit ihrem zerstörten Gesicht nur noch sterben. Rowan kommt auf eine bahnbrechende Idee. Er geht in die Leichenhalle und schneidet einer jungen toten Frau die Hypophyse raus. Dabei wird er von seinem Assistenzarzt Harris erwischt, der das stillschweigend vertuscht.
Rowan wagt den gefährlichen Eingriff – der wie auch immer funktioniert –, und Lynn hat plötzlich wieder ein makelloses Gesicht. Wieder ist bei den Rowans das Glück zuhause. Harris verliebt sich in Val, Rowan und Lynn gehen auf Reisen. Und kehren überstürzt zurück. Die Wirkung der Behandlung hat aufgehört. Lynn hat nun ein verzerrtes Froschgesicht. Sie macht ihrem Verlobten das Leben zur Hölle, denn mittlerweile ist sie verrückt.
Rowan schnappt sich seine Arzttasche und macht sich auf die Suche nach einem neuen Drüsenspender. Im Stripklub und dem Oben-ohne-Café wird er nicht fündig, die Prostituierte in ihrer Wohnung ist eher geeignet. Er bringt sie um. Dann nimmt er ihren Kopf mit, um zu Hause weiterzuarbeiten. Lynn bekommt wieder ihr schönes Gesicht. Scotland Yard sucht den Mörder. Und Lynn plant bereits den nächsten Mord, da die Behandlung wiederholt werden muss. Rowan, mittlerweile ein seelisches Wrack, ergibt sich resigniert in sein Schicksal. Sie sind auf Gedeih und Verderb aneinandergekettet. Während Harris und Val die Hochzeit planen, fahren sie aufs Land, um dort das nächste Opfer zu suchen.
Sie finden die hübsche Terry, die angeblich allein durch den Sommer trampt. Sie laden sie in ihr Häuschen am Strand ein, wo schon ein kleiner OP inklusive Laser eingerichtet ist, und bereiten den Mord vor. Tatsächlich aber gehört Terry zu einem Rudel Beatniks auf Raubtour und soll nur die lohnende Beute auskundschaften. Als sie nachts abhaut, muss sich Rowan hektisch ein neues Opfer suchen. Er überfällt ein Mädchen im Zug und köpft es. Den Kopf bringt er erst einmal im Kühlschrank unter. Dabei wird er von Terry überrascht. Die ergreift kreischend die Flucht, aber Rowan und Lynn fangen sie ein und stechen sie in einer Höhle am Strand ab.
Mittlerweile lesen Harris und Val von dem toten Mädchen im Zug, und der Arzt erkennt sofort, was da los ist. Sie brechen aufs Land auf, um Rowan aufzuhalten.
In der Zwischenzeit bekommen Rowan und Lynn Besuch von den schmuddeligen Hippies Georgie, Rik – Terrys Freund -, Groper und Sandy. In typischer Home Invasion-Manier bedrohen sie erst einmal das Paar und plündern dann das Haus. Aber vor allem wollen sie Terry. Da Rowan mittlerweile so fertig ist, dass er die Operation nicht mehr durchführen will, will Lynn die Hippies manipulieren, damit sie ihn dazu zwingen. Das geht schief. Also behauptet sie, dass Rowan Terry umgebracht hat. Rik zieht mit Lynn los, um ihre Leiche zu sehen. Auf dem Weg ersticht sie ihn. In der Zwischenzeit entdeckt Sandy den Kopf im Kühlschrank. Chaos bricht aus. Am Ende nimmt Rowan den Laser und vernichtet erst einmal das, was ihn in den Abgrund getrieben hat: Lynns Gesicht. Und ihren Kopf gleich mit. In diesem Augenblick treffen Harris und Val ein. Die Hippies hauen ab, Harris und Rowan kämpfen, und Rowan landet mit dem Kopf ebenfalls im Laserstrahl. Ende der Geschichte.
Worum geht es?
Und noch einmal Peter Saxon alias Wilfred McNeilly. "Corruption", so der Originaltitel, ist die Novelisation eines Films. "Die Bestie mit dem Skalpell", so der dezente deutsche Titel, kam 1968 in die britischen und deutschen Kinos. Peter Cushing spielte die für ihn ungewöhnliche Rolle des Sir John Rowan.
"Corruption" gilt als einer der ersten britischen sleazigen Gewaltschocker. Je nach Quelle übernahm Cushing die Rolle nur, weil ihm die Arztrechnungen für seine todkranke Frau Helen über den Kopf wuchsen – sie starb 1971 - und er das Geld brauchte. Also gab er statt dem distinguierten Baron Frankenstein den Schlitzer auf der Leinwand. Da Cushing grundsätzlich ganze Arbeit leistete in seinen Rollen und der Regisseur Hartford-Davies es so krass wie möglich haben wollte, sind der Mord im Zug mit seiner hektischen Schnittfolge und der Mord an der Sex-Arbeiterin für die Entstehungszeit echte Gewaltorgien, mit einem manischen, schweißtropfenden Cushing, der wie ein Wilder mit verzerrter Miene auf seine zufälligen Opfer einsticht. Es gibt mehrere Fassungen des Films, einmal mit ein paar Nacktheiten, einmal ohne für den Heimatmarkt.
Cushing wird zitiert, dass er den Film nicht mochte. "Wenn es der Produktionsfirma in den Sinn kommt, kann sie deine ursprüngliche Interpretation zerstören." Der Kontext ist unklar; bereute er seine Teilnahme oder missfiel ihm das Endprodukt? Denn am Ende wird der Film zu einem Massaker; der außer Kontrolle geratene Laser tötet alle! Schnitt auf Rowan bei der Party, denn alles war nur ein Tagtraum. Offensichtlich sollte dieses angepappte idiotische Ende die Handlung relativieren und der Gewalt eine irrealere Note verleihen.
Die Buchfassung spielt das geradlinig. Entweder wusste McNeilly das nicht, als er das Manuskript runterschrieb, oder es war ihm egal. Auf jeden Fall war es eine gute Entscheidung, denn das Ende mit dem Traum hätte auf der gedruckten Seite auch nicht funktioniert. So sind Rowan und Lynn tot, Harris und Val entkommen.
Der Film ist eine bunte Momentaufnahme des Entstehungsjahrs und nutzt die Ängste der Nation und die Schlagzeilen der Revolverblätter als Kulisse. Junge rebellische Leute, das skandalöse Swinging London, schmierige Hippies auf Droge, die anständige Bürger in ihren Häusern überfallen. (Vielleicht der interessanteste Aspekt des Films. Was hier noch unter Denunzierung läuft, wurde ein Jahr später mit Charlie Manson böse Realität, als er den Sommer der Liebe endgültig in einen Albtraum verwandelte.) Die Story ist abgekupfert von Franjous "Augen ohne Gesicht" und völlig hanebüchen. Wie soll eine eingepflanzte Drüse verbrannte Haut regenerieren? Aber wen interessieren schon Details, wenn es ansonsten zur Sache geht?
Die Werbekampagne war so überzogen, wie es nur in den Endsechzigern möglich war, und gilt heute bei vielen modernen Kritikern als Musterbeispiel von sexistischem Unsinn. "Corruption ist kein Film für Frauen", steht groß auf dem Filmplakat. "Darum ist der Eintritt für Frauen ohne Begleiter verboten." Aber ins Kino durften sie auch erst mit Begleiter, nachdem sie die Bude geputzt und ihrem Männe einen ordentlichen Kaffee serviert hatten, für den sich auch Frau Sommer nicht fremdschämen musste.
Allerdings hat die damaligen Kritiker das wenig überraschend nicht gestört, dafür bescheinigten sie dem Film allerdings, von "ausgemacht schlechtem Geschmack zu sein. Schlecht fotografiert, schlechte Regie, künstlerisch und moralisch nicht haltbar. Es ist eine traurige Vorstellung, dass so ein Film überhaupt gemacht werden kann und ein Publikum findet." Schrieb die "Western Daily Press" Denn das Publikum kam in Scharen. Laut Cushing war es ein überragender finanzieller Erfolg. "Ich habe gehört, dass sich Bob [der Regisseur] von seinen Erträgen zur Ruhe hätte setzen können", erzählte er später einem Kollegen. Ob es stimmt, sei dahingestellt. Hartford-Davis, der vielleicht am bekanntesten für seinen prächtigen Gothic "Black Torment" (Das Grauen von Black Torment) von 1964 ist, der immer noch gelegentlich durch die Dritten des deutschen Fernsehens geistert und den Hammer-Produktionen durchaus Konkurrenz machen kann, arbeitete bis zu seinem Tod 1977 mit mäßigem Erfolg weiter.
Leider ist "Corruption" im Moment nur als amerikanische Fassung auf dem Markt. Aber vielleicht erbarmt sich Arrow in England oder X-Rated in Deutschland ja mal, eine Blue-Ray zu produzieren.
Das Alternativende ist vermutlich das Interessanteste, das sich über den Roman sagen lässt. Es ist eine handwerklich solide Adaption, die sich flüssig und durchaus spannend liest. Halt eine typische Mad Scientist als Schlitzer-Geschichte, die aber die Figuren und ihre Charakterisierungen in den Mittelpunkt stellt. Gelegentlich schimmert der McNeilly durch, wie wir ihn kennen und lieben. "Was um Himmels willen bewog Lynn, sich so zu benehmen? Das zu tun, was sie jetzt tat? [Sie posiert vor der Kamera und zieht den Reißverschluss ihres Kleides herunter] Das war doch schon krankhaft …" Von Hippies hielt er bekanntermaßen wie häufig in seinen Romanen zu lesen auch nichts – obwohl man ihm zugestehen muss, dass er sich hier im Prinzip an die Filmvorlage hielt. "John starrte in ihre spöttischen Gesichter, auf ihre schmutzigen Hände, auf ihr lange nicht gewaschenes Haar, das wahrscheinlich voller Läuse war. Es war die widerlichste Gruppe, die er je gesehen hatte, das Mädchen nicht ausgeschlossen." Kenne deinen Feind, kann man da nur sagen.
Dem Luther-Leser dürfte das alles unbekannt gewesen sein. Weder der Titel noch das Titelbild weisen auf den Film hin, auch der Klappentext gibt keinen Hinweis. Aber auch Pabel hat bei seinen Horrortaschenbüchern nie darauf hingewiesen, wenn es sich um ein Buch zum Film handelte. Das Zeitalter des Merchandisings in der krassen Form, wie wir es heute kennen und einem der neueste Star Wars-Film noch auf der Rasiererpackung entgegenspringt, war da noch weit weg. Insofern kann man es Luther nicht zum Vorwurf machen. Außerdem lief der Film da schon seit Jahren nicht mehr in den Kinos. Das wäre in der Tat sinnlose Mühe gewesen.
Auch an der redaktionellen Front gibt es nichts Neues. Wieder gibt es keine Vorschau für den nächsten Horror expert, dafür wird für Top-Krimi und Terror-Krimi geworben. "Das neue Gesicht" wurde kurz darauf als Erber Grusel-Krimi 12 nachgedruckt. Die Einstellung von Horror expert dürfte zu diesem Zeitpunkt – drei Monate vor Schluss – beschlossene Sache gewesen sein.
Wieder ein mehr oder minder nichtssagendes Titelbild; immerhin ist es ein Chirurg. Allerdings nicht Peter Cushing, sondern – vermutlich – sein guter Kumpel Christopher Lee. In der Rolle des Dr. Fu Manchu, als die Karriere gerade stotterte. Oder Fu Man Chu, wie es so schön im Impressum steht und auch auf den Filmplakaten.
Das Original
Kommentare
Der Name McNeilly taucht des öfteren unter den Saxon Pseudonymen auf. Haben die anderen von Bakers Leuten auch etwas geschrieben? Wenn ich das richtig in Erinnerung behalten habe, gab es ja mehrere Saxons. Zumindest steckte diesmal wieder mehr "Horror" in den Seiten.
Der Film wäre mir fast entgangen. S.Zt. war es im Kino bei uns die Regel, wenn eine bestimmte Zuschaueranzahl nicht vorhanden war, wurde der Film nicht gezeigt und das Eintrittsgeld erstattet. Als nach den Vorschauen die Lichter im Kino angingen, kramte ich enttäuscht die Eintrittskarte hervor und wollte gehen. Da kam der Kinobesitzer in den Saal und sagte, ich solle sitzenbleiben. Den Film wollte er sich einfach nicht entgehen lassen. (Er mochte Filme dieses Genres sehr gern und der Film war nur für eine Laufzeit von 2 Abenden vorgesehen). Er startete den Film - er war auch der Filmvorführer - und kam dann mit 2 Eis im Gepäck wieder in den Saal zur mir. War also praktisch eine Solo-Vorstellung.
Luther's Grusel+Horrorkabinett 4 enthält den Saxon "Der Irre" Das ist dieser Grusel-SFler von Stephen Frances, der hier als "Die lebenden Leichen des Dr. Mabuse" gelaufen ist. Immerhin mit Price, Lee und Cushing, obwohl die glaube ich keine Szene zusammen haben.
Die anderen Saxons sind bei Pabel rausgekommen.
VHR-Tb 27 "Der Grüne Wolf und das Mädchen" ist von Rex Dolphin. Gilt allgemein als einer der besseren "Guardians"-Romane. Ist so eine französisches Küstendorf betreibt Kult-Story.
VHR-Tb 31 "Wenn der Menschenjäger kommt" ist aber auch von McNeilly und ein "Guardian".
Vampir 30 "Schloss der Vampire" ist ein Baker.
Die restlichen Nicht-McNeillys sind alles Guardians und aus eigentlich unerfindlichen Gründen nie übersetzt worden.
Danke.
Schöne Geschichte. Ich kann mich höchstens daran erinnern, dass das Personal einen damals bestenfalls anmotzte