Die respektlosen Amerikaner - »Das Gespenst von Canterville« – 2-Film-Collection
Die respektlosen Amerikaner
»Das Gespenst von Canterville« – 2-Film-Collection
Trotz der Popularität von Oscar Wildes Vorlage ist es doch reichlich verwunderlich, dass das Zweite Deutsche Fernsehen 1964 eine Verfilmung von „Das Gespenst von Canterville“ bei Helmut Käutner in Auftrag gab, und nicht einmal ein Jahr später bereits eine weitere Adaption derselben Vorlage folgen ließ, dieses Mal von Dieter Lemmel inszeniert. Obwohl die beiden Schwarz-Weiß-Fernsehfilme auf derselben Erzählung basieren, sind sie doch sehr unterschiedlich ausgefallen. Davon kann man sich jetzt ganz gut ein Bild machen, denn beide Fernsehfilme wurden von Pidax auf einer DVD veröffentlicht, so dass man sie prima miteinander vergleichen und die unterschiedlichen Ansätze analysieren kann. Der offensichtlichste und größte Unterschied liegt im Genre der beiden Filme, denn Käutners Version ist eine Fernseh-Oper, für die der Schweizer Komponist Heinrich Sutermeister eigens beauftragt wurde, Musik und Libretto zu Wildes Vorlage zu schreiben. Dieter Lemmels Version indes ist ein eher klassischer Fernsehfilm, der in der hübsch morbiden Kulisse von Canterville Castle seine ironische Gruselmär entspinnt. Im Folgenden eine kurze Inhaltsbeschreibung, bei der in Klammern aus beiden Versionen die Darsteller angegeben sind.
Das Schloss der Cantervilles ist verkauft worden, an einen reichen Abgesandten aus den USA, einen gewissen Mr. Otis (Benno Hoffmann bzw. Alfred Schieske). Der reist nun mit seiner sechsköpfigen Familie an, ganz die ungehobelten Texaner, die man erwarten würde. Ehefrau Mrs. Otis (Lisa Otto bzw. Erica Schramm) liest gerne psychologische Sachbücher, Sohn Washington (Loren Driscoll bzw. Hartmut Hinrichs) und Tochter Virginia (Doris Herbert bzw. Gisela Krauss) sind Heranwachsende mit erwachender Libido, die beiden Zwillingssöhne (Thomas Höhne und Ingo Eggers bzw. Matthias und Michael von Aster) frühpubertäre Lümmel. Obwohl Familie Otis von der Anwesenheit des Geistes auf Schloss Canterville unterrichtet wurde, haben sie dem Kauf zugestimmt. Als das Gespenst Sir Simon Canterville (Barry McDaniel bzw. Ernst Ronnecker) bereits in der ersten Nacht versucht, die neuen Schlossherren mit seinem Spuk zu erschrecken, erweisen sich diese als abgebrühte Teufelskerle. Mit Fleckenentferner rücken sie den jahrhundertealten Blutspuren zu Leibe, die Simon bei der Ermordung seiner Gattin vergossen hat, für seine quietschende Sträflingskette überreichen sie ihm Schmieröl, und die beiden halbwüchsigen Kinder attackieren ihn mit Kopfkissen. Wie soll das alles nur enden?
Beide Fernseh-Versionen des ZDF bleiben der Originalgeschichte von Oscar Wilde weitgehend treu. Helmut Käutners Variante ist dabei die gewöhnungsbedürftigere, da man schon ein ausgesprochener Opernfan sein muss, um mit den ständig gesungenen Dialogen etwas anfangen zu können. Immerhin nimmt sich Käutner bei seiner kurzen Einleitung zum Film selbst auf die Schippe, indem er anmerkt, dass man bei Opern sowieso immer nur die Hälfte des Dialoges versteht. Das ist in diesem Fall aber gar nicht so schlimm, weil die Geschichte ohnehin recht kurz und leicht zu durchschauen ist. Überzeugende professionelle Sänger agieren hier Seite an Seite mit renommierten Fernsehgrößen (Benno Hoffmann, Franz Schafheitlin, Charles Brauer), die ihre Parts mit reinen Sprechtexten absolvieren dürfen. Dieter Lemmels Film ist da schon wesentlich zugänglicher, er erzählt die Wildesche Satire nach klassischer Art, mit einem üppig eingestreuten Erzähltext aus dem Off (gesprochen von Ernst Fritz Fürbringer), der mithilft, den süffisanten Tonfall des Autors zu transportieren. Ohne die gesungenen Dialoge kommt es hier aber mitunter zu etwas Leerlauf, weil die Vorlage selbst für eine einstündige Umsetzung relativ wenig Material bietet. Die DVD-Erstveröffentlichung der beiden je ungefähr einstündigen Filme erfolgt auf einer Scheibe. Das schwarz-weiße Vollbildformat (in 1,33:1) ist okay, wenngleich nicht sonderlich scharf. Der deutsche Originalton (in Dolby Digital 2.0) ist stets gut verständlich, Extras sind keine vorhanden.