... Steffen Meier über den »dpr«, das (digitale) Verlegen und Selbst-Verlegen
... Steffen Meier ...
... über den »dpr«, das (digitale) Verlegen und Selbst-Verlegen
: Im Kern ist der dpr (genauso wie viele andere Verlage) eine Art Schnittpunkt bzw. Service zwischen Informationen oder Geschichten auf der einen und einer Zielgruppe, Community auf der anderen Seite. Wir bündeln Informationen zu digitalen Entwicklungen und Erfahrungen daraus in einem Magazin-Format und geben diese an unsere Zielgruppe, Medienmenschen, die in der einen oder anderen Form von diesen Entwicklungen betroffen sind, weiter. Das geht von digitalen Produkten über Distribution bis hin zu Marketing, Social Media usw.
: Der ursprüngliche Anstoß dazu war die Beobachtung, dass viele der Kolleginnen und Kollegen in der Medienbranche relevante Entwicklungen nur mit großem zeitlichen Aufwand für sich selbst einordnen und im Auge behalten können. Insofern verstehen wir den dpr auch primär als Service für die Branche, weniger als bestimmtes Medium. Deswegen sehe ich auch Begrifflichkeiten wie „Buchverlag“ mitunter etwas kritisch. Hier werden zum Beispiel in der Belletristik erstmal Geschichten gesammelt, kuratiert, veredelt und weitergegeben, die Produktform sollte in meinen Augen zweitrangig sein.
: Digitales Publizieren ist doch im Endeffekt nur eine Teilmenge dessen, was wir tagtäglich erleben – die Digitalisierung unseres Lebens, privat wie beruflich. Wir konsumieren Nachrichten oder kommunizieren auf Smartphones, schauen Filme auf Netflix, steuern den Herd und die Beleuchtung daheim per App oder SmartSpeaker usw. Auch unser Arbeitsleben wird immer digitaler. Man schaue sich nur dieses Interview an, das auf Facebook zustande kam. Insofern ändern sich natürlich auch Produktformen, weg vom Gedruckten hin zu digitalen Content-Einheiten. Das können E-Books sein, aber auch Blogs, Geschichten auf Facebook oder Instagram usw. Und der Konsum verändert sich ebenso, die alte 1 Produkt – 1 Preis-Regel gilt heute bei Inhalten nicht mehr.
: Prinzipiell ist das Sache zwischen dem einzelnen Verlag und dem einzelnen Autor oder Autorin. Will heißen: hier kann so gut wie alles oder so gut wie nichts erfasst werden. Da das Urheberrecht beim Autor liegt, kann dieser auch vollumfänglich über seine Inhalte verfügen. Ich kenne viele Urheber, die nur Teile der Verwertung an Verlage weitergeben, heute gerne Hybrid-Autoren genannt. Dann liegt beispielsweise die Printverwertung beim Verlag (idR weil der Autor sein Werk in den Buchhandel bringen will), während die digitalen Rechte beim Autor verbleiben und er oder sie dort quasi als Selfpublisher auftritt. Ähnliches gilt bei weiteren Verwertungsformen, zB Flatrates, diese kann der Autor inkludieren oder eben auch nicht.
: Ich bin jetzt kein Jurist aber grundsätzlich ist die (dringend angeratene) vertragliche Grundlage bindend. Es gibt durchaus Verträge, in deren Rahmen alle Verwertungsrechte beim Verlag liegen – das ist nicht ungewöhnlich. Falls nicht müssen meines Wissens alle weiteren Verwertungsformen mit dem Autor abgesprochen und geklärt werden.
: Was man heute gern übersieht: die Rolle des Produkts als Marketingobjekt. Natürlich stellt sich immer die Frage nach einer Kannibalisierung, aber das muss man eben austesten. Gerade Selfpublisher, die kleinere Inhaltseinheiten eines größeren Werks anbieten (die Romanhefte der sechziger sind da ein schönes Vorbild) können das durchaus nutzen. Warum nicht mal den ersten band einer Reihe als Trigger anbieten? Oder eine komplette Reihe in einem Bundle, um damit Werbung für eine andere Reihe des Autors zu machen? Eine pauschale Aussage, ob so etwas gut oder schlecht funktioniert, kann man natürlich nicht machen. Und am Ende entscheidet immer die Qualität des Produkts. Mist, kostenlos angeboten, ist immer noch Mist.
: Als Autor bekommt man diese vom Verlag oder als Selfpublisher von den vertreibenden Plattformen. Das hat dann natürlich auch viel mit Vertrauen zu tun („Stimmen die Zahlen eigentlich?“) und gerade Verlage geraten mit ihren Quartals- oder Halbjahresabrechnungen angesichts von Amazon und Co. mit täglichen Zahlen gern unter Kritik. Die Kennzahlen bleiben dabei eigentlich die alten, primär Absatz und Umsatz. Vor allem die Relation zwischen beiden muss man etwa bei Preisaktionen im Auge behalten. Ein hoher Absatz bei kaum erfolgtem Umsatz bringt am Ende des Tages wenig – ausser der Marketingeffekt erzeugt weitere Umsätze, etwa aus der Backlist. Das ganze dann natürlich auf Zeitachse, um zu sehen, wie die Absatztrends aussehen. Wer über eine Fanbase verfügt, kann sich natürlich dort die Entwicklung anschauen, wer im Mail-Marketing aktiv ist, die Empfängeranzahl und -reaktionen usw.
: Auch hier sind Pauschalisierungen schwierig, aber zumindest lässt sich sagen, dass sich digitale Kommunikation massiv in die sozialen Netzwerke verlagert hat. Zum Beispiel funktioniert Autorenacquise und -kommunikation zu einem sehr hohen Anteil beim digital publishing report über Facebook und Linkedin – eben weil dort die Autoren aktiv und schnell und gut ansprechbar sind. Dasselbe gilt für die Zielgruppe, die darüber erreichbar ist. Insofern lässt sich sagen: wenn man es gut macht und eine qualitative Zielgruppe erreicht gehört das in die Kommunikations- und Marketingmaßnahmen jedes Autors und jedes Verlags. Ich unterscheide hier übrigens ganz strikt zwischen qualitativen und quantitativen Zielgruppen. Oder etwas salopp formuliert: was bringen mir 1000 Follower wenn diese nie oder kaum interagieren? Da können 100 Follower, die in engem Kontakt zu mir als Autor oder Verlag stehen, deutlich mehr, auch im Abverkauf, bringen. Und hier haben Autoren mit ihrer viel direkteren Beziehung zum Leser auch einen Vorteil gegenüber vielen Verlagen.
: Je nach Reichweite und Zielgruppenausrichtung wirken solche Seiten als starke Multiplikatoren mit hohem Empfehlungswert. Das kann dann eine Menge bringen, vor allem, wenn man als Autor noch ganz am Anfang steht.
: Diesen Rat bieten viele Plattformen selbst an, teilweise auch mit Lektoratsangeboten oder Covergestaltung. Das findet man aber auch in vielen Foren und teilweise auch in den Autorenverbänden, die sich gerade ausbilden, etwa der Selfpublisher-Verband oder speziellen Verbänden für Krimi- oder Phantastik-Autoren. Gerade am Anfang ist es gut, sich auch ein Kollegen-Netzwerk aufzubauen.
: Die Frage lässt sich allgemein so nicht beantworten. Ich könnte umgekehrt fragen: welches Automobilunternehmen wird es in 10 Jahren nicht mehr geben? Da hilft nur das Gespräch und die gegenseitige Erfahrung zwischen Autor und Verlag. Brutal ausgedrückt kann es einem Autor auch teilweise egal sein, wer keinen Murks mit den Autorenverträgen gemacht hat, behält diese ja, selbst wenn ein Verlag in die Insolvenz rauscht.
: Auch hier ist eine Pauschalisierung schwierig. Es gibt Verlage, die sich auf typografisch wunderschön gestaltete Print-Bücher fokussieren und gutes Geld damit verdienen – ohne ein einziges E-Book im Angebot zu haben. Und es gibt rein digitale Verlage, die konstant und pfiffig einen digitalen Markt mit E-Books bedienen und ebenfalls gutes Geld machen. Neben all den Verlagen, die beide Produktformen anbieten.
Die Begrifflichkeiten „digitales Publizieren“ und „klassisches Publizieren“ sind auch etwas irreführend. Für viele entstehen hier Gegensätze, die gar keine sind. Heutzutage kann man aus sehr vielen Medienformen die für einen selbst beste auswählen, als Nutzer, als Leser. Das gab es so in der Vergangenheit nicht. Und im Gegensatz zu früher, als es beispielsweise überhaupt nur gedruckte Bücher gab (neben Radio, TV und Kino), müssen Medienanbieter mehrkanalig arbeiten oder in komplett neuen Medienformen denken und arbeiten. Das ist naturgemäß nicht einfach. Insofern würde ich auch nicht sagen, dass Verlage etwas falsch machen – die meisten kämpfen nur eben mit der Veränderung des Medienkonsums. Es ist sicher nachvollziehbar, dass es für einen Buchproduzierenden Verlag nicht einfach ist, Inhalte und Produktformen für die Generation Snapchat anzubieten.
: Man könnte das böswillig auch andersherum formulieren. Sicher hat man bei gedruckten Büchern eine größere Produktvarianz als bei E-Books. Wobei jemand mit geschultem Auge durchaus erkennt, dass in Print inzwischen auch hochgradig standardisiert gearbeitet wird. Beim E-Book kann man typografisch durchaus Großes leisten, aber für den Leser wirkt das alles erstmal sehr eingeschränkt. Dafür steht der Inhalt mehr im Mittelpunkt. Ich lese lieber ein flowable, nicht sehr aufwendiges E-Book mit grandiosen Geschichten auf einem E-Reader als festzustellen, dass ein Buch zwar mit Leinenband und hübschem Lesezeichen daherkommt, dafür der Inhalt grottig ist. Von der Form auf den Inhalt schließen ist bis hin zum Zwischenmenschlichen eine schwierige Sache.
Ganz prinzipiell wird es sich aber sicherlich dahin entwickeln, dass wir in Print eine Gestaltungsreconquista erleben werden – im englischen gibt es den schönen Begriff des „Coffee Table Books“. Diese wird aber eine eingeschränkte Leserschaft finden, Vinyl lässt schön grüßen. Daneben entwickelt sich ein großer Inhaltemarkt nicht typografieabhängigen Contents, viel im Bereich der Belletristik, aber auch Fachinformationen, die ihren Nutzen daraus ziehen, dass digitale Inhalte viel schneller und effektiver aktualisiert werden können denn gedruckte.
: Viele Verlage haben solche enhanced E-Books zu Beginn des damals boomenden E-Book-Marktes ausgetestet. Fakt ist: die Produktion ist aufwendig, viele klassische E-Reader können dies aber gar nicht korrekt darstellen – ich sage nur Epub2- vs. Epub3-Standard. Entsprechend niedrig ist auch der Absatz dieser Produkte. Eine Art Henne-Ei-Problematik. Deswegen gibt es übrigens auch solche Einrichtungen wie den E-Book-Award, um technologische und inhaltliche Weiterentwicklungen zu fördern. Fakt ist im Moment, dass der Massenmarkt im E-Book ähnlich dem Taschenbuchmarkt ist – Fließtext eben.
: Ach, ich würde mich als Verlag oder Autor nicht sonderlich für solche Markterhebungen oder Prognosen interessieren. Der Börsenverein des deutschen Buchhandels spricht von etwa 2.200 Verlagen oder verlagsähnlichen Konstrukten hierzulande, die teils sehr unterschiedliche Zielgruppen mit unterschiedlichen Inhalten anspricht. Was nützt mir da eine Zahl, die den deutschen E-Book-Markt in Prozent angibt? Nichts. Es gibt Verlage, die bedienen eine bibliophile Zielgruppe mit wunderschönem Totholz, es gibt wissenschaftliche Verlage, die Print nur noch on Demand anbieten und ihr Geld mit digitalen Inhalten machen.
Nochmal: Entscheidend ist meine Zielgruppe, meine Leserschaft, die heute mehr und mehr über Produktform und dessen Auslieferung entscheidet. Ob im Jahr 2050 der Digitalanteil bei 70% liegt oder nicht kann mir, wenn ich das als Autor oder Verlag berücksichtige, reichlich egal sein. Probleme werden nur die bekommen, die eine Produktform präferieren oder weiter betreiben, die niemand will. Eigentlich eine Binsenwahrheit.
: Nochmal: man muss auf Absatz UND Umsatz schauen. Und vor allem keiner Statistik trauen, die man nicht selbst gefälscht hat, wie die Statistiker sagen. Entscheidend ist immer die Einzel-Titel- oder Autorenbetrachtung. Vor allem die unabhängigen Autoren, aber auch mehr und mehr Verlage bieten E-Books günstiger an, das führt natürlich zu einer Preisspirale ähnlich dem Preis für Benzin an den Tankstellen. Es gibt auch andere Statistiken, die zeigen, dass E-Book-Leser Viel-Leser sind, dann würde sich das ja ausgleichen. Ganz grundsätzlich gilt: solche Statistiken zur Kenntnis nehmen – und gut.
: Wie immer im Leben muss man hinsehen, wer solche Dinge veröffentlicht – oft genug sind es Anbieter von DRM-Software, da verwundern solche Zahlen nicht. Digitale Inhalte bieten aufgrund der einfachen Kopierbarkeit eben beste Voraussetzungen für Raubkopien, das lässt sich nun mal nicht ändern. Wer vor so etwas Angst hat sollte besser ausschließlich in Print produzieren.
: Im Internet gibt es zwei Währungen: Reichweite und Absatz. Solche Angebote erzeugen zunächst Reichweite – und dem einen oder anderen Autor geht es mit Sicherheit auch zu Beginn der Schriftstellerkarriere darum, gelesen zu werden. Was natürlich nichts daran ändert, dass das illegal ist. Vielleicht sollte man bei der ganzen Thematik auch mal darüber nachdenken, wer in der Mehrheit Nutzer solcher Piraterie-Plattformen sind – zum einen Leute, die den gesuchten Inhalt nicht digital legal verfügbar finden. Vor allem zu Beginn des E-Book-Booms waren oft nur Bruchteile der Verlagsprogramme digital verfügbar. Und die große Mehrheit der Nutzer dieser Plattformen würde sowieso nie für Inhalte zahlen. Insofern führen Fragen wie „Welcher Schaden wird angerichtet?“ oder „Welche Werbewirkung hat so etwas?“ rein spekulativ zu beantworten.
: Am besten stellt man sich zukunftssicher auf indem man keine Sicherheit in Zukunft erwartet. Zu schnell sind Entwicklungen, technologisch wie gesellschaftlich. Sinnvoll ist es allemal, sich als Geschichtenerzähler und Informationsanbieter zu begreifen und erst dann über die Produktform nachzudenken. Es schadet nie, sich mit anderen in ähnlichen Situationen stärker zu vernetzen. Und am besten sind die dran, die ganz nah an der Zielgruppe sind und einfach gute Geschichten erzählen.
: Gerne!
Foto: Steffen Meier © by Vedat Demirdöven
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