... Karl-Ulrich Burgdorf über Apex und »Delta Omicron«
... Karl-Ulrich Burgdorf ...
... über Apex und »Delta Omicron«
Der Schwerpunkt des 2. Interviews liegt bei der Neuauflage der Karl-Ulrich-Burgdorf-Romane im Apex-Verlag und dem bereits besprochenen »Delta Omicron«.
Dieses Interview wurde per Email im Januar 2019 geführt, parallel zu ... Karl-Ulrich Burgdorf über das Comeback 2013 und »Raven«
: Als Apex sich zur Herausgabe der E-Book-Ausgabe der »Terranauten« entschloß, meldete sich Apex-Verleger Christian Dörge deswegen bei allen beteiligten Autoren, also auch bei mir. Wir kamen ins Gespräch, wechselten einige Mails und telefonierten miteinander, und schließlich fragte er mich, ob ich mir vorstellen könne, meine älteren Werke bei Apex zu veröffentlichen. Damit haben wir nun 2018 begonnen, und 2019 soll es dann weitergehen.
: Das ist sicherlich in manchen – wenn auch nicht in allen – Fällen möglich, aber es würde eine Menge Arbeit erfordern, da ich um die bisherige Handlung herum komplett neue Hintergründe entwickeln müßte. Jetzt machen wir erst einmal die serienunabhängigen SF-Romane, und dann schauen wir, wie es weitergeht.
: Zufällig habe ich gerade Anfang dieser Woche (ich beantworte Ihre Fragen am 16. Januar 2019) Christian Dörge gebeten, deswegen bei Andreas Brandhorst, mit dem ich selber leider nicht mehr in Kontakt stehe, nachzufragen. Vielleicht kann ich Ihnen diese Frage also im 2. oder 3. Teil des Interviews beantworten. Ich empfände es jedenfalls als sehr schade, wenn der Roman nicht wieder erscheinen könnte, da die Geschichte ziemlich rasant ist und darüber hinaus mit einem wirklich faszinierenden, von Andreas entwickelten Außerirdischen aufzuwarten hat.
v : Die wird es frühestens Anfang 2021 geben. Ende 2020 wird nämlich die »Westfälische Reihe«, in der das Buch erschienen ist, eingestellt. Dann fallen alle Rechte daran an mich zurück, und ich muß sowieso über einen neuen Verlag nachdenken – falls »Der Schäms-Scheuß-Virus« überhaupt noch einmal in dieser Form erscheinen soll, was abzuwarten bleibt.
: O ja. Ich habe die sogenannte »neue Rechtschreibung« immer als einen Anschlag auf die deutsche Sprache empfunden, ausgeführt von einer Clique aus publicitysüchtigen Sprachwissenschaftlern, geldgierigen Wörterbuchverlegern und von keinerlei Sachkenntnis beleckten Politikern. Als ich die erste Ausgabe unserer damaligen Tageszeitung aufschlug, die in einer besonders radikalen Form der neuen Rechtschreibung gedruckt war, ist mir regelrecht übel geworden. Später habe ich mich mit ein paar befreundeten Journalisten darüber unterhalten, die mir erzählten, wie schockiert sie gewesen seien, als sie ihre eigenen Texte nach der per Computer erfolgten Umwandlung von der alten in die neue Rechtschreibung gesehen hätten. Mitgemacht haben sie aber trotzdem … was mein Vertrauen in den deutschen Journalismus nachhaltig beschädigt hat. Das, was da auf dem Papier stand, war jedenfalls nicht mehr meine Sprache, und ich verlor jede Lust, überhaupt noch einmal etwas zu schreiben. Das war wenn auch nicht der einzige, so doch einer der Hauptgründe für mein 15-jähriges Schweigen als Autor.
Ein Großteil des ganzen Unfugs, den sich die Sprachwissenschaftler in ihren Elfenbeintürmen ausgedacht hatten, wurde dann ja zum Glück sukzessive zurückgenommen, bis in etwa der heutige Stand erreicht war. Erst da habe ich mir auch wieder Bücher deutscher Verlage gekauft. Selbst schreiben mag ich immer noch nicht in dieser für mein Empfinden absurd falschen Rechtschreibung, aber immerhin erkläre ich mich jetzt damit einverstanden, wenn Herausgeber meine Texte von alter in neue Rechtschreibung übersetzen wollen. Herausgeber, die nicht dazu bereit sind, sich dieser Mühe zu unterziehen, werden allerdings auch weiter auf meine Texte verzichten müssen.
Vor diesem Hintergrund finde ich es ganz großartig, daß Apex-Verleger Christian Dörge seine Autoren selbst entscheiden läßt, ob sie ihre Texte in alter oder in neuer Rechtschreibung veröffentlichen möchten.
In DELTA OMICRON heißt es
»(…) Denn das Listening-Wall-System ermöglichte es, jede Art von Materie auf submolekularer Ebene so umzuprogrammieren, daß sie Informationen aus ihrer Umgebung speichern und auf Abruf wiedergeben konnte. Listening Wall – die lauschende Wand – war das perfekte Abhörsystem, durch das Lauschmikrofone überflüssig wurden. Jede Wand, jedes Möbelstück, ja selbst jedes Kleidungsstück konnte damit zur Abhöranlage umfunktioniert werden. Die Fachleute schlossen nicht einmal aus, daß auf lange Sicht sogar lebendes Gewebe zu Abhörzwecken programmiert werden konnte.
(…) Denn wenn er begriffen hätte, daß eines Tages vielleicht sein eigener Körper die Abhöranlage war, die ihn überwachte, dann hätte er vielleicht sofort Selbstmord begangen.
(…)
Delta Omicron E-Book Seite 30
: No comment. :-) )
: Das ist das Tragische an der Science Fiction: Obwohl wir Autoren uns redlich Mühe geben, unsere Leser vor Fehlentwicklungen zu warnen, treten solche Fehlentwicklungen dennoch mit erschreckender Regelmäßigkeit ein. Statt durch »Listening Walls« werden Sie heute vielleicht durch Ihren Computer, ihren internetfähigen Fernseher, das Spielzeug Ihrer Kinder und durch alle möglichen anderen Geräte Ihres total vernetzten Hauses belauscht. Von den Daten, die Sie in sozialen Netzwerken hochgeladen haben und die dort für den nächstbesten Hacker zur freien Verwendung bereitliegen, ganz zu schweigen. Vielleicht kennen Sie ja den analog zum Begriff »Schwarmintelligenz« gebildeten Begriff »Schwarmdummheit«. Ich fürchte, das trifft das Verhalten von uns Menschen nur zu genau.
: »Delta Omicron« war nicht der erste Roman aus der Welt der Experimentalstation Test, den ich geschrieben habe, sondern der vierte; die drei davor sind unveröffentlicht geblieben, aber natürlich hatte ich dort vieles entwickelt, auf das ich mich dann in »Delta Omicron« beziehen konnte, was die Struktur des Romans hoffentlich ein wenig reichhaltiger gemacht hat. Zwei dieser Romane sind inzwischen so veraltet, daß eine Überarbeitung sich nicht lohnen würde, aber der dritte, in dem Michael Manninghouse erstmals eingeführt wird, bietet sich geradezu für eine Überarbeitung an. Ob ich mich irgendwann an dieses Prequel mache, wird die Zeit erweisen. Wie gesagt: D.V.!
: Ich muß den Anfang A und das Ende B eines Romans oder einer Geschichte kennen und dazu eine Anzahl notwendiger Fixpunkte auf dem Weg von A nach B. Was dazwischen geschieht, überlasse ich gerne meinem schreibenden Ich, das nicht vollständig deckungsgleich mit dem rationalen Ich ist, das Ihnen dieses Interview gibt. Anders ausgedrückt: Ich überrasche mich gerne selbst beim Schreiben. Das Abspulen einer bis ins letzte Detail vorskizzierten Handlung empfinde ich hingegen als äußerst langweilig.
Ein vielleicht nicht ganz uninteressantes Detail: Inzwischen schreibe ich oft gar nicht mehr chronologisch, d.h. entlang der späteren Handlungsreihenfolge. Wenn ich einen Roman oder eine längere Geschichte beginne, kann es sein, daß ich mir am ersten Tag Kapitel 4 oder 7 vornehme und dann am zweiten Tag vielleicht zu Kapitel 1, 6 oder 12 springe. Auf diese Weise sind zum Beispiel die lange Wüstenepisode in »Sklavin und Königin« und die Novelle »Die zweite Maschine« entstanden, die im Laufe des Jahres 2019 in einer von Rainer Schorm und Jörg Weigand herausgegebenen Anthologie erscheinen wird.
Möglich geworden ist diese Arbeitsweise, weil ich in den letzten zehn Jahren sehr viel gewandert bin und diese Wanderungen mit Hilfe von Landkarten sorgfältig vor- und nachbereitet habe, wodurch sich bei mir offenbar ein tieferes Verständnis für die Topografie einer Landschaft herausgebildet hat. Romane und Erzählungen haben für mein Gefühl inzwischen auch so eine Art von Topografie, mit Bergen und Tälern und einer Vielzahl von Wegen, durch die sich verschiedene Orte – die Fixpunkte auf dem Weg von A nach B – miteinander verbinden lassen. Und wie ich auf einer Landkarte im Prinzip an jedem beliebigen Ort beginnen kann, um von dort aus zu anderen Orte zu gelangen, kann ich das auch bei Romanen tun. Wenn ich in diesem Zusammenhang also von »Topografie« spreche, dann meine ich damit etwas sehr Reales; es ist keine bloße Metapher.
: Die Sea Cities aus den »Delphinenspielen« auch in »Delta Omicron« zu erwähnen, war damals ein spontaner Einfall. An eine mögliche »Future History«, einen Burgdorf-Kosmos (danke für die Blumen!), hatte ich dabei nicht gedacht.
: Daß ich sehr visuell schreibe, ist mir natürlich bewußt. Das mag daran liegen, daß ich früher ein eifriger Kinogänger war und mir auch heute noch gerne eine Menge an Filmen anschaue, inzwischen allerdings meist auf DVD. An die Möglichkeit einer Verfilmung meiner Stoffe habe ich trotzdem nie gedacht, obwohl ich eine Reihe von privaten Bekannten im Filmgeschäft habe. In diesem Punkt bleibe ich lieber realistisch.
»In Hinblick auf etwas« zu schreiben liegt mir im übrigen sowieso nicht. Der amerikanische Jazzmusiker Thelonious Monk hat während einer Aufnahmesession mal zu Miles Davis gesagt: »I'll play first and see what it is later.« Oder auch »... and say what it is later« – so genau läßt sich das beim Anhören der Aufnahme nicht entscheiden, weil Monk ziemlich schlimm nuschelt. Das ist ein Motto, das ich mir schon vor langer Zeit zu eigen gemacht habe.