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Buchmesse 2011 - Gastland: Island Sagenhafte Morde

Zauberwort - Der Lei(d)tartikelBuchmesse Frankfurt/Main 2011
Gastland: Island - Sagenhafte Morde
Mythen und Realien des Islandkrimis

Es ist Oktober ... für die Buchwelt bekanntermaßen ein wichtiger Monat, es ist Buchmesse. Das jeweilige Gastland der Messe bekommt sowohl in der Präsentation als auch bei den Veröffentlichungen der Verlage einen besonderen Platz. Veranstaltungen drehen sich um das Gastland und sollen dazu dienen, die literarische Szene bekannter zu machen. 

 

Island - Gastland
Und wenn man Lesemenschen danach fragt, was für sie DAS Islandgenre ist, landet man vermutlich in erster Linie bei den Islandkrimis.

Im Vorfeld der Buchmesse wurde
Kristján B. Jónasson, Präsident des isländischen Verlegerverbands, gefragt, ob es für ein so kleines Land nicht "eine Nummer zu groß sei", als Gastland zu fungerieren1.

In der Antwort von Jónasson wurde deutlich, was in den letzten Tagen und Wochen immer wieder durch die einschlägigen Berichte und Artikeln kursiert, wenn die Sprache auf dieses Thema kommt:

" (...) dass unser kleines Land auch über die mittelalterlichen Sagen hinaus einiges zu bieten hat und eine gewisse literarische Traditionslinie zu erkennen ist. Auch ist es kein Zufall, dass gerade in den letzten Jahren so viel aus dem Isländischen übersetzt wird. Das liegt einerseits an dem Hype der nordischen Krimis, aber auch an vielen interessanten Romanstoffen, die in der jüngsten Zeit erschienen sind. Und da muss man wohl auch sagen: Die Einwohnerzahl sagt letztlich nicht viel über die Qualität der Literatur."
Was er damit meint? Naja, Island verfügt über eine Landfläche von 100.250 km² (ca. 1/3 der Größe Deutschlands) und hat 318.236 Einwohner (so viel Menschen, wie in etwa jährlich die Buchmesse besuchen). Aber es ist zu langweilig, Fakten zu einem Land aufzuzählen.
 
Was den Status eines Gastlandes natürlich besonders interessant macht, ist die Aufmerksamkeit, die den Autoren und Verlagen des Landes zuteil wird. Bei Island sind es 177 Titel geworden, die 2011 erscheinen.  Das bietet natürlich eine ganz besondere Gelegenheit, auch auf Bücher, Themen und Autoren aufmerksam zu werden, die man sonst kaum kennengelernt hätte.
 
Eine interessante und aussagekräftige Einführung in das Gastland geschah auf dem Weltempfang der Buchmesse am 06. Oktober 2010.


Unter dem Titel

Sagenhafte Morde - Mythen und Realien des Islandkrimis

Yrsa Sigurdardóttirwaren Kristján B. Jónasson, der Präsident des isländischen Verlegerverbands, Kristof Magnusson, ein isländisch-deutscher Theater- und Romanautor sowie Yrsa Sigurdardóttir, eine isländische Schriftstellerin unter dem Logo des Auswärtigen Amtes zu einer Veranstaltung zusammen gekommen.

Thomas Wörtche, selbst Autor und bekannt für seine Stellungnahmen zu Kriminalliteratur jeglicher Couleur, war Moderator der Veranstaltung.

T. Wörtche: Es gibt allein aus diesem Land mit doch lediglich etwas über 318.000 Menschen inzwischen 82 isländische Krimis. Wie kommen so wenig Leute dazu, so viele Krimis zu schreiben?
K. Jónasson: Seit Ende der 90er Jahre, ca. 95, dachte man, es sei unmöglich, eine isländische Geschichte zu schreiben, in der ein Kriminalfall vorkäme.
Y. Sigurdardóttir: 2 Menschen sind betrunken in der Küche, ein Messer, die Polizei kommt, der Mörder steht da, das Messer in der Hand. So verliefen solche Fälle in Island – wenn es welche gab.
 
T. Wörtche: Was macht Krimis so interessant? Über Mord zu lesen ist an sich nicht sehr interessant. Man liest darüber in der Zeitung. In Krimis ist das anders. Man liest – meistens gut geschrieben – über das, was passiert, warum es passiert, die Menschen, ...
K. JonasonK. Jónasson: Etwa 1998 beginnt die Geschichte des isländischen Krimis. In dem Jahr erschienen 4 Titel. Davor waren es immer Modelle des amerikanischen Thrillers, die man bei uns verlegte. Der moderne isländische Krimi greift skandinavische Motive und deutsche Kriminalmotive auf und verändern sie. Es geht darum, die Gesellschaft zu beschreiben, und den Krimi zu benutzen, um dies zu tun.
K. Magnusson: In so einem kleinen Land konzentriert man sich auf das, was man (gut) kann. Island hat verm. pro Kopf die meisten Krimitoten. Ein kleines Land schafft durch Erzählen ein Land, das viel größer ist. Krimi also als ein Weg, sich die Welt ins Land zu holen.
 
T. Wörtche / K. Jónasson:  Es gibt etwas 15-20 Autoren von Krimis in Island, zumeist erschienen sie in Deutschland. Dabei gibt es noch nicht einmal ein Förderprogramm. 15.-16.000 Titel erscheinen in Island im Jahr, bei ca 150 Verlegern. Von absoluten Bestsellern werden etwa bis zu 20.000 Exemplaren verkauft. Die meisten Krimis in Island haben Zahlen von ca. 2.000-5.000.
 
T. Wörtche und Y. SigurdardóttirT. Wörtche: Wie kommt man eigentlich dazu, Krimis zu schreiben?
Y. Sigurdardóttir
: Ich schrieb früher eher lustige Kinderbücher, aber irgendwann fand ich es schwer. Die ganze Zeit lustig zu sein ist schwer! Ich wollte etwas schreiben, das ich selbst lesen wollte. Ich lese inzwischen keine Islandkrimis mehr, da es schwer ist, selbst unbeeinflusst zu bleiben, wenn man diese liest und gleichzeitig schreibt.
 
K. Jónasson: Vor allem seit ca. 2 Jahren sind isländische Krimis extrem populär. Isländische Kritiker sagen gerne, dass isländische Krimiautoren keinen Stil hätten.
K. Magnusson: Es ist wie schon in den alten Sagas ... Personen werden nicht durch ihr Reden charakterisiert, sondern durch ihr Tun. Es wird mit wenigen Worten viel gesagt. Es ist ein Stil, der durch knappe Worte und Handeln charakterisiert wird.
 
[Anmerkung zu den Isländersagas: Die Verfasser der Sagas sind unbekannt. Ihre Erzählungen handeln von der Landnahmezeit, als die ersten Siedler in Island ankamen. Dies geschah in der Zeit vom späten 9. bis ins frühe 11.
Jahrhundert. Obwohl Island immer eine Nation der mündlichen Erzählungen und Geschichten war, kann man jedoch mit ziemlicher Gewissheit nicht mehr sagen, dass sie historisch haltbare und fehlerfreie Darstellungen sind - das liegt schon daran, dass teilweise bis zu 300 Jahren zwischen den Ereignissen und den Niederschriften der Berichte lagen.2]

Jonasson und MagnussonK. Jónasson: Viele Krimis haben eine historische oder archäologische Basis, Familiengeschichte oder etwas in der Art.

K. Magnusson: Es ist sehr interessant zu sehen, wie auf einem Roman, der in Reykiavik spielt, mit Drogen, die Personen verlassen nie die Stadt – und auf dem Cover ist eine idyllische Kirche an einem Fjord zu sehen.
K. Jónasson: In Frankreich war es vor 10 Jahren beispielsweise undenkbar, dass man wie verrückt Islandkrimis kaufen würde. Larsson ist im ekeltronischen Bereich der, der am meisten verkauft wird.

Y. Sigurdardóttir: Der isländische Autor schreibt für isländische Leser ... der weiß, dass es diese Morde nicht gibt. Also muss er intensiv am Hintergrund arbeiten, an der Handlung, den Personen, Charakteren, damit die Leute die Bücher lesen und es glaubwürdig wird.

Mit 30 Minuten war diese Veranstaltung viel zu kurz angelegt, um auch nur ansatzweise ausreichend in die isländischen Krimis, ihre Schöpfer und deren Besonderheiten einzutauchen. Wer einen (zumeist werden es dann eher mehrere) von ihnen in seinem Bücherschrank stehen hat, findet viele Ähnlichkeiten zu den allgemein sehr beliebten Skandinavienkrimis, die seit Jahren einen angestammten Platz neben den englischen Krimis oder den italienischen Ermittlern eingenommen haben.

Arnaldur Indridason, der meiner Einschätzung nach inzwischen bekannteste Islandkrimiautor mit seinem Kommissar Erlendur (z.B. Engelsstimme, Gletschergrab, Kältezone - alle Lübbe), Thráinn Bertelsson, Viktor Arnar Ingólfsson oder eben auch Yrsa Sigurdardóttir, die 2005 ihren ersten Kriminalroman veröffentlichte, und mit "Ég man þig" (dt. Geisterfjord) dieses Jahr den sechsten in Deutschland auf den Markt bringt.

Der Direktor von „Sagenhaftes Island“, Halldór Guðmundsson:
„Für uns Isländer ist der Gastlandauftritt schon jetzt ein Erfolg. (...) Wir können sagen, dass wir in Deutschland, aber auch in Österreich und der Schweiz mit offenen Armen empfangen werden: vom Publikum, von den Medien und von den Verlagen. 107 deutschsprachige Verlage haben insgesamt 203 Neuerscheinungen zu Island herausgebracht – das übertrifft alle unsere Erwartungen.“3

Insgesamt wollen 38 isländische AutorInnen auf der Messe anwesend sein, zum Beispiel eben Arnaldur Indriðason, aber auch der diesjährige Preisträger des Nordischen Literaturpreises Gyrðir Elíasson, Sjón und Yrsa Sigurðardóttir ... und viele andere.

Indriðason wird es auch sein, der gemeinsam mit dem isländischen Präsidenten Ólafur Ragnar Grímsson zur feierlichen Eröffnung der Frankfurter Buchmesse am 11. Oktober eine Rede halten darf.

Ich interessiere mich noch ganz besonders für eine Sache: Im Pavillon auf der Freifläche des Messegeländes werden Fotos von IsländerInnen in ihren privaten Bibliotheken gezeigt. Die Kampagne „Komm mit nach Frankfurt“ brachte diese Ausstellung ins Rollen, und wer nicht auf der Buchmesse sein kann, findet einen Teil davon unter "Sögueyjan Ísland, heiðursgestur bókasýningarinnar í Frankfurt 2011" auf Facebook eingestellt (www.facebook.com/sogueyjan.island)

Quelle:
1 "Kristján B. Jónasson über den Island-Auftritt in Frankfurt ", Fragen: Nicole Stöcker, buchreport.magazin 8/2011, http://www.buchreport.de
2 und 3 Pressematerial Buchmesse Frankfurt

Kommentare  

#1 Pisanelli 2011-10-12 14:25
Oh ja, auf Frau Y. Sigurdárdottir habe ich auch vor kurzem entdeckt. Habe eine Buchempfehlung ihres Buches "Glühendes Grab" gesehen und werde ihn mir demnächst reinziehen. Sehr faszinierender Krimi: es geht darum, dass ein vor Jahren von Lava verschüttetes Dorf ausgegraben werden soll und dabei stößt man auf einige Leichen, die vermuten lassen, dass sie nicht wegen des Vulkanausbruchs gestorben sind, sondern wegen Mord. Das Dorf gibt es übrigens wirklich.
Da ich vor kurzem auf Sizilien war und mir den Ätna angesehen habe, haben Vulkane eine ganz neue Faszination für mich gewonnen ;-)
#2 McEL 2011-10-13 01:11
Zitat:
Und wenn man Lesemenschen danach fragt, was für sie DAS Islandgenre ist, landet man vermutlich in erster Linie bei den Islandkrimis.
Nee, für mich sind das immer noch die alten Sagas. Einige davon sind mindestens so spannend wie mancher Krimi (oder sogar spannedner) ;-)
#3 Kerstin 2011-10-13 21:18
Mir persönlich sind auch erst mal die alten Sagen eingefallen, Götter- und Heldengeschichten, Wikinger usw.

Die für uns fremdartige, faszinierende Landschaft eignet sich bestimmt besonders gut, um sie in Verbindung mit Action und Spannung zu bringen, sei es im modernen Krimi oder dass die Schwerter über Feuer und Eis klirren.

Dass ich bisher nicht viele Islandkrimis gelesen habe, hat zwei Gründe: 1. spielen einige ganz oder teilweise in der Stadt - für mich Verschwendung von Potential, denn Stadt gibt es überall und das ist nicht wirklich einmalig und 2. komme ich immer nicht so recht an die Serien um einen bestimmte Ermittlergestalt heran.

Aber ausschließen will ich es nicht, dass ich nicht doch mal so eine Serie anfange zu lesen, wenn mir danach ist und die Serie gut ist (also nicht dauernd das Privatleben des Ermittlers wichtiger erscheint als der Fall, oder sogar eine der zur Zeit sehr beliebten Verstrickungen beider vorliegt).

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