Heyne Science Fiction Classics 4 Olaf Stapledon
Die Heyne Science Fiction Classics
Folge 4: Olaf Stapledon - Visionär der Zukunft
Es war eine glückliche Hand, die Olaf Stapledon nach Hans Dominik und E. E. Smith als nächsten Autor für die Heyne Science Fiction Classics auswählte. Mit den beiden anderen Autoren hatte man bereits den wichtigsten deutschen SF-Autor der Zwischenkriegszeit und den Begründer des SF-Subgenres der Space Opera vorgestellt. Mit Olaf Stapledon kam nun ein ganz anderes Kaliber in die Reihe, er kann nur als Gigant der SF-Geschichte bezeichnet werden. Bei ihm ging es weder um epochemachende technische Erfindungen, noch um gigantische Raumschiffe mit Superwaffen samt intergalaktischen Konflikten, sondern nur um die einfache Frage: Was wird aus der Menschheit?
Olaf Stapledon (1886 – 1950) war ein englischer Philosoph und Autor. Er verbrachte seine ersten sechs Lebensjahre als Bürger des Britischen Empire in Ägypten. Für seine Schulausbildung kehrte er in sein Heimatland England zurück, wo er in Oxford Geschichte und Philosophie studierte und mit dem Doktorgrad abschloss. Mit seinem ersten Roman Die Letzten und die Ersten Menschen etablierte er sich als Schriftsteller. Leben konnte er allerdings von dieser Tätigkeit nicht, dazu blieb sein Werk zu schmal. Stapledon konnte aber auf ein ererbtes Vermögen zurückgreifen. Aus der Ehe mit Agnes Zena Miller entstammten zwei Kinder. Stapledon war ein Agnostiker, der allerdings ein lebhaftes religiöses Interesse hatte. Politisch war ihm kommunistisches bzw. sozialistisches Gedankengut nahe. Mit der Art von Kommunismus, wie er sich in der Sowjetunion unter Stalin manifestierte, hatte der zutiefst von Humanismus durchdrungene Stapledon allerdings nicht das geringste am Hut. Einen Einblick an Stapledons Weltbild gewinnt man logischerweise am besten, wenn man sich mit seinen großen Romanen beschäftigt. Neben den erzählenden Werken, welche die Science Fiction in ganz neue Dimensionen führten, verfasste Stapledon auch philosophische Bücher. Mit der Science Fiction-Szene, die sich in den USA rund um die Magazine Amazing und Astounding etablierte, hatte er keine Berührungspunkte. Er blieb in dieser Hinsicht ein Außenseiter, wird aber von der heutigen Szene als eines der Fundamente betrachtet, auf dem das Genre steht.
Als erstes von Stapledons Werken wurde Der Sternenmacher (Star Maker) ins Deutsche übersetzt. Es kann nur als kosmische Vision bezeichnet werden, der Ausdruck „Roman“ ist für dieses Werk gänzlich unangebracht und würde eine komplett falsche Erwartungshaltung beim Leser erwecken. Ein Mensch der Erde verlässt mit dem Geist seinen Körper und bricht zu einer kosmischen Reise auf, die ihn nicht nur in die Galaxis hinaus führt, sondern auch den Zeitstrom entlang. Er entdeckt viele andere Welten, darunter eine zweite Erde, die von einer menschenähnlichen Spezies bewohnt wird. Die Planetenbewohner sehen zwar etwas anders aus als Erdmenschen, haben aber doch eine recht ähnliche Zivilisation geschaffen. Ein Hauptunterschied zu den irdischen Menschen ist die andere Sinneswahrnehmung. Seh- und Hörsinn sind schwach entwickelt, dafür aber Geruchs- und Geschmackssinn sehr stark ausgeprägt. Das hat zur praktischen Folge, dass sich Rassebewusstsein und auch Rassenunterdrückung nicht auf das Aussehen von Anderen beziehen, sondern nach ihrem Geruch. In ihrer Religion wird Gott als mit dem ultimativen Aroma behaftet betrachtet. Die unterschiedlichen Vorstellungen über seine Geschmacksrichtung führt sogar zu Religionskriegen. Der Geist des Menschen schafft es, sich in einem einheimischen Philosophen niederzulassen und mit ihm eine innige telepathische Verbindung einzugehen. Zusammen verlassen sie den Planeten und suchen eine Reihe anderer Zivilisationen in der Galaxis auf, welche in unterschiedlichen Entwicklungsstufen ihrer Art stehen und von ganz unterschiedlichem Aussehen sind. Da gibt es menschenähnliche Wesen, symbiotische Spezies, Kompositwesen und sogar Pflanzenwesen. Weitere Forscher schließen sich der Gemeinschaft der beiden Suchenden auf und bilden mit ihnen einen Schwarm, der sich zu einem kosmischen Geist zusammenschließt. Der suchende Geist findet Zivilisationen, die sich über das Individuum hinausentwickelt haben und in telepathischer Verbindung zueinander Gemeinschaftszivilisationen bilden. Das Utopia scheint eine galaktische Vereinigung aller Völker zu sein, die sich aus den vielen Völkern gebildet hat. Davor steht aber eine Entwicklung, die mit Unterdrückung und vielen Kriegen innerhalb der Völker und nach der Vereinigung einer Spezies mit heftigen Auseinandersetzungen mit Nachbarzivilisationen verbunden war. Damit verbunden war die Ausrottung von ganzen Spezies. Werden und Vergehen ganzer Zivilisationen scheint mit dem Schicksal des Kosmos untrennbar verbunden zu sein. Irgendwo muss es doch einen Schöpfer geben, ein Wesen, das für die ganze Entwicklung verantwortlich sein. Den Sternenschöpfer zu finden wird das Ziel der im kosmischen Geist Verbundenen. Der kosmische Geist erkennt auf seiner weiteren Suche, dass sogar die Sterne selbst auch eine Entwicklung zum Eigenbewusstsein durchleben. Sie betrachten das Leben, welches sich auf ihren Begleitern, den Planeten, entsteht, lange als Parasiten und als Krankheit, die bekämpft und vernichtet werden muss, bis es gelingt, eine geistige Verbindung herzustellen und beide Entwicklungsformen in die weitere Entwicklung des kosmischen Geistes hineinzunehmen. Mehr noch, auch die Sternennebel selbst hatten eine Entwicklung zum Eigenbewusstsein, die aber durch die Sternentstehung und die zunehmende Entfernung der Galaxien voneinander, welche eine Kommunikation untereinander sukzessive unmöglich macht, zum Erlöschen kommt. Endlich kommt es zur Begegnung des kosmischen Geistes, der aus dem Universum entstanden ist, mit dem Sternenschöpfer:
Und in diesem Augenblick wußte ich, daß ich wirklich den Ursprung alles kosmischen Lichtes und Lebens und Geistes geschaut hatte.
Aber dieses Bild, dieses Symbol, das mein kosmischer Geist unter dem Druck eines unvorstellbaren Erlebnisses formte, wurde durch den bloßen Akt des Wahrnehmens bereits wieder zerstört, so wenig paßte es die Wirklichkeit meines Erlebens. In meiner Blindheit vergegenwärtigte ich mir den Augenblick meiner Vision und erkannte, daß der Stern, der Sternenschöpfer, der der absolute Mittelpunkt alles Seins war, von der Höhe der Unendlichkeit scheinbar auf mich, sein Geschöpf, herabgeblickt hatte; und daß ich bei seinem Anblick sofort die schwachen Flügel meines Geistes ausbreitete, um mich zu ihm aufzuschwingen, nur um geblendet und versengt zurückgestoßen zu werden. [...]
Es war nicht nur der physische Glanz, der mich in jenem höchsten Augenblick meines Lebens zurückwarf. In jenem Moment vermochte ich die Stimmung jenes unendlichen Geistes zu erraten, aus der heraus er den Kosmos geschaffen und in der Folge unter ständiger Beobachtung seiner qualvollen Entwicklung erhalten hatte. Und es war diese Entdeckung, die mich niederwarf.
Denn ich hatte mich nicht einer freundlichen und willkommen heißenden Liebe gegenübergesehen, sondern einem sehr andersartigen Geist. Und sofort wußte ich, daß mich der Sternenschöpfer nicht zu seiner Braut geschaffen hatte, noch zum geliebten Kind, sondern für einen anderen Zweck.
Es schien mir, als blickte er aus der Höhe seiner Göttlichkeit mit der abwesenden und doch leidenschaftlichen Aufmerksamkeit eines Künstlers auf mich herab, der eine fertige Arbeit kritisch betrachtet, und der sich in Ruhe seiner Errungenschaften erfreut und doch schließlich die unwiderruflichen Fehler ihrer Grundkonzeption erkennt und sich bereits nach einer neuen Schöpfung sehnt.
(Zitiert aus: Olaf Stapledon: Der Sternenmacher. München 1970, Heyne SF 3710/11)
Der Geist erkennt, dass der Sternenschöpfer unablässig damit beschäftigt ist, immer neue Schöpfungen von immer größerer Vollkommenheit hervorzubringen, zu experimentieren, zu beobachten, in die Entwicklungen einzugreifen, sie geschehen zu lassen. Dieser Vorgang ist für die sich entwickelnden Wesen mit allen Gefühlen verbunden, die möglich sind, mit Liebe, Ekstase, aber auch mit Schmerz und unverstellbaren Qualen. Der Sternenschöpfer liebt seine Schöpfungen, aber ohne Mitleid. Geblendet von der unerträglichen Erleuchtung weicht der kosmische Geist zurück, das in ihm enthaltene Bewusstsein des irdischen Forschers stürzt zurück in seinen irdischen Körper mit seinen alltäglichen Sorgen um den weiteren Lauf seines Lebens.
Ganze Generationen von SF-Schriftstellern haben Anregungen aus Stapledons Werk bekommen. Beispielsweise ist für mich klar, dass die Starchild-Trilogie von Frederik Pohl und Jack Williamson von Stapledons Konzept der intelligenten Sterne beeinflusst ist.
Die Publikationsgeschichte des Buches ist eine eigene Erwähnung wert. Die deutsche Erstausgabe des Romans kam 1966 unter dem Titel Star Maker als Sonderausgabe heraus, verlegt von Wolfgang Thadewald als Sonderausgabe für die Versandbuchhandlung Transgalaxis. Für Heinz Bingenheimer, den Herausgeber, Autor, Übersetzer und Inhaber von Transgalaxis, war die deutsche Ausgabe diese Buches ein Herzensprojekt. Leider konnte er das Erscheinen nicht mehr erleben, weil er vorher einem Herzinfarkt erlag. Sein Sohn Rolf übernahm nach dem Tod des Vaters in jungen Jahren die Firma, welche bis heute besteht. Nun ist auch Rolf verstorben, wenige Wochen bevor ich diesen Artikel verfasste.
Eine wesentlich konventionellere Geschichte ist Die Insel der Mutanten (Odd John), der mit Abstand „lesbarste“ Roman Stapledons. Jedoch geht es auch hier um die Weiterentwicklung des Menschen. Die zeigt sich in einer Mutation, die zum Auftauchen eines höher entwickelten Menschentyps führt, des Homo superior. Der seltsame John ist einer von ihnen. John Wainwright stammt aus einer ganz normalen Familie, aber es scheint zuerst, dass Thomas und Pax ein behindertes Kind bekommen haben. Die Mutter trägt das Baby elf Monate im Leib, bei seiner Geburt sieht es aber wie ein Siebenmonatkind aus. Der kleine John muss lange im Brutkasten am Leben erhalten werden und entwickelt sich sehr langsam. Seine Augen öffnen sich erst mit achtzehn Monaten. Er fängt erst mit fünf Jahren zu sprechen an, dafür aber von Beginn an perfekt. Erst mit sechs Jahren entdeckt John die Notwendigkeit zur Fortbewegung, lernt aber sehr schnell und entwickelt trotz krummer Beine einen sportlichen Körper. Die riesigen Augen in einem unförmigen Kopf sind unheimlich. Für die Schule erweist er sich als gänzlich ungeeignet. Der Lehrer hält ihn für einen abnormen Fall. John wird zuhause unterrichtet und entwickelt einen gewaltigen Forscherdrang. Er entdeckt auch, dass er mit seiner intellektuellen Überlegenheit Macht über andere gewinnen kann. Es kommt zu einem Kriminalfall, denn ein Polizist ist ermordet worden. John war der Übeltäter, denn im Zuge seiner Forschungstätigkeiten hatte er auch einige Einbrüche verübt. Der Polizist, ein netter Mann aus der Nachbarschaft, hatte ihn beobachtet und musste deshalb sterben. John hat erkannt, dass er ein Angehöriger einer anderen Spezies ist. Bedauern wir es als Angehörige des Homo sapiens, wenn wir für unsere Nahrung Tiere töten müssen? Durch seine intellektuellen Fähigkeiten kann John einige Erfindungen machen, die ihm frühzeitig finanzielle Unabhängigkeit sichern. Damit kann er sein großes Ziel verfolgen: das Auffinden von anderen Mitgliedern seiner Spezies und die Gründung einer eigenen Gemeinschaft. Dafür sind ihm die telepathischen Fähigkeiten zunütze, die er entwickelt. John erleidet einige Rückschläge, denn er findet zwar einige andere Angehörige seiner Spezies, die aber oft aufgrund von verschiedenen Behinderungen nicht für die neue Gemeinschaft in Frage kommen. Schließlich gelingt der Plan, und eine Anzahl von Menschen aus verschiedenen Völkern kommt zusammen und erreicht mit dem Schiff Die Insel der Mutanten, ein einsames Eiland im Südpazifik. Doch die Idylle bleibt nicht ungestört, und die Insel wird von den „Normalen“ entdeckt. Der Kapitän des gelandeten Schiffes erklärt die Insel als Besitztum für die Britische Krone, und die Gemeinschaft nackter junger Menschen mit unheimlichem Aussehen und gefährlichen psychischen Kräften erweckt Misstrauen. Auch andere Mächte interessieren sich für die Insel, darunter die sowjetischen Kommunisten, die hier Leute mit ähnlicher Weltanschauung vermuten und ihnen die Übersiedlung nach Sibirien anbieten. Die Spannungen eskalieren, und als weitere Schiffe die Insel anlaufen und die Siedlung auflösen wollen, fliegt die ganze Insel in die Luft. Die Gemeinschaft der Übemenschen hat entschieden, lieber ihr gemeinschaftliches Ende im Freitod zu suchen als Gefangene einer Zivilisation zu werden, der sie nicht mehr angehören.
In der Folge über Stanley G. Weinbaum in drei Wochen wird uns Der neue Adam begegnen, ein anderer Übermensch. Es wird sicherlich spannend anzuschauen, wie Weinbaum im Vergleich mit Stapledon mit der Thematik umgegangen ist.
In die gleiche Kategorie wie der Übermenschenroman Die Insel der Mutanten ist auch Sirius einzuordnen. Dieses Werk ist allerdings als „Überhunderoman“ zu kategorisieren. Der Wissenschaftler Thomas Trelone arbeitet am Gehirnrindenwachstum bei Säugetieren durch Hormonbeigaben. Besondere Erfolge erzielt er mit Hunden, von denen sich einige als Super-Hirtenhunde eignen, weil sie besondere Intelligenz entwickeln. Trelones Meisterstück ist Sirius, der von Border-Collies und Schäferhunden abstammt. Der kleine Hund entwickelt sich zwar außerordentlich langsam, ist aber mit menschlicher Intelligenz ausgestattet. Er wird bei den Trelones als Familienmitglied betrachtet und wächst zusammen mit Tochter Plaxy auf. Sirius hat zeitlebens zwei Themen, die ihn beschäftigen und die für ihn ein großes Problem sind: Das eine ist die Tatsache, dass er einzigartig ist. Es gelingt nicht, einen weiteren Hund wie ihn zu schaffen. Seine Artgenossen sind für ihn Schwachsinnige, die Menschen hingegen gehören einer anderen Spezies an. Das andere Problem ist seine Handlosigkeit, die es ihm unmöglich macht, viele Tätigkeiten wie die Menschen auszuüben. Dafür ist er mit einem Geruchssinn ausgestattet, der ihm Erkenntnisse ermöglicht, die den Menschen immer verschlossen bleiben.
Anfangs war er tief bedrückt, aber Thomas tröstete ihn, daß alle Hunde farbenblind seien, wahrscheinlich sogar alle Säugetiere, außer Affen und Menschen. Und er erinnerte Sirius wieder daran, daß Hunde im Hören und Riechen auf jeden Fall weitaus überlegen seien. Lange schon wußte Sirius, daß die menschlichen Nasen recht armselige Instrumente waren. Es hatte ihn schon oft mit Verachtung erfüllt, daß Plaxy nicht die Fährte ihrer Mutter im Garten riechen oder mit ihrer Nase bestimmen konnte, ob ein bestimmter Fußabdruck von Gelert oder von einem anderen Hund stammte. Schon früh war er sehr überrascht und enttäuscht über ihre Beschränktheit, daß sie alle die geheimnisvollen und aufregenden Düfte der ländlichen Umgebung nicht wahrnahm. Während ihr – ohne differenzieren zu können - die Frische und der Wohlgeruch allgemeine Freude bereitete, analysierte er mit bebender Nase die Dinge, die der Wind ihm erzählte, wie vom „Pferd“, dann schnüffelte er und berichtete von „einem Pferd, das ich noch nicht gerochen habe“, oder sagte: „Der Postbote muß eben den Weg heraufkommen“ oder vielleicht „Heute riecht's nach Meer“, obwohl die See mehrere Meilen entfernt unter den Rhinogs lag. […]
Bei einer anderen Gelegenheit stürzte er plötzlich aus dem Haus, schnüffelte und raste auf das Moor zu, rannte hin und her, bis er die Spur aufgenommen hatte und folgte ihr um den Hügel herum. Nach etwa einer Stunde kehrte er ganz aufgeregt zurück, veranlaßte Plaxy, ein Tierbuch rauszuholen und solange die Seiten umzublättern, bis sie an den Fuchs kamen. „Da ist er!“rief er.
(Zitiert aus: Olaf Stapledon: Sirius. München 1975, Heyne SF 3471)
Sirius lernt im Lauf seiner Erziehung zu lesen und auch zu sprechen. Das Englisch (und später auch Walisisch), das er mit seinen Sprechwerkzeugen von sich geben kann, wird allerdings nur von den Mitgliedern der Familie Trelone verstanden. Die hündische – und auch damit wölfische Art von Sirius – kommt dadurch zum Vorschein, dass er, obwohl er im Zug seiner Ausbildung erfolgreich als Hirtenhund arbeitet, insgeheim einige andere ihn bedrohende Tiere reißt, wie einen Widder und ein Pony.
Als Sirius von Trelone zu Untersuchungen nach Cambridge gebracht wird und dort mit seinen Fähigkeiten glänzt, ist das eine wissenschaftliche Sensation. Doch das akademische Leben ist auf Dauer nichts für ihn, er wird faul und träge. Er sehnt sich nach dem freien Landleben zurück, das seiner hündischen Natur viel mehr entspricht. Bei einem weiteren Einsatz als Hirtenhund kommt es zur Katastrophe, als Sirius einen ihn quälenden sadistischen Bauern tötet. Trelone kann mit Mühe verhindern, dass Sirius getötet wird, indem er einen anderen Hund als Täter vorschiebt. Der fortschreitende Zweite Weltkrieg zerstört auch die Familie Trelone. Thomas, der Schöpfer und Ziehvater von Sirius, stirbt bei einem Bombenangriff. Die Mutter Elizabeth zehrt sich bei der für sie ungewohnten Tätigkeit am Land auf und stirbt, als sie die Nachricht vom vermeintlichen Tod ihres Sohnes im Krieg erhält. Einzig Plaxy, die zum Studieren an die Uni gegangen war, kehrt zurück und zieht mit Sirius zusammen, die alte Liebe erneuernd. Doch es kommt Unheil in Gestalt des dörflichen Pfarrers, der eine widernatürliche sodomistische Beziehung zwischen den beiden vermutet und die Dörfler aufhetzt. Sirius wird zum Vogelfreien, der von den Dörflern verfolgt wird und zum Schluss einer Schusswaffe zum Opfer fällt. Wie der sonderbare John musste Sirius mit Leuten einer fremden Spezies leben, die nur unzureichend verstanden haben, was in seinem Hunde-Menschenverstand vor sich gegangen ist. Nicht einmal Plaxy, die Sirius in tiefer Liebe verbunden war, konnte ihn ganz verstehen. Er ist als das einsamste Wesen der Welt gestorben.
So interessant und emotional berührend dieser Roman ist, leidet er etwas an seiner Kopflastigkeit, und dies nicht, weil Sirius aufgrund seines großen Gehirnes einen ungewöhnlich schweren Kopf hatte.
Das zweite Hauptwerk Stapledons neben dem Sternenmacher ist Die Letzten und die Ersten Menschen (Last and First Men). Dieser Titel hatte allerdings keine deutsche Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics, sondern erst in der Nachfolgreihe Bibliothek der Science Fiction Literatur. Das ist also leicht zu verschmerzen, dieser Titel würde aber deswegen strenggenommen nicht mehr in den Rahmen dieser Artikelserie gehören. Ich erlaube mir aber trotzdem, ihn hier vorzustellen, weil er für die Betrachtung von Stapledons Lebenswerk unverzichtbar ist.
Die Spannungen zwischen den Völkern nach dem Ersten Weltkrieg bestehen weiter. Auch dem Völkerbund gelingt es nicht, den Frieden zu erhalten. Zuerst verstricken sich England und Frankreich in einen komplett sinnlosen Krieg, dann Deutschland und Russland. Ergebnis ist ein durch Giftgas entvölkerter, ausgebluteter Kontinent. Die Amerikaner geben mit einem weiteren Krieg dem Kontinent den Rest. Auf lange Zeit sind nun die Amerikaner und die Chinesen die Hegemonialmächte auf der Erde. Die Spannungen nehmen immer weiter zu, bis die Wirtschaftskapitäne beider Seiten, die ungestört von einem allfälligen Krieg ihre Geschäfte machen wollen, das Ruder übernehmen und die aktuelle Politikerkaste entmachten. Die Entwicklung geht bis zu einem Weltstaat, der erst zusammenbricht, als die Kohlevorräte zu Ende gehen. Hungersnot und Krankheiten breiten sich aus, die Zivilisation findet ihr Ende. Das folgende Erste Dunkle Zeitalter dauert Jahrzehntausende. Ausgehend vom südamerikanischen Patagonien kommt es zu einem Wiederaufstieg der Ersten Menschheit, hunderttausend Jahre in der Zukunft. Doch als eine neue Energiequelle entdeckt wird, welche das Energieproblem der Menschheit lösen könnte, kommt es zur Katastrophe. Eine Kettenreaktion verursacht auf der ganzen Erde riesige Vulkanausbrüche, die den Großteil des Lebens wie auf einem Scheiterhaufen vernichtet. Die meisten Menschen sind verbrannt, vor Hitze umgekommen oder erstickt. Das Zweite Dunkle Zeitalter ist angebrochen, und es wird viel länger als das Erste dauern. Doch einige Menschen haben überlebt. Auf einer Insel in Nordsibirien fristen sie ein kümmerliches Dasein, ihre Nachfahren sinken in die Primitivität zurück.
Zehn Millionen Jahre nach dem Untergang Patagoniens hat sich aus den überlebenden Menschen eine neue Art entwickelt.
Abgesehen von höherem Wuchs und einem geräumigeren Schädel ähnelten diese Wesen in ihren Proportionen durchaus ihren Vorfahren. Allerdings war ihr Kopf, selbst unter Berücksichtigung ihrer Länge, ungewähnlich groß und ihr Hals war massiv. Sie hatten gewaltige, aber feingeformte Hände. Ihre fast titanenhafte Größe verlangte nach einem stärkeren Halt, und ihre Beine waren daher kräftiger als die Beine der früheren Menschen. Dadurch daß ihre Füße keine einzelnen Zehen mehr aufwiesen und die zusammengewachsenen Fußknochen stärker waren, war die Leistungsfähigkeit ihrer Gehwerkzeuge erheblich gesteigert geworden. Während seines Aufenthalts in Sibirien hatte der Erste Mensch seinen Körper durch einen dichten pelzartigen Haarwuchs geschützt, daher konnte man auch bei den meisten Rassen des Zweiten Menschen bis zum Ende ihrer Existenz dieses blonde Haarkleid entdecken. Die Menschen hatten große, meist jadegrüne Augen. Man könnte sagen, daß die Natur mit dem Zweiten Menschen eine Neuauflage jenes edlen, aber unglücklichen Typs schuf, der vor Urzeiten als Jäger und Künstler in den vorgeschichtlichen Höhlen gelebt hatte, daß sie diesen Typ aber bei weitem übertraf.
(Zitiert aus: Olaf Stapledon: Die Letzten und die Ersten Menschen. München, 1983, heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur 21, S. 164)
Der Zweite Mensch ist ein Erfolgsprodukt der Natur und baut in Jahrtausenden eine gewaltige Zivilisation auf. Doch es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt. Die Zivilisation der Zweiten Menschen findet ihr Ende, nachdem die Marsianer angegriffen haben, eine gänzlich andersartige Spezies, die wolken- bzw. amöbenartig ist und ein Kollektivbewusstsein entwickelt hat. 50000 Jahre nach dem ersten Erscheinen der Marsianer auf der Erde kommt es zum Zusammenbruch beider Welten. Die Menschen rotten die Marsianer mit Energiestrahlen aus, die Marsianer den Großteil der Menschen durch ein tödliches Virus. Das Dritte Dunkle Zeitalter folgt, aus dem sich wie der Phönix aus der Asche die Dritte Menschheit erhebt, mehr als 120 Millionen Jahre in der Zukunft. Diese Art beherrscht lange den Planeten. Ihre Kunst ist es, Lebendiges umzubilden. Aus dieser Fähigkeit heraus erschafft sie ihre Nachfolgerin, die Vierte Menschheit. Dabei handelt es sich um riesige Gehirne, geschützt in einem Turm und nur mit einem rudimentären Körper versehen. Als Helfer der Dritten Menschheit gedacht, übernehmen diese organischen Computer die Weltherrschaft und rotten ihre Schöpfer großteils aus. Sie züchten aus ihnen die Fünften Menschen, welche wiederum in einem blutigen Krieg die Turmmenschen vernichten und auf den Trümmern der Vergangenheit eine weitere Zivilisation aufbauen müssen. Der Fünften Menschheit gelingt es erstmals, über den Abgrund der Zeit den Geist in die Vergangenheit zu richten und zu beobachten, was ihre Vorfahren vor Jahrmillionen Jahren erlebten. Dies verursacht bei vielen Menschen ein starkes Trauma. Doch erst als sich der Mond immer mehr der Erde nähert, erkennen die Menschen, dass auch ihre Zeit zu Ende gehen wird. Bevor es den Mond zerreißt und seine Trümmer auf die Erde fallen, wandern sie auf die Venus aus, die für diesen Zweck terraformt wird, mehr als fünfhundert Millionen Jahre in der Zukunft. Das Terraformen der Venus hat aber die Ausrottung der dortigen heimischen Arten zur Folge, darunter auch einer intelligenten Art. Selber der Vernichtung durch der Marsianer entkommen, haben damit die Menschen unermessliche Schuld auf sich geladen.
Der vorübergehende Aufenthalt der Menschen auf der Venus dauert länger als die gesamte vorherige Geschichte auf der Erde. Auch auf der Venus gibt es mehrere aufeinanderfolgende Menschenarten, darunter eine fliegende. Schließlich müssen die Menschen weiterwandern, denn eine Gaswolke nähert sich dem Sonnensystem. Die Astronomen errechnen, dass sie auf die Sonne stürzen wird. Dadurch wird sich die Sonne so ausdehnen und aufflammen, dass die inneren Planeten unbewohnbar werden. Die Menschheit muss erneut auswandern, weit nach außen, auf den riesigen Gasplaneten Neptun, was gewaltige Änderungen der Gestalt der Menschen bedeuten muss, um dort überleben zu können.
Und so geht es weiter, eine menschliche Art taucht aus dem Dunkel auf, entfaltet sich, steigt trotz Rückschlägen zu einem Höhepunkt ihrer Zivilisation auf und zerfällt, sei es aus eigenem Unvermögen oder durch Naturereignisse, die auch die Kräfte noch so fortgeschrittener Gesellschaften übersteigen. Zwei Milliarden Jahre nach der Jetztzeit befinden wir uns in der Zeit der Letzten Menschen, in der sich der Vorhang zum allerletzten Mal senkt. Das Ende der Menschheit steht bevor. Eine benachbarte Sonne ist entartet, ihre Strahlung steckt auch die heimatliche Sonne an und in kurzer Zeit wird das Leben im Sonnensystem komplett ausgelöscht sein. Zwei Aufgaben bleiben den Letzten Menschen noch: Die eine ist, Samen des Lebens hinaus in die Galaxis senden, damit sich irgendwo anders wieder Leben entfalten kann, welches vielleicht einmal eine Art hervorbringt, die das Erbe der Menschheit antritt. Die andere Aufgabe ist bereits erfüllt, denn einer der Letzten Menschen ist mit seinem Geist durch die Äonen gereist und hat einen Menschen des zwanzigsten Jahrhunderts so beeinflusst, dass er die Chroniken der Menschheit(en) niederschreiben konnte. Deswegen sind wir jetzt in der Lage, diese Zeilen zu lesen.
Dem Buch sind am Ende fünf Tabellen beigegeben, die mit Maßstabveränderungen von 1:100 und 1:000 die unendlich langen Zeiträume deutlich machen, die zwischen dem Beginn unserer christlichen Zeitrechnung und dem Ende der Letzten Menschen in zwei Milliarden Jahren liegen. Von den vielen späteren Werken, die durch dieses Buch in der einen oder anderen Passage beeinflusst sind, fällt mir besonders Evolution (2002, deutsche Ausgabe 2004) von Stephen Baxter ein, das einen vergleichbaren Eindruck nach der Lektüre hinterlässt. Auch Alfred Döblins Berge, Meere und Giganten hat einen ähnlichen Ansatz verfolgt. Döblins Roman ist allerdings bereits 1924 erschienen. Es wäre interessant zu wissen, ob Stapledon dieses Werk gekannt hat.
Neben den vorgestellten Romanen und dem philosophischen Werk schrieb Stapledon noch einige weitere Romane, die im weitesten Sinn als Science Fiction einordenbar sind. Keines dieses Werke wurde bisher ins Deutsche übersetzt. Darunter ist mit Last Men in London ein Werk, das zu der in Die Letzten und die Ersten Menschen entwickelten Geschichte der Zukunft gehört. Ein Angehöriger der Letzten Menschheit greift mit seinem Geist zwei Milliarden Jahre zurück aus der Zukunft und nimmt Kontakt mit einem Menschen zur Zeit des Ersten Weltkriegs auf.
Ein besonders spannendes Thema ist bei Stapledon die heutige Lesbarkeit. Für mich persönlich sind die Werke Stapledons genauso lesbar wie vor Jahrzehnten, als ich sie das erste Mal in der Hand hatte. Ihnen wohnt eine eigenartige Zeitlosigkeit inne. Natürlich wurden sie im Kontext ihrer Zeit geschrieben. Beispielsweise ist bei Sirius genau nachzuvollziehen, dass das Werk gegen Ende des Zweiten Weltkriegs geschrieben wurde. Man könnte den Roman aber problemlos heute spielen zu lassen. Die Vision der Zukunft in Die Letzten und die Ersen Menschen schließt an die Zeit an, in der der Roman erschienen ist und schildert eine Entwicklung, die natürlich nicht mit unserer realen Geschichte in den darauf folgenden Jahrzehnen übereinstimmt. Ähnliches können wir auch bei Poul Andersons Geschichte der Zukunft feststellen, die in den fünfziger Jahren begonnen wurde. Das ist aber irrelevant. Wer glaubt, die SF-Autoren seien Propheten und müssten alles genau vorhersehen, was passiert, liegt erhebt Ansprüche, welche SF-Literatur weder erfüllen kann noch will. Das spannende Element ist allein die Vorstellung, was könnte unter welchen Voraussetzungen passieren und was nicht, welche unerwünschten Entwicklungen könnten mit Gegensteuern verhindert werden und dergleichen. Stapledons Werke unterliegen keinesfalls der „Alterung“ von SF-Geschichten, wie wir sie bei den Lensmen von E. E. Smith so treffend beobachten konnten. Leichte Kost sind Stapledons Werke aber nicht, das gilt für früher genauso wie für heute. Beim Sternenmacher und bei Die Letzten und die Ersten Menschen wird die Handlung wie in einem Geschichtsbuch geschildert. Es gibt keine Hauptpersonen, die zur Identifikation taugen und die es dem Leser erlauben würden, sich in der Handlung niederzulassen. Man sieht alles aus großer Entfernung aus der Vogelperspektive. Wer nur spannendes Lesefutter konsumieren will, ist hier schlecht aufgehoben. In der riesigen Schatztruhe an SF-“Klassikern“ haben aber sowohl Stapledons kosmologische Visionen als auch Smiths gigantische Weltraumschlachten friedlich nebeneinander Platz. Chacun à son goût!
Nach der erneuten Lektüre von Stapledons Werken zog es meine Hand wie magnetisch zu Teilhard de Chardins Der Mensch im Kosmos. Das ist allerdings ein Werk, das nicht einmal vorgibt, ein Science Fiction-Roman zu sein. Pierre Teilhard de Chardin (1881 – 1955) war ein französischer Priester, der dem Jesuitenorden angehörte, Anthropologe und Paläontologe. Er forschte jahrzehntelang in China, wo er bei Ausgrabungen von Skeletten von Australopithecinen tätig war. Aus seiner Forschertätigkeit entstammten zwei Hauptwerke: Der Mensch im Kosmos (Le Phénomèn humain, 1955, deutsche Ausgabe 1959) sowie Die Entstehung des Menschen (La Place de l’Homme dans la Nature, 1956, deutsche Ausgabe 1961). Das Phänomenale an Teilhards Werk ist, dass hier das erste Mal eine Synthese von Evolutionstheorie und Christentum entwickelt wurde. In der römisch-katholischen Kirche war dies zu Teilhards Lebzeiten Teufelszeug, er bekam deswegen auch keine kirchliche Druckgenehmigung. Es wäre für ihn als loyalen Kleriker undenkbar gewesen, ohne Nihil obstat (Unbedenklichkeitserklärung) zu publizieren. Seine Werke konnten deshalb erst nach seinem Tod erscheinen. Zur Ehrenrettung der Kirchenmänner muss man allerdings sagen, dass sich der Wind gedreht hat. Sogar Karol Woytila, Papst Johannes Paul II, als Mann strenger Kirchenzucht bekannt, hat sich außerordentlich positiv über Teilhard geäußert.
Der Mensch im Kosmos ist ein philosophisch-theologisches Werk, das die Entwicklung des Kosmos als zielgerichtet schildert. Ausgehend von einem Urstoff gibt es eine Evolution der Materie, die zu immer komplexeren Gebilden führt. Immer wieder gibt es entscheidende Wendepunkte. Zu diesen zählt die Entstehung des Lebens, ein nächster ist das Auftauchen bewussten, intelligenten Lebens, wie es sich im Menschen manifestiert. Der nächste Evolutionsschritt ist nach Teilhards Überzeugung die Vereinigung der Menschheit in einer Mega-Synthese zu einer Überpersönlichkeit, in der die Individualitäten trotzdem weiterbestehen. Als Punkt Omega, also den Endpunkt der Evolution, sieht Teilhard die Vereinigung der Menschheit mit Gott. Teilhard und Stapledon waren Zeitgenossen. Obwohl sie unterschiedliche weltanschauliche Positionen vertraten, weisen viele ihrer Schlussfolgerungen verblüffende Parallelen auf, beispielsweise den Zusammenschluss von intelligenten Wesen zu Kollektivpersönlichkeiten. Gleich ist beiden, dass sie von tiefem Humanismus durchdrungen waren, einer großen Liebe zum Menschen und allem was sich im Wunder des Universums entfaltet.
Anmerkung:
Es werden die Ausgaben in den Heyne Science Fiction Classics und in der Heyne Bibliothek der Science Fiction Literatur, weitere Ausgaben im Heyne-Verlag sowie die Erstausgaben der Werke angeführt.
1970
1975
1983