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The Blazing World - der erste Science Fiction Roman einer Frau?! Teil 2

The Blazing World - der erste Science Fiction Roman einer Frau?!

Teil 2

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Es ist nicht ganz einfach, Margaret Cavendish und ihr Werke zu beurteilen, denn sie schrieb natürlich als Mensch ihrer Zeit, in dem damaligen Stil und mit den damaligen Mitteln. Auf die verschiedenen naturwissenschaftlichen und philosophischen Werke will ich nicht weiter eingehen, denn ich habe nur "Blazing World" gelesen. Zum Thema Frauen in der SF hat Petra E. Jörns einen Gastartikel geschrieben, der im Zuge unseres Interviews entstand.

"The Description of a New World, Called The Blazing-World

In der Regel nur als "The Blazing World" ("Gleißende Welt") bezeichnet.

Die Vorgeschichte ist relativ kurz und knapp erzählt, und nimmt im weiteren Roman auch keinen besonderen Platz mehr ein. Im Grunde dient diese lediglich dazu, die Grundlage für die eigentliche Erzählung und philosophischen Betrachtungen zu bilden.

Die Vorgeschichte: Eine junge schöne Dame wird von einem Kaufmann begehrt und aus dem Haus ihres Vaters entführt. Per Schiff will der Kaufmann mit dem Entführungsopfer fliehen, gerät jedoch in Stürme, die das Boot zum Nordpol treiben. Alle außer der Dame erfrieren.
An dem Pol berührt diese Welt den Pol einer anderen Welt, was dazu führt, dass das führerlose Boot in diese andere Welt hineintreibt. Diese andere Welt ist es, die Cavendish als diese gleißende Welt bezeichnet.

Hier endet sozusagen der kurz gefasste Prolog und die Geschichte setzt ein. Die junge Dame wird von den Bewohnern der Welt gerettet und soll zum kaiserlichen Palast gebracht werden, um dem Herrscher vorgeführt zu werden. Dabei durchquert sie die verschiedenen Regionen dieser Welt und begegnet den verschiedenen Spezies: Den Bären-Menschen, die sie gerettet haben, Fuchs- und Fisch-Menschen, verschiedenen Arten von Vogel-Menschen. Diese sind jeweils eine Mischung aus Mensch und Tier und, das wird zu der Zeit als eine Grundlage für ein Wesen mit Seele und Intelligenz gesehen, gehen aufrecht auf zweiBeinen. Nach den Tiermenschen trifft sie Menschen mit unterschiedlichsten Hautfarben, einige azurgrün, andere purpur oder orange, also Farben, die in unserer Welt nicht vorkommen. Alle Wesen begegnen ihr ausgesprochen zuvorkommend und behandeln sie wohlwollend. Nirgends entdeckt sie etwas, das den wirklich gleißenden Eindruck einer perfekten Welt stört.

Viel Betonung legt Cavendish auf die Art und Weise ihrer Reise, diese geschieht nämlich auf Schiffen/Flößen, die wie Honigwaben aussehen und miteinander verbunden werden können, um größere Verbände zu gestalten.

Endlich kommt sie in der Hauptstadt des Reiches namens Paradies an, wird dem Kaiser vorgestellt, dieser verliebt sich sofort in sie, heiratet sie aus dem Stand und macht sie zur unumschränkten Herrscherin seines Reiches.

Auf ihrem Thron sitzend ruft sie die verschiedenen Gruppen von Wesen zu sich und lässt sich von diesen deren Sicht der Welt erklären, die teilweise durchaus unterschiedlich ist. Danach ruft sie Geister zu sich, um auch von ihnen zu hören und die übersinnliche Welt der Blazing World zu verstehen. Als sie dann selbst erforschen und erfinden möchte, schlagen die Geister ihr eine Begleiterin vor, die Erkenntnisse und Erfindungen aufzeichnen soll. Diese ist niemand anderes als die Herzogin von Newcastle. Damit betritt die Autorin selbst als Charakter das Buch und wirkt an der weiteren Geschichte mit.

"... there's a lady, the Duchess of Newcastle; which although she is not one of the most learned, eloquent, witty and ingenious, yet she is a plain and rational writer..." (Dt: "Es gibt da eine Lady, die Duchess of Newcastle, die nicht unbedingt eine der am gelehrtesten, eloquentesten, geistreichsten und einfallsreichsten [Personen] ist, aber sie ist eine einfache und rationale Schreiberin" - so beschreibt sich die Duchess selbst)

Tatsächlich ist es so, dass der Körper der Duchess die Kluft zwischen ihrer (also der irdischen) Welt und der Blazing World nicht überwinden kann, so kann nur ihr Geist (eigentlich Seele "soul") zu der Kaiserin kommen.

In größerer Breite wird im Folgenden darüber diskutiert, ob die Duchess die richtige "Person" ist, denn die Kaiserin strebt die Entwicklung einer Art Kabbala-Lehre an, eine Herausforderung, der die Duchess sich nicht gewachsen sieht, zumindest ein Jude sollte es sein. Aber die Empress kann sich nicht durchringen, sondern will die neu entdeckte Seele behalten. Die beiden freunden sich nicht nur an, sondern sie entdecken eine platonische Liebesbeziehung, welche die Seelen der beiden vollauf zufriedenstellt, und ihnen das gleichgeschlechtliche Gegenüber gibt, das sie bisher vermisst haben. 

An diversen Stellen innerhalb der Geschichte wird einfach offensichtlich, aus welcher Zeit die Geschichte stammt (1666/68) und mit welchem Hintergrund (jakobitische, eher absolutistisch geprägte Monarchisten) Margaret of Newcastle die Geschichte erzählt. Einer davon ist, als die Empress feststellt, dass die Seele der Duchess geknickt und traurig ist. Die Duchess wünscht sich aus der "extreme ambition (heraus), my present desire is to be a great princess".

Auch in der nun folgenden Auseinandersetzung der beiden Souls der Empress und der Duchess sowie der beiden mit einem der Spirits wird deutlich, dass Margaret Cavendish eine Royalistin ist. Wie auch die Empress selbst inzwischen Herrscherin über die Blazing World ist, soll auch die Herzogin ein eigenes Reich bekommen. Das erweist sich aber als schwierig, denn in den, laut Spirit, unzähligen Welten, gibt es keine, die nicht unter einer Herrschaft steht, keine, die nicht bevölkert ist und der Duchess zur Verfügung stehen würde.
Durch die Beratung der Geisterwesen lassen die beiden Frauen sich davon überzeugen, keine andere Welt anzugreifen und zu erobern. Dies würde zu viel Mühe machen, und warum sollte man in einer terrestrischen Welt Herrscherin sein wollen, wenn sich selbst eine schaffen kann? Jeder Sterbliche kann, so der Spirit, Schöpfer einer immateriellen Welt sein, vollständig bewohnt von immateriellen Kreaturen, so könne er "create a world of what fashion and gouvernment he wish, and give the creatures there of such motions, figures, forms, colours, perception etc as he pleases, and make whirlpools [!!], lights, pressures and reactions, etc. as he thinks best, may alter the world as often as he pleases, or change it from a natural world, to an artificial ..."
Wozu also eine erobern?
Tatsächlich spricht sie wörtlich von Whirlpools.

Die beiden Frauen beginnen munter mit dem Schaffen immaterieller Welten. Die Duchess denkt über die Möglichkeiten der philosophischen Strömungen für die Schöpfung der Welten nach, folgt den Ideen von Aristoteles, Descartes, Plato - und findet nichts Passendes. Tatsächlich beschließt sie, eine Welt nach ihrer eigenen Erfindung zu schaffen und ist glücklich mit der Entscheidung.

Nachdem diese Episode abgeschlossen ist, bewegt die Empress die Idee, die Welt der Duchess zu besuchen, was aber nicht so einfach geht. Die Empress muss, wiederum nach einer Konsultation mit den Spirits, hierfür ihren eigenen Körper verlassen (in der Zeit ihrer Abwesenheit "bewohnt" ein Spirit ihren Körper und regiert als Vizekönig bis zur Rückkehr der Empress), und mit der Seele der Duchess zusammen von der Blazing World in die Welt der Duchess hinüberwechseln.

Die Duchess lädt die Empress ein, ihr Heimatland kennenzulernen und ihren König zu sehen, denn "his dominions are not of so large extent, yet they are much stronger, his laws are easy and safe, and he governs so justly and wisely, that his subjects are the happiest people of all the nations or parts of that world". (Das Buch wurde 1666/68 geschrieben, zu der Zeit war in der Tat ein Stuart König von England, Charles II.)
Sie erreichen die Hauptstadt, die Empress entdeckt Theater, betreten den Königshof, wo sie den Hofstaat besichtigen, und die Empress sich sehr beeindruckt über die hohen moralischen Qualitäten der Königsfamilie äußert.

Duke und Duchess of Newcastle (Margaret Cavendish)Erneut wird die Seele der Duchess traurig, dieses Mal verständlich, ob der Tatsache, dass ihr Ehemann der Duke of Newcastle in dieser Welt lebt, und die Sehnsucht ihrer Seele ist groß. Also machen sie sich auf zu diesem und erreichen Welbeck, eines der Besitztümer des Dukes im Sherwood Forest. Die Duchess erzählt, dass das Glück den Duke beständig zu fliehen scheint, da dieser während der langen Zeit des Bürgerkrieges (Cromwell) die Hälfte des nutzbaren Waldes verloren hat, und was von seinen Palästen noch übrig ist, ist runiniert, ausgeplündert und zerstört, ebenso hat er viel Land verloren, von seinem Stammsitz ist nicht viel mehr als das leere Gebäude übrig. Der Duke kommt während dieser Schilderung aus dem Haus, und die Seele der Duchess ist so begeistert, ihr "aerial vehicle became so splendorous, as if it had been enlightened by the sun". Sie verlässt sogleich ihr Transportmittel und taucht in den Duke ein, um ihm nahe sein zu können. Die Empress, als sie dieses sieht, begibt sich ebenfalls in den Körper des Dukes, der seine anfängliche Eifersucht auf die enge Beziehung der beiden Frauenseelen rasch verliert, als er sieht, dass diese rein platonisch ist.

Da kommt einer der Spirits aus der Blazing World und teilt der Empress mit, dass ihr Gatte der Kaiser in einem schlechten Zustand sei. Obwohl er nicht wisse und es eigentlich nicht bemerkt haben könne, dass die Kaiserin nicht in ihrem Körper weilt, ist er traurig, melancholisch und bedarf der Nähe der Seele seiner Frau. Also macht sich die Empress auf zurück nach Blazing World. Hiermit endet der erste Teil der Geschichte.

Im zweiten Teil erfährt die Kaiserin zu ihrem Leidwesen, dass in der Welt, aus der sie stammt, ein Krieg ausgebrochen ist. Ihr Heimatland, nur ESFI genannt, wird von fremden Mächten bedroht, die sich alle gegen ihr Heimatland verschworen haben.
Sie entscheidet sich dazu, etwas zu unternehmen, und in ihre Heimatwelt zu reisen, um dem Heimatland beizustehen. Mit der Hilfe ihrer Freundin der Duchess kreiert sie eine Taktik, darunter ein U-Boot (!!), Waffen (ähnlich Napalm) zu schaffen, und gemeinsam mit einem Heer aus verschiedenen Männern ihres Reiches (z.B. den Fish-Men) in ihre Heimat zu gelangen.
Tatsächlich ist die Situation schwer, und ESFI droht zu unterliegen. Mit der Hilfe ihrer Freundin und den Men ihres Reiches gelingt es ihr nicht nur die ganze Situation zu befrieden. ESFI geht dank ihrer Hilfe, die den Menschen von ESFI überirdisch erscheint, so dass man sie teilweise für einen Engel Gottes hält, als Sieger aus dem Konflikt hervor und unterwirft zwar nicht die anderen Herrscher, die an ihrer Macht bleiben dürfen, sorgt aber dafür, dass sie Tribute an ESFI zahlen müssen.

Nachdem dieses Abenteuer überstanden ist, kehrt die Empress nach Blazing World zurück, die beiden befreundeten Frauenseelen trennen sich, und die Duchess kehrt zu ihrem Mann zurück, während Blazing World ein strahlendes Fest zur Rückkehr der Empress feiert.

Margaret Cavendish veröffentlichte mit Blazing World eine Utopie, die in vielerlei Hinsicht Elemente der Science Fiction beinhaltet. Allein die Unterseeboote, mit denen die Kaiserin in ihr bedrohtes Heimatland reist, sind meiner Ansicht nach Science Fiction, ebenso die "aerial vehicles", mit den die Seelen es schaffen, sich vorwärts zu bewegen, die Boote der Men in Blazing World, der Whirlpool ... Es gibt viele Stellen, an denen man erstaunt aufmerkt und feststellt: "Hey, das ist ja ein Buch von 1666, der 30jährige Krieg ist gerade mal 20 Jahre her, und die Menschen kämpfen gerade mit Messern, Schwertern, Steinschlosswaffen".
In der Tat gibt es einige (durchaus lange) Phasen, beispielsweise die Abhandlung der verschiedenen Einsichten und Meinungen der verschiedenen Men, wenn die Empress die unterschiedlichen "Rassen" zu sich ruft, um sich die Welt erklären zu lassen, oder wenn die Duchess darüber nachsinnt, nach welchem philosophischen Vorbild sie ihre eigene Gedankenwelt gestalten möchte. Aber es lohnt sich meiner Meinung nach, sich durch diese Stücke zu kämpfen oder zu sie zu überfliegen, in Deutsch wird dies wesentlich leichter sein als in Englisch. Ich zitiere Marius Müllers Artikel zu dem Buch: "besonders wenn man sich für einen weiblichen Blick auf die damaligen Machtverhältnisse und Schreiben als Abbild oder Eskapismus der Wirklichkeit interessiert".

Natürlich merkt man klar, dass Margaret kein Leonardo daVinci war, der grandiose Erfindungen detailliert beschrieb, kein Tolkien in der Entwicklung von Völkern und Gesellschaften, keine Feministin, keine politische Koryphäe. Sicher ist es ihr nur zum Teil gelungen, sich aus den Fängen ihrer Zeit, gesellschaftlichen Schicht, sozialer Position und Denkweisen zu befreien, aber gerade angesichts der Rahmenbedingungen ihrer vergleichsweise geringen Bildung, dem Dienst bei einer Königin im Exil und den finanziellen Problemen des Dukes gelang es ihr in herausragender Art und Weise, mit Konventionen zu brechen und eine Geschichte zu schreiben, die für die damalige Zeit eine absolute Ausnahme gewesen ist.

Interessant ist für mich seit Beginn des ersten Lesens des Artikels in Open Culture, ob man Margaret Cavendish tatsächlich als die erste weibliche Schriftstellerin eines Science-Fiction Romans bezeichnen kann. Zweifelsohne tauchen Versatzstücke auf, die absolut SF-verdächtig sind: U-Boot, Napalm etc., und die in diese Richtung weisen, aber hier ist die Science nur ein Vehikel, und man merkt den Spaß, den es ihr gemacht haben muss, so absolut verrückte und "sinnlose" Dinge zu beschreiben. Hinzu kommt, dass ich eine echt hieb- und stichfeste Definition von SF nicht wirklich finden konnte, die mich überzeugte. Klar, es geht um Wissenschaft und Fiktion, aber gerade der Science Aspekt ist für mich für "echte" SF zu wenig ausgeprägt. Die Fiktion ist in jedem Fall großartig.

Es gibt aus jener Zeit auch eine Menge Reiseberichte, die beliebt bei den Lesern waren und man kann Blazing World auch in diese Richtung einordnen, natürlich mit SF-Ansätzen versehen, aber ebenso könnte man es auch allgemein in den Bereich der Fantastik einordnen. Ebenso war die allgemeine Renaissance-Kultur gerade dabei, ein eigenes Romanverständnis zu erbauen.

Margaret Cavendish, Duchess of NewcastleTatsächlich fällt es mir ausgesprochen schwer, in Margaret Cavendish die erste Autorin eines SF-Romans zu sehen, aber WAS sie da mit Blazing World geschrieben hat, ist großartig, ist ein frühes Werk des Feminismus, in dem eine Welt (und ihr männlicher Herrscher der Emperor) die großartigen Fähigkeiten einer Frau (!) erkennt und so hoch schätzt, dass er sie zur unumschränkten Herrscherin macht, es ist ein Reiseroman in die immaterielle Gedankenwelt einer beeindruckenden Frau ihrer Zeit, es ist ein Roman über eine Royale Fantasie, denn die Herrscher sind gut und milde, ausgenommen die Nationen, die ESFI angreifen.

Ich habe gerade noch einen Roman ÜBER Margaret Cavendish in Händen, der fast schon im Stil der damaligen Zeit Margarets Leben darstellt, als würde sie selbst es erzählen. "Margaret the First" ist natürlich fiktiv, es handelt sich nicht um eine wirklich historische Biografie, aber es ist wunderschön, dieser Margaret Cavendish, Duches of Newcastle zu folgen. Das Buch von Danielle Dutton ist auch eine Empfehlung, wenn man sich Margaret Cavendish nähern will.

 

Quellen:

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