Amazing Pulps – Pulp Treasures 11 - Albert R. Wetjen Ship of Silence (1932)
Pulp Treasures 11
Albert R. Wetjen
Ship of Silence (1932)
Doch das Lissabon an dunklen Tagen ist gespenstisch. Wenn es regnet, scheint die Stadt fast ein Lovecraftsches Innsmouth zu sein – die gewundenen engen Gassen der Alfama wirken bedrohlich, und die sonst so freundlichen fetten Katzen blicken feindselig und raubtierhaft aus finsteren Flureingängen. Ein Brodem von Fisch, Verwesung und ranzigem Benzin liegt in der Luft.
So ein Tag war es, als ich beim Besuch im letzten Herbst „Ship of Silence“ von Wetjen las. Es war meine Gruselgeschichte des Jahres 2018, und ich gebe zu – vielleicht hat der düstere Tag zum Schauder beigetragen. Doch als ich sie jetzt in Berlin übersetzt habe, was der Eindruck fast noch genauso stark.
Diesmal ist sie nur indirekt eine Entdeckung von mir - weil sie aus einer neuen Anthologie stammt, die Mike Ashley für den verdienstvollen Verlag der British Library herausgegeben hat. Ich kaufte sie in der englischen Abteilung von fnac im größten Einkaufszentrum Europas, dem Colombo-Center (tja, da kommt man auch nicht drauf, dass es sowas in Lissabon gibt; Kauftempel der Superlative erwartet man vielleicht eher in Paris und London.)
Mit ihrer neuen Serie „Tales of the Weird“ ist der British Library ein kleiner Sensationserfolg gelungen. 2016 kam man dort auf die Idee, die Schätze britischer phantastischer Literatur zu heben und in Taschenbuchform herauszugeben. „Lost in a Pyramid“ war ein Volltreffer - 12 Horror-Storys um Mumien, Gräber und Flüche zwischen 1869 und 1910, darunter Klassiker wie Conan Doyles „Lot No. 249“ , aber auch viele Raritäten wie „The Dead Hand“ von Hester White. Bald sollten weitere Bände folgen, und inzwischen ist das Programm der Horror-Klassiker-Reihe für 2019 beachtlich aufgestockt worden – fast im Monatsrhythmus erschienen neue Bände.
Herausragend sind darunter die thematischen Anthologien von Mike Ashley, die eine mit alten See-Horror-Geschichten (From the Depths, 2018) und mit schaurigen Eisenbahn-Storys (The Platform Edge, 2019). Mike Ashley, das räume ich freimütig ein, steht nicht ganz oben auf meiner Liste der sympathischsten Experten phantastischer Literatur. Seine dreibändige vielzitierte Geschichte der Science Fiction ist trotz der Fülle an gut recherchierten Fakten eher ein Schritt in die falsche Richtung, weil komplett durch die Brille des High-SF-Fans gesehen, mit der üblichen Überschätzung prophetischer Gaben und der üblichen Unterschätzung einer gut erzählten Geschichte. (Diese Schule hat immer mehr übrig für eine schleche Asimov-Story in Astounding Stories als für eine gut erzählte von Hamilton in Amazing Stories.)
Doch Ashleys Fähigkeit, auf dem Gebiet der dunklen Phantastik interessantes Material aufzuspüren, bleibt unbestritten. Mit gefällt nicht alles in seinen Anthologien, aber das ist schließlich immer Geschmackssache, fest steht, dass ein Drittel meist exzellent ist.
„The Silent Ship“ habe ich aus „From the Depths“ (Aus der Tiefe) entnommen. Die Geschichte, offensichtlich angeregt durch den authentischen Fall des Geisterschiffs Marie Celeste, stand ursprünglich im „Blue Book Magazine“ von 1932, einem außergewöhnlichen All-Story-Pulp (was heißt, das es hier keine Festlegung auf Genres gab). Blue Book war überreich, ja fast schon comichaft illustriert, oft mehrfarbig, und damit etwas ganz Besonderes. Fast auf jeder Seite fand sich ein Bild. Leider besitze ich die Ausgabe weder als Scan noch haptisch, es wäre zu schön gewesen, zu dieser Story stimmungsreiche Illustrationen beisteuern zu können.
Auch in anderer Hinsicht ist die Story bemerkenswert. Lange weigerten sich die Pulp-Magazine, unheimliche Literatur in ihre Blätter mit aufzunehmen, obwohl das Publikum danach hungerte. Erst mit der Gründung von Weird Tales (1923) und Amazing Stories (1926) gab es spezielle Pulps dafür. Zunächst wurden diese Magazine von der Konkurrenz ignoriert, weil es lange eher Zeitungen für Freaks mit minimalen Auflagen (im Vergleich zu Mainstream-Pulps) waren. Erst mit der zunehmenden Anerkennung von Weird Tales und Amazing um 1930 und dem Massenerfolg des „Dime Mystery Magazine (1933)“ hielten Grusel- und Horror-Geschichten auch Einzug in den anderen Blättern. Das hier ist ein frühes Beispiel.
Albert R. Wetjen (1900-1947) war kein eigentlicher Horror-Autor, sondern spezialisiert auf Seefahrt-Geschichten, die in zahlreichen Magazinen der 20er und 30er Jahre erschienen und bei Redakteuren wie Lesern viel Anerkennung fanden. Kein Wunder, denn er berichtete aus eigener Erfahrung. Er war lange zur See gefahren, und anders als dem Horror-Genie William Hope Hodgson hat ihm das wohl auch Spaß gemacht. Er war Brite deutscher Abstammung, emigrierte in den 20ern in die USA und erhielt dort 1925 die Staatsbürgerschaft. Ein Jahr später bekam er den O-Henry-Preis für die beste Kurzgeschichte des Jahres („Command“.).
Hier im Zauberspiegel erscheint die deutsche Erstübersetzung von „Ship of Silence“. Ich habe sie wegen der Länge (20 Buchseiten) wieder zweigeteilt; Teil 2 erscheint in 14 Tagen.
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