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... Mari Ronberg über Figuren, figurisieren und vollkommen unvollkommen

Mari Ronberg ... Mari Ronberg ...
... über Figuren, figurisieren und vollkommen unvollkommen

Der Coppenrath Verlag ist eine Fundgrube guter Jugendbücher. Schön gemacht, mit interessanten Themen. In letzter Zeit stach »Das verlorene Buch von Montamar« hervor.

Montamar ist eine Insel, auf der Autoren ihre Schöpfungen, sprich die Figuren ihrer Romane lebendig werden lassen können.

Dann kann er seine Schöpfung studieren, ob es ein ausgereifter Charakter ist oder mehr eine Schablone, die in sich nicht stimmig ist. Jetzt durchsichtiger ein Charakter erscheint, desto wenigr gelungen ist er.

Eine wahrhaft ungewöhnliche Ausgangslage, die es geradezu herausfordert, die Autorin zu befragen. Das haben wir getan...
Zauberspiegel: Was darf sich ein Leser, der Ihren Roman „Das verlorene Buch von Montamar“ noch nicht gelesen hat unter „figurisieren“ vorstellen?
Mari Ronberg: "Figurisieren" bedeutet, dass Autoren, die nach Montamar reisen, dort die Figuren ihrer Romane leibhaftig werden lassen können. Diese werden sozusagen zu greifbaren Personen, die von den Autoren studiert werden können, um zu prüfen, ob sie so geraten sind, wie sie es sich vorgestellt haben.
Genau genommen bedeutet der Begriff "figurisieren" eigentlich eine Fortführung dessen, was wir als Leser oder Verfasser ja permanent tun: Figuren, die es in der realen Welt gar nicht gibt, zum Leben zu erwecken - wenn auch normalerweise eben nur in unseren Köpfen.

Zauberspiegel
: Wie verlockend wäre es für Sie, mit dem ‚figurisiertem’ Nick zu sprechen, ihn zu studieren und zu erleben? Was glauben Sie, wie durchsichtig wäre er?
Mari Ronberg: Das wäre natürlich ausgesprochen verlockend für mich, zumal es bedeuten würde, dass ich dann auch einmal eine Weile auf Montamar verbringen dürfte. (Ehrlich gesagt weiß ich gar nicht, wie wohl mir angesichts eines solchen Besuches tatsächlich wäre; die Figuren dort sind zum Teil ja schon ganz schön bizarr.)
Aber um auf Nick zu sprechen zu kommen: ich kann nicht genau sagen, wie durchsichtig er wohl wäre, denn vor meinem geistigen Auge ist er selbstverständlich klar und deutlich zu erkennen. Und in wiefern es mir gelungen ist, ihn auch in den Köpfen der Leserinnen und Leser möglichst „undurchsichtig“ und greifbar erscheinen zu lassen, können letztlich nur die Leser selbst zurückmelden.
Mit Nick sprechen zu können wäre ganz bestimmt ein erhebendes Gefühl. Es ginge mir dann vermutlich so, wie es ihm selbst geht, als er zunächst Ramon und vor allem später Robyn als leibhaftige Figuren vor sich stehen sieht, sie anfassen, mit ihnen sprechen kann. Er kann es gar nicht glauben, dass er diese Figuren allein durch seine Phantasie geschaffen haben soll. Und so ginge es mir sicherlich auch.

Zauberspiegel: Wie entwerfen Sie Ihre Figuren ohne Figurisierung? Entstehen diese in einem langen Prozess oder treten Sie quasi fertig hervor? Nutzen Sie Zettel, EDV-Programme oder andere Hilfsmittel?
Mari Ronberg: Das kann ich gar nicht so generell sagen. Einige der Figuren, vor allem die Hauptfiguren, entstanden natürlich nicht von heute auf morgen. Bei ihnen habe ich versucht, sie im Planungsprozess immer weiter zu verfeinern, bis sie mir, als ich mit dem tatsächlichen Schreiben begann, klar vor Augen waren. Andere Figuren waren quasi wie von selbst auf einmal da; etwa Constance oder auch die Strohhutdame haben sich mir im wahrsten Sinne des Wortes radikal aufgedrängt und darauf beharrt, eine Rolle in dem Roman zu bekommen.
In manchen Bereichen bin ich wohl ein wenig altmodisch. So habe ich die gesamte Planung für 'Montamar' handschriftlich in einem Din A 4 - Buch notiert, aufgeteilt in mehrere Kategorien wie z.B. 'Figuren', "Grobablauf' oder 'Ideen zur späteren Verwendung' etc.
Und auch 'Das verlorene Buch von Montamar' selbst entstand zunächst handschriftlich.
Diese Version dann in den Computer einzutippen hat letztlich beinahe noch einmal genauso lange gedauert, da ich in diesem Prozess meine Erstkorrektur vorgenommen habe.

Zauberspiegel: Wie schlüssig muss ein literarischer Charakter sein? In „Das verlorene Buch von Montamar“ sollen die literarischen Figuren in sich schlüssig sein. Ist es im wirklichen Leben nicht eher so, dass Menschen widersprüchlich handeln. Warum also muss ein literarischer Charakter vollkommener sein als die im wirklichen Leben?
Mari Ronberg: Es ist für mich höchst interessant, dass Sie aus 'Montamar' ableiten, eine schlüssige literarische Figur dürfe nicht widersprüchlich sein. So habe ich den Anspruch an Figuren gar nicht gesehen. Und würde es auch nicht tun. Selbstverständlich sind Menschen in höchstem Maße widersprüchlich; Widersprüchlichkeit schließt das "in sich schlüssig"-Sein für mich in keiner Weise aus. Und ein literarischer Charakter muss für mein Empfinden wahrhaftig nicht vollkommener sein als es reale Personen sind - ganz abgesehen davon, dass ich es schwierig fände, den Begriff "Vollkommenheit" überhaupt nur zu definieren. Der Gedanke, der hinter dem Figurisieren und, als Konsequenz, hinter dem Figurenstudium seitens der Autoren steht, ist vielmehr, dass die Autoren überprüfen wollen, ob zwischen der Figur, die sie da vor ihrem geistigen Auge haben, und der 'geschaffenen' Figur im weitesten Sinne Übereinstimmung besteht. Von "vollkommenen" Figuren kann da keine Rede sein. (Wie sollte man sich sonst mit Constance arrangieren können?)

Zauberspiegel: Was gibt es zuerst, den Plot oder die Figuren? Kurzum: Wie entsteht ein Buch von Mari Ronberg?
Mari Ronberg: Ganz am Anfang stand da die Idee. Klingt banal, ist aber so. Ohne DIE Idee, die mich packt und von der ich weiß: DAS ist es, so muss es sein!, könnte ich gar nicht schreiben. In diesem Fall war das die Idee von einem Ort, an dem es möglich ist, den Figuren, die man sich ausgedacht hat, tatsächlich zu begegnen. Gleichzeitig wusste ich auch, in welchem Genre ich mich bewegen wollte, also dass es eine Mischung aus Fantasy, Abenteuer und Krimi für Jugendliche werden sollte. Der Plot und die Figuren entstanden daraufhin eigentlich beinahe gemeinsam, weil bei der Planung Vieles ineinander verzahnt ist oder sich gegenseitig bedingt. Als der gesamte Plot als Grobplanung fertig war, ging es an die immer weiter aufgefächerten, verfeinerten Planungen, bis diese schließlich so detailliert wurden, dass sie fast schon 'Schreiben' darstellten. Und dann habe ich geschrieben.
 
Zauberspiegel: Montamar als Insel der Romanfiguren. Eine interessante Fiktion. Viel zu schade für nur ein Buch. Wird es Fortsetzungen geben? Werden wir auch Nick und den anderen wieder begegnen?
Mari Ronberg: Diese ganze Lebenswelt Montamar mit ihren Figuren und Möglichkeiten hat sich mir so verinnerlicht, dass ich mich tatsächlich unbedingt noch länger dort aufhalten möchte. Und glücklicherweise hatte ich auch schon sehr bald nach Beendigung des ersten Bandes DIE Idee für einen (hoffentlich) spannenden neuen Plot. Mit anderen Worten: zur Zeit arbeite ich gerade am zweiten Band, in dem Nick, Tullia, Levin, WM und die anderen Figuren erneut eine große Rolle spielen werden.

Zauberspiegel: Gibt es weitere literarische Pläne über die sie sprechen können? Werden diese auch dem Phantastischen zugeneigt sein?
Mari Ronberg: Ehrlich gesagt kann ich so weit noch gar nicht blicken und gehöre auch zu dieser Gattung Mensch, die gern erst einmal eine Sache so gut wie möglich zu Ende bringen möchte. Und das ist im Moment die Fortsetzung von 'Das verlorene Buch von Montamar'.

Zauberspiegel: Besten Dank für das Interview...
Mari Ronberg: Sehr gern. Ihnen auch vielen Dank.

Kommentare  

#1 Tempris 2010-02-28 12:38
Hört sich nach einer originellen Idee an!

Interessant fände ich es, wenn in einer späteren Folge auch der gewöhnliche Leser nach Montamar reisen könnte, um dort seine literarische Lieblingsfigur zu treffen. Frei nach Schopenhauers Aphorismus "Die Verehrung verträgt nicht die Nähe" hätte man gleich einen Konflikt, der den Roman tragen kann.

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