Heyne Science Fiction Classics 7 - Stanley G. Weinbaum
Die Heyne Science Fiction Classics
Folge 7: Stanley G. Weinbaum
SF-Klassiker der dreißiger Jahre
Mit dem heute vorgestellten Autor finden wir zum ersten Mal in der Reihe der Heyne Science Fiction Classics einen Kurzgeschichtenband. Stanley G. Weinbaum (1901 – 1934) war eine Sternschnuppe am SF-Himmel der dreißiger Jahre. Er wurde nur 33 Jahre alt. Damit ging der SF das möglicherweise größte Talent dieser Zeit verloren. Weinbaum studierte Chemie und begann bald zu schrieben, wobei er sich neben Romanen mit einer Operette auch dem Musiktheater widmete. Am Anfang der dreißiger Jahre schloss er sich einer SF-Fangruppe an. Seine erste Erzählung A Martian Odyssee erschien 1934 im Magazin Wonder Stories und machte Weinbaum auf Anhieb populär. In rascher Folge erschienen in den folgenden Monaten weitere 11 Erzählungen in Wonder Stories und Astounding Stories. Doch bereits 15 Monate nach seiner berühmt gewordenen ersten SF-Erzählung verstarb der Autor an Kehlkopfkrebs. In einigen von Weinbaums Erzählungen kann man Anspielungen auf seine Krankheit erkennen, denn etliche Male spielt Krebs sowie mögliche Heilmittel dagegen eine Rolle. Die SF-Romane Weinbaums kamen alle erst posthum heraus. A Martian Odyssee wurde vor allem dadurch berühmt, dass hier außerirdische Wesen nicht als mit Tentakeln behaftete schleimige Monster geschildert wurden, die es auf die Unschuld kreischender junger Damen von der Erde abgesehen hatten und sie nach vollendeter Defloration zum Nachtisch verspeisten, sondern um nach ganz anderen Prinzipien aufgebautes Leben, das für uns Erdlinge schwer vorstellbar ist. Weinbaum setzte am besten die Herausforderung von John W. Campbell um, der sagte:
Schreibt mir eine Geschichte über einen Organismus, der so gut denkt wie ein Mensch, aber aber nicht so wie ein Mensch.
(Zitiert aus: Isaac Asimov: Vorwort zu: Die besten Stories von Stanley G. Weinbaum. München 1980, Playboy SF 6710)
Gleich als erster Titel Weinbaums in den Heyne Science Fiction Classics kam die Kurzgeschichtensammlung Mars-Odyssee mit der erwähnten Erzählung als Titelgeschichte heraus. Jarvis ist einer der vier Astronauten, welche als erste den Mars erreichten. Er bricht mit einer der beiden Bordmaschinen zu einem Erkundungsflug auf, als der Motor des Fluggeräts aussetzt und er notlanden muss. Er ist 1200 km vom Standort der Gefährten entfernt und steht vor der aus Gruppendynamik-Seminaren bekannten Entscheidung, auf die mögliche Rettung zu warten oder sich zu Fuß auf den Rückweg zu machen. 60 Kilometer pro Tag, das müsste bei der geringen Marsgravitation und ausreichendem Wasser zu schaffen sein, denkt er und marschiert zu seiner Mars-Odyssee los. Bald hat Jarvis Gelegenheit zu einer Heldentat, denn er befreit ein straußenähnliches Lebewesen von einem tentakelbewehrten Angreifer. Der Strauß hat eine Tasche um den Hals hängen. Der Verdacht liegt nahe, dass er intelligent ist. Die Verständigung ist zwar sehr mühsam, denn nicht nur unterschiedliche Sprechwerkzeuge spielen eine Rolle, sondern auch eine andere Denkweise. Trotzdem können die beiden einander ihre Namen mitteilen. Der Strauß heißt Tweel, und Jarvis bekommt eine Ahnung, dass er mindestens so intelligent wie die Menschen sein dürfte. Tweel beherrscht zweifellos Mathematik und begreift ohne weiteres, dass Jarvis vom dritten Planeten des Sonnensystems stammt.
Da ich nun wußte, daß Tweel mindestens die Volksschule besucht haben mußte, zog ich erst einen Kreis für die Sonne, zeigte darauf und dann auf das Abendrot. Dann fügte ich der Zeichnung Merkur, Venus, Mutter Erde und Mars hinzu, zeigte auf Mars und machte eine weite, alles einschließende Geste, um anzuzeigen, daß Mars unsere gegenwärtige Umgebung sei. Ich wollte ihm auf diese Weise allmählich klarmachen, daß meine Heimat die Erde sei.
Tweel verstand meine Zeichnung sofort. Er beugte seinen Schnabel darüber, und mit viel Gegluckse und Getriller fügte er dem Mars Phobos und Deimos hinzu, und dann zeichnete er den Erdmond ein!
(Zitiert aus: Stanley G. Weinbaum: Mars-Odyssee. München 1970, Heyne SF 3168, S. 19)
Der für seine Rettung dankbare (?) Tweel begleitet Jarvis beim weiteren Marsch und bekommt später auch Gelegenheit, sich für die Rettung zu revanchieren. Die Wanderer begegnen dem möglicherweise ältesten Wesen des Sonnensystems, einem Pyramidenbauer, dessen Metabolismus auf Silizium basiert und der Ziegelsteine kackt, die er zum Bau seiner Wohnpyramiden verwendet. Dann ist Jarvis verblüfft, als er anscheinend Fancy Long winkend vor sich sieht. Doch Tweel rettet ihn, denn ein anderes Tentakelmonster hat aus seinen Gedanken die Sehnsucht nach dem Mädchen entnommen und hätte ihn damit ihm ein ähnliches Schicksal beschert wie das, vor dem Jarvis Tweel gerettet hat. Als Tweel auf Fancy schießt, erscheint die wahre Gestalt der Traum-Bestie. Schließlich kommen die beiden Abenteurer zu einer Stadt in einem Kanal mit eigenartigen fassförmigen Bewohnern mit vier Gliedmaßen, welche in Schubkarren Material transportieren und die Kontaktaufnahmeversuche mit dem verzerrten Echo „Wir sind Frrreinde!“ beantworten. Im weiteren Verlauf der Forschung bekommen die beiden Wanderer Schwierigkeiten mit den seltsamen Fässern. Aus dem Scharmützel wird Jarvis vom Deus ex machina gerettet, der zweiten Bordmaschine der Astronauten, die längst auf der Suche nach ihm war. Tweel zieht sich mit einem eleganten Sprung über die Angreifer hinweg aus der Affäre.
Die Erzählung bietet eine der interessantesten Schilderungen außerirdischer Lebensformen in der SF-Geschichte, ist blitzgescheit und auch noch humorvoll erzählt. Sie wurde als eine der ältesten in die Science Fiction Hall of Fame aufgenommen und landete in der Bewertung auf dem zweiten Platz. Die weiteren Erzählungen des Sammelbandes haben zwar nicht die gleiche Strahlkraft wie Weinbaums Erstling, aber sein Intellekt, der vielen seiner SF schreibenden Zeitgenossen weit überlegen war, kommt immer wieder hervor, ohne schulmeisterlich zu wirken.
Dr. Scott hat eine möglicherweise für die Medizin bahnbrechende Entdeckung gemacht. Er hat unter Beigabe eines Extraktes von Fruchtfliegen, einer äußerst anpassungsfähigen Spezies, ein Heilserum entwickelt, mit dem er bereits sensationelle Heilerfolge bei Säugetieren erzielt hat. Nun ist er auf der Suche nach einem menschlichen Probanden, aber in diesem frühen Stadium ist das ethisch äußerst bedenklich. Da kommt eine Tuberkulosepatientien, die in den letzten Zügen liegt und der alles recht ist, gerade zur richtigen Zeit. Das Mittel wirkt, und aus dem im Sterben liegenden häßlichen Entchen Kyla Zelas wird ein wunderschöner Schwan. Doch Scott und sein Chef Dr. Bach bekommen ein riesengroßes Problem, denn Kyla ist schwerstens kriminell und besorgt sich umgehend Geld, wofür sie ohne Skrupel einen Mord verübt. Sie versteht es, mit ihrer umwerfenden Schönheit wichtige Leute zu umgarnen und wird sogar die Geliebte des Finanzministers. Durch ihre ultimative Anpassungsfähigkeit ist sie auch fast unverwundbar. Zur Demonstration sticht sie sich selbst einen Dolch in die Brust, die Wunde verheilt aber sofort spurlos. Die Frau ist eine riesige Gefahr für die Menschheit. Sie muss beseitigt werden, aber wie? Endlich findet Scott eine Lösung: Kein Mensch, auch die „neue“ Kya nicht, kann in seinen eigenen Abfallprodukten existieren! Scott und Bach locken Kyla in eine Falle, einen geschlossenen Raum, den sie mit Kohlendioxid fluten. Kyra wird bewusstlos. Bach operiert die Zirbeldrüse, deren Veränderung Kylas Anpassungsfähigkeit bewirkt hat. Die letzte Anpassung bewirkt, dass unmittelbar nach der Operation aus der Göttin wieder das leidende totkranke Mädchen wird. Doch Scott, der sich trotz aller Vorkommnisse in das Mädchen verliebt hatte, sieht noch immer die Schönheit in ihr.
Ham Hammond und seine frisch angetraute Frau Pat machen ihre Hochzeitsreise zu zweit auf der Venus, denn sie sind Mitglieder des Planeten-Erforschungsteams. Flitterwochen auf der Erde wären zu teuer, außerdem entfernen sich die beiden Planeten gerade voneinander. So wird die Flora und Fauna weiter erforscht. Es gibt halbintelligente Eingeborene, die Trioptes, eine aggressie Spezies. Die beiden müssen sich vor ihnen hüten. Da machen sie eine erstaunliche Entdeckung. Sie finden ein Wesen, das wie ein umgedrehter Scheffelkorb aussieht, mit einer Vielzahl von Beinen und Augenflecken rundherum. Die beiden staunen, als das Wesen mit ihnen zu reden beginnt und die englische Sprache binnen kürzester Zeit lernt. Sie nennen ihren neuen Freund Oskar. Er ist hochintelligent, aber ganz anders als die Erdmenschen. Da wird einer von Oskars Rassegenossen von Trioptes entführt, und Oskar erklärt Ham und Pat ganz ungerührt, dass er gegessen wird. Die Menschen sind entsetzt. Sie erkennen, dass Oskar und seine Artgenossen aufgrund der sich verändernden Lebensbedingungen auf der Venus in den nächsten Jahrzehnten zum Aussterben verdammt sind, aber das rührt Oskar und seine Leute überhaupt nicht. Denn sie sind in Wirklichkeit pflanzliche Lebewesen, die keine Notwendigkeiten kennen, keine Willenskraft besitzen, keine Ambitionen haben, Philosophen, die denkend ihren Untergang erwarten. Pat gerät in Schwierigkeiten, denn die Wesen sondern eine narkotisierende Substanz ab, die ihren Willen lähmt. Wieder befreit, kommt ihr die Erkenntnis: sie sind Die Lotusesser und der Lotus gleichzeitig.
Zu dieser Geschichte muss gesagt werden, dass in den dreißiger Jahren die Tageslänge der Venus noch nicht bekannt war. Weinbaum ging von einer gebunden Rotation aus. Er nahm also an, dass der Venustag gleich einem Venusjahr ist, also der Planet der Sonne immer die gleiche Seite zuwendet wie es der Mond Richtung Erde tut. Deswegen ging er von extrem niedrigen Temperaturen auf der Venusnachtseite und sehr hohen auf der Tagseite aus.
Der Biologe Carver ist im Kanu zusammen mit zwei Eingeborenen zu einer Insel vor der neuseeländischen Küste unterwegs. Er will die dortige Flora und Fauna erforschen, aber die Eingeborenen spielen verrückt, für sie ist die Insel tabu. Nach der Landung fliehen sie mit dem Boot und dem Großteil der Ausrüstung. Carver ist allein. Die Vegetation ist eigenartig, es sieht so aus, als gibt es eine Menge unbekannter Arten in einer derartigen Fülle, dass es unheimlich ist. Unheimlich sind auch die Tiere, denn Carver wird von einem bösartigen kleinen Raubtier bedroht, das aber flieht, als der Biologe nach ihm schießt. Er ist nervös und kann kaum in seinem Notquartier am Starand schlafen. Dann wird er von einer Meute von – ja was? - angegriffen, lauter Tieren, die unterschiedlich aussehen und von irgendwem dirigiert werden. Carver schießt in die Richtung, wo er eine Stimme gehört hat, und findet ein junges Mädchen, dem er glücklicherweise nur einen Streifschuss verpasst hatte. Das Mädchen ist eine Weiße, sie kann nur rudimentär sprechen, ist aber die Herrin der Raubtiermeute. Er nennt sie Lilith, und sie führt ihn zu den Ruinen einer Hütte, wo er Aufzeichnungen findet, die ihm das Rätsel offenbaren. Liliths Vater Callan war ein Forscher, der sich auf diese Insel des Proteus zurückgezogen und künstlich Mutationen bei Tieren und Pflanzen erzeugt hat. Aus seinen Hunden und Katzen entstanden Nachkommen mit unterschiedlichem Aussehen, auch kein Baum sieht mehr wie der andere aus. Liliths Meute sind mutierte Hunde, die im Kampf mit den Nachkommen der Katzen stehen. In der folgenden Schlacht gegen die Katzen gewinnen die Hunde durch die Unterstützung von Carvers Revolver. Die Rettung naht, denn Carvers Kollegen sind auf der Suche nach ihm auf der Insel gelandet. Und auch die Natur wird sich wieder normalisieren, denn die normalen Arten sind stärker und werden sich binnen weniger Generationen wieder durchsetzen.
Als letzte Geschichte wurde Der Rand der Unendlichkeit (Brink of Infinity) in die Sammlung aufgenommen. Hier handelt es sich nicht wirklich um eine Science Fiction-Story, sondern um eine Kriminalgeschichte für Mathematiker. Der Mathematikdozent Dr. Aarons wird von einem Wahnsinnigen in eine Falle gelockt. Dieser ist durch die falsche Berechnung eines anderen Mathematikers, welche eine Explosion zur Folge hatte, verkrüppelt worden und hat seither einen Hass auf alle Angehörigen der rechnenden Zunft entwickelt. Aarons muss mit maximal zehn Fragen den Wert einer Zahl finden, sonst muss er sterben. Natürlich dauert es bis zur zehnten Frage, bis das Rätsel gelöst ist. Die Antwort des Verrückten könnte aus einem Märchen kommen: „Das muß Ihnen der Teufel gesagt haben!“
Wer sich für weitere Kurzgeschichten von Weinbaum interessiert, sei auf den Band Die besten Stories von Stanley G. Weinbaum (The Best of Stanley G. Weinbaum) verwiesen, welcher 1980 in der Reihe Playboy Science Fiction des Moewig-Verlages herausgegeben wurde. Drei der Geschichten sind zwar bereits in Mars-Odyssee enthalten, aber für Komplettisten, die noch mehr von diesem Autor lesen wollen, ist dieser Band auf jeden Fall anzuraten.
Der junge Hull Tarvish kommt von den Bergen nach Ormiston und verdingt sich dort wegen seiner großen körperlichen Stärke als Arbeitskraft bei einem Schmied. Es sind harte Zeiten. Ein weltumspannender Krieg, gefolgt von einer katastrophalen Seuche, hat den Großteil der Menschheit dahingerafft. Die Technologie der Vorfahren ist zum Großteil verlorengegangen, technische Geräte werden als Zauberei angesehen. Amerika ist in eine Vielzahl von Einzelstaaten zerfallen. Doch es gibt einen Eroberer, der wieder ein großes Reich aufbauen will und Gebiet für Gebiet seinem Einflussbereich einverleibt. Hull freundet sich mit mit dem weisen Alten Einar an, der ihm von den alten Zeiten erzählt, und mit der jungen Vail Ormiston, der Tochter des Dorfältesten. Sie fürchtet, dass die vorrückenden Truppen des Eroberers und Meisters Joaquim Smith auch die Konföderation übernehmen werden, der Ormiston angehört, und damit die Pfründe ihres Vaters verlorengehen. Deswegen stiftet sie Hull an, sich den verteidigenden Truppen anzuschließen und gegen den Meister und seine Schwester, die berüchtigte Schwarze Margot, zu kämpfen. Hull gelingt es mit seinem Geschick und seiner Stärke, einige Erfolge im Verteidungskampf gegen die Eroberer zu erzielen. Er erregt beim Meister und seiner Schwester, die auch Die schwarze Flamme genannt wird, Aufmerksamkeit. Er unternimmt mehrere Ausbruchs- und Aufstandsversuche, welche allesamt scheitern. Denn Joaquim und seine Schwester gehören zu den Unsterblichen, welche weit überlegenes Wissen haben und durch die Entdeckungen Einar Olins auch das Geheimnis der Atomkraft besitzen. Olin ist in Wirklichkeit der Alte Einer, Hulls Freund, welcher das Geschenk der Unsterblichkeit zurückgewiesen hat und in Frieden dem Ende seines Lebens entgegensieht. Hull ist zwischen seiner Liebe zu Vail und der begehrenswerten Schwarzen Flamme hin- und hergerissen, aber er bleibt bei Vail, während Prinzessin Margaret zusammen mit dem Heer ihres Bruders auf dem Eroberungszug weiterreitet.
Der elektrische Stuhl ist die Strafe für Thomas Connors Verbrechen, denn er hatte einen Mann umgebracht. Dass dieser Toms Braut in der Nacht vor der geplanten Hochzeit verführt hat und der gehörnte Bräutigam die Tat in seiner rasenden Wut verübte, wurde ihm nicht als Milderungsgrund anerkannt. Doch – was ist das? Connor erwacht, umgeben von Kindern, welche ihn als Gespenst ansehen und fliehen. Erwachsene nähern sich, welche den total ausgezehrten Körper Connors aufheben und zur Heilerin Evanie bringen. Die heilkundige Frau nimmt das Wrack unter ihre Fittiche und päppelt ihn auf. Connor erfährt, dass er als einer der Schläfer angesehen wird. Diese lassen sich durch eine Behandlung mit Elektroschocks in einen langen Schlaf versetzten, um Jahrzehnte später wieder zu erwachen, mit einem gewachsenen Bankkonto als Polster. Bei Connor muss es eine winzige Fehlfunktion des elektrischen Stuhls ebenfalls zur Elektrolepsie gekommen sein, aber er hat viele Jahrhunderte geschlafen und befindet sich mindestens 1000 Jahre von seiner früheren Zeit entfernt! Amerika ist ein riesiges Reich, das sich unter der Herrschaft von Unsterblichen befindet, an deren Spitze Meister Joaquim Smith und seine Schwester, Prinzessin Margaret, Die Schwarze Flamme, stehen. Bei einer Wanderung während seiner Rekonvaleszenzzeit hat Tom eine seltsame Begegnung an einem kleinen See:
Nur einige Meter vor ihm stand nun das bezauberndste Geschöpf, das er jemals gesehen hatte. Es war schwer zu glauben, daß sie ein lebendes, atmendes Wesen und nicht nur eine Ausgeburt seiner Fantasie war. […]
Sie kniete neben dem dunklen Spiegel des Sees und stützte sich auf ihren schlanken Arme, die sich alabasterweiß vom moosigen Ufer abhoben. Sie lächelte ihr Spiegelbild im Wasser an – es war, als sei sie das berühmte Bild der Psyche, das Connor so gut kannte, plötzlich zum Leben erwacht.
Er wagte kaum zu atmen - und selbstverständlich auch nicht zu sprechen – aus Furcht, sie zu erschrecken. Als sie dann aber ihren Kopf wendete und ihn sah, war ihr keine Überraschung anzumerken. Sie lächelte leise und erhob sich anmutig. Dabei schmiegte sich im leichten Wind ihr weißes, fließendes griechisches Gewand an eine Figur, die zu vollkommen schien, um noch aus Fleisch und Blut zu sein. Der Eindruck wurde noch durch eine silberne Kordel unterstrichen, die sich unterhalb ihrer Brüste kreuzte. Sie glitzerte, doch nicht stärker als das rabenschwarze Haar des Mädchens.
(Zitiert aus: Stanley G. Weinbaum: Die schwarze Flamme. München 1974, Heyne SF 3387, S. 95)
Nach der Rückkehr ins Dorf erfährt Connor, dass ein Aufstand gegen die Herrscher geplant ist, welche eine Menge Steuern einheben, aber dem Volk die Unsterblichkeit verweigern. Evanie ist die Anführerin der Revolutionäre. Tom unterstützt Jan Orm, einen Ingenieur und führendes Mitglied der Untergrundbewegung, mit seinem Wissen aus früherer Zeit bei der Produktion von Waffen. Schließlich reisen die Verschwörer nach Urbs, die Millionenmetropole und Hauptstadt des Reiches. Sie wollen den Meister und seine Schwester beseitigen, doch der dilettantisch geplante Aufstand wird mühelos vereitelt. Connor und seine Mitverschwörer geraten in Gefangenschaft. Die Tatsache, dass er ein Schläfer aus uralter Zeit ist, hat das Interesse des Herrschers und seiner Schwester geweckt, und Connor erkennt, dass jene wunderschöne Frau, die er vor einiger Zeit am See getroffen hatte, Prinzessin Margaret ist. Nach und nach wird Tom auch klar, dass die Herrschaft des Meisters eine weise und milde ist. Jedem die Unsterblichkeit zu gewähren, würde die Erde komplett übervölkern und zu einem Stillstand des Fortschritts führen, und die Steuern sind notwendig, um das soziale Leben und die Infrastruktur der Menschen zu finanzieren. Bei einem weiteren Attentatsversuch, der von der eifersüchtigen Evanie ausgeht, rettet Connor der Prinzessin das Leben. Er wird ihr Gefährte und in die Gemeinschaft der Unsterblichen aufgenommen.
Dem Roman merkt man die beiden Teile deutlich an. Das wäre noch kein wirklicher Kritikpunkt, aber es wird im Wesentlichen die gleiche Geschichte zweimal hintereinander erzählt, und das mindert seinen Wert doch beträchtlich. Jedesmal geht es um einen starken Mann, der vergeblich gegen die Schwarze Flamme und die Herrschaft ihres Bruders kämpft, bis er ihrer Ausstrahlung unterliegt. Dabei ist immer die Beziehung zu einer anderen Frau dabei, die nicht mit der Schwarzen Flamme mithalten kann, aber Kopf der Rebellion ist und die Überlegene hasst. Das Szenario einer Gesellschaft, die lang nach der Apokalypse wieder versucht, auf die Beine zu kommen, hat auch bei anderen Autoren Schule gemacht, wie beispielsweise bei Sterling Lanier mit Hieros Reise oder Paul O. Williams mit den Pelbar-Romanen. Trotzdem kann ich den Roman nicht als Klassiker einordnen, er ist für mich das schwächste Werk Weinbaums. Allerdings muss man sich schon die Frage stellen, ob Weinbaum die Publikation des Werks in der vorliegenden Form überhaupt geplant hätte, wenn er nicht seiner Krankheit erlegen wäre. Für mich ist es wahrscheinlicher, dass der erste Teil nur die Vorstudie für den zweiten, wesentlich längeren und ausgefeilteren war und der Autor an eine gemeinsame Publikation nie gedacht hatte.
Pat ist verliebt. Ihr Angebeteter Nicholas Devine ist ein etwas schüchterner, liebenserter junger Mann, der an Kunst, Literatur und Poesie interessiert ist. Obwohl er Pat auch liebt, scheut er sich zuerst, sich zu erklären. Der Psychiater Dr. Horker kümmert sich quasi als Ersatzvater um das Mädchen, weil ihr leiblicher Vater schon lange verstorben ist. So ist sie bei ihm an der richtigen Stelle, um ihn um Rat zu fragen, weil der sonst so sanftmütige Nick urplötzlich wie ein Fremder gewirkt hat, brutal, böse, unheimlich. Am nächsten Tag ist er wieder normal. Doch Der dunkle Doppelgänger kommt erneut zum Vorschein:
„Die Stituation war gefährlich!“ erklärte er mit einer Stimme, die so kalt klang wie das Klirren von Metall. „Deshalb griff ich zur Rettung ein“.
„Rettung?“ fragte Pat verwirrt, als das Auto auf dem Gras neben der Straße zum Stehen kam.
„Um mir deinen Körper zu erhalten“. Die Stimme war noch voller eisiger Ausdruckslosigkeit. „Die Schönheit deines Körpers!“
Er streckte eine Hand nach ihr aus, griff nach dem Saum ihres Kleides und riß den Rock über die seidenbestrumpften Schenkel hoch. „Da“ zischte er. „Das meine ich“.
„Nick“ schrie Pat fassungslos auf. „Was ist ...“ Sie verstummte in plötzlichem Entsetzen, denn das Gesicht vor ihr war nur mehr eine leere, bösartige Karikatur von Nicolas Devines Gesicht, eine starre Maske, die sie aus brennenden, blutunterlaufenen Augen anstarte wie ein rotäugiger Dämon.
(Zitiert aus: Stanley G. Weinbaum: Der dunkle Doppelgänger. München 1975, Heyne SF 3424, S. 27)
Nick entwickelt sadistische Züge und vergewaltigt Pat beinahe. Die Situation eskaliert weiter. Ist Nick schizophren? Dr. Horker scheitert vorerst an der richtigen Diagnose. Es scheint so, dass der verängstigte „normale“ Nick immer wieder von einem Dämon in seinem Kopf übernommen wird. Diese zweite Persönlichkeit hat eine Ausstrahlung, die anderen ihren Willen aufzwingen kann. Bevor Pat ihm endgültig zum Opfer fällt, schießt sie in höchster Not auf ihn und trifft ihn in Kopf. Die Notoperation durch Horker gelingt, Nick bleibt am Leben. Horker hat eine Art Tumor aus Nicks Hirn entfernt, ein Gewächs, das ein winziges Duplikat des Großhirns war und eine eigene böse Persönlichkeit entwickelt hat. Diese hatte immer wieder die Gewalt über Nicks Körper übernommen und ihn in seinen eigenen Körper zum Gefangenen gemacht, der hilflos zusehen musste, was der dunkle Doppelgänger verbrochen hat. Doch nun ist Nick den Satan los, und es steht ihm endlich der Weg ein selbstbestimmtes Leben frei.
Als Science Fiction-Roman kann man dieses Werk nur augenzwinkernd kategorisieren. Vielleicht wäre die Bezeichnung medizinisch-psychologischer Thriller eher angebracht. Diese Kategorisierungen darf man ja nicht überbewerten, aber eine Einordnung als Science Fiction-Klassiker führt den weniger erfahrenen Leser auf jeden Fall in die Irre. Im Roman selbst wird durch Horker das Dr. Jekyll und Mr. Hyde-Thema angesprochen. Den gleichnamigen Roman von Robert Louis Stevenson darf man also gefahrlos als Paten für dieses Werk betrachten.
Die Geburt ihres Kindes kostet Anna Hall das Leben, vielleicht bleibt ihr damit auch einiges an Sorgen erspart. Der seltsame Edmond lebt, ein spindeldürrer Säugling, mit bolzengeraden Beinen und seltsam leuchtenden bernsteingelben Augen. Ganz besonders sind seine Hände, denn Edmond hat an jedem Finger ein zusätzliches Glied. Vater John schaut um eine Amme für den kleinen Edmond, und als erfolgreicher Anwalt kann er dem Kleinen trotz fehlender Mutter ein gutes Aufwachsen ermöglichen. Edmond enwickelt sich gut, er ist aber ein stilles Kind und hat keine Spielfefährten. Er sagt, er braucht keinen Freund, denn er spricht mit sich selbst. In der Schule fällt der Junge nicht durch übermäßige Intelligenz auf. Er entwickelt keine Initiativen, schließt keine Freundschaften, er bleibt in sich gekehrt. Aber wenn er gefragt wird, weiß er immer die Antwort. Als Zwölfjähriger kommt es beinahe zu einer Eifersuchtsszene mit dem Klassenkollegen Paul, welcher das Mädchen Vanny als seinen Besitz betrachtet, doch Vanny entwickelt Interesse für den Außenseiter Edmond. In einer Geografiestunde erkennt Edmond, dass er anders ist als die anderen Menschen:
Er bemerkte einen Aufruhr an der Straßenecke – zwei Automobile hatten sich an den Stoßstangen gestreift – und wandte den Kopf, um die Szene zu beobachten. Diese Bemerkung fiel der Lehrerin auf, die gereizt umhersah.
„Edmond Hall!“ rief sie ungeduldig aus. „Vergiß das Fenster und paß bitte auf!“ Und danach folgte die überraschendste Feststellung, die er in seiner siebenjährigen Schulzeit schon so oft gehört hatte. „Man kann nicht gleichzeitig an zwei Dinge denken!“
Edmond wußte, daß sie unrecht hatte. Er war ihren Ausführungen gefolgt. Weil er selbst mit perfekter Klarheit zwei verschiedenen, fest umrissenen Gedankengängen folgen konnte.
(Zitiert aus: Stanley G. Weinbaum: Der neue Adam. München 1977, Heyne SF 3542, S. 15)
Edmond ist Der neue Adam, ein Mensch einer anderen Art.
Er macht unaufgeregt seine weitere Ausbildung an der High School und geht anschließend ans College, um Medizin zu studieren. Besondere Freude hat er an einem Physikkurs, den Professor Albert Stein leitet. Steins Intellekt gleicht etwas dem von Edmond, wenngleich in kleinerem Maßstab. Edmond begegnet auch seiner Schulkollegin Vanny wieder, aber sie kommen einander nicht wirklich näher. Sein Vater stirbt. Onkel Edward übernimmt die Vormundschaft, bis Edmond volljährig ist. Das Erbe ermöglicht ihm, finanziell auf eigenen Beinen zu stehen. Doch Edmond will nach Ende des Studiums nicht praktizieren, sondern eigene Forschungen betreiben. Mit Erfindungen, unter anderem einer perfekten Vakuumröhre, und erfolgreichen Börsenspekulationen erwirbt er genug Vermögen, um nach Lust und Laune seinen weiteren Forschungen nachzugehen. Er saugt ein Wissensgebiet nach dem anderen in sich auf, steht aber immer wieder vor der scheinbaren Sinnlosigkeit alles Tuns. Er entdeckt die Atomzertrümmerung, welche das Energieproblem der Menschheit lösen, aber auch ihre Selbstvernichtung hervorrufen könnte, und legt die Forschungsergebnisse zur Seite, ohne der Öffentlichkeit etwas mitzuteilen.
Er trifft die erwachsene Evanne wieder, seine Fastfreundin aus Kinderzeiten, und spannt sie Paul aus, der sich mittlerweile als Dichter versucht und möglicherweise ein Alter Ego Weinbaums ist. Edmond bringt Vanny mit seiner geistigen Ausstrahlung dazu, ihn zu heiraten. Die sexuelle Exstase ist kurz, bald kühlen sich Edmonds Hormone wieder ab. Die unbefriedigte Vanny beginnt ein Verhältnis mit Paul. Edmond ertappt die beiden in flagranti. Obwohl er nicht wütend ist, verlässt er Vanny, denn er erkennt, dass er weitersuchen muss. So findet er endlich einen anderen Menschen seiner Art. Sarah ist auch ein Homo superior, eine Künstlerin, aber spröde und keinesfalls attraktiv. Edmond und Sarah werden Eltern eines Sohnes. Doch Sarah kann ihm nur intellektuelle Partnerschaft anbieten. Die „menschliche“ Seite fand Edmond nur bei Vanny, so ist er zwischen den beiden Frauen zerrissen. Er wird imer einsamer, obwohl Sarah mittlerweile weitere Artgenossen entdeckt hat. Edmonds Ende kommt, als Paul, der um die wiedergewonnene Vanny fürchet, ihn ermorden will. Doch Paul hat keine Chance, Edmond zu erschießen, denn er ist seiner Geisteskraft nicht gewachsen. Edmond hat aber genug. Er schießt selbst mit seiner eigenen Waffe, er hatte bereits sein Testament gemacht.
Der Roman ist immer wieder mit Einschüben von Gedichten unterbrochen, die der Autor seinem Alter Ego Paul und Edmond in den Mund legt, aber sein eigenes Interesse an Lyrik dokumentieren. Auch der Schlussabsatz ist ein Gedicht, mit einer kreisförmigen Grafik umgeben:
EDMOND'S
Life is a self-consuming flame
That dying ever, yet is burning.
A circle spun through points the same
Forever on itself returning
With fruits of infamy and shame,
Bitter as agony of yearning.
As long as life is lived in vain
So must I struggle hopelessly
Against the closed resistless chain
That bindeth my mortality;
What woman bears in blood and pain
In pain and blood must purged be.CIRCLE
(Zitiert aus: Stanley G. Weinbaum: Der neue Adam. München 1977, Heyne SF 3542, S. 14)
Ich kann nur darüber spekulieren, wann das Werk entstanden ist, aber die traurige Grundstimmung ist für mich ein Indiz dafür, dass zumindestens die Fertigstellung in den Zeitraum von Weinbaums tödlicher Krankheit fiel. Das Werk wurde erstmals posthum 1939 publiziert. Verblüffend sind die vielen Parallelen zu Stapledons Die Insel der Mutanten, welche in dieser Artikelserie vor drei Wochen behandelt wurde. Stapledons Roman erschien in Weinbaums Todesjahr. Ich glaube nicht wirklich, dass es einen Einfluss gegeben hat. Manchmal ist die Zeit für gewisse Dinge reif, und dann werden sie von mehreren Leuten aufgegriffen. In meiner persönlichen Einschätzung steht Der neue Adam noch etwas höher. Die Stimmung ist anders, viel melancholischer, obwohl es auch bei Stapledon ein vergleichbares Ende gibt.
Die Aufnahme von Stanley G. Weinbaum in die Heyne Science Fiction Classics ist auf jeden Fall als ausgezeichnete Wahl zu bewerten. Es ist sehr schade, dass uns ein so großes Talent so früh verlassen musste. Es erscheint allerdings wenig wahrscheinlich, dass ein so vielseitig begabter Mensch wie Weinbaum sich bei einer weiteren schriftstellerischen und dichterischen Karriere ausschließlich auf das Science Fiction-Genre „beschränkt“ hätte, wenn er uns erhalten geblieben wäre.
Anmerkung:
Es werden die Ausgaben in den Heyne Science Fiction Classics, weitere Ausgaben im Heyne-Verlag sowie die Erstausgaben der Werke angeführt.
1970