.... Uwe Lammers über das Magazin BWA, die Phantastik allgemein und Bubbles
.... Uwe Lammers über das Magazin BWA, die Phantastik allgemein und Bubbles
Lieber Martin, ich danke dir für die Gelegenheit, anlässlich von BWA 500 den Zauberspiegel-Lesern ein paar Antworten auf deine Fragen geben zu können. Dazu bin ich sehr gern bereit.
Im Grunde ist meine Person nicht wirklich sonderlich spektakulär. Ich bin 1966 in Radolfzell am Bodensee geboren, aber seit meinem 2. Lebensjahr in Niedersachsen aufgewachsen, hier zur Schule gegangen, und nach dem Abitur auf dem zweiten Bildungsweg habe ich in Braunschweig Neuere Geschichte und Philosophie studiert. Seit 2002 bin ich Neuzeithistoriker mit abgeschlossener universitärer Ausbildung und seither in verschiedenen Projekten an Universitäten und Archiven der Region tätig. Seit ein paar Jahren engagiere ich mich zunehmend ehrenamtlich für die lokale Kultur- und Kreativszene. Dazu könnte ich viel schreiben, nehme aber an, dass der Raum hier begrenzt ist und möchte es zunächst dabei bewenden lassen.
Phantastik schreiben tue ich etwa seit 1977, im Fandom publiziere ich seit 1982. Tatsächlich nimmt, was das Schreiben angeht, mein Oki Stanwer Mythos (OSM) den weitaus größten Raum ein. Dies ist mein Herzensprojekt, das ursprünglich die Initialzündung für mein Schreiben war. Es ist hervorgegangen aus den „Gedankenspielen“, die ich mit meinem Bruder Achim bis etwa 1978 gespielt habe. Konkret: Ich wollte die Handlungsfiguren Oki Stanwer und Klivies Kleines nicht sterben lassen, als das aufhörte, und so verschriftlichte und baute ich das, was uns vorher nur verbal im Kopf herumspukte, gründlich aus. Heute hat der moderne OSM mit dem Ursprung allerdings nur noch wenig gemein. Das merkt man beispielsweise auch daran, dass ich zurzeit, wo wir diese Unterhaltung führen, am Band 2400 des OSM arbeite, der den Titel „Reise nach Westai“ trägt.
Die Phantastik, lesend wie schreibend, stellt also den älteren Part dar gegenüber meiner historischen Leidenschaft, die allerdings auch schon im frühen Kindesalter begann, als ich hier C. W. Cerams „Götter, Gräber und Gelehrte“ im zarten Alter von neun Jahren geradezu verschlang. Seither ist ein zentraler Fokus meiner historischen Leidenschaft, vielleicht begreiflicherweise, das pharaonische Ägypten. Ansonsten bin ich wissenschaftlich mehr der jüngeren Neuzeit rings um den Ersten Weltkrieg verpflichtet.
Dagegen ist meine Phase als Selfpublisher und Blogger tatsächlich jüngsten Datums, sie begann 2012/2013. In dieser Zeit sind neben mehr als tausend Blogartikeln 50 E-Books publiziert worden. Momentan erscheinen weiterhin jeweils zwei Blogartikel auf www.oki-stanwer.de, sonntags ein thematischer Blog, mittwochs stelle ich gelesene Bücher vor. 2025 sind sowohl der Wochenblog 600 als auch der Rezensions-Blog 500 erschienen, und der Stoff geht mir hier definitiv noch nicht aus. Die Planungen reichen schon bis ins Jahr 2026.
Aktuell ist die Veröffentlichung im Rahmen der E-Books suspendiert (nicht auf Dauer, keine Sorge!), ich konzentriere mich gegenwärtig favorisiert auf die inhaltliche Erschließung der schon geschriebenen OSM-Serien im Rahmen von Serienglossaren. In gewisser Weise staune ich, dass ich in vielen Bereichen des OSM jahrzehntelang quasi im Blindflug unterwegs war, ohne die Datenbasis gründlich zu verschriftlichen. Das kostet jetzt eine Menge Zeit, aber es schafft auch spannende neue kreative Impulse und Einblicke. So gesehen bleibt der Oki Stanwer Mythos gerade auch für mich eine stete spannende Abenteuerreise.
Übrigens sollte man mich nicht auf den OSM allein verengen. Im Laufe der letzten gut 45 Lebensjahre habe ich auch zahlreiche andere Welten erschlossen, besonders hervorzuheben sind hier die Welten des tropischen „Archipels“, der Fantasy-Horror-Serie „Horrorwelt“ und das so genannte „Erotic Empire“. Auch dazu ist immer wieder etwas in meinen Blogartikeln zu lesen.
Und ja, dass ich nebenbei noch Rezensionen schreibe, in Fanzines präsent bin, leidenschaftlicher Briefschreiber und Mah-Jongg-Spieler bin, sei am Rande auch noch angemerkt. Ich denke, ihr merkt schon an diesem wirklich sehr kursorischen Einblick, dass es hierzu noch vieles mehr zu sagen gäbe. Und dass ich definitiv „der Kerl für die Langform“ bin. Im Fanzine „Baden-Württemberg Aktuell“ (BWA) halte ich mich da doch eher kurz, um den anderen Clubmitgliedern des Clubs Entfaltungsraum zu geben. Und ja, das macht nach wie vor einen Riesenspaß.
Hier werde ich versuchen, mich deutlich knapper zu halten. Ich weiß, dass viele Autoren einen strikt getakteten Arbeitsalltag besitzen, um ihre Werke konzentriert zu Papier zu bringen … ich bin da deutlich lockerer. Da ich mich grundsätzlich als intuitiver Autor verstehe, bin ich generell abhängig von dem, was ich den „inneren Bilderstrom“ nenne. Dabei läuft eine Geschichtenhandlung mehrheitlich wie vor einem inneren Bildschirm ab, ich beobachte das und notiere, was ich registriere. Dabei ist das kein absolut linearer Prozess, den man in klare „Produktionsschritte“ einteilen kann. Ich habe, beispielsweise, nicht vor Beginn des Schreibprozesses eine Kapitelaufteilung und „weiß“ im Voraus: soundso viel Seiten kann ich für Passage XY verwenden, dann kommt eine Handlungsblende, ehe ich zu Person Z übergehe, die soundso viel Raum beansprucht … das ist mehr ein strömender Prozess, der situativ abläuft und stets Raum lässt für spontane Überraschungen.
Wenn ich also sage, dass meine Protagonisten mich regelmäßig überraschen, ja bisweilen geradezu über den Haufen rennen oder mit ihren bizarren Einfällen zur Verzweiflung treiben (was besonders in den Archipel-Geschichten regelmäßig passiert), dann ist das weniger Attitüde als Faktum. Diese Abhängigkeit vom inneren Bilderstrom hat natürlich auch einen Haken – wenn der Bilderstrom abreißt, und das ist eigentlich der Regelfall, da ich nie eine ganze Geschichte in voller Bandbreite zu sehen bekomme, dann höre ich mit der Arbeit an der Story oder dem Roman auf. Mit Gewalt Dinge erzwingen zu wollen, die sich nicht schreiben lassen wollen, das führt nur dazu, dass ich die Storyline vermurkse. Ich entdecke in zahlreichen alten Geschichten, die ich digitalisiere, dass ich da mühsam die Geschichte vollendete, und in der Regel kommt einfach nur Murks dabei heraus. So kommen zum einen zahlreiche Fragmente zustande, zum anderen kann es bisweilen Jahre dauern, bis Geschichten abgeschlossen werden – ich muss dann einfach auf das erneute Strömen der Bildblenden warten.
Deshalb also kann man bei meinem kreativen Arbeitstag nicht von einer Art konservativer, regelmäßiger Schreibproduktion reden, es ist stets ein situativer Prozess. Das heißt nicht, dass er gänzlich unstrukturiert wäre. Ich mache mir täglich eine To-Do-Liste mit den wichtigsten Punkten, die anzugehen sind. Dazu gehören regelmäßige Besuche auf der Webseite, Mailkontrolle (sofern ich nicht kreativ weggespült werde, dann unterbleibt das auch schon mal zwei oder drei Tage lang), Haushaltsangelegenheiten und tägliches Schreiben an gerade aktuellen Projekten.
Die Frage, was mich antreibt, lässt sich im Grunde auch recht einfach beantworten. Ehrgeiz ist bei mir nicht sonderlich ausgeprägt. Es ist sehr viel mehr Neugierde und der Wunsch, zahlreiche offene Handlungsstränge in den zahlreichen Serien, Geschichten und Romanen, an denen ich parallel arbeite, voranzubringen und sie im Idealfall abzuschließen. Ob diese Geschichten dann zeitnah veröffentlicht werden, sei es im E-Book oder in Fanzines, ist dabei sekundär. Zunächst entstehen diese Werke für sich und werden brav gespeichert. Bei Bedarf – falls mich beispielsweise Fanzine-Redakteure diesbezüglich ansprechen, weil sie über Materialmangel klagen, greife ich auf diese reichhaltigen Bestände zurück und stelle sie gern zur Verfügung.
Man mag das vielleicht eine unprofessionelle Einstellung nennen, weil sie so wenig an monetaristischen Gedanken orientiert ist. Aber so ticke ich eben. Aus Geld oder öffentlicher Bekanntheit habe ich mir noch nie viel gemacht, und ich glaube, es wäre ein wenig seltsam, wenn ich damit jetzt noch anfinge.
Es stimmt, dass du mich damals während einer Zeit der akuten Führungskrise in den SFCBW geholt hast, Martin, das muss 1996 oder 1997 gewesen sein. 1998 wurde ich dann auch überredet, die kriselnde Redaktion des BWA zu übernehmen. Mein Erstling war BWA 183, das ist echt schon sehr lange her (Dezember 1998), man glaubt es kaum. Im SFCBW aktiv geworden bin ich allerdings schon zuvor, damals – meiner Erinnerung nach – wohl auf den Hinweis von Helge Lange hin, der mich auf den SFCBW-Storywettbewerb ebendort aufmerksam machte. So erschien mit „Rapport im Steinbruch“ im BWA 158 (November 1996) mein erstes Werk anonym im Rahmen dieses Storywettbewerbs.
Zum Chefredakteursamt musste man mich allerdings durchaus drängen (ich sage dazu etwas in einem Beitrag in BWA 500, darum deute ich das hier nur an). Ich bin nicht die Art von Mensch, die gern im Rampenlicht steht, wenn es sich vermeiden lässt. Damals ließ es sich nicht vermeiden, soviel steht fest.
Ob ich das jemals bereut habe, in den SFCBW geraten zu sein? Du siehst mich schmunzeln. Ehrlich – nein. Es gibt zwar Menschen, die immer mal behauptet haben, ich würde Lebenszeit vergeuden, weil ich mich mit einem so kleinen Haufen von Fandomlern abgäbe, obwohl ich mein Schreibtalent doch ganz anders und (möglicherweise) viel gewinnbringender einsetzen könnte. Daran mag etwas Wahres sein. Aber ich selbst habe das nie so gesehen. Selbst als ich jahrelang – in erster Linie des Studiums wegen – in die zweite Reihe zurücktrat, blieb ich dem Club immer treu.
Das hat etwas damit zu tun, dass ich eine tiefe Verbundenheit mit ihm fühle, die ja inzwischen fast mein halbes Leben andauert. Und wenn ihr etwas über mich wissen müsst, dann dies: Ich bin eine sehr standorttreue „Pflanze“ und liebe Stabilität und Regelmäßigkeit. Das drückt sich in allerlei Details meines Lebens aus, sei es im Festhalten an lieb gewonnenen Handlungspersonen, Völkern, Welten, Universen, sei es durch mein jahrzehntelanges Engagement für Vereine (ob nun fannischer Natur oder kulturell-kreativer Natur), sei es im jahrzehntelang andauernden Abonnement von Zeitschriften.
So gesehen ist der SFCBW mit seinem Flaggschiff BWA einfach ein schöner, konstanter Faktor in meinem Leben, ein konsequenter Taktgeber, der mich schon über viele Tiefen meiner Vita hinweg begleitet und nicht selten auch getröstet und abgelenkt hat.
Also nein, kein Stück Reue zu sehen, was den Eintritt in den SFCBW angeht. Von meiner Warte aus kann das gern noch ein paar Jahrzehnte so weitergehen.
Eine amüsante Geschichte aus meiner langjährigen Redakteurszeit … du liebe Güte, du stellst vielleicht Fragen! Ich bin jetzt nonstop Chefredakteur seit BWA 275 (August 2006), wir reden hier also über eine Zeitspanne von fast neunzehn Jahren. Vielleicht klingt das jetzt schnippisch oder unglaubwürdig, aber entgegen anders lautender Gerüchte habe ich tatsächlich kein sehr gutes Gedächtnis (allerdings recht solide geführte Aufzeichnungen, die ich dann im Fall der Fälle konsultiere). Insofern bitte ich um Verständnis, wenn mir spontan zu dieser Frage nicht allzu viel einfällt.
Eine Sache ist allerdings durchaus vergnüglich in Erinnerung geblieben aus meiner frühen Redakteurszeit, also den Jahren 1998/1999 … damals gab es eine Reihe süß-stichelnder Cartoons eines Clubmitglieds, die meine Person amüsant aufs Korn nahmen. Und ich reagierte mit Amüsement darauf.
Ebenfalls im Gegensatz zu vielen anderen, meist relativ verbiesterten Menschen kann ich nämlich durchaus herzhaft über mich selbst lachen. Das scheint mir in heutigen Zeiten eine Fähigkeit zu sein, die die Allgemeinheit etwas mehr kultivieren und fördern sollte (ja, ich weiß, ich greife hier einer späteren Frage vor). Diese Cartoons gefallen mir also auch heute noch … und wer immer sich berufen fühlt, sie wieder im BWA zu etablieren, ist herzlich willkommen.
Soll ich hier jetzt wirklich schon die Inhalte von BWA 500 verraten? Das wäre doch ein wenig unfair, denkst du nicht?
Nun gut, ein paar Hinweise seien gegeben. Wie oben angedeutet wird darin ein kleiner Beitrag von mir anlässlich des Jubiläums zu finden sein, der auch die Frage meiner langjährigen Redakteurszeit launig kommentiert. Außerdem habe ich einen interessanten Gastbeitrag akquiriert, der buchstäblich einen Blick über den kulturellen Tellerrand in eine ausländische SF-Szene wirft. Welches Land das betrifft, verrate ich hier noch nicht. Außerdem gelang es mir, den Braunschweiger Illustrator Alexander Braccu dazu zu bewegen, eigens für BWA 500 ein umlaufendes, unikates Titelbild zu zeichnen.
Besonders schön am aktuellen Geschehen im SFCBW gefällt mir die reichhaltig entwickelte, lebhafte Leserbriefkultur. Das ist etwas, was wir vielen anderen Clubs definitiv voraushaben und worum wir, denke ich, auch nicht wenig beneidet werden. Es gibt Clubs, die achtzig und mehr Mitglieder besitzen, vielleicht professionellere Fanzines veröffentlichen, aber die stets Leserbriefmangel aufweisen. BWA verfügt regelmäßig über 20 oder mehr Leserbriefseiten … das macht mich wirklich stolz.
Schön wäre es, wenn wir im BWA regelmäßiger als bisher über Conventions und auch über die bedauerlichen Todesfälle – jüngst ja leider Swen Papenbrock, der Perry Rhodan-Coverkünstler, mit dem ich auch mal in Briefkontakt stand – informieren könnten. Ansonsten würde ich sagen, bin ich mit dem derzeitigen Inhalt des BWA im Großen und Ganzen durchaus zufrieden. Da gab es im Club schon Zeiten, die sehr viel trüber waren, wo kaum jemand bereit war, etwas zum Magazin beizutragen, oftmals aufgrund der irrigen Vorstellung, man würde mit Meinungsäußerungen jemandem auf die Füße treten … das ist heutzutage kaum mehr der Fall. Wir können die abweichenden Meinungen anderer durchaus aushalten und lebhaft kommentieren, ohne dass sich daran kleinliche Streitereien entzünden. Das halte ich für einen sehr gesunden Entwicklungsprozess.
Ja, natürlich hat Michael sich mit der Zahl 42 an Douglas Adams` „Per Anhalter durch die Galaxis“ orientiert, das ist in der Tat ein running gag im Fandom, der all die Jahrzehnte überdauert hat (inwiefern ein Konnex mit „Area 51“ existiert, lasse ich an dieser Stelle offen). Gegenwärtig hat die Zahl der Clubmitglieder die 30 übersprungen, das kann auch gern noch gesteigert werden, da bin ich absolut bei ihm.
Ich bin aber der Meinung, dass ich bezüglich dieses Planes nicht als Multiplikator zur Seite stehen muss. Dieser Prozess läuft von selbst, oder er läuft eben auch nicht, das hängt nicht wesentlich von mir ab. Ich denke, hier wird mein Einfluss als Chefredakteur auf die Entwicklung der Mitgliederwerbung doch etwas überschätzt.
Was ich früher als ein sehr probates Mittel ansah, um mögliche Interessenten an den Club zu binden, ist hingegen die Methode einer spendierten Schnuppermitgliedschaft. Das ist ein Instrument, das jeder SFCBWler nutzen kann, um zunächst einmal temporären Zuwachs des Mitgliederstammes zu bewirken. Ich gebe das mal als Hinweis an die Allgemeinheit weiter … und natürlich kann sich jeder Zauberspiegel-Leser, der neugierig auf den SFCBW geworden ist, bei unserer Kassenwartin Claudia Höfs unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! melden, um Näheres zu erfahren oder im Idealfall Neumitglied zu werden!
Für diese Frage bin ich ausgesprochen dankbar. Denn ich erlebe es – nicht nur als Historiker, sondern als jemand, der gern am kulturellen Leben teilnimmt – , dass unsere heutige Gesellschaft sich leider zunehmend divergent entwickelt, nicht selten in Echokammern abdriftet und dort primär von den so genannten „sozialen Medien“, die ein guter Freund mal hellsichtig als „unsoziale Medien“ bezeichnet hat, dann mit Halbwahrheiten oder Fake News abgespeist werden.
Da gerade solche Influencer, die dort ihre „Wahrheiten“ verbreiten, wortmächtig sind und die digitalen Algorithmen kaum gescheite Filterfunktionen aufweisen, vertieft sich schnell die Spaltung der Gesellschaft, und es kommt zu Frontstellungen, die in meinen Augen meistens unsinnig sind und die mit ruhiger Faktenklärung so wohl keine Dauerhaftigkeit beanspruchen könnten.
Auch unsere SF-Community weist Tendenzen auf, kritische Themen wie etwa allgemeine politische Entwicklungen der Gegenwart, aber leider auch der Vergangenheit (Stichwort: Holocaust-Verdrossenheit, die leicht zu Geschichtsvergessenheit führen kann), geflissentlich auszublenden. Das halte ich für einen grundsätzlichen Fehler. Als jemand, der qua seiner Interessen und Biografie sowohl die Historie wie die Zukunft im Blick hat, bin ich überzeugt, dass es zwingend notwendig ist, gerade für Phantastik-Fans, sich kritisch und ruhig mit der politischen Gegenwart auseinanderzusetzen. Die zunehmenden autoritären, fast schon faschistisch zu nennenden Tendenzen vielfältiger Politiker und Staatslenker im Hier und Heute bereiten mir durchaus Sorgen. Sie auszublenden, weil man der Ansicht ist, das ginge uns nichts an, ist ebenso verkehrt, als wenn man aus Furcht vor dem Zahnarzt akute Zahnschmerzen zu ignorieren trachtet und hofft, es werde „von selbst“ schon wieder alles gut.
Dies ist sowohl im gesundheitlichen Bereich wie im politischen Bereich der Bürgerbeteiligung eindeutig falsch. Durch Wegducken oder Ignorieren wird nur der politische Gegner gestärkt und zu noch aggressiverem Verhalten aufgestachelt … wir erleben das seit Jahren leider im Rahmen des Ukraine-Krieges, wo ein entschlossenes, entschiedenes Entgegentreten den imperialistischen Eroberungsgelüsten eines Wladimir Putin vielleicht eher Schranken gezeigt hätte.
Ich denke außerdem, dass es auch wesentliche Aufgabe der zeitgenössischen phantastischen Literatur sein sollte, die über die geeigneten stilistischen Möglichkeiten verfügt, vor den Gefahren solcher politischen Entwicklungen der Gegenwart zu warnen. Nicht umsonst wird auch heute noch nach vielen Jahrzehnten George Orwells Vision „1984“ als mahnendes Beispiel angeführt (für Amerika könnte man hier etwa den „Report der Magd“ von Margaret Atwood nennen, der dort kürzlich aus Bibliotheken verbannt wurde, bedauerlicherweise). Solche Werke und die Furcht der Politiker vor ihnen zeigt doch eigentlich, dass sie einen Nerv treffen, Menschen aufrütteln und sie zu Zivilcourage und Engagement aktivieren.
Deshalb: Wir als Phantastik-Fans sollten uns ausdrücklich nicht in die thematische Bubble zurückziehen und „die da draußen ihr Ding machen lassen“, sondern uns definitiv mit politischen und sozialen Themen der Gegenwart aktiv befassen. Mögen viele despektierliche Kritiker auch meinen, Science Fiction sei eine Nischenliteratur ohne sonderlichen Einfluss … glaubt nicht daran. Phantastik ist weiter verbreitet, als man denkt, und natürlich wird die Stimme aktiver publizistischer Phantasten gehört. Schweigen (oder Wahlverweigerung) ist nie ein Mittel, das zu einer besseren Zukunft beiträgt.
Diese Frage brachte mich zum breiten Schmunzeln. Irgendwie ist es schon vergnüglich, dass ich danach immer wieder mal gefragt werde … auch eine Art von running gag seit Jahrzehnten. Bevor ich zu „Oki Stanwers Gruß“ in meinen Briefen und den BWA-Editorials überging (das war ziemlich genau ab 1990), hatte ich übrigens die Briefe regelmäßig mit „Cthulhus Gruß“ abgeschlossen (da konnte man sich vielleicht noch einen wedelnden Tentakel des Großen Alten denken …). Damals war das nahe liegend, da ich ja bis 1990 Leiter des Weird Fiction-Clubs LOVECRAFTS ERBE war (Seite an Seite mit den damals noch nicht prominenten Fans Frank Festa, Michael Breuer, Malte Schulz-Semten, Kai Meyer und Guido Latz). Dann übergab ich den Vorsitz an Guido Latz, weil ich mich vom Lovecraft-Stoff mehr und mehr entfernt hatte und auch der Gruß nicht mehr angebracht schien.
Doch um zur Ausgangsfrage zurückzukommen: es gibt keine spezielle visuelle Form dieses Grußes, gab es auch nie. Es ist eine sprachliche Floskel, und das ist das ganze Geheimnis. Tut mir leid, wenn da jetzt jemand enttäuscht ist.
Im Grunde genommen wünsche ich mir sowohl für BWA als auch für den SFCBW, dass er weiterhin die nächsten Jahre und, so Gott will, Jahrzehnte fortbesteht und weiter wächst und gedeiht. Meiner Ansicht nach ist er da auf einem guten Weg. Unsere Clubgemeinschaft mag klein und die Auflage niedrig sein, aber wenn ich so auf den Weg zurückblicke, der hinter mir liegt, dann staune ich immer wieder, wie weit wir es doch gebracht haben. Als ich 1998 erstmals die Chefredaktion übernahm, reichte mein Blick gerade mal bis BWA 200. Dann rückten wir – jenseits meiner Redakteursägide – auf Band 250 vor, woran du dich sicherlich noch gut erinnern kannst, Martin. Schließlich zielte ich ab BWA 275 auf die Nummer 300, aber die Nummern 400 oder gar 500 waren utopisch weit in der Zukunft.
Inzwischen bin ich recht guter Dinge, dass wir auch die Latte BWA 600 werden reißen können. Und wer weiß, was danach kommt? Ich kann es nicht sagen, aber ich hoffe, wir können noch viele Leute für BWA begeistern und mitreißen, in unsere Gruppe integrieren und moderat wachsen. 42 ist ja schließlich erst der Anfang. Jeder, der in die aktuellen Hefte hineinschaut, sieht, dass insgesamt schon 200 Mitgliedsnummern vergeben sind, und derzeit kommen zahlreiche Altmitglieder wieder zu uns zurück. Weder 42 noch 50 oder mehr scheinen mir heute utopisch zu sein.
Ich danke an dieser Stelle dafür, dass du mir die Gelegenheit geboten hast, im Zauberspiegel ausführlich Rede und Antwort zu stehen.