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Schwert & Magie – Kurt Luif’s Geschichte eines Sub-Genres (Teil 6)

Schwert & Magie Liebe Fantasy-Freunde,
(6. Teil)

wer die Entwicklung der „Schwert & Magie" durchleuchten will, der muss sich auch mit den Publikationen beschäftigen, die den Autoren ein Betätigungsfeld boten. Das machen wir in der heutigen 6. Folge unserer Serie, und wir zeigen dabei einige interessante Nebenaspekte auf. Waren die ersten bedeutenden Fantasy-Autoren Engländer, so verlagerte sich später immer mehr der Schwerpunkt der heroischen Fantasy nach den USA.


Ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der Unterhaltungsliteratur waren die amerikanischen Pulps, großformatige Magazine, Format ca. 25 x 17,5 cm, etwa daumendick und auf unvorstellbar schlechtem Papier gedruckt. 

Der gewaltige Einfluss der Pulps auf Leser und Autoren ist in Deutschland weitgehend unbekannt, deshalb will ich mich damit etwas näher beschäftigen. Außerdem ist es wichtig, über die Rolle der Pulps Bescheid zu wissen, denn sonst kann man kaum die Entwicklung der Fantasy richtig verstehen.

Vor 1896 gab es in den USA die sogenannten Slicks, kleinformatige Magazine, die ihren Namen nach dem glatten Papier erhalten hatten, auf dem sie gedruckt waren. Diese kleinformatigen, hervorragend gestalteten Magazine (etwa zu gleichen Teilen Kurzgeschichten und Artikel) sprachen ein gebildetes Publikum an, das auch über viel Geld verfügte. Um 1893 herum kosteten diese Magazine 25 Cents. Das war damals viel Geld, wenn man bedenkt, dass ein Arbeiter mit Familie in der Woche sieben Dollar verdiente (sechs Arbeitstage zu 10 - 12 Stunden täglicher Arbeitszeit). Den Arbeitern, Einwanderern und Jugendlichen blieben nur die Dime-Novels (Dime = Zehncentstück, Novels = Romane) und billigst aufgemachte Taschenbücher, die zwischen fünf und zehn Cents kosteten. Für die ständig ansteigende Mittelschicht gab es keinen geeigneten Lesestoff. Die Magazine waren entweder zu teuer für sie oder sie waren zu primitiv.

Aber die Technologie entwickelte sich weiter. Neue Druckmaschinen und Druckverfahren wurden entwickelt. 1893 senkte McClure's, ein hervorragend gemachtes Magazin, seinen Preis von 15 auf 10 Cents. Der Erfolg war gigantisch. Innerhalb von drei Jahren stieg die Auflage auf 700.000 Stück.

Argosy1896 dachte Frank Munsey, der Herausgeber von Argosy, eines Magazins, das sich hauptsächlich an Jugendliche richtete, über den Erfolg von McClure's nach. Den Namen ließ er, doch sonst änderte er alles an Argosy. Die Stories waren nicht mehr für Teenager, sondern für Erwachsene. Er vergrößerte das Format, druckte auf schlechtem Papier. Damit hatte er das erste Pulp geschaffen. Es war 192 Seiten stark, mit vielen Illustrationen und etwa sechzig Seiten Anzeigen. Um 1907 betrug die Auflage pro Nummer bereits 500.000.

Andere Verleger zogen nach, und das goldene Zeitalter der Pulps brach an, das 1953 endete, als sich einer der größten Zeitschriftenvertriebe weigerte, weiterhin Pulps zu vertreiben.

Aber den Pulps erwuchs bald eine Konkurrenz, die ihnen letztlich auch das Leben kostete: Einige Verleger hatten die Macht der Frau erkannt und nützten dies weidlich aus. Dutzende Familienmagazine wurden herausgebracht; das Format war größer geworden: 215 x 27,5 cm und sie wurden auf besserem Papier gedruckt - so wie die Slicks. Um 1900 konnte man schon Fotos veröffentlichen, daher waren die Slicks bald voll mit Anzeigen, von denen sie auch profitierten. Bei den Pulps lag die Situation ganz anders. Die Anzeigen gingen immer mehr zurück, da ja auf dem schlechten Papier keine Fotos gebracht werden konnten. Die Pulps lebten nur von der verkauften Auflage.

Das erfolgreichste Pulp war zweifelsohne Munseys All-Story Magazine. Es war im gleichen Format wie Argosy, nur die Titelbilder waren anspruchsvoller gestaltet. Die neuen Autoren, die es veröffentlichte, wurden über Nacht bekannt und wanderten auch meist bald zu den besser zahlenden Slicks ab. Daher blieb die ständige Suche nach neuen Talenten bestehen. Und da haben wir schon den wesentlichsten Punkt für die Bedeutung der Pulps gefunden: die Förderung von neuen Talenten.

Diese neuen Talente ausfindig zu machen war Robert H. Davis' Aufgabe. Er war in Spitzenpositionen bei einigen Zeitungen gewesen und hatte als erster das Talent von O. Henry und Joseph Conrad entdeckt. 1905 wurde er von Munsey für seine Pulps als Chefredakteur engagiert, und Argosy und All-Story blühten unter seiner Leitung förmlich auf.

1912 erschien eine Story von einem völlig unbekannten Autor im All-Story: Under the Moons of Mars by Norman Bean. Später wurde der Roman als Buch unter dem Titel A Princess of Mars (Die Prinzessin vom Mars) und dem richtigen Autorennamen Edgar Rice Burroughs veröffentlicht. Ein paar Monate später erschien dann Tarzan of the Apes, der einer der größten Erfolge aller Zeiten wurde. Über Burroughs und seine Bedeutung für die Fantasy erfahren Sie mehr in der nächsten Folge unserer Serie.

1917 entdeckte Robert H. Davis zwei Talente: Abraham Merritt und Frederick Faust, besser als Max Brand bekannt. Max Brand ging fort vom herkömmlichen realistischen Western, wie ihn Zane Grey schrieb. Brand schuf den Western-Roman, wie er noch heute üblich ist: verlogen, historisch völlig falsch und unrealistisch romantisiert.

Weird TalesAber der Trend ging von den Magazinen in der Art von All-Story fort zu Spezialthemen. Da gab es Pulps, die nur Geschichten über Boxen, Baseballspieler, Eisenbahnen, Piraten, Meeresabenteuern etc. veröffentlichten. Dazu kamen die SF-Pulps, Western-, Kriminal-, Liebes-, Horror-Pulps. Für jeden Geschmack war gesorgt.

Ohne die Pulps wäre die heutige Science-Fiction niemals entstanden. Das Gleiche trifft auf die Fantasy zu. Zwei Magazine waren für die Entwicklung der Fantasy bestimmend: Weird Tales und Unknown (später dann Unknown Worlds).

Weird Tales wurde das Sprungbrett für viele Autoren, mit denen wir uns in späteren Folgen noch beschäftigen werden.

Die erste Nummer von Weird Tales erschien im März 1923, die letzte im September 1954. Genau 279 Nummern waren erschienen. Mehr darüber in einem der nächsten Artikel.

Bis in einer Woche!

Schwert & Magie - NachtragNachtrag von Kurt Luif:
1980 war ein Artikel über die Pulps für die meisten Leser von Mythor recht eigenartig und auch befremdlich, denn wir konnten damals keine Bilder bringen. Und ohne diese Cover kann man sich eben kaum Pulps vorstellen.

The Pulps von Tony Goodstone entdeckte ich 1972 zufällig in einer Buchhandlung und war hingerissen und tauchte in eine für mich völlig neue Art der Literatur (die SF-Pulps kannte ich natürlich schon lange!) ein. Daraus bezog ich mein Wissen für den obigen Artikel. Das Buch ist noch immer erhältlich: 

Goodreads.com

Heute findet man im Netz unwahrscheinlich viel über Pulps. Ich gebe nur einige Links an:
Findarticles.com

Hier kann man folgendes lesen:
As products, the pulps proved ephemeral. Of the thousands of different magazines and characters that existed, most have been forgotten by everyone except a handful of collectors and historians. More copies of the cheaply made magazines crumble to dust each day, yet they have shaped every genre of popular fiction. Their purple blood runs in the veins of every hero of film, television, and paperbacks. The pulp magazines have proven to be the wellspring of the American mythology.
Applaus, Applaus! An eine Übersetzung wage ich mich nicht, aber vielleicht wagt es ein Fan …

Wikipedia.org (Pulp)
Wikipedia.org (Unknown)
Wikipedia.org (Weird Tales)
Die Zauberspiegel-Kolumne Brutstätte des Phantastischen

Dieser Link klappt nicht immer:
Pulpworld.com

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Copyright Kurt Luif, 1980, 2011

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