... Gesa Schwartz über einen Erstling, »Grim« und Notwendigkeit
"Ich bin Schriftstellerin im Genre der Phantastik. Auf meiner Homepage finden sich ausführlichere Informationen über mich und meine Geschichten."
: Im Gegensatz zur mimetischen Literatur ist in der Phantastik alles möglich. Das Grenzenlose hat mich schon immer fasziniert.
: Ich habe etwa ein Jahr an der Geschichte gearbeitet und ich habe sie so erzählt, wie sie erzählt werden musste, daher hatte ich nie eine Seitenzahl im Kopf. Für mein Empfinden sind 700 Seiten auch nicht sonderlich beachtlich, sondern eher normal im Fantasybereich. Darüber hinaus ist »Grim« zwar meine erste Veröffentlichung, aber bei Weitem nicht mein erster Roman. Ich schreibe schon sehr lange Geschichten, die zum Teil um einiges umfangreicher wurden als »Grim«, und eines kann ich sagen: Die Länge ist in keinster Weise ein Hinweis auf die Arbeit, die in eine Geschichte investiert wurde. Generell muss jede Geschichte natürlich immer noch überarbeitet werden, dazu zählen dann auch eventuelle Kürzungen oder stärkere Konzentrationen auf Details in manchen Szenen. Im Großen und Ganzen bleibt die Seitenzahl, die nach der ersten Niederschrift erreicht wurde, bei meinen Geschichten aber meist bestehen.
: Die Geschichte handelt von Grim, einem Gargoyle und Schattenflügler. Er wahrt das steinerne Gesetz, das besagt, dass niemals ein Mensch von der Existenz seines Volkes erfahren darf. Doch eines Tages bricht seine alte Mentorin Moira dieses Gesetz, um ein rätselhaftes Pergament zu schützen. Obwohl er damit gegen alle Regeln der steinernen Gesellschaft verstößt, verbündet Grim sich mit dem jungen Mädchen Mia, einer Seherin des Möglichen, um das Geheimnis des Pergaments zu ergründen. Sie ahnen nicht, dass sie einem Rätsel auf der Spur sind, das nicht nur ihr eigenes Leben bedroht, sondern das Schicksal der ganzen Welt ...
: Es ist, wie ich in anderen Interviews bereits sagte: Ich habe mich schon früh bemüht, hinter und in der Realität, wie wir sie kennen, das Geheimnisvolle und Wunderbare zu sehen und es häufig gerade in scheinbaren Alltäglichkeiten gefunden. Ich habe mich immer gefragt: Was liegt hinter den Dingen? Gargoyles sind da besonders dankbare Objekte. Man findet sie an unzähligen Kirchen und anderen Gebäuden, sie sind Teil unserer Kultur und unseres Lebens und doch fallen sie den wenigsten Menschen noch auf. Sie sind wie steinerne Schatten, deren Vergangenheit wir vergessen haben, die blass geworden sind, weil der Regen ihnen die kräftigen Farben, die mittelalterliche Exemplare noch trugen, abgewaschen hat und uns ihre einstige Bedeutung nicht mehr bewusst ist. Mitunter ist es sogar schwer, sie in der Fülle der Ornamente an gotischen Kathedralen überhaupt zu erkennen und doch sind sie da und scheinen aus steinernen Augen die Menschen zu beobachten, die keinen Blick für sie übrig haben. Somit sind Gargoyles in ihrer Schattenhaftigkeit ein Sinnbild für die Existenz des Geheimnisvollen in unserem Alltag, das mich schon immer fasziniert hat. Hinzu kommt noch eine gewisse Düsternis, ein Hauch des Unheimlichen und Bösen oder zumindest Ambivalenten, der in der Geschichte der Gargoyles begründet liegt. Die Funktion der Speier hatte besonders im Mittelalter ja hauptsächlich abwehrenden Charakter, was auch durch das Ausspeien des Wassers verdeutlicht wird: Nicht nur das Speien an sich, auch das fließende Wasser besaß nach mittelalterlichem Glauben die Kraft, das Böse zu vertreiben zumal dann, wenn es sich um Regen, also Himmelswasser handelte. Zahlreiche Wasserspeier wurden als Apotropaika, Dämonenabwehrer, dargestellt, wie beispielsweise die meist menschlichen Bartweiser-Speier oder Tiere, die bereits im Physiologus als Kämpfer gegen das Böse beschrieben werden. Darüber hinaus zeichnen sich die meisten Wasserspeier jedoch durch eine Dämonisierung aus (so wurden Tieren artfremde Attribute hinzugefügt, ihre Gesten wurden der Natur entfremdet und deuten so auf ein Dämonenwesen hin, oder einst majestätische Geschöpfe wurden ihrer Erhabenheit beraubt und so dem dämonischen Reich zugeordnet, wie beispielsweise der Schlappohrengreif am Kölner Dom), um nach dem Grundsatz similia similibus curantur Gleiches wird geheilt durch Gleiches Dämonen durch ihr Spiegelbild zu vertreiben. Aus diesem Grund handelt es sich übrigens bei mittelalterlichen Speiern ausschließlich um Unikate: Durch die zahlreichen Variationen wurde gewährleistet, möglichst viele Dämonen in die Flucht zu schlagen.
Und noch heute personifizieren die Gargoyles für viele Menschen das Böse. An der Washington National Cathedral prangt zum Beispiel ein ganz besonderer Wasserspeier, nämlich der Kopf von Darth Vader. Im Rahmen eines Wasserspeier-Design-Wettbewerbs wurde er mit der Begründung vorgeschlagen, dass Darth Vader in der heutigen Zeit als Verkörperung des Bösen die ideale Besetzung für einen Wasserspeier wäre.
In »Grim« verwischen die Grenzen zwischen Gut und Böse. Es gibt keine Eindeutigkeit und ich habe einige Beschränkungen aufgebrochen, die durch Einordnungen in der Forschung bestehen. Die Gesellschaft der Gargoyles reicht in meiner Geschichte weit über die Wasserspeier hinaus. Zwar gibt es beispielsweise die Sputatores, den vornehmsten Wasserspeierclan von ganz Paris, oder den Clan der Mephisti, deren Mitglieder den dämonischen Gargoyles an Kirchengebäuden am ehesten entsprechen, wobei ich den Grund für die oftmals abschreckend verzerrten Gesichter neu gedeutet und auf andere Füße gestellt habe. Aber der Begriff der Gargoyles beschränkt sich in »Grim« nicht auf Wasserspeier, sondern umfasst steinerne Figuren im Allgemeinen. Denn nicht nur Wasserspeier sind umgeben von einer Aura des Geheimnisvollen und Unnahbaren. Wer jemals den Apollo von Belvedere gesehen, den barberinischen Satyr im Schlaf berührt oder die Hand auf die steinernen Finger des Sterbenden Galliers gelegt hat, der spürt, dass unter der Haut dieser Statuen mehr liegen könnte als Stein. Dieses MEHR ist es ja, das die Phantasie und auch die phantastische Literatur begründet. Und wenn man das einmal gefühlt hat, kann man nicht mehr über einen Friedhof gehen, ohne sich aus steinernen Augen beobachtet zu fühlen, oder unter der Nike von Samothrake stehen, ohne ein leichtes Flügelrauschen zu hören.
: Das kann ich nicht beurteilen, da für die Vermittlung von »Grim« meine Agentur zuständig war.
: Paris und Rom sind sehr besondere Städte für mich und daher war ich froh, dass sich Ghrogonia, die anderweltliche Hauptstadt in »Grim« unterhalb von Paris angesiedelt hat, und die Geschichte auch Rom einen Platz einräumte. Die Wahl der Städte wurde nicht von vornherein von mir getroffen, sondern hat sich wie alles sonst aus der Notwendigkeit der Geschichte heraus ergeben. Besonders Paris war da als Geburtsstadt der gotischen Wasserspeier natürlich ein ideales Setting.
: Die OGP ist die Oberste Gargoyle Polizei von Paris, ein bürokratisches Monstrum, das die Anderwelt regiert. Grim gehört als Schattenflügler zu den hochrangigen Mitgliedern, denn die OGP ist hierarchisch aufgebaut, und er passt gleichzeitig aufgrund verschiedenster Dinge überhaupt nicht in dieses System. Seine Abscheu gegenüber (in seinen Augen) sinnfreien Gesetzen und Regeln oder sein Verhältnis zu Menschen sind dabei nur zwei Aspekte. Das System der OGP spiegelt den Charakter Ghrogonias, aber auch die Ausgangssituationen und Entwicklungen zahlreicher Figuren wie Grim, Mourier [Leiter der OGP; Anm. d. Red.], der alten Schattenflügler oder Thoron [König Ghrogonias; Anm. d. Red.] und trägt so einen wesentlichen Teil zur Vielschichtigkeit und Tiefe der Geschichte bei. Humor und Ironie sind da natürlich ungemein wichtige Werkzeuge.
: Der Kartenmann hat kein Vorbild. Er ist aus der Geschichte entsprungen und ich lernte ihn gemeinsam mit Grim kennen, als dieser zu ihm ging, um eine alte Schuld zu begleichen. Hier ein Zitat aus dem Buch, das den Kartenmann in Ansätzen beschreibt:
Die Hände des Kartenmanns bewegten sich rasend schnell, während er drei ebenhölzerne Becher auf seinem Tisch hin und her schob. Plötzlich hielt er inne und Grim konnte die Hände sehen Hände mit schwarzen Nägeln und einer Haut wie uraltes Pergament. In dem weißen Fleisch waren Brandnarben, sie zeigten die Farben eines Spielkartensatzes: Kreuz, Pik, Herz, Karo. Mit unnatürlich schneller Bewegung riss die rechte Hand den mittleren Becher zurück. Darunter lag ein menschliches Auge. Die linke Hand schoss vor, spießte das Auge mit knackendem Geräusch auf den Nagel des kleinen Fingers und schob es unter den Zylinder. Sofort hörte Grim genüssliches Schmatzen. Langsam hob der Kartenmann den Kopf.
Ein breiter Mund mit schmalen, blutigen Lippen schob sich zuerst aus dem Schatten, gefolgt von einer schmalen Nase und hellen, farblosen Augen. Auch im Gesicht trug er die Zeichen eines Kartenspiels, und rings um sein linkes Auge prangte das schwarze Pik. Er starrte Grim an, während er kaute, und seine Augen veränderten sich. Sie füllten sich wie ein sich vollsaugender Schwamm mit Farbe, bis sie vollständig schwarz waren. Wenn Grim seinem Gegenüber nun in das linke Auge schaute, war es, als stürzte er in die Dunkelheit. Kaum hatte er das gedacht, entfachte sich im Blick des Kartenmanns ein Feuer. Zwei lodernde Flammen ersetzten seine Pupillen und ließen Grim nicht los. Mit genüsslichem Schmatzen schluckte er die Reste seiner Mahlzeit hinunter und entblößte für einen Moment messerscharfe Zähne.
»Du hast von Schuld gesprochen«, sagte er mit leiser, warmer Stimme. »Ich bin ganz Ohr.«
: Alle meine Charaktere sind für mich interessant, ich würde niemals auf die Idee kommen, da eine Hierarchie zu erstellen, gerade auch, weil sie so unterschiedlich sind. Am intensivsten habe ich mich natürlich mit Grim beschäftigt, dessen vielschichtiger und jahrhundertealter Charakter mich noch immer sehr fasziniert, gerade auch, weil es bei ihm mehr zu bewundern gibt als den schönen oder auch bösen Schein. Schwierig zu zeichnen war keine Figur für mich sie haben sich mir so vorgestellt, wie sie in der Geschichte vorkommen wollten und so habe ich sie dann eingebunden.
: Zurzeit arbeite ich an einem weiteren Abenteuer Grims, in dem einige alte Bekannte, aber auch zahlreiche neue Figuren auftreten werden. Die Geschichte wird voraussichtlich noch düsterer und actionreicher als ihr Vorgänger, denn meine Protagonisten werden mit Gegenspielern konfrontiert, die Seraphin [Grims Widersacher im Roman; Anm. d. Red.] in mancherlei Hinsicht um einiges überbieten werden.
Kommentare
Die Sache hat Potential und der Auszug aus dem Roman bezüglichst des "Kartenmann" macht Lust auf mehr!