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... David Janz zu "Die erste Fahrt des Orient-Express" und historische Romane

... David Janz zu "Die erste Fahrt des Orient-Express" und historische Romane

Der Orient-Express ist ein Zug, der mit Geschichte und Ereignissen aufgeladen ist wie kaum ein anderer Zug. Ein neu erschienenes Buch von David Janz beschäftigt sich mit der ersten Fahrt des legendären Zuges und spinnt eine ganz neue Geschichte, mit Tigern und Mördern an Bord, Frauen (huch) und jeder Menge Kohlen im Tender.

Ich wollte mehr darüber wissen, wie ein Autor solche historischen Romane angeht und habe ihn zu einem Interview angefragt.

 

Zauberspiegel: Guten Tag, Herr Janz. Danke für das Interview. Da Sie den Roman unter Pseudonym verfasst haben, geschieht der Kontakt zu Ihnen über den Lübbe Verlag. Laut Klappentext sind Sie ein erfolgreicher Autor für historische Romane und Wissenschaftsthriller, also eigentlich ein Bereich, in den der Roman über den Orientexpress hineinpassen würde. Daran knüpft sich direkt meine erste Frage an: Was ist der Grund dafür, dass Sie diesen Roman unter Pseudonym veröffentlichen?
David Janz: Der Roman „Die erste Fahrt des Orient-Express“ ist in doppeltem Sinn eine Premiere. Nicht nur geht es um die Jungfernfahrt des berühmten Zugs, auch die Aufmachung ist ein Debüt. Der Lübbe Verlag hat ein neues Erscheinungsbild für historische Romane auf die Schiene gebracht. Es unterscheidet sich von dem gängigen Äußeren historischer Romane, die meist im Stil von Pergament gehalten werden oder alten Gemälden nachempfunden sind. Mit der neuen Optik wollen wir zeigen, dass historische Romane lebhaft und modern daherkommen können. Dazu gehört auch ein neuer Autorenname: David Janz.

Zauberspiegel: Die historischen Romane haben ja eine große Fangemeinde, zu (fast?) allen nur denkbaren Phasen der Geschichte finden sich Romane, zum Beispiel über Dumas, Frankreich im 2. Weltkrieg, Troja und so weiter. Was ist es Ihrer Meinung nach, das die Leser so an historischen Romanen interessiert?
David Janz: Geschichte besteht aus Geschichten. Mit jedem historischen Ereignis sind menschliche Schicksale verknüpft. Auch in Romanen geht es um Menschen und ihre Erlebnisse. Der historische Roman verbindet beides. Er unterhält und informiert über geschichtliche Ereignisse, die der Leser so noch nicht kennt. Überdies lässt ein historischer Stoff die Grenzen von Wirklichkeit und Fiktion verschwimmen. Nicht umsonst gibt es auch im Vorspann vieler Spielfilme den Hinweis „Nach einer wahren Geschichte“.

Zauberspiegel: Wie entscheiden Sie selbst sich für einen Stoff? Entsteht bei Ihnen erst eine Idee, die Sie dann in eine Geschichte umsetzen, oder packt Sie ein bestimmtes Thema, und Sie entwickeln dann eine Geschichte darum herum?
David Janz: Alle meine Romane entspringen der Wirklichkeit. Oft begegnen mir Themen bei meiner Arbeit als Journalist. Dann stelle ich mir die Frage: Was mag da geschehen sein? Wie hat es Georges Nagelmackers geschafft, diesen unglaublichen Zug zum Fahren zu bringen, obwohl alles dagegensprach? Dann reizt es mich, mehr darüber zu erfahren und eine Geschichte dazu zu entwickeln.

Zauberspiegel: Ich habe von einem anderen Autor mal die Aussage gehört, dass Geschehnisse nach etwa 3 Generationen Geschichte werden, und dann die Phase kommt, in der historische Romane über diese Geschehnisse entstehen. Denken Sie ähnlich? Wann ist Ihrer Ansicht nach etwas Geschichte? Wo beginnt und wo endet der Rahmen, in dem historische Romane spielen können/sollen?
David Janz: Wie lange etwas braucht, um Geschichte zu werden, hängt meiner Meinung nach vom Ereignis ab. Der Mauerfall war schon in dem Moment Geschichte, in dem er passierte. Der Orient-Express wurde erst Geschichte, nachdem er einige Jahrzehnte auf der Schiene war. Wann etwas Geschichte ist, lässt sich deshalb nur am Einzelfall festmachen. Im Grunde kann aber jeder Moment der Vergangenheit zum Motor eines historischen Romans werden. Es hängt davon ab, ob der Autor seinem Stoff eine geschichtliche Bedeutung verleihen kann. Deshalb habe ich in meinem Roman die Friedensmission des Orient-Express hervorgehoben: Es geht nicht nur um eine Reise – der Zug soll die verfeindeten Staaten Europas verbinden. Er soll buchstäblich Geschichte schreiben.

Zauberspiegel: Der Orient-Express ist ja ein ganz besonderer Zug, und wie man Ihrem Roman anmerkt, auch ein ganz besonderer Raum, aufgeladen mit Dingen, die man über den Zug und seine Geschichte weiß - oder zu wissen glaubt. Wie gehen Sie an eine solche Geschichte heran? Welche Quellen hatten Sie denn konkret in diesem Fall?
David Janz: Der Orient-Express ist ebenso gut dokumentiert wie das Leben im 19. Jahrhundert. Ich konnte zu allen Bereichen etwas finden: über Lokomotivtechnik, über den Beginn der Frauenrechtsbewegung, über das größte Königsschloss auf dem Balkan, darüber, welcher britische Würdenträger mit wie vielen Salutschüssen begrüßt wurde. Und über Tiger.

Zauberspiegel: In dieser Geschichte gibt es ja einige Veränderungen zu der tatsächlichen Geschichte der ersten Fahrt, die sicher nicht halb so spannend war wie Ihr Roman. So fuhr zum Beispiel Jules Verne nicht mit. Ich stelle es mir interessant und herausfordernd vor, die Grenze für sich abzustecken, wieviel Freiheit man sich als Autor erlaubt. Wie entscheiden Sie, welche Freiheiten Sie sich nehmen, wo Sie historisch korrekt bleiben wollen?
David Janz: Dort, wo der Roman echte Historie abbilden soll, muss er korrekt sein. Konkret heißt das: Es gab den Orient-Express, er hatte die geschilderten Waggons, dieselbe Leistung, er ist dieselben Stationen angefahren, hat so lange für die Fahrt nach Istanbul gebraucht, wie ich es beschreibe, und viele der Vorfälle unterwegs hat es auch gegeben. Beim Personal der Geschichte verhält es sich anders. Es sind die Menschen, die einen Roman mit Leben füllen. Deshalb gilt es, so viel Esprit wie möglich in die Figuren zu legen, unterschiedliche Charaktere aufeinanderprallen und sich entwickeln zu lassen. Das ist das Feld, in dem der Autor von der historischen Realität abweichen kann und muss. Jules Verne ist ein gutes Beispiel. Er war in Wirklichkeit nicht unter den Fahrgästen des Orient-Express, aber das wäre gut möglich gewesen. Verne war zu jener Zeit ein berühmter Autor von Reiseromanen, in denen es um Erfindungen geht: ein U-Boot in „20.000 Meilen unter dem Meer“, ein Heißluftballon in „In 80 Tagen um die Welt“. Auch der Orient-Express bot eine abenteuerliche Reise dank einer visionären Technik. Für mich lag es deshalb nahe, Jules Verne in diesen Zug zu setzen und ihn für seinen nächsten Roman recherchieren zu lassen. Es hat mich sogar ein bisschen verwundert, dass er nicht wirklich mitgefahren ist.

Zauberspiegel: Zu der damaligen Zeit bestand noch ein sehr unterschiedliches Gefüge, was Sie in der Person der Hubertine Berthier auch darstellen - der Kampf der Frauen um Gleichberechtigung. Wieso haben Sie diesen Aspekt der sozialen Umbrüche in der Gesellschaft aufgenommen?
David Janz: Der Orient-Express ist im Roman nicht bloß ein Fortbewegungsmittel, er ist ein Spiegel der damaligen Gesellschaft, einer von Männern beherrschten Welt. Vereinzelt begannen Frauen seinerzeit, für ihre Rechte zu streiten. Deshalb habe ich mit Hubertine eine frühe Kämpferin für die Emanzipation in den Zug steigen lassen, Hubertine will auch etwas in Bewegung setzen. Zum anderen tauchen zwei Damen der Wiener Gesellschaft unter den Passagieren auf, die sich in ihren herkömmlichen Frauenrollen wohlfühlen. Diese Figuren mit ihren unterschiedlichen Ansichten aufeinander loszulassen, war beim Schreiben besonders reizvoll.

Zauberspiegel: Wird David Janz weitere Romane schreiben, oder bleibt es bei diesem einen Roman?
David Janz: Keinen Folgeroman zu schreiben, würde ich nicht ertragen. Bei der Arbeit finde ich ungeheuer viel Stoff. Die Geschichten sind dann oft schon in Grundzügen in meinem Kopf und müssen raus. Der nächste Roman ist deshalb in Vorbereitung. Dabei wird es um einen Mann aus Afrika gehen, der im 19. Jahrhundert ins Deutsche Reich verschleppt wird und in der preußischen Gesellschaft für Aufsehen sorgt. Auch dieses Thema entspringt – leider – der historischen Realität.

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