Ringo`s Plattenkiste: Ringo`s Christmas
Ringo`s Christmas
Weihnachten ist die Zeit der Nächstenliebe, des Friedens, der Besinnlichkeit. Weihnachten, das ist der Duft von Zimt, Nüssen, Mandarinen und Tannennadeln. Weihnachten ist die Zeit, in der man seine Liebsten beschenkt, ein Nadelgewächs aufstellt, es bunt mit allerlei Tand behängt und voller Glückseligkeit davor sitzt, seine Geschenke mit kaum verhohlener Gier aufreißt und deren Wertigkeit innerlich mit dem vergleicht, was man selbst geschenkt hat. Weihnachten ist besinnliches Binge-Eating, Weihnachten ist der Horror der Anorektiker, Weihnachten finden Bulimiker im wahrsten Sinne des Wortes zum Kotzen. Weihnachten ist die Zeit der vollen Kühlschränke, des aufwendigen Kochens (man gönnt sich ja sonst nichts) und des übermäßigen Essens und Trinkens. Und das alles im Namen des Herrn, der an diesem Tag geboren wurde und dessen man eigentlich gedenken sollte. Nicht gewusst? Tatsächlich ist es so, aber leider ist es weitgehend zur Nebensache geworden. Ähnlich, wie sich manche Kunden heutzutage darüber wundern, dass es bei Tchibo auch Kaffee gibt und nicht nur China-Klamotten und Schnickschnack, den niemand braucht. Seien wir doch mal ehrlich: Weihnachten ist längst nicht mehr das, was es eigentlich sein sollte. Zu Weihnachten klingeln die Kassen, ein jeder ist im Kaufrausch und versucht seine Nachbarn an Besinnlichkeit, die ihren Ausdruck in orgiastischer Festbeleuchtung findet, zu übertreffen. Mit Weihnachten lässt sich Kohle scheffeln, denn bei den Menschen sitzt das Geld locker, was sich unter anderem daran zeigt, dass für diese 3 Tage eingekauft wird, als stünde der nächste Lockdown bevor. Nur vom Besten, nur vom Feinsten, nur vom Teuersten. Das hat auch die Musikindustrie entdeckt, denn die Zahl der Weihnachtslieder ist Legion. Es braucht nur ein wenig Bimmelglöckchenbegleitung im 4/4-Takt zu einem beliebigen Song, und schon ist es ein Weihnachtslied. Aber auch fernab vom Mainstream gibt es weihnachtliche Songs, die sich teils kritisch mit dem ganzen Rummel auseinandersetzen oder ihn karikieren. Und das ist unser heutiges Thema: Weihnachten in der Rockmusik. Und dafür habe ich einige Songs herausgesucht, die teilweise nicht auf Platte erschienen sind. Songs von Bands, denen man nicht zugetraut hätte, dass sie Weihnachtslieder eingespielt haben, Songs von Bands, die bereits hier in der Plattenkiste zu Gast waren. Ein bisschen bekanntes Material ist dabei, aber den Großteil werdet ihr nicht kennen.
Ich beginne mit einem der bekanntesten Weihnachtssongs der Prog-Musik.
I believe in Father Christmas ist ein Song aus der Feder von Greg Lake, der die Musik zu einem Text von Pete Sinfield komponierte. Sinfield setzt sich in seinen Lyrics mit Kindheitserinnerungen, Weihnachtsklischees und der Kommerzialisierung des Festes der Stille und des Friedens auseinander. Der 1974 aufgenommene Song wurde 1975 als Single veröffentlicht und erschien 1977 in einer alternativen und aufgepeppten Version auf Works Vol II des Trios Emerson, Lake & Palmer (Ringo berichtete). Der Instrumentalpart zwischen den Strophen stammt übrigens aus „Sergei Prokofiev's Lieutenant Kijé Suite“.
Yes (Ringo berichtete): The Gift of Love ist ein typischer Longtrack der Alt-Progger und stammt vom 2019er Mini-Album „From a Page“. Teile des Songs waren ursprünglich für ein Chris Squire Soloalbum gedacht, wurden aber doch nicht verwendet.
Auch Jethro Tull (Ringo berichtete) hat sich dem Thema gewidmet, mehrmals sogar, und auch ausgiebig mit einem ganzen Album. A Christmas Song setzt sich kritisch mit dem Weihnachtsrummel auseinander, wie sich das in den Siebzigern für die langhaarige und aufmüpfige Generation neuer Musiker eben gehörte:
„So how can you laugh when your own mother's hungry,
and how can you smile when the reasons for smiling are wrong?
And if I just messed up your thoughtless pleasures,
remember, if you wish, this is just a Christmas song“
Der Song erschien 1968 als Single, 1972 auf der Kompilation Living in the Past und schließlich 2009 in einer neu aufgenommenen Version auf dem Christmas Album.
The Pretenders: 2000 Miles ist ein wunderschöner eingängiger, leicht wehmütiger Song der Band um Frontfrau Chrissie Hynede aus dem Jahr 1983.
„He's gone two thousand miles
Is very far
The snow is falling down
Gets colder day by day
I miss you
I can hear people singing
It must be Christmastime
I hear people singing
It must be Christmastime“
Frank Zappa hat sich mit seinen Mothers of Invention (Ringo berichtete) in seiner typischen Art satirisch mit X-Mas auseinandergesetzt: Uncle Bernies Farm karikiert den Konsumrausch des Fests der Stille und beschreibt, mit welch sinnlosen und auch gewalttätigen Produkten die Industrie Geld scheffelt.
„There's a man who runs the country
There's a man who tried to think
And they're all made out of plastic
When they melt they start to stink
There's a book with smiling children
Nearly dead with Christmas joys!
And smiling in his office
Is the creep who makes the toys“
Der garstige Song erschien übrigens 1967 auf dem Album Absolutely free.
Die Electronic-Punker Shock Therapy um GreoryJohn McCormick veröffentlichten 1994 ein Album mit dem sperrigen Titel Santa's Little Helper: Rarities, Oddities And Other Festive Diseases, auf dem sich neben anderem Material auch einige Weihnachtslieder befanden. X-Mas Time again ist ein wenig besinnliches Weihnachtslied mit bösem Text, wie es sich für die Band eben geziemt, aber nichtsdestotrotz sehr eingängig.
Van der Graaf Generator (Ringo berichtete) haben Weihnachten live auf die Schippe genommen. An Epidemic of Father Xmas wurde am 14. 12. 1971 für John Peel aufgenommen, zusammen mit Refugees und Lemmings.
Vorzeigehippie Jerry Garcia und Grateful Dead (Ringo berichtete) waren vor allem live stets für Überraschungen gut. Run Rudolph Run ist eine schmissige Coverversion des 58er Chuck Berry Songs, der musikalisch stark an Johnny B. Goode angelehnt ist
Thank God It's Christmas ist ein Weihnachstlied von Queen aus dem Jahre 1984 und wurde von Brian May und Roger Taylor geschrieben. Sehr schwülstig und überzuckert.
Von den Neo-Proggern Marillion erschien 2014 eine Kompilation, die ausschließlich Christmas-Songs enthält: A Collection of recycled Gifts: The Carol Of The Bells war ursprünglich ein altes ukrainisches Volkslied, das vom US-amerikanischen Komponisten ukrainischer Abstammung Peter J. Wilhousky bearbeitet und mit einem völlig anderen Text versehen wurde. Marillion haben im Laufe der Jahre immer wieder Weihnachtssongs aufgenommen, die ausschließlich im Rahmen ihres Fan-Programmes erhältlich waren, ebenso wie die oben erwähnte Kompilation.
The Residents (Ringo berichtete) haben gleich eine ganze Platte mit zünftiger Weihnachtsmusik veröffentlicht: Santa Dog war die allererste Veröffentlichung der Exzentriker aus San Francisco. Es handelte sich um 2 Singles in Hüllen, die im Siebdruckverfahren bedruckt waren und eine Auflage von 500 Stück hatte, von denen tatsächlich nur 400 verwendbar waren. Santa Dog, ein Anagram von Satan God ist ein Dackel in einem Weihnachtsmannkostüm.
The Pale Fountains sind eher eine Popband, denn eine Rockgruppe. Ich widme ihnen aber dennoch einen Platz, da ich die Band gerne höre. Benoits Christmas stammt vom 1995er Album Longshot for your love.
Durutti Column ist eine experimentelle Rockband aus dem Labelumfeld von Joy Division und Cabaret Voltaire. One Christmas for your Thoughts ist ein verspieltes Instrumental, das tatsächlich, bis auf den Titel, überhaupt nichts mit Weihnachten zu tun hat.
Cabaret Voltaire war eine electronic/Industrialband um Richard H. Kirk und Stephen Mallinder. Der Song Invocation stammt von Chantons Noël - Ghosts Of Christmas Past, einer Kompilation aus dem Jahre 1981 mit schrägen und avantgtdistischen Weihnachtsliedern.
Auch das musikalische Kunstprojekt Tuxedomoon (Ringo berichtete) nahmen einen Weihnachtssong auf, wie er schräger nicht sein könnte. Der Text vom Weihnachts Rap wird tatsächlich auf Deutsch vorgetragen und ist kaum verständlich.
Pink Floyd haben 1969, kurz nach Fertigstellung des Doppelabums Ummagumma für die BBC einen Weihnachtssong aufgenommen, der nie auf Vinyl erschien: Merry Xmas Song glänzt durch den surrealen Text, der gesanglich von Drummer Nick Mason vorgetragen wird.
Kaum zu glauben, aber auch die Nekro-Rocker Alien Sex Fiend haben einen Weihnachtssong aufgenommen. Stuff the Turkey ist ein typischer ASF-Kracher im minimalistischen Achtziger-Gewand und wartet mit einem derb-zotigen Text auf. Der Song erschien 1987 auf dem Album Here come Germs.
Stuff the turkey
Stuff the turkey
It's no time to fast
Enjoy this christmas
It might be your last
Auch die Düstermänner um den leider viel zu früh verstorbenen Peter Steele, Type-O-Negative haben sich des Themas Weihnachten angenommen. Red Water ist ein sehr stimmungsvoller, schleppender Song vom October Rust Album. Der Text, wie könnte es auch anders sein, ist aber wenig besinnlich. Steele setzt sich hier damit auseinander, wie depressiv die bunten und fröhlichen Feiertage machen können. Mit zunehmendem Alter, mit zunehmender Vereinsamung.
They might be Giants, eine US-Amerikanische Independent-Band, dieren Markenzeichen sehr kurze Songs und eine sparsame Instrumentierung sind, haben mit ihrem Zweiminüter Santa's Beard vom 1988er Album Lincoln einen amüsanten Weihnachtssong abgeliefert. Der Sänger erzählt in der Ich-Form von seiner Eifersucht auf den Weihnachtsmann. Ob nun auf den echten oder einen seiner zahlreichen Impersonatoren geht aus dem Text nicht genau hervor.
Weil Weihnachten und Neujahr irgendwie zusammengehören und ich in diesem Artikel unbedingt noch Ron Geesin (Ringo berichtete) unterbringen wollte, von dem ich aber leider kein Weihnachtslied gefunden habe, mache ich ihm zuliebe einen gaaanz faulen Kompromiss und präsentere euch ein Neujahrslied von ihm!
New Year Ear ist ein mit Banjo unterlegtes Neujahrslied, das 1976 eingespielt, aber bis 2003 nie veröffentlicht wurde. Geesin verfasste für die BBC eine Sammlung von Tracks, die sich mit Neujahr musikalisch auseinandersetzte und als Bonusmaterial von Right Through unter dem Titel Sour New Year erschien. Rülps!
© by Ringo Hienstorfer (05/2024)
Ach ja: Frohe Weihnachten uns allen!
Wir lesen uns im nächsten Jahr wieder bei einem Artikel, in dem es um einen tonnenschweren Wellensittich geht...
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