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... Dr. Florian Marzin über 3000, 60 und neue Aufgaben

Jerry Cotton... Dr. Florian Marzin ...
... über 3000, 60 und neue Aufgaben

3000 Romane der eigenen Serie, 60jähriges Dienstjubiläum und nun auch noch eine Beförderung. Das Leben des FBI-Agenten Jerry Cotton wird gerade umgekrempelt. Neuer Job - Neue Wohnung - Neue Stadt. Das ist für einen New Yorker nicht so einfach.

Da haben wir die Gelegenheit ergriffen, den redaktionell Verantwortlichen Dr. Florian Marzin zu befragen was denn da nun genau passiert ...


Good Bye New YorkZauberspiegel: Herzlichen Glückwunsch zum 3000. Band der Jerry Cotton-Serie. Ist es ein bisschen was Besonderes eine Serie zu einem solchen besonderen Band redaktionell zu betreuen?
Florian Marzin: Na ja, die eigentliche Arbeit beginnt lange vorher. Da sind zuerst einmal die Erwartungen der Leser an einen solchen Band. Da kann man nicht einfach ein „normales“ Heft machen. Es muss schon etwas Besonderes sein, und ich hoffe, das ist uns gelungen. Wir haben uns bewusst an den legendären 500er Band angelehnt. Also: doppeltes Heftromanformat, 96 Seiten Inhalt und noch ein paar Extras. Der Roman selbst soll natürlich auch etwas Besonderes sein. Der Band 3000 ist ein guter Anlass, die Weichen mal neu zu stellen und ein paar Veränderungen einzuführen. Nicht, dass wir alte Zöpfe abgeschnitten hätten, aber neu geflochten haben wir sie schon. Die redaktionelle Arbeit war sehr intensiv, da im Band 3000 die Grundlage für alle folgenden Bände gelegt werden musste.

Zauberspiegel: Die Serie erlebt in diesem Roman einen Wendepunkt. Cotton, Decker und ihr Chef verlassen New York und gehen als Chef (High) und Inspectoren zur Field Operation Section East.
Was hat den Verlag und Dich zu diesem Schritt bewogen?
Florian Marzin: Eine Serie kann nur durch Veränderung bestehen. Es müssen immer wieder neue Impulse einfließen, die sich allerdings nicht darauf beschränken können, neue Figuren einzuführen. Das heißt jetzt nicht, dass Jerry Cotton auf Schimanski umgebürstet wird oder sich mit Frau und Kindern herumschlagen muss (hat ein Autor mal allen Ernstes vorgeschlagen) oder andere meist ziemlich planlos anmutenden Aktionen. Auch eine neue Figur mit direktem Bezug zu den Hauptprotagonisten (Will Cotton) einzuführen oder eine Hauptfigur (Phil Decker) aus der Serie zu entfernen, hat sich nicht als der Renner erwiesen. Ich hatte schon lange über eine Veränderung nachgedacht, und schließlich war der Band 3000 ein guter Anlass, ein paar Dinge im Setting der Serie zu verändern. Eine solche Veränderung ist immer auch eine Gratwanderung zwischen Bewahren und Erneuern. Dazu muss man sich ernste Gedanken machen, was die Serie ausmacht und wie man diese Essentials in eine neue Umgebung transferiert.
In diesem Fall war der grundsätzliche Gedanke, den Hauptfiguren (Jerry & Phil) ein größeres Betätigungsfeld zu eröffnen. New York war einfach zu klein geworden, und wenn sie aus New York herausgingen, dann mussten – manchmal auch sehr holprige – Erklärungen dafür gefunden werden. Das Personal war zu statisch geworden. Immer die gleichen Figuren, die in ihrer Charakterisierung seit Jahren festgefahren waren und die häufig nur das fünfte Rad am Wagen waren. Weitere neue Agents einzuführen hätte den Figurenpool einfach nur aufgebläht, bis schließlich kein Autor mehr wirklich damit umgehen könnte. Die in Band 3000 gewählte Variante bringt neue Figuren ins Spiel und befreit sich von den „Altlasten“. Auf einer Autorenkonferenz im Vorfeld haben wir lange diskutiert, welche Figuren wir mit nach Washington nehmen. Z.B. Helen, aber was sollte sie in Washington machen, Kaffee kochen? Wir sind dann gemeinsam zu dem Schluss gekommen, dass wir außer Mr High, Jerry und Phil keine Figur mit in die Romane nach 3000 nehmen.

Zauberspiegel: Wird Jerry Cotton so gar nicht mehr nach New York zurückkehren oder kann er hier und da mal seinen alten Kollegen unter die Arme greifen?
Florian Marzin: Wahrscheinlich eher selten. Jerry & Phil waren jetzt 60 Jahre und 2999 Bände in New York, das genügt eigentlich. Natürlich kann ihre Arbeit als Inspektoren sie auch mal nach New York führen, aber sicher nicht zu internen Ermittlungen. Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass die beiden unter besonderen Umständen auf vertrauenswürdige Agents aus New York zurückgreifen. Es würde sich da besonders Blair Duvall anbieten.

Zauberspiegel: Was wird denn aus Helen und ihre Kaffee, Zeerokah oder Steve Dillagio?
Florian Marzin: Helen wird weiter Kaffee kochen, doch ab jetzt hauptsächlich für ihren neuen Chef Steve Dillaggio, der die Nachfolge von Mr High antritt. Alle anderen Agents versehen weiter ihren Dienst, allerdings wird der Jerry Cotton-Leser nichts mehr - oder nur sehr wenig - davon erfahren.

Zauberspiegel: Jerry Cotton nicht mehr in den Straßenschluchten New Yorks. Was heißt für künftige Romane? Wie verändert sich die Serie durch diesen Schritt? Welche Möglichkeiten ergeben sich dadurch für die Autoren?
Florian Marzin: Wie schon erwähnt, war der Aktionskreis von Jerry Cotton nie wirklich gänzlich auf New York beschränkt. Jetzt hat er sich zuerst einmal auf die Field Operation Section East ausgeweitet, das ist der Bereich der gesamten Ostküste von Florida bis Maine und nach Westen bis zu einer Linie, die sich von der Südspitze des Lake Michigan an den westlichen Grenzen der Staaten Indiana, Kentucky, Tennessee, Mississippi bis zum Golf entlangzieht. Dazu kommt noch, dass sie Auslandseinsätze wahrnehmen. Die Autoren müssen jetzt als Wichtigstes bedenken, dass Jerry und Phil als Inspektoren sich in leitender Funktion befinden und mit wesentlich mehr Autorität auftreten müssen – auch gegenüber Kollegen. Andererseits haben die Fälle, bei denen sie zum Einsatz kommen, per se größere Dimensionen.

Zauberspiegel: Jerry Cotton bekommt also ein größeren ›Spielplatz‹. Das eröffnet viele neue Möglichkeiten. Romane in der US-Provinz. Gibt es aber auch Themenfelder, die für einen Cotton-Roman tabu sind? Wenn ja, welche?
Florian Marzin: Im Prinzip gibt es keine Tabuthemen, aber es gibt einige Themen, die ich eher ablehne als annehme. Dazu gehört Kindesmissbrauch/Kinderpornografie. Nicht, dass ich das nicht verurteilen oder die Existenz leugnen würde, aber dieses Thema ist so sensibel und diffizil, dass ich glaube, es ist kein Thema für einen Heftroman, in dem man doch eher plakativ arbeitet. Es wird auch für die Autoren zu kompliziert, sich mit der genauen Rechtslage z.B. in den USA, vertraut zu machen. Diese Probleme sind auch schon in anderer Form aufgetaucht, z.B. wenn es in einem Jerry Cotton-Roman um die Vernehmung eines Kindes oder eines Jugendlichen geht. Dem kann Jerry oder Phil nicht einfach, seine Fragen stellen, da müssen Erziehungsberechtigte, gegebenenfalls Psychologen oder das Jugendamt anwesend sein etc.
Auch Terrorismus-Themen lehne ich ab. Die sind einfach zu platt. Die Psychologie des Täters ist zu einfach und die Beweggründe sind von vornherein klar.

Zauberspiegel: Cotton-Romane gibt es nun nicht 3000 Bände der eigenen Serie sondern auch 60 Jahre. Du bearbeitest ja auch die Cotton Classic Romane. Wie läuft da die Auswahl der Romane und wie hat sich Deiner Meinung nach die Serie über vergangenen sechzig 60 Jahre hinweg verändert?
Florian Marzin: In den 50ernund frühen 60ern Jahren bestand das typische Jerry-Cotton-Frühstück aus 3 Spiegeleiern und 2 Scotch, danach eine Zigarette. Am Abend unternahm man dann auch mal mit minderjährigen Mädchen (jede Frau, die nicht verheiratet war, wurde damals - auch im Alter von 30 Jahren – als Mädchen bezeichnet) einen Streifzug durch die Bars, die Namen wie Zum Kutscher oder Zum fröhlichen Seemann trugen und in denen Männer am Tisch saßen, die Skat spielten. Auseinandersetzungen mit Gangstern wurden auch mal mit Maschinengewehren und Handgranaten geführt. Menschen mit dunkler Hautpigmentierung waren nicht nur Neger, sondern häufig auch Nigger.
– und damit wäre in Kurzform die Frage beantwortet.

Zauberspiegel: Jerry Cotton ist der ›deutsche‹ FBI-Agent. Er hat seine Konkurrenten wie »Jeff Conter« und auch die privaten Ermittler wie »Kommissar X« um Jahrzehnte überlebt. Was ist das Erfolgsgeheimnis der Serie oder gibt es gar keins?
Florian Marzin: Das grundsätzliche Erfolgsgeheimnis ist wohl, dass Jerry Cotton der Erste war – das Original. Ähnlich wie bei Perry Rhodan, der auch häufig kopiert wurde, wobei die Kopien aber nie den Erfolg des Originals erreichten.

Zauberspiegel: Besten Dank fürs Interview und weiterhin viel Erfolg …
Florian Marzin: Vielen Dank – und wie kann man so schön über Jerry und Phil sagen: Born 1954 still going strong.

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