Ein verfluchter Unglücksband - Zwielicht Classic 13
Ein verfluchter Unglücksband?
Zwielicht Classic 13
Vorweg
Michael Schmidts Zwielicht ist mittlerweile aus der Horrorszene nicht mehr wegzudenken. Das Besondere an Zwielicht und Zwielicht Classics ist, dass es sich nicht einfach um Anthologien handelt, sondern um Magazine. Es gibt also auch Artikel und die Zusammenstellungen stehen nicht unter einem Oberthema. Ansonsten bieten die Magazine eine Plattform für die Horrorkurzgeschichte. Zwielicht überwiegend für neue Geschichten, Zwielicht Classic ergänzend dazu für die Neuveröffentlichung bereits erschienener Geschichten. Ging es ursprünglich allein um die deutschsprachige Horrorkurzgeschichte nach der Jahrtausendwende, so gibt es mittlerweile bei Zwielicht auch Übersetzungen aus dem angloamerikanischen Raum und Zwielicht Classic bringt immer wieder klassische phantastische Geschichten aus der Zeit von 1800 bis 1933. Zwielicht 13 hat sogar drei Geschichten aus der Zeit von 1919 bis 1928.
Die Geschichten
Die zeitlich neueste Geschichte (2017) stammt von , blutrot das Lied" handelt von der Praxis der Katastration und den dadurch entstehenden Stimmwundern. Maris, ein solch gefeierter Katastrat, wendet sich einem Mörder zu. Die Geschichte bleibt merkwürdig in der Schwebe, ist aber stimmungsvoll.
Einen starken SF-Einschlag hat " . Es geht um einen amerikanischen Präsidenten, der die Welt verbessern will. Allerdings hat er ganz eigene Vorstellungen, wie das Aussehen soll. Die ganze Story besteht aus der Aneinanderreihung von "Dokumenten". Dadurch entsteht leider kein richtiger Erzählfluss, auch wenn die Grundidee durchaus reizvoll ist.
Auch tummelt sich mit im Bereich der Science Fiction. Die ebenfalls aus dem Jahre 2013 stammende Geschichte schildert die Entführung des jungen Adolf Hitler durch eine zeitreisende Waschmaschine. Dadurch wird Krieg und Unheil von der Welt abgewendet und ein tausendjähriges Friedensreich kann entstehen. Selbst der junge Adolf erweist sich als gar kein so schlechter Kerl, ihm fehlt einfach nur Zuwendung und Liebe. Die Grundidee, dass durch die Entfernung eines einzelnen Menschen die Weltgeschichte komplett verändert werden kann, ist nicht unumstritten, war jahrzehntelang Gegenstand von Debatten der Geschichtswissenschaft. Und auch die vertretene These, dass im Grunde jeder Mensch einen guten Kern hat, dass Verbrechen und Bösartigkeit nur durch schlechte Erfahrungen entstehen, wirkt sehr sozialpädagogisch. Von der Problematik des Zeitparadoxons - wenn jemand in die Vergangenheit reist und dort Veränderung schafft, entfällt in Zukunft ja der Grund zurückzureisen - will ich gar nicht erst reden.
Auch bei geht es darum, die Welt zu verbessern. Sie beschreiben in aus dem Jahr 2014 wie ein arbeitsloser, vereinsamter Mann versucht Gutes zu tun. Eines Tages befindet sich in seinem Briefkasten die Zeitung vom folgenden Tag. Anstatt sich durch Wetten auf Sportereignisse zu bereichern, beschließt er zwei Menschen, ein Opfer eines Verkehrsunfalls und ein Opfer eines Verbrechens, zu retten. Außerdem will er einen heimtückischen Raketenüberfall verhindern. Das Vorhaben gelingt, aber die Welt wendet sich dadurch nicht zum Besseren.
, der Star der deutschen Horrorkurzgeschichtenszene, ist mit einer Geschichte von 2000 vertreten. Bei " " handelt es sich quasi um einen Rundgang durch Venedig zur Karnevalszeit. Der maskierte Protagonist vermeint seinen Schwager zu erkennen, der allerdings vor ihm flüchtet. Er verfolgt ihn bzw. seine Spur durch die verschneite Stadt. Bald kommen ihm Zweifel, folgt er wirklich dem Schwager? Oder ist es ein von seiner Frau engagierter Privatdetektiv? Oder sogar die Frau selbst? Es gibt eine ungewöhnliche Auflösung.
Regelrecht amüsant ist . Die Story aus dem Jahr 2015 handelt von einer Vogelspinne, die auf den Namen Frau Birger getauft wird. Als ihr siebzehnjähriger Sohn Lasse die Spinne mitbringt, ist Gundi entsetzt. Als umweltbewegtes und tierliebendes Vorbild mag sie aber kein entschiedenes Veto einzulegen. Als der Sohn bald darauf für ein Wochen verreist, fällt ihr auch noch die Aufgabe zu, das Tier zu füttern. Dabei wird sie von der Spinne markiert. Fortan sieht sie überall Spinnen.
Kommen wir zu den Geschichten aus dem vorigen Jahrhundert. braucht eigentlich nicht näher vorgestellt werden. aus dem Jahre 1919 kenne ich noch aus dem Schulunterricht. Ein Reisender soll in einer Strafkolonie Zeuge einer Hinrichtung werden. Der von seiner Arbeit überzeugte Henker erklärt ihm die ausgefeilte Hinrichtungsmaschine, die die Delinquenten über Stunden quält, bevor letztendlich der Tod eintritt. Die ausführliche Schilderung der Maschine und was sie mit ihren Opfern macht, sind nur schwer erträglich.
ist bekannt geworden durch seine Kriminalromane um Wachtmeister Studer. stammt aus dem Jahr 1928. Dabei handelt es sich um ein altes Buch, das allerhand alte Kräuterrezepte beinhaltet, die zur Kontaktaufnahme mit dem Teufel verhelfen sollen. Im Grunde geht es auch hier um einen Kriminalfall. Ein Bankangestellter mietet sich bei einer alten Dame unter. Ein paar Tage später entwendet er 30 000 Franken auf seiner Arbeit. Kurz darauf findet seine Wirtin ihn in seinem Zimmer in einem erbärmlichen Zustand. Angeblich kann er sich an nichts erinnern.
gehört zu den bedeutendsten Vertretern der phantastischen Literatur der zwanziger Jahre in Deutschland. Schrieb er zunächst über ferne Länder, so wandte er sich in den Zwanziger Jahren der phantastischen Literatur zu. Im Atlantis Verlag gab es vor einigen Jahren eine Neuauflage der 1930 erschienenen Kurzgeschichtensammlung "Die magische Laterne des Herrn Zinkeisen". Darunter befindet sich die Erzählung "Das älteste Ding der Welt", die in Fachkreisen einen besonderen Ruf genießt. Sie wurde in diesem Jahr bei Titania Medien als Hörspiel in der Reihe Gruselkabinett veröffentlicht. " " stammt aus dem Jahr 1927. Ein Akademiker ist auf der Suche nach Räumen. Er versucht sein Glück als Untermieter bei Frau Bibescu. Diese ist eine orientalische Schönheit und lebt nach dem Tode ihres Mannes allein mit ihrer sechzehnjährigen Tochter. Es gibt noch einen zweiten Untermieter, einen ältlichen Baron, und eine alte Angestellte namens Afra. Die Dame des Hauses macht dem Mieter bald Avancen. Außerdem stellt sich heraus, dass die Tochter als Medium fungiert und regelmäßig Botschaften des verstorben Gatten aus dem Jenseits empfängt. Der Gatte ist übrigens freiwillig aus dem Leben geschieden und der greise Baron hat ein Auge auf die blutjunge Tochter geworfen. Die Ganze wirkt anfangs etwas sperrig, weil die Gespräche der Protagonisten größtenteils in Mundart gehalten sind. Diese Geschichte ist aber zweifellos das Highlight dieser Ausgabe.
Die Artikel
Für die Artikel ist wie schon in den letzten beiden Ausgaben zuständig. Etlichen Lesern dürfte sie aus dem Phantasticon bekannt sein.
greift einen englischen Kriminalfall aus den neunziger Jahren auf. Harold Shipmann, seines Zeichens Arzt, brachte in Ausübung seines Berufes mehr als 200 Menschen um. Er wirkte in der Nähe von Manchester und brachte sich nach seiner Verurteilung in der Haft um.
befasst sich wieder mit einigen Filmen. Karin Reddemann assoziiert dabei recht frei und kommt so von alten Zombiefilmen zum schrecklichen Unfalltod von Ingeborg Bachmann und Märchen aus ihrer Kindheit. Dann wiederum geht es um Verfilmungen der Odyssee usw. Ein Schmankerl für die Liebhaber des Horrorfilmes.
Meine Gedanken
Mit Band 13 stellt Michael Schmidt den Leser vor Herausforderungen. Eine Geschichte ist technisch sperrig (Thomas), eine strotzt vor Mundart (Seidel), eine vertritt umstrittene Thesen (Schleheck), eine ist so bekannt, dass nicht ganz ersichtlich ist, warum sie den Eingang ins Magazin gefunden hat (Kafka). Lobenswert ist, dass hier auch weitgehend in Vergessenheit geratene deutsche Autoren der zwanziger Jahre einmal zum Zuge kommen. Kurz und gut - Die treuen Zwielichtleser kommen auf ihre Kosten. Wer Zwielicht Classic jedoch als Einstieg in und Überblick auf die Horrorkurzgeschichtenszene der letzten zwanzig Jahre betrachtet, sollte vielleicht doch lieber eine der vorausgegangen Nummern wählen. Zwielicht und Zwielicht Classic halten sich jetzt schon seit Jahren am Markt. Sie sind dabei aber nicht statisch und wiederholen einfach immer wieder ein bewährtes Konzept, nein sie bringen immer wieder Überraschungen und sind mittlerweile für den Freund der Kurzgeschichte unersetzlich. Gefallen tun mir auch die minimalistischen Zeichnungen auf schwarzem Grund von Oliver Pflug, die mittlerweile zum Kennzeichen von Zwielicht Classic geworden sind.