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... Chris Schlicht über Maschinen mit Geist und Seele

Christ Schlicht... Chris Schlicht ...
... über Maschinen mit Geist und Seele

Chris Schlicht kennen wir schon fast so lange wie es den Zauberspiegel gibt, und wir waren (und sind) immer wieder überrascht über die Fähigkeiten der Lady aus Südhessen, die mit Zeichenstift und Schreibfeder gleichermaßen künstlerisch begabt ist. Ihr Faible für Steampunk ist bei mir sehr beliebt, und sie ist immer wieder dazu bereit, bei allen möglichen neuen Ideen (Grillen) mitzumachen, was Horst besonders an ihr mag smile.

Chris SchlichtDieses Jahr erschien der dritte Teil ihrer Romanserie um den Ermittler Peter Langendorf, der in einer wenig einladenden alternativen Welt der Dampfmaschinen und mechanischer Erfindungen versucht, die Gerechtigkeit zum Zuge kommen zu lassen - Maschinengott.

Maschinenseele und Maschinengeist sind im Verlag Edition Roter Drache erhältlich (dazu hier ein Artikel), und hier das Interview mit ihr, das schon längst einmal wieder fällig war

Zauberspiegel: In welches Genre würdest du die Geschichte einordnen?
Chris Schlicht: Es ist Steampunk. Ohne Fantasy, mehr oder minder technisch. Steampunk gilt als Spielart der Science Fiction, in der „Zeit“ nannte man es Retrofuturismus. Ich würde es als dystopische, was wäre gewesen wenn – Regionalkrimis bezeichnen. Ganz grober Überbegriff: Fantastik.

Zauberspiegel: Was ist Steampunk im Buch? Was macht deiner Ansicht nach den Reiz dieses Genres aus?  Wie erreicht man das Flair, das man im Steampunk schätzt?
Chris Schlicht: Was schätzt „man“  am Steampunk? Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Da scheinen sich die Geister zu scheiden. Für „Maschinengeist“ gab es eine (leider mittlerweile gelöschte) Rezension, bei der sich darüber beschwert wurde, dass es so düster und brutal sei und damit kein Steampunk.  Da hatte ich nur noch ein riesiges Fragezeichen im Gesicht. Welche Art Steampunk liest die Rezensentin denn sonst? (Ich habe einen Verdacht, aber gut, der Rest ist genussvolles Schweigen. Ich für meinen Teil konnte nur sagen: Alles richtig gemacht).
Meine Bücher haben das Setting Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert. In England würde man sagen viktorianisch, in meinem Fall eben wilhelminisch. Dazu ein paar durchgeknallte Erfinder, Äther und wundersame Maschinen. Theoretisch möglich. Science Fiction a la Jules Verne. Aber das ist oberflächlich, finde ich. Daher habe ich versucht, die gesamte Welt zu beschreiben. Was machen solche Entwicklungen mit den Menschen? Vor allem außerhalb der High Society? Was geschieht mit der Umwelt.
Das ist für mich der Reiz an Steampunk: was wäre gewesen wenn – mit allem was dazu gehört. Die Entwicklung einer anderen Welt auf Grundlagen dessen, was tatsächlich war. Und zum „Flair“ der damaligen Zeit gehören eben nicht nur elegante Damen in ausladender Tournüre und galante Herren mit Zylinder und Gehrock, die durch gepflegte Parks flanieren und in Villen opulente Feste feiern.
Es gibt da ein hochinteressantes Buch „Dirty old London – The Victorian fight against filth“ von Lee Jackson. Da bekommt man ein wunderbares Bild des Flairs dieser Zeit beschrieben. Zum Beispiel den Bericht einer Dame, was sich alles nach einem kurzen Spaziergang in ihrer Schleppe findet. Das gehört alles dazu und macht eine Steampunk-Welt rund.

Zauberspiegel: Welche Bedeutung, Verbreitung hat Steampunk? Es gab ja vor einigen Jahren eine Phase, in der Steampunk... Wie kann man es nennen? Trendy war? Im Buchmarkt als Begriff eines Subgenres auftauchte, bis es dann relativ schnell als Killerbegriff galt und es hieß, dass man damit keine Bücher verkaufen kann. Würdest du das auch so sehen? Dass Steampunk ein Genrebegriff ist, den man vermeidet, anders umschreibt etc?
Chris Schlicht: Hm, ich habe eher das Gefühl, dass sich da die Spreu vom Weizen trennt. Nachdem allenthalben versucht wurde, einen Hype zu kreieren, der schnell verebbte, kommt jetzt der harte Kern zum Vorschein, der dem Genre treu bleibt – aber eben auch Ansprüche stellt an die Qualität.
Ich weiß nicht mehr, wer den Spruch gebracht hat und in welchem Kontext, aber da kam das geflügelte Wort auf „just put a gear on it and call it Steampunk“. Und das hat wohl den Reiz an dem Genre schnell verebben lassen. Überall prangten Zahnräder auf dem Cover, aber im Inhalt war kein Dampf. Die Ästhetik der damaligen Zeit fehlte.

Zauberspiegel: Wenn ja, wie kam es dazu? Wie groß ist die Zahl an Lesern, die als Zielgruppe in Frage kommen? ist der Buchmarkt inzwischen in so viele Genres, Subgenres, Labels zerfasert, dass es  eher die Frage ist, wie man die Leser seines (SUb)Genres erreicht?
Chris Schlicht: Ist er das? Ich weiß nicht. Ganz ehrlich, ich fürchte, diese Fragen kann ich nicht beantworten. Mir drängt sich eher der Eindruck auf, dass alles zu einem Einheitsbrei verkommt, dem nur immer wieder neue Schlagworte aufgedrückt werden, damit sich überhaupt eine Unterscheidungsmöglichkeit bietet.
Wie groß die Zielgruppe ist, weiß ich nicht. Steampunks, die das Genre leben, interessieren sich möglicherweise gar nicht für die Bücher, weil sie eine andere Welt beschreiben, als sie selbst sich vorstellen. Andere, denen Steampunk im realen Leben egal ist, interessieren sich vielleicht einfach nur für spannende Geschichten in einer fiktiven Historie.
Es ist eben ein Teil des umfassenden Begriffs Fantastik und hat damit möglicherweise eine Leserschaft, die weit über die Gruppe der Steampunks hinaus geht.

Zauberspiegel: Wie wichtig war es dir, dass die Welt irgendwie noch möglich gewesen sein könnte, oder hast du dich vollständig davon gelöst und fabulierst munter vor dich hin?
Chris Schlicht: Da ich mich völlig von Fantasy lösen wollte, sollte es zumindest erklärbar sein.  Kein Gott aus der Maschine, der gordische (Logik-)Knoten zerschlägt und nicht aus der bisherigen Handlung herleitbar ist. Natürlich habe auch ich den Wunderstoff Äther im Programm, der für alles herhalten muss, aber wer weiß schon, ob so etwas nicht tatsächlich irgendwann entdeckt wird. Also quasi ein unendlich vorhandener Energieträger, der nur deshalb teuer ist, weil er aufwändig gewonnen werden … oh, erinnert mich irgendwie an Wasserstoff, aber egal.
Da ich wenig bis gar keine Ahnung habe, was bei der Entwicklung von Maschinen und Geräten noch möglich ist, weshalb ich mich von Science-Fiction in Form von Raumschiffen oder so fernhalte, nehme ich doch lieber das Vorhandene und verändere nur die Zeiten. Dabei halte ich mich aber auch an historische Daten, Fakten und Personen. Eine wilde Mischung. Aber eben machbar. Oder – was den Hintergrund betrifft – eine folgerichtige Entwicklung (Umweltverschmutzung, Armut, Seuchen etc.).

Zauberspiegel: Fiel es dir schwer,  die Atmosphäre zu schaffen, schließlich kannst du nicht immer  nur Dampf durch die Gegend wandern lassen, oder Ruß in der Luft hängen lassen?
Interview mit Chris SchlichtChris Schlicht: Nö. Es ergab sich nur vieles aus meiner früheren Arbeit, bei der ich auch viel im Denkmalschutz unterwegs war und vieles an Anekdoten oder Details mitbekam.
Vor allem kenne ich das Rhein-Main-Gebiet gut. In „Maschinengott“ sagt Peter, dass er von Wiesbaden bis Fechenheim keinen Stadtplan braucht, um sich zu orientieren. Bei mir ist es recht ähnlich. Ich bin aus der Gegend ja auch nie weg gekommen. Und damit war es für mich ein verdammt guter Grund, nicht zu versuchen, meine Stories vor dem Hintergrund des viktorianischen Englands zu schreiben. Ich kenne mich dort und damit nicht aus, könnte also nie den Flair rüber bringen. Und warum sollte Steampunk sich auch auf England und die viktorianische Zeit beschränken. Das gleiche Lebensgefühl, dieselben Voraussetzungen gab es schließlich auch hier.

Zauberspiegel: Wie ist dein Schreibprozess? Planst du detailliert, mit einer Tafel, mit einer Software? Tippst du direkt in eine Dokumentensoftware, oder...? Schreibst du einzelne Teile, die du dann verbindest, oder am Stück?
Chris Schlicht: Ich brauche eine Initialzündung. Die Idee für eine Story. Wenn ich die habe, wird sie schon mal grob notiert. Wo fängt es an, wo endet es. Beschreibungen der Protagonisten sind dann auch schon notiert. Das passiert noch klassisch auf Papier. Ein Notizbuch, das dann beim Schreiben immer neben dem Laptop liegt.
Dann wird eine grobe Struktur getippt: Ein, zwei Sätze zu jedem Kapitel auf dem Weg zum Ende. Und nein, ein extra Programm habe ich nicht. Ich tippe mit Word auf dem Laptop, damit ich immer und überall schreiben kann, wenn mich die Muse küsst, und habe viel Papier dabei.
Interview mit Chris SchlichtWenn dann also die Struktur und die Kapitel stehen, kann ich einfach drauf los schreiben. Wenn ich gerade keinen Bock auf eine Liebesszene habe, überspringe ich das Kapitel erst mal und hacke die Actionszene ein. Oder so. Und dank der Notizen merke ich schnell, wenn es irgendwo klemmt und kann ändern, verschieben ergänzen … Ich hatte schon mal mit einem Autorenprogramm geliebäugelt, es aber immer wieder verworfen. Vor allem, weil ich eben am liebsten auf meinem Notebook arbeite, das einen eher kleinen Bildschirm hat und ich dann gern nur die Sachen vor Augen habe, die ich gerade schreibe. Nix drumherum. Wie ein Papier in der Schreibmaschine. Vielleicht bin ich da altmodisch, aber tausend Funktionsleisten und/oder Hilfespalten mit Notizen würden mich kirre machen.

Zauberspiegel: Du bist ja mehrfach mit Begabungen ausgestattet, du schreibst, arbeitest als Zeichnerin/Illustratorin - was ist dir lieber, macht dir mehr Spaß, wenn man das sagen kann? Hilft es dir beim Schreiben einer Szene, dass du sie auch zeichnen könntest, tust du das vielleicht sogar?
Interview mit Chris SchlichtChris Schlicht: Klar hilft das. In meinem Fall muss das sogar sein. Wenn ich schreibe, habe ich immer Bilder im Kopf. Ganze Settings, Szenen … Und ja, wenn ich nicht gerade irgendeinen Auftrag auf dem Zeichentisch habe, dann werden einzelne Szenen oder Protagonisten auch gemalt. So entstanden auch die Bilder auf den Covern. Sind alle in irgendeiner Form auch auf Papier im Original vorhanden.
Interview mit Chris SchlichtUnd natürlich habe ich mir auch schon ein neues Outfit selbst geschneidert, leider sind Lesungen und Conventions in der letzten Zeit ausgefallen. Ich hoffe, es passt mir noch, wenn es endlich wieder Gelegenheiten gibt.  Auch das gehört zum Steampunk. Selbst machen. Man darf meine Klamotten nur nicht so genau ansehen, meine Schneiderfähigkeiten halten sich in eng gesteckten Grenzen. Zumal ich alles mit der Hand nähe, weil meine Nähmaschine ein Zustand ist, kein Arbeitsgerät. Aber das Ergebnis macht mich schon ein bisschen stolz.
Was ich lieber mache? Kann ich nicht sagen. Es ist situationsabhängig und leider auch abhängig von meinem Gesundheitszustand. Je nachdem wie die Knochen und der Geist so wollen. Wichtig ist für mich alleine, produktiv kreativ zu sein.

Zauberspiegel: Bisher habe ich ja Band 1 und 2 gelesen, Band 3, der diesen Sommer erschienen ist, fehlt noch... Wie gelang es dir, die Handlung über so viele Seiten zu formen, denn die Bände sind ja nicht wirklich dünn, sondern haben jeweils einen ansehnlichen Umfang.
Chris Schlicht: Deshalb führe ich immer nebenher eine Timeline, um nicht ins Schwimmen zu kommen. Vor allem, weil ich meist mehrere Handlungsstränge habe, die am Anfang parallel laufen und sich trotzdem untereinander beeinflussen, bedingen, verstärken. So lange, bis sie dann zusammengeführt werden. Um da nicht die Überblick zu verlieren, schreibe ich das nach Abschluss eines Kapitels als Stichworte mit. Was auf dem Papier ist, ist auch im Kopf, Handschreiben ist für mich ein Muss, auch wenn meine Schrift miserabel ist.
Der Umfang ergibt sich eben auch daraus, dass es eben keine strikt durchgezogene Einzelhandlung in einem Setting ist, sondern eben zwei drei Handlungsstränge in unterschiedlichen „Lebensräumen“, in die man sich eben auch hineinversetzen muss. Aber das eine kann nicht ohne das andere.

Zauberspiegel: Für jene, den Artikel zu Band 1 und 2 gelesen haben, was erwartet einen im letzten Band? Löst du die Handlung auf und schaffst ein furioses Ende, oder...? Wie geht es dir als der Autorin, wenn die Geschichte zu Ende ist?
Chris Schlicht: Es ist zwar von Verlagsseite als Trilogie benannt worden, aber das sollte es nie sein. Ohnehin kann man jeden der drei Bände auch für sich lesen, da es prinzipiell abgeschlossene Kriminalfälle sind. Deshalb ist auch Band drei nicht wirklich ein „Finale“ für alles, nur für diesen Fall. Das Leben der Protagonisten geht weiter, und die Arbeit eines Kriminalbeamten endet auch nicht, nur weil eine Akte geschlossen wird. Deshalb sind auch in Band drei ein paar Fäden weiterhin offen, an die angeknüpft werden kann.  
Nur so viel – ich habe es oben schon angedeutet - Band 4 ist in Arbeit und es fehlt nur noch der Showdown.
Wie gesagt, auch Band 3 ist ein in sich geschlossener „Fall“ meines Ermittlers Peter Langendorf, der sich mit dem Tod eines genialen Erfinders ebenso herumschlagen muss, wie mit den Unruhen in den Vorstädten, weil dort die ohnehin miserablen Lebensumstände immer schlimmer werden, ohne dass es irgendjemanden interessiert (und nein, ich habe keine hellseherischen Gaben – Seuchen und Umweltkatastrophen bedingen sich nun einmal aus dem, was wir der Umwelt antun. Ich habe das Manuskript VOR Corona und den Flutkatastrophen fertig geschrieben). Was am Ende übrig bleibt, ist vor allem ein mulmiges Gefühl. Peter schließt zwar seine Fälle ab, aber er kann darüber keine Befriedigung empfinden, weil es die wahren Probleme nicht löst. Kein Happy End. Nicht einmal für das Liebespaar. Oder doch? Ein bisschen vielleicht.

Bettina von Allwörden

 

Die Fragen für den Zauberspiegel stellte: Bettina Meister

 

Kommentare  

#1 Heiko Langhans 2021-12-12 10:49
Das gesuchte Zitat (mit glue statt put) ist der Titel eines Liedes von Sir Reginald PIke-Devant, Esquire:

www.youtube.com/watch?v=TFCuE5rHbPA

Ebenfalls empfohlen ist die Ode an "Sir Reginald's Marvellous Organ":

www.youtube.com/watch?v=1XWo4ufMkG4
#2 Cartwing 2021-12-12 19:28
Ein sehr schönes, interessantes Interview...
immer wieder interessant zu sehen, wie andere Autoren arbeiten.

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