Als der Westen noch richtig wild war ... - Dietmar Kueglers Westwind
Als der Westen noch richtig wild war ...
Dietmar Kueglers »Westwind«
Dietmar Kuegler hat sich in seiner Doppelfunktion als einer von Deutschlands führenden Westernautoren (unter anderem als Mastermind der Serie »Ronco«) und Experte für die Geschichte der USA im Allgemeinen - und des Westens (der ja gern mal wild genannt wird) im Besonderen, der Zeit der Trapper (die sogenannten ›Mountain Men‹), des Pelzhandels und der beginnenden Besiedlung immer wieder angenommen. Es ist eines der Kernthemen seiner schriftstellerischen Tätigkeit, das ihn immer wieder fasziniert.
Die Zeit der Mountain Men und der ersten Besiedlungsbemühungen des Westens hat Kuegler immer beschäftigt, und das nicht erst seit Gestern. Die Motive dieser Zeit ziehen sich durch seine Romane, Artikel und Sachbücher. Es ist eine jahrzehntelange Leidenschaft Kueglers, die er allerdings nicht romantisiert und verklärt.
Es ist eine spannende Zeit, eine Zeit des Umbruchs und eine Zeit, in der Europäer das hässliche Gesicht des Kolonialismus zeigten, eine Zeit der Globalisierung. Gnadenlose Ausbeutung, hemmungslose Landnahme und die Missachtung von Ureinwohnern und deren Kultur waren mehr als nur Begleiterscheinungen der sogenannten ›Eroberung‹ des Westens. Kuegler hat in den Büchern und seinen Artikeln all diese Aspekte aufgezeigt. Dabei urteilt er nicht nur aus heutiger Sicht und weiß das auch in den damaligen Zeitgeist einzuordnen, diesen dem Leser zu verdeutlichen, ohne allerdings diese unglaublichen Fehleinschätzungen zu rechtfertigen. Er erklärt, ordnet ein, ohne zu beschönigen.
Aber in der Zeit der weltweiten Kolonialisierung durch die europäischen Staaten traten diese Überlegenheitsdünkel und die daraus resultierenden Taten nicht nur im Westen der USA auf: Afrika und Asien mussten ebenso darunter leiden wie beispielsweise Australien. Die Belgier im Kongo, das deutsche Kaiserreich im (heutigen) Namibia (dem damaligen Deutsch Südwestafrika), Briten und Franzosen weltweit und ... und ... und ... Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Und die Zeit der Ausbeutung ist heute noch nicht vorbei.
In Sachen Mountain Men und der beginnenden Besiedlung wären da aus der Feder von Dietmar Kuegler die Bücher über Jim Bridger (Ein wahrer Pionier - Die Geschichte Jim Bridgers) und Kit Carson (Ein pflichtbewusster Analphabet - Kueglers Kit Carson Biographie) zu nennen, sowie zahlreiche Artikel über verschiedene Aspekte dieser Zeit in verschiedenen Ausgaben des »Magazins für Amerikanistik« zu nennen.
Diese Zeit kurz vor und während der beginnenden Besiedlung übt auf Kuegler einen besonderen Reiz aus. Aber sie bietet auch jede Menge Stoff für Geschichte(n). Der Mensch rottete mehrere Arten von Lebewesen und Pflanzen nahezu vollständig aus, herandrängende Siedler beendeten das weitgehend friedliche und von Respekt gekennzeichnete Zusammenleben der wenigen Weißen und der Indianer im Westen des Landes. Diese Zeit bietet unserer und kommenden Generationen noch viel Lehrstoff über Menschsein und das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlichen Lebensvorstellungen und -entwürfen (aber ich bezweifele, dass der Mensch aus seinen Fehlern wirklich etwas lernt). Es bietet sich geradezu an über diese Periode, die wilder war als der Wilde Westen danach, mehr als nur Sachbücher zu schreiben. Eine Aufarbeitung im Roman verspricht spannende und mitreißende Geschichten.
Kuegler nähert sich dieser Zeit immer wieder auf unterschiedlichste Art und Weise. So hat er über diese Zeit unter anderem eine Reihe von (Jugend-)Büchern unter dem Obertitel verfasst. In sieben Bänden beschreibt er die Geschichte des Trappers Abe McNott mit seinem französisch-stämmigen Freundes Tulip in dieser Zeitenwende, als die Zivilisation nach Westen kam. Der erste Band erschien in Pabels Western-Taschenbuchreihe »Star Western« als Band 72 und stellt ein Unikum im deutschen Westernroman dar, denn die Jahrzehnte vor dem Bürgerkrieg sind im deutschen Western nicht einmal ein Stiefkind, aber Delfs und Müller-Reymann von der Redaktionsseite waren große Förderer des Projekts dieser (Prä-)Western. Dietmar Kuegler ist ihnen heute noch dafür sehr dankbar, denn es herrschte wohl sonst eher verlagsübergreifend die Auffassung, diese Zeit sei nicht markttauglich. Immerhin fehlten die Cowboys, die Revolverhelden und andere Zutaten, die Western doch angeblich brauchen. Aber das heißt schließlich nicht, dass man daraus keine Western machen kann, die den Leser überzeugen und auch gepflegt unterhalten.
Ich denke, es geht zunächst um die Frage, ob wir es hier eigentlich mit historischen Romanen zu tun haben, denn Kuegler arbeitet jede Menge Fakten und Historisches in die Romane ein (nach aufmerksamer Lektüre der als Sachbücher angelegten Bücher über Jim Bridger und Kit Carson fällt mir das als Leser sofort ins Auge).
Aber die Frage ist nach meiner Ansicht zu verneinen. Es sind keineswegs historische Romane, die ja Geschichte "nachzeichnen".
Kuegler bringt zwar jede Menge Zeitkolorit in seinen Büchern unter, bringt Fakten und Anekdoten, und wer die Bücher über Bridger und Carson oder seine Artikel über den Pelzhandel und die Pelzjäger kennt, bemerkt das. Er löst diese Details jedoch quasi aus der Geschichte heraus und fügt sie in Romane ein, denn die erzählten Geschichten sind rein fiktiv. Neben den Fakten wimmelt es jedoch auch von Assoziationen wie zum Beispiel ›Kent's Fort‹, das nie existiert hat.
Will man den Westwind-Romanen ein Etikett aufdrücken, so erscheint es passend dieses Etikett mit ›Authentic Western‹ zu versehen. Das ist wohl am besten so zu umschreiben, dass eine fiktive Geschichte in einer unverfälschten Weise geschildert wird. Es gehört sich, dass auf Versatzstücke verzichtet wird, die nicht in die Zeit passen.
Dazu gehört im Falle von Geschichten über die Mountain Men, grob formuliert, dass keine Rinderherden nach Laramie oder Dodge City getrieben werden, Grauröcke mit Blauröcken rangeln oder Weidekriege stattfinden. Vielmehr gehören Pelzhändler, Planwagen, Fallensteller und Biber(felle) in diese Geschichten. Und genau das macht Kuegler. Er verzichtet, außer beim Namedropping, weitestgehend auf historisches Personal. Das bereits erwähnte ›Kent's Fort‹ ist exemplarisch. Es ist natürlich an Bent's Fort angelehnt. Aber William Bents Charakter machte ihn für den Bösewicht nicht sonderlich tauglich, so wie der Typ in diesem Fort aus Kueglers Roman. Das Fort an sich ist authentisch geschildert, nur die Besitzer und ihre Machenschaften unterschieden sich vom historischen Vorbild.
Allerdings bieten die Geschichten Kueglers ein spannend zu lesendes Western- und Abenteuergarn, das den Leser zu fesseln versteht. Dieses Garn wird umso lesenswerter, weil es eben mit Authentizität versehen und mit einer historisch korrekten Basis unterfüttert ist. Auf diese Basis setzt Kuegler mit seinem Helden Abe McNott und dessen Geschichten auf. Allerdings setzt der Autor ein, als die Zeit der Mountain Men zu Ende ging, und der Untergang ihres ›Lifestyles‹ unmittelbar bevorstand. Ich hätte es begrüßt, wenn Kuegler früher mit seinen Geschichten über McNott eingesetzt hätte. Zu einem Zeitpunkt etwa, als die Welt der Jäger noch ›in Ordnung‹ war, sie mit den Indianern Kontakt aufnahmen und in den Westen vordrangen. Nichtsdestotrotz ist die Wahl Kueglers eine Kluge.
Es geht um den Untergang einer Welt, die durch eine andere (nicht unbedingt bessere) ersetzt wird. Es geht darum, dass Menschen (Siedler und Geschäftemacher) erscheinen, die überhaupt nicht begreifen, dass sie eine Kultur zerstören, die Landschaft vernichten. All das thematisiert der Autor, ohne allerdings jede Untiefe menschlicher Zivilisation detailliert auszuloten, denn das Abenteuer steht im Mittelpunkt, die flotte spannende Erzählung. Doch wer mehr über die Folgen lernen möchte, der kann zu Kueglers Sachbüchern greifen, oder andere weiterführende (Sach- und Fach-)Literatur suchen.
Kuegler webt über diesen Hintergrund des Untergangs natürlich ein abenteuerliches Garn, das den Leser mitreißt und ihn glänzend unterhält, so dass er als Subtext sein Anliegen thematisieren kann. Ist die Geschichte des Westens nach dem Bürgerkrieg die Geschichte eines Aufstiegs einer Nation aus den Ruinen eines Krieges, so ist die Geschichte der Mountain Men um 1840 die Geschichte eines Endes. Diese tragische Dimension hat der Western erst, wenn er direkt vor der Wende zum 20. Jahrhundert spielt, denn da geht diese - auf den ersten Blicke so freie und rauhe - Zeit des sogenannten Wilden Westens zu Ende, aber der Wilde Westen war eher ein Übergang, ein Prozess. Anders als die Zeit der Mountain Men, die erdrückt wurde. Da hörte Freiheit wirklich auf und wurde verdrängt.
Nun hat der Blitz Verlag begonnen, die sieben Westwindromane neu aufzulegen. Zwei Titel kamen im April heraus, der dritte Band ist für den Herbst angekündigt.
Hier die Klappentexte der ersten beiden Bände, die allerdings nur unzureichend den Subtext wiedergeben. Zudem sollte man sich im Verlag über das Etikett ›Historischer Abenteuerroman‹ nochmal Gedanken machen:
Das Fazit der Lektüre der ersten beiden Bände ist eine klare Empfehlung für zwei (Prä-)Western mit Subtext, die so spannend geschrieben sind, wie man es von dem Mann mit der Doppelrolle als führender Autor mit Expertenstatus in Sachen Fachwissen erwarten kann. Es steht zu hoffen, dass die Folgebände zügig herauskommen, und der Autor vielleicht noch eine Trilogie als Prequel folgen lässt. Dietmar Kuegler soll das ruhig als Anregung begreifen ...
WESTWIND
Blitz Verlag
Besten Dank an Peter Loos für die Cover der Star Western