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HORROR EXPERT vom Luther-Verlag – ein Resümee

Horror ExpertHorror Expert vom Luther-Verlag – ein Resümee

Nach zwei Jahren, wenigen Monaten und 26 Bänden wurde "Horror expert" vom Luther Verlag eingestellt.

Von 1971 bis 1973 gab es 24 Übersetzungen und 2 deutsche Originalromane, 16 Bücher wurden aus dem Englischen übersetzt, 8 Bücher aus dem Französischen.

Eine gute Mischung, sollte man denken.

Das unheimliche SanatoriumVom heutigen Standpunkt aus betrachtet fällt es nicht schwer, die Frage zu beantworten, ob sich die Lektüre lohnt. Die Reihe hatte kein Konzept, die Romane sind viel zu oft drittklassig und häufig eine Mogelpackung. Zwar stand Horror drauf, aber es waren Gothic Romances oder auch mal ein Krimi. Es gibt interessante Bände, aber die sind vor allem für ein paar Genreliebhaber mit dem nötigen Hintergrundwissen interessiert. Die größte Überraschung besteht eigentlich darin, wie wenig die Reihe dem Ruf entspricht, den Genrekenner vom Luther-Verlag erwarten und der noch heute endlos kolportiert wird. Mit seinem Dr. Morton hat die Reihe so wenig zu tun wie die "Horror Bibliothek" von Bastei oder der "Vampir Horror Roman". Gewalt und Sex sucht man hier meistens vergeblich.

Andererseits verkennt dieses Urteil völlig die damalige Situation und die Umstände, unter denen die Redaktion zu arbeiten hatte. Natürlich ist es das gute Recht der Leser, dass ihre Erwartungen erfüllt werden, und es ist verständlich, das vorliegende Material als Schund abzutun und Besseres einzufordern.

Aber wo hätte die Redaktion das hernehmen sollen? Als der Verlag vermutlich 1970 auf die Idee kam, ein für Deutschland neues Genre auf den Kioskmarkt zu bringen, betrat er absolutes Neuland. Da gab es Zauberkreis und seinen Larry Brent, aber der erschien monatlich als Silber-Krimi.

Und das war alles.

Das unheimliche SanatoriumDie sogenannten "Männerromane" im Heft liefen noch gut zu der Zeit, Krimis und Western und Science Fiction. Grusel gab es nicht, höchstens mal vereinzelt im Buchhandel. Ein ganz anderer Markt mit wenig Berührungspunkten zum Kiosk. Und auch wenn in der einen oder anderen Redaktionskonferenz bei Pabel, Bastei oder Zauberkreis zu dieser Zeit sicherlich die ersten Konzepte für Gruselreihen vorbereitet wurden, war das alles noch graue Theorie. Luther hatte ein Gespür für Trends und Möglichkeiten, aber ein wirtschaftlicher Erfolg war keineswegs gesichert.

Im Ausland sah es jedoch keineswegs viel anders aus. Natürlich erschienen in Amerika und England, dem vorrangigen Einkaufsland deutscher Genrereihen, durchaus Horrorromane. Aber die Produktion war gering und fand größtenteils unter anderen Labels statt. Ein Magazin wie "Weird Tales" war für viele nur noch eine Jugenderinnerung und billiges Anthologiefutter für gelegentliche Storysammlungen unternehmungslustiger Herausgeber; selbst ein lupenreiner Horrorroman wie Richard Mathesons "Hell House" musste als Taschenbuch 1973 noch im Gewand einer "Gothic Romance" erscheinen. In England sah es auf der Romanfront nicht viel anders aus. Dort pflegte man entweder die Klassiker der Kurzgeschichte von M.R. James bis Bram Stoker oder konzeptionell schlichten und schnell runtergeschriebenen Softgrusel wie die Badger Books mit ihren "Supernatural Stories". Immerhin gab es dort seit Anfang der 60er Reihen wie "The Pan Book of Horror Stories", die auch neues Material veröffentlichten. Aber Romane waren eher Fehlanzeige.

Frankreich ging da wie so oft eigene Wege. Neue Phantastik in einer Reihe gab es beim Taschenbuchgiganten "Fleuve noir" bereits seit 1954. Aber so allgegenwärtig eine Phantastikreihe wie "Angoisse" uns auch erscheinen mag, besetzte sie verkaufsmäßig dennoch nur eine Nische. Verglichen mit dem Krimi, der SF und dem Spionageroman waren die Verkaufszahlen deutlich niedriger, was schließlich auch zur Einstellung führte.

Das unheimliche SanatoriumDer Horror-Boom der 70er, den wie so oft das Kino erst anstieß mit Filmen wie "Rosemarys Baby" und vor allem "Der Exorzist", trug eigentlich erst Früchte, als Luther bereits aufgegeben hatte.

Um geeignetes Material für eine monatliche Reihe rausfiltern zu können, brauchte es ein scharfes Auge, gehörige Branchenkenntnisse, gute Kontakte, ein profundes Wissen über das Genre und Investitionen. Luther überließ das alles größtenteils offensichtlich dem amerikanischen Literaturagenten und Herausgeber Kurt Singer, der bereits mehrere Grusel-Anthologien veröffentlicht hatte und dann ein Paket für Deutschland zusammenstellte.

(Natürlich sind das größtenteils Spekulationen, da es nur verschwindend geringe Informationen über den Luther-Verlag und seine Arbeitsweise gibt. Aber es präsentiert sich ein Bild, vor allem, wenn man das Luther-Taschenbuchprogamm in seiner Gesamtheit betrachtet.)

Über Singers Arbeit kann man geteilter Meinung sein. Logischerweise sah er zuerst in die eigenen Schubladen, um mit möglichst geringem Aufwand maximalen Profit zu erwirtschaften. Sieht man sich einmal die Quellen der vielen Kurzgeschichten an, die Luther veröffentlichte, stößt man auf viele eher obskure Magazine und Anthologien. Auch bei den Romanen ist das nicht viel anders. Verlage wie Belmont (später Belmont Tower) waren nicht die erste Adresse des amerikanischen Verlagswesens. Allerdings verwundert die Auswahl schon. Warum man als Quelle für den ersten "Horror expert" ausgerechnet Singers "The Gothic Reader" seinem in den Beiträgen doch viel stärkeren "Horror Omnibus" von 1965 oder "I can't sleep at Night" von 1966 vorzog, wirft wieder die Frage nach der fachlichen Kompetenz auf. "The Gothic Reader" war trotz ein paar Geistergeschichten eine Anthologie von Gothic Romance-Kurzgeschichten. Der "Horror Omnibus" enthielt unter anderem Bradbury, Lovecraft, Henry S. Whitehead, E.F.Benson und Belknap Long. Eine Auswahl, für die sich auch Suhrkamp oder S. Fischer nicht hätte schämen müssen, wenn man die Klassikerschiene fahren will. Warum hat man die schwache Auswahl genommen, die nur wenig mit Horror zu tun hatte? War es das mangelnde Genrewissen der deutschen Redaktion oder die Kosten? Gleichgültigkeit? Oder war es Singer, der den geringsten Aufwand betrieb? Literarische Qualität oder überhaupt Qualität spielte da wohl eine untergeordnete Rolle. Es war wichtiger, das Programm für zig Bände fertigzustellen. Denn zum "Horror expert" kamen ja der "Top Grusel und Horror Krimi" sowie ein Jahr später "Luther's Grusel + Horror Cabinett", ebenfalls ein von Singer bestückter Anthologie-Titel.

Das unheimliche SanatoriumUnd so wundert es nicht, dass im "Horror expert" so unterschiedliche Romane wie W.A. Ballingers "Trommeln der Finsternis" neben Beiträgen wie Mary Reisners "Todeshalle" stehen. Das eine ein recht wüster und blutiger Pulphorror in bester Manier, das andere eine lahme Gothic Romance.

Das gilt auch für die Franzosen. Die 15 Romane von Fleuve noir, die der Verlag über zwei Reihen verteilte – Franzosen gab es auch im "Top Krimi", der fast zur Hälfte aus Fleuve noir Material bestand, sowohl aus der Krimi-Reihe "Special Police" wie auch "Angoisse" -, sind letztlich eine ziemlich willkürliche Auswahl. Immerhin kann man davon ausgehen, dass es alles Romane waren, die im Herkunftsland verkaufstechnisch recht erfolgreich gewesen sein dürften.

Obwohl, der Ruf nach Qualität ist so eine Sache. Auch wenn der "Horror expert" eigentlich nur selten das Versprechen einlösen konnte, das die Titelbilder durchaus gaben, war das alles für das Publikum etwas Neues. Das sollte man nicht vergessen. Zumindest eine Weile war der "Horror expert" die einzige regelmäßig erscheinende Publikation mit Gruselgeschichten. Davon abgesehen dürften die wenigen Kenner und vielleicht Bewunderer von Ausgaben wie der "Bibliothek des Hauses Usher", die des Kaisers neue Kleider vermutlich noch als Erste erkannt hätten, nicht unbedingt in Massen das Zielpublikum einer Kioskreihe gewesen sein, dessen Titelbilder mit einer Axt im Schädel warben.

Will man also fair sein, ging Luther mit einem ziemlich großen Handikap an den Start, was die Auswahlmöglichkeit anging. Das entschuldigt natürlich nicht die oft völlig konfuse Verfahrensweise, wie mit dem Material umgegangen wurde. Da wurden Serien wie Andre Caroffs "Madame Atomos" gleich auf zwei verschiedene Reihen verteilt, und bei beiden nahm man keine Rücksicht auf die interne Reihenfolge des Originals. Im Gegenteil, man fing mit dem letzten Band an. (Wobei sich die Frage stellt, wieso es keinen interessiert hat, dass man wahllos 3 Bände von 17 einkaufte. Das hätte selbst der des (mutmaßlich) Französischen nicht mächtigen deutschen Redaktion auffallen müssen.) Oder man startete die Reihe mit zwei Anthologie-Auswahlbänden statt mit abgeschlossenen Romanen, was sich einem heute auch nicht so richtig erschließt. Kurzgeschichtenleser und Romanleser sind in Deutschland zwei doch sehr verschiedene Dinge. Ganz zu schweigen von den vorgeblichen "Erstveröffentlichungen" vor allem bei den Kurzgeschichten, die fast alle keine waren. Eine überflüssige Neuübersetzung eines Romans gab es auch.

Das unheimliche SanatoriumMit dem Umfang hatte man sich wohl auch verschätzt. Diverse Beiträge waren zu kurz, um die ca. 190 Seiten zu füllen, also gab es auch schon mal beliebige Kurzgeschichten dazu. Und das alles für ein Kiosktaschenbuch, das mit 3,80 DM immerhin eine Mark zwanzig teurer als die Konkurrenzprodukte war. Zum Vergleich: das Kommissar X-Tb kostete 1971 noch 2,60 DM, Perry Rhodan ebenfalls. So gesehen war der "Horror expert" trotz des erhöhten Umfangs als "Doppelband" ganz schön teuer für den Otto Normalverbraucher.

Nicht alles im "Horror expert" ist schlecht. Das Autorenteam von Peter Saxon (zu dem auch W.A.Ballinger gehört) lieferte ein paar schöne Beiträge von echtem britischen Pulphorror. Und da sind die Franzosen von Fleuve noir, die kurz darauf das erste Jahr vom "Vampir Horror Roman" so sehr prägten, hier nur in ihrer ungekürzten Pracht. Nicht alles davon ist gut, im Gegenteil. Aber das ist eigentlich egal. Denn schließlich hat es sie sonst nirgendwo gegeben. (Und es ist eine Schande, dass ein Roman wie Agapits "Gas" später nirgendwo eine Zweitverwertung erlebt hat. Es ist ein wichtiges Werk der phantastischen Literatur, das es verdient hätte, in Basteis Reihe "Phantastische Literatur" oder in Suhrkamps "Phantastische Bibliothek" als Neuübersetzung veröffentlicht zu werden.) Und Seabury Quinn ist auch ein echter Klassiker des Pulp. Zwar ist es bedauerlich, dass die Übersetzung von "The Devil's Bride" streckenweise verhunzt wurde, aber das hat der Leser damals nicht mitbekommen.

Den Rest der Reihe – nun ja, den kann man in der Tat größtenteils vergessen. (Hält man Peter Saxon für billigen, schlecht geschriebenen Schund und Maurice Limat für einen vortrefflichen Langweiler, dürfte man gar nicht auf seine Kosten kommen.)

Aber die "Qualität" ist nicht allein eine Frage des Geschmacks. Abgesehen von den erwähnten Autoren gibt es im HE keinen Roman, der sich im Laufe der Zeit das Prädikat "Klassiker" verdient hätte. Das ist fast alles Mittelmaß oder darunter. Selbst die als Horror verkauften Gothic Romances – eine Praxis in Deutschland, die sich noch oft wiederholen sollte, zumindest das kann man Luther nicht wirklich zum Vorwurf machen - sind beklagenswert schwach. Vor die Wahl gestellt, im Taschenbuch einen der Gothics von Luther oder einen zeitgleich erschienenen Heyne Romatik Thriller zu lesen, liegt man bei Heyne immer besser.

Das unheimliche Sanatorium"Horror expert" ist aber auch ein Musterbeispiel für verpasste Chancen. Hätte Singer Zugang zu Serien wie Saxons "The Guardians" oder selbst "Dark Shadows" alias "Barnabas der Vampir" gehabt, die zur Zeit des HE alle komplett vorlagen, oder wäre man bei den Franzosen konzentrierter vorgegangen und hätte sich da das vorliegende Serienpotenzial wie von "Madame Atomos" oder "Mephista" – ein weitere Serie von Limat, von der eine mittlere Nummer im "Top Krimi" erschien -  zunutze gemacht, wäre die Reihe vielleicht erfolgreicher gewesen.

Oder zumindest in der Erinnerung der Fans beliebter. Denn geht man von den vom Verlag publizierten Verkaufszahlen aus, klingen die für sich gesehen beeindruckend. Da ist die Rede von 1,8 Millionen verkauften Exemplaren aller Taschenbuchreihen im ersten Jahr. Also müssen "Horror expert", "Terror-Krimi" und "Top Krimi" pro Monat jeweils 50000 Stück umgesetzt haben. Auch für 1971 nicht übel. Da müssen die Zahlen im zweiten Jahr radikal eingebrochen sein, um die Reihen bereits im zweiten Jahr wieder einzustellen. Und im Gegensatz zum "Horror expert" haben es die anderen Reihen gerade mal auf 18 Nummern gebracht. Was ist dort nur passiert? Warum hat man sich plötzlich vom Taschenbuch aufs Heft umorientiert, wie konnte man eine Reihe wie den "Erber`s Grusel-Krimi" ein Jahr lang als reine Reprintreihe der Taschenbuchreihen fahren, ohne dass die Kundschaft protestierte? Das wird ein Rätsel bleiben. Wie so häufig bei Luther ist das alles sehr widersprüchlich.

Eigentlich genau wie der "Horror expert" selbst.

Zum Abschluss darf man aber nicht vergessen, den Künstler zu erwähnen, der dem "Horror expert" eine unverkennbare Identität verlieh. Herbert Papalla hat mit seinen Horrorimpressionen für die erste deutsche Gruselreihe im Taschenbuch das geleistet, was Thole für den Vampir, Bruck für Perry Rhodan und Lonati für Dan Shocker geleistet hat. Seine schwarzweißen Zeichnungen haben der Reihe ein einprägsames und unverkennbares Antlitz gegeben. Allein dafür sollte man sie im Gedächtnis behalten, auch wenn es mit dem Inhalt nicht so richtig funktioniert hat.

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Kommentare  

#16 Sarkana 2018-11-04 15:36
Nya, der erste Versuchsballon war m.W. Carter Browns 'Vampire trinken ex' - im normalen Krimi-Layout sind mindestens drei Romane vom Brown erschienen und zumindest von John Sladek und Paul Edwards noch zumindest bis zum Ende der 80'er immer mal phantastische Romane.
Aber ja ich mein an sich auch besagte Horror-Reihe von 3168 bis 3581 . Aber wie gesagt, bislang ist es mir nicht gelungen da irgendwo ne Liste zu zu finden. Ullstein hat irgendwie sogar keiner auf dem Plan.

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