Eine Frage an ... Dietmar Kuegler: Wie war das mit Sutter und dem Goldfund?
Wie war das mit Sutter und dem Goldfund?
: Am 24. Januar 1848 veränderte sich die Geschichte Amerikas nachhaltig. An jenem Tag stieg James Marshal, Handwerker von Johann August Sutter, einem badisch-schweizer Kolonisten, in den Bach einer neu errichteten Sägemühle bei Coloma, nicht weit von Sacramento. Er sah einen glitzernden Stein im Wasser eines Seitenarms des American River, hob ihn auf und hielt ein Goldnugget in der Hand.
Das war der Beginn des Goldrausches von Kalifornien, der Amerika und zeitweise die Welt erschüttern sollte. Es war das Ende des Glaubens, daß Nordamerika über keinerlei nennenswerte Bodenschätze verfügte; denn in den folgenden 30 Jahren wurden ständig neue Gold- und Silberadern entdeckt.
Kalifornien war der Anfang, der Beginn einer Ära, die als der „Wilde Westen“ bezeichnet wurde. Was sich rings um Sacramento und im übrigen Teil des Landes abspielte, ist kaum zu beschreiben. Erst wenige Monate zuvor war das Gebiet von der amerikanischen Armee erobert worden. Über Nacht wurde es zur Schatzkammer der jungen Vereinigten Staaten.
Zwar hatte schon 1842 ein Mexikaner etwas Gold gefunden, aber kaum jemand hatte damals davon Notiz genommen. Jetzt breitete sich die Nachricht des Fundes im American River – dem sehr schnell weitere folgten – wie ein Lauffeuer aus. Im Hafen von San Francisco desertierten ganze Mannschaften von den Schiffen. Jeder, der einen Spaten und eine Waschpfanne halten konnte, verließ seinen Arbeitsplatz und machte sich auf dem Weg ins Landesinnere. Binnen weniger Wochen erreichten Zeitungsmeldungen den Osten der Vereinigten Staaten und Europa. (Manche glauben, daß Kit Carson, der als Kurier der amerikanischen Armee nach Washington geschickt wurde, die Nachricht nach Osten trug; aber das ist wohl eine Legende.)
Der bis dahin zögerlich tröpfelnde Zug von Planwagenpionieren nach Westen wurde zur Springflut. 1849 gingen allein über 10.000 Menschen auf dem Landweg durch die Prärien und Rocky Mountains ins „Eldorado“. Schiffe mit Goldsuchern verließen die Häfen der Ostküste und fuhren um Südamerika bis Kalifornien. Andere versuchten den Weg durch Panama abzukürzen.
Aus dem verschlafenen Fischernest Yerba Buena mit ca. 200 Bewohnern wurde bis 1851 die pulsierende Metropole San Francisco mit fast 40.000 Menschen. Die Bevölkerungszahl Kaliforniens explodierte. Immer neue Goldadern heizten den Boom wöchentlich weiter an. Allein 1849 kamen über 90.000 Menschen, davon ein Drittel aus verschiedenen Ländern der Erde. Um 1855 hatte Kalifornien bereits über 300.000 Einwohner. Schon im September 1850 wurde Kalifornien vollgültiger Staat der USA – ohne vorher, wie üblich, den Status eines „Territoriums“ unter Bundesverwaltung durchlaufen zu müssen.
Der größte Verlierer des Goldrausches war Johann August Sutter, ein aus dem Badischen stammender Abenteurer, der in der Schweizer Armee gedient und der in der damals noch mexikanisch beherrschten Region eine blühende Kolonie geschaffen hatte. Seine Arbeiter liefen weg, um nach Gold zu suchen. Die Goldsucher zerstörten seine Felder und Viehweiden. Hereinströmende weitere Prospektoren erkannten seine mexikanischen Landrechte nicht an und besetzten seine Ländereien. Als er sich ihnen in den Weg stellen wollte, verlor er fast sein Leben.
Die Legende, daß der „Kaiser von Kalifornien“, wie der Mythos ihn manchmal nannte, in Armut geendet sei, stimmt zwar nicht, aber sein ehrgeiziges Siedlungsprojekt ging zugrunde. Er mußte seine Kolonie verlassen und kehrte nie mehr nach Kalifornien zurück.
Der kalifornische Goldrausch fachte eine ungeheure Dynamik an. Der Westen Amerikas, bis dahin vielfach als wertlose Wüste angesehen, gewann eine überwältigende Attraktivität.
Postkutschenlinien durch den Kontinent entstanden, der Pony Express wurde gegründet, um die Kommunikation zwischen Ost und West aufrechtzuerhalten. Gefolgt vom Telegrafenbau und letztlich den transkontinentalen Eisenbahnlinien.
Der kalifornische Goldrausch gilt als der erste „globale Goldrausch“, weil er Menschen aller Herren Länder in den Westen der USA lockte. Einwanderer kamen aus ganz Europa, aus Lateinamerika, aus dem mittleren Osten, aus Asien. Vor allem Chinesen strömten ins Land, gründeten Wäschereien, Restaurants und Opiumhöhlen. Die Tatsache, daß heute „China Town“ in San Francisco als größte chinesische Stadt außerhalb Chinas gilt hat ihren Ursprung in den Tagen des Goldrausches.
Die Entwicklung war atemberaubend. Es gab Gebiete, die vom Goldboom überrannt und innerhalb weniger Monate völlig ausgebeutet wurden. Dann starben die Zelt- und Kistenbretterstädte wieder ab, und in einer benachbarten Region mit neuen Claims wiederholte sich der Boom. Noch heute gibt es Gegenden in Kalifornien, in denen man die Folgen des Placerminings – bei dem mit Hochdruckwasserpumpen Gold aus Berghängen gespült wurde – anhand der ruinierten Landschaft sehen kann.
Wie überall, wo zeitweilig anarchische Zustände herrschten und Geld im Überfluß vorhanden war, blühten auch Gewalt und Kriminalität, gegen die die nur marginal existierenden Behörden fast machtlos waren. Erstmals entstanden mit den „Vigilanten“ Bürgerwehren, die rabiat gegen das Räuberunwesen in den Goldfeldern zurückschlugen. Das erste Gefängnis war eine alte Brigg in der Bucht von San Francisco.
Für die indianischen Völker Kaliforniens wurde der Goldrausch zur größten denkbaren Katastrophe. Erstaunlicherweise ist diese Facette der Geschichte fast ebenso vergessen wie die Tatsache, daß in Kalifornien eine Vielzahl von Indianervölkern lebte, die schon vorher von spanischen Kolonisten als Zwangsarbeiter mißbraucht worden waren. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die Goldsucher sich ab 1848 verhielten, läßt sich kaum beschreiben. Nirgends sonst in Nordamerika wurde mit größerer Brutalität gegen die eingeborenen Völker vorgegangen. Hier fand kein „Clash of Cultures“ statt, kein „Zusammenprall der Kulturen“, sondern eine gnadenlose Beseitigung. In Gebieten, in denen Gold entdeckt wurde, wurden die beheimateten Völker sofort gewaltsam vertrieben, wenn nicht fast ausgerottet. Der Historiker Benjamin Madley listet ca. 370 Kämpfe, die in Massaker ausarteten. Er gibt bis 1873 zwischen 9.000 und 16.000 indianische Opfer an. Einer der stärksten Befürworter für eine Vernichtung der Eingeborenen war der erste Gouverneur Kaliforniens, Peter Burnett.
Nackte Gier diktierte den Alltag. Jede Bevölkerungsgruppe rivalisierte miteinander. So wie die Indianer als Hindernisse bei der Ausbeutung der Goldadern gesehen wurden, wurden andere Minoritäten ausgegrenzt. Asiaten, Schwarze, Mexikaner wurden erbarmungslos bekämpft.
Das Gold brachte nicht nur enormen Reichtum, sondern auch die schlimmsten charakterlichen Abgründe hervor, zu denen Menschen fähig sind.
Auch wenn der große Goldrausch nicht länger als vielleicht 10 Jahre dauerte, wurde weiter Gold in Kalifornien gefunden und gefördert. Von 1848 bis heute schätzt man, daß ca. 3.700 Tonnen pures Gold in Kalifornien gewonnen wurden.
Meine Fotos zeigen das Original-Wohnhaus von Johann August Sutter in Sutters Fort in Sacramento, J. A. Sutter, ein zeitgenössisches Bild von Sutters Mill, wo das erste Gold gefunden wurde, Szenen aus dem Goldrausch, Bilder aus der Geisterstadt Bodie, einer der größten Ghost Towns der USA, sowie der erste in Deutschland gedruckte Bericht über die Goldfunde, übersetzt von Friedrich Gerstäcker und publiziert von mir 1984.
Dietmar Kuegler gibt viermal im Jahr das »Magazin für Amerikanistik« heraus. Bezug: amerikanistik(at)web.de