Robert E. Howard - Solomon Kane: Ein Fragment und fünf Geschichten
Robert E. Howard - Solomon Kane
Ein Fragment und fünf Geschichten
Eine Praxis, die später von L. S. de Camp, dem selbsternannten Bewahrer von Howards Werk, und Lin Carter aufgegriffen wurde. Um aus der Handvoll Conan-Erzählungen eine mehrbändige Saga zu machen und ihr eine Chronologie aufzuzwingen, die ursprünglich nicht existierte, schrieben sie diverse Howard-Geschichten zu Conan um. Oder sie nahmen Story-Fragmente aus Howards Nachlass und vollendeten sie.
Die Praxis machte Schule. Ob nun Kull von Atlantis, Bran Mak Morn der Pikte oder Cormac Mac Art der Gäle, bei allen Figuren wurden Story-Fragmente Jahre später von anderen Autoren vollendet. Das Ergebnis fiel sehr unterschiedlich aus. Die wenigsten der Autoren, die sich an Conan oder den anderen Helden versucht haben, kommen Howard auch nur nahe. Die meisten scheitern kläglich.
"Solomon Kane" war die erste von Howard erdachte Heldenfigur. Kane ist Engländer und Puritaner zur Zeit von Königin Elisabeth, der die Welt als Wanderer durchstreift und das Böse bekämpft. Einige seiner Geschichten zählen zu den besten von Howards frühen Erzählungen; sie erschienen alle in "Weird Tales" zwischen 1928 und 1931. Ob der Autor das historische Element des elisabethanischen Zeitalters überzeugend getroffen hat, ist ein anderes Thema.
Neben den veröffentlichten Kane-Erzählungen (und einigen unveröffentlichten) existierten in Howards Nachlass ein paar Fragmente, angefangene Geschichten, die der Autor aus welchen Gründen auch immer zur Seite legte. Eines dieser Fragmente trägt den Titel "The Castle of the Devil". Im Laufe der Jahre wurde es von fünf Autoren vollendet. Dreimal als Prosa, zweimal als Comic.
"The Castle of the Devil" ist nicht mehr als der Beginn einer Story. Solomon Kane ist unterwegs in Deutschland, im Schwarzwald. Er begegnet dem Landsmann John Silent, einem Söldner, der nach Genua will, um sich dort als Kämpfer gegen die Türken zu verdingen. Kane, der zu Fuß unterwegs ist, erzählt seinem neuen Reisegefährten, dass er früher am Tag zu einem Galgen kam, an dem ein junger Bursche aufgeknüpft hing. Kane befreite ihn und rettete ihm das Leben. Silent findet die Neuigkeit beunruhigend. Sie befinden sich auf dem Land von Baron von Staler, der einen finsteren Ruf hat. Kane ist der Name nicht unbekannt; die Einheimischen nennen von Stalers Schloss auch das "Schloss des Teufels". Kane will sich diesen Mann näher ansehen und ihn, sollte er sich als Schurke entpuppen, der unschuldige Jungen aufhängt, dafür zur Rechenschaft ziehen. Dass von Staler möglicherweise eine große Truppe von Männern um sich geschart hat, ist Kane egal. Er hat Gott und die Gerechtigkeit auf seiner Seite. An dieser Stelle endet die Geschichte.
Das Fragment ist vage genug, um die Geschichte in jede Richtung zu entwickeln, bietet aber genug Stoff, um den Weg aufzuzeigen. Die Figuren und der Schauplatz sind etabliert. Kane, John Silent, Baron von Staler, der Schwarzwald, der Gehängte, das Schloss des Teufels. Selbst der Titel ist brauchbar.
Der amerikanische Autor Don Glut, der hierzulande vielleicht noch durch seine Frankenstein-Romane aus den siebziger Jahren bekannt ist, die stark bearbeitet im "Vampir Horror-Roman" erschienen, verfasste in der Zeit auch diverse Comics. Für Marvel Comics schrieb er unter anderem ein paar kurze Kane-Geschichten, die in dem Magazin "The Savage Sword of Conan" veröffentlicht wurden.
Das Magazin, das ausschließlich Comics in Schwarz-Weiß und in den ersten Jahren Artikel über Robert E. Howards Schaffen und Welt veröffentlichte, erschien von 1974 bis 1995. Insgesamt gab es 235 Ausgaben. Im Gegensatz zu "Conan the Barbarian" im Heftformat war es nicht den Einschränkungen des Comics Code unterworfen. Also gab es eine "erwachsenere" Darstellung der Geschichten. Die bestand allerdings hauptsächlich nur aus etwas expliziter auf die Seite gebrachter Gewalt und einem Hauch von Sex, der in einigen wenigen Ausgaben auf das (dezente) Zeigen von weiblicher Nacktheit erhöht wurde.
"The Castle of the Devil" erschien 1977 in "The Savage Sword of Conan" Nr. 19. Gezeichnet wurde die elfseitige Geschichte von Alan Kupperberg und Sonny Trinidad. Die Idee, ein Howard-Fragment zu vollenden, war an dieser Stelle keine Novität. Der Redakteur und Autor Roy Thomas hat von der ersten Ausgabe an Howards Geschichten entweder adaptiert, umgeschrieben oder vollendet. Oder sie wie in diesem Fall an andere Autoren unter seiner Leitung weitergereicht.
Im Prolog stößt Kane auf ein junges Mädchen, das man nackt an einem Baum aufgeknüpft hat. Er rettet sie und überlässt ihr sein Pferd, dann macht er sich zum Schloss des Teufels auf. Er folgt den Spuren, die Baron von Staler gemacht hat – Hufspuren. Das Mädchen hat ihn nicht nur im übertragenen Sinn als Teufel bezeichnet. Unterwegs begegnet er John Silent. Vor dem Schloss geraten die beiden Abenteurer in einen Kampf mit den Wächtern des Barons und werden überwältigt. In der Schlosshalle steht eine riesige Teufelsfigur auf einem Altar. Baron von Staler tritt auf. Er ist missgestaltet und hat Bocksfüße. Kane und Silent geben vor, als Söldner in seine Dienste treten zu wollen. In der Nacht will der Baron das nächste junge Mädchen dem Satan opfern. Sie ist noch Jungfrau, was ihre Vorgängerin nicht war, weshalb der Baron sie im Wald hängte. Mit ihrem Blut will er nach nun fünf Jahren der Opferungen den Satanspakt vollenden und seine Bocksfüße in Menschenfüße verwandeln. Kane und Silent gehen dazwischen. Kane zündet die Teufelsstatue an. Daraufhin wird von Stalers Pakt ungeschehen gemacht. Er verwandelt sich in einen Dämon zurück. Als seine Wächter eintreffen, macht Kane sie glauben, dass der Teufel ihren Herrn ermordet hat. Die Männer machen den Unhold nieder, während Kane und Silent mit dem Mädchen fliehen. Silent bringt das Mädchen zurück ins Dorf, während Kane seine Wanderung wieder aufnimmt.
Die Geschichte ist für ihre Kürze recht gelungen. Glut wusste, welche Schauwerte in SSoC gefragt waren. So wird aus dem aufgeknüpften Jungen eben ein nacktes Mädchen, und auch Opfer Nummer Zwei wird nackt auf den Altar gelegt. (Was allerdings im Hintergrund der zwei betreffenden Panels ziemlich untergeht.)
Gluts Geschichte ist der pure Pulp. Auch wenn die Story im Gegensatz zu vielen anderen Geschichten in "SSoC" nun wirklich nicht zu den grafischen Highlights des Magazins gehört und in Vergessenheit geraten ist, macht er als Autor doch alles richtig. Er setzt die schon im Fragment wenig dramatisch von Kane nur geschilderte Rettung vom Galgen an den Anfang und folgt der von Howard etablierten Charakterisierung des Puritaners, so gut er kann. Die Dialoge des Fragments sind alle wortwörtlich übernommen. Auch wenn der Plot letztlich dünn ist, hat das doch Tempo.
Leider ist Alan Kupperberg nicht der beste Zeichner und kann nicht mit den Stars des Magazins wie John Buscema oder Alfredo Alcala mithalten; das dominierende Inking des philippinischen Künstlers Sonny Trinidad begräbt darüber hinaus seine Pencils. Außerdem ist Kupperbergs Layout schwach. Vor allem am Ende trifft er die falschen visuellen Entscheidungen: Der Tod des Bösen findet eingeleitet von einem kleinen Panel hinter der Bühne statt, weil ihm wohl der Platz ausging. In einem Comic eigentlich eine Todsünde.
Version Nr. Zwei erschien 1978. Bantam Books veröffentlichte sämtliche Geschichten von Solomon Kane in zwei Bänden als amerikanische Taschenbucherstausgabe, aufwendig produziert mit Ausklapptitelbildern. Der britische Horrorautor Ramsey Campbell schrieb dazu ein Vorwort, das die Figur in ihren historischen Kontext setzt. Außerdem vollendete er drei Fragmente Howards. In Deutschland erschien das von Campbell geschriebene Material 1982 in Terra Fantasy 93.
Campbells Arbeit setzt nahtlos an Howards letzter Zeile an. Nach dem Fragment betreten die beiden Männer das Schloss. Der Baron entpuppt sich als alter Mann, dem sein treuer Diener Kurt zur Seite steht. Die Frau des Barons ist auf ihrem Zimmer und unabkömmlich. Die Gäste werden angewiesen, sich leise zu verhalten, da der Baron keine Lautstärke erträgt. Kurt klärt sie darüber auf, dass sein Herr seit einem Jagdunfall erblindet ist und danach geheiratet hat. Kane und Silent glauben, dass die Frau aber gefangen gehalten wird und wollen sie befreien. Der Baron hört sie rumschleichen. Er zwingt sie, dabei zuzusehen, wie der von Kane gerettete Junge auf dem Hof gehängt wird. Es kommt zum Kampf. Kane und sein Gefährte besiegen die Männer des Barons. Beim Duell zwischen Kane und dem Baron entpuppt sich der Mann trotz seiner Blindheit als geschickter Fechter. Er drängt den Puritaner in die Ecke, aber Kane kann ihn zu Fall bringen. Dabei schlägt sich der Baron den Kopf an und erlangt plötzlich einen Großteil seiner Sehkraft zurück. Sofort ignoriert er seine Gegner und will seine Frau sehen. Diener Kurt will es verhindern, scheitert aber. Als von Staler zum ersten Mal überhaupt seine Gemahlin sieht, ist er außer sich. Sie ist so dick, dass sie das Bett nicht mehr verlassen kann. Von Staler glaubt, Kurt hätte seine wahre Gemahlin entführt und tötet die Frau im Bett. Es kommt zum Zweikampf zwischen Diener und Baron. Beide Männer sterben, aber Kurt kann Kane noch alles erklären. Die Frau war seine Schwester, die den Baron nach seinem Unfall gepflegt und geheiratet hat. Der Baron wurde so besessen von ihr und ihrer Stimme, dass er sie in dem Zimmer einsperrte. Gefangen in einer Depression wurde sie so dick. Kurt stirbt, und Kane und Silent verlassen das Schloss des Teufels.
Ramsey Campbell ist noch immer ein aktiver Schriftsteller, der für seine oft sehr subtilen Horrorgeschichten bekannt ist. Das ist nicht seine beste Arbeit. Sein Kane ist nicht besonders überzeugend. Ihm fehlt Howards Besessenheit und Energie. Kane scheint das Puritanertum am Schlosstor abgegeben zu haben. Der Geschichte fehlt das übernatürliche Element, das in fast allen Kane-Originalgeschichten im Mittelpunkt steht. Von Stalers Familiendrama ist nicht besonders interessant. Die plötzliche Genesung des Barons ist selbst im Rahmen der Pulpfantasy unglaubwürdig. Besonders enttäuschend ist, dass Kane am Ende in den Hintergrund tritt und praktisch zum Zuschauer seiner eigenen Geschichte wird.
1994 wurde die Geschichte in Spanien von dem Autor und Herausgeber Javier Martín Lalanda ebenfalls vollendet. "Las aventuras de Solomon Kane" erschien im Verlag Anaya.
2010 wurde die Geschichte in Italien von dem Autor und Herausgeber Gianluigi Zuddas ebenfalls vollendet. "Solomon Kane. Ciclo completo" erschien im Verlag Coniglio Editore.
Beide Fassungen lagen für den Artikel nicht vor.
2008 hatte der Comicverlag Dark Horse die Howard-Lizenz. Zu den vielen Projekten gehörte auch eine fünfteilige Kane-Miniserie, die das Fragment vollendete. (Ihr folgte noch eine Fortsetzung.) Der Autor war Scott Allie, einer der Redakteure des Verlages. Die Zeichnungen stammten von dem mexikanischen Künstler Mario Guevara. Bei den Titelbildern gab es die üblichen Variantversionen.
Wie die anderen Autoren benutzt Allie das Fragment als Basis und baut wie seine Kollegen die Dialoge in die Handlung ein. Diesmal wird Kane im Schwarzwald von Banditen überfallen, die er alle niedermacht, während ein Wolf sein Pferd reißt. Später holt Kane den Jungen vom Galgen, bevor er John Silent begegnet. Umgeben von seinen Wächtern ist Baron von Staler mit der schönen Perserin Mahasti verheiratet. Die beiden sind von Kanes Geschichte mit dem Gehängten entsetzt. Von Staler kennt seinen schlechten Ruf, den er für unbegründet hält. Er erzählt den Gästen die Geschichte des Schlosses. Zweihundert Jahre zuvor war es eine Abtei, dessen Abt Stuttmann ein Satansanbeter war. Angeführt von dem frommen Mönch Albrecht sperrten seine Mitbrüder ihn in seinem Gemach ein, wo er starb. Danach verfiel die Abtei, bis von Stalers Vorfahr sie kaufte und auf ihren Fundamenten sein Schloss erbaute.
Kane bleibt misstrauisch, vor allem, als sich Mahasti ihm aufdrängen will. Sie will ihren Mann verlassen. Das widert den Puritaner an. John Silent ist da weniger abgeneigt. Außerdem ist er ein Dieb und will den Baron bestehlen. Wie sich herausstellt, hat der Baron seine Gäste belogen. Im Keller verwahrt er den Kadaver eines Dämons, den er verblendet für einen Engel hält. Er sammelt das von ihm zugeflüsterte Wissen. Tatsächlich ist der Baron niemand anderes als der Mönch Albrecht, der einst die Dämonenleiche fand und unter ihrem teuflischen Einfluss die Abtei korrumpierte und für Stuttmanns Tod sorgte. Der Dämon schenkte ihm Unsterblichkeit, dafür führte der Baron Menschenopfer durch. Kane tritt den Kampf an, während Silent und die Gemahlin des Barons die Flucht ergreifen wollen. Von Staler verwandelt sich in einen Werwolf, während durch das beendete Ritual weitere der geflügelten Dämonen kommen. Kane kann sie alle vernichten, teils mit Silents Hilfe, dem nach Mahastis Tod keine Wahl als der Kampf bleibt. Am Ende tötet Kane den Baron und dessen loyale Männer. Die Dämonenkadaver verbrennt er, damit sich die Geschehnisse nicht wiederholen können.
Man kann Scott Allie wirklich nicht vorwerfen, mit Ideen gegeizt zu haben. Die Geschichte ist komplex mit verschiedenen Handlungsebenen und gibt sich Mühe, die geschichtlichen Elemente der Epoche so authentisch wie möglich als Hintergrund einzubauen.
Es mag nicht sofort erkennbar sein – vielleicht wäre ein Nachwort hilfreich gewesen -, aber die Grundpfeiler der Story basieren auf okkulten Legenden wie der von John Dee im elisabethanischen England, der mit Engeln kommunizieren wollte. Oder der klassischen Werwolfmythologie, da sich der Baron nur mit Hilfe eines Wolfspelzes verwandeln kann. Die Charaktere sprechen sogar manchmal Deutsch, und das auf eine Weise, die dem deutschen Leser nur selten wie sonst bei amerikanischen Comics üblich die Tränen in die Augen treibt. Allie nutzt seine Möglichkeiten, der Raum, der ihm für den Plot zur Verfügung steht, wird gut ausgefüllt. Allerdings gibt es ein paar Längen; vor allem der erste Band besteht hauptsächlich aus Exposition, und der Actionbeginn wirkt etwas pflichtschuldig, zumal die Ereignisse keine Bedeutung mehr haben.
Allie schreibt einen guten Kane, der Howards Charakterisierung entspricht. Das ist wieder der puritanische Rächer, der unbeugbar "Gottes Plan" für ihn durchführt, hart gegen sich und alle anderen.
Natürlich ist die Bewertung des Artworks immer Geschmacksache, aber Mario Guevaras Interpretation der Figur und des Themas ist gewöhnungsbedürftig. Und die Farbgebung ist dabei auch nicht unbedingt immer hilfreich, obwohl das zugegebenermaßen eine Frage der Lesererfahrung ist. Mit seiner übertrieben kalkweißen Hautfarbe sieht Kane aus wie ein Albino und lässt den Fantasyfan ständig an Moorcocks Elric denken, was hier eine wirklich störende Assoziation ist.
Guevaras Erzählweise ist oft überraschend holprig und wird der komplizierten Geschichte nicht immer gerecht. Vor allem die Übergänge der diversen Rückblenden und Träume sind oft erst auf den zweiten Blick erkennbar, was den Erzählfluss stört und für unnötige Verwirrung sorgt. Das wäre handwerklich besser zu lösen gewesen. Aber seine Bilder sind sehr atmosphärisch, die Action größtenteils überzeugend und seine Dämonen im Design gelungen. Ob der Funke aber überspringt, muss jeder Leser selbst entscheiden.
Von allen vorliegenden Versionen macht Allie das meiste aus dem kurzen Fragment. Im Gegensatz zu seinen Kollegen spielt er mit einigen Klischees; während John Silent bei Glut wie auch bei Campbell nicht mehr als der aufrechte Mit-Abenteurer ist, wird er hier als typischer Söldner mit lockerer Moral und sogar Dieb dargestellt. Nur die Umstände und seine verhinderte Flucht lassen ihn kämpfen. Selbst für einen nur zeitweiligen Sidekick ist mal was anderes. Allie und Glut beschreiten beim Plot zwar die gleichen Wege – von Staler hat mit Dämonen zu tun -, aber das ist viel interessanter als bei Campbell.
Es ist bedauerlich, dass die italienische und spanische Version nie den Weg nach Deutschland gefunden hat. Der Puritaner Solomon Kane ist letztlich eine europäische Figur in einer ungestümen und gewalttätigen Zeit, und es wäre interessant zu lesen, welche Affinität die italienischen und spanischen Autoren zur Epoche und vor allem zu Robert E. Howard gezeigt haben. Oder auch nicht.
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