Melzer, Brigitte: Dämonisches Tattoo
Am Tatort wird Chase Ryan von einem amerikanischen Ureinwohner angesprochen. Dieser behauptet, Chase bei der Jagd nach dem Psychopathen helfen zu können: Während eines uralten mystischen Rituals solle Chase ein Tattoo gestochen werden, über das er eine Verbindung zu dem Mörder erhalten würde. Der Profiler tut dies als Unsinn ab. Anders Cassell. Als er von dem Ritual erfährt, will er um jeden Preis, dass Chase sich das Tattoo stechen lässt.
Was niemand ahnt: Die Verbindung, die das Tattoo erschafft, wirkt nicht nur in eine Richtung. Als der Killer mitbekommt, was vor sich geht, findet er einen Weg, den Spieß umzudrehen und dringt seinerseits in den Verstand von Chase ein. Ein mörderischer Kampf gegen die Zeit beginnt, denn der Killer ist äußerst lernfähig und gewinnt mehr und mehr die Oberhand über die Verbindung...
»Dämonisches Tattoo« ist der Beweis dafür, dass die Story, die in einem Roman dargelegt wird, lange nicht alles ist, was das Buch ausmacht. Die Art und Weise, wie sie erzählt wird, also wie es dem Autor gelingt, die Handlung geschickt in Worte zu fassen und spannend zu schildern, ist mindestens ebenso von Bedeutung für das Lesevergnügen wie die Geschichte an sich.
Rein von der Handlung betrachtet, ist »Dämonisches Tattoo«, der neue Roman von Brigitte Melzer, nämlich reichlich dünn und äußerst simpel geraten. Mal wieder lässt ein Autor (oder, in diesem Falle, eine Autorin) einen hochintelligenten, vollkommen irren Serienkiller sein Unwesen treiben. Wie nicht anders zu erwarten, stellt sich besagter Killer viel schlauer als die Polizisten an, die ihn jagen. Immer ist er ihnen einen Schritt voraus.
Wie ebenfalls nicht anders zu erwarten, geraten die Ermittler irgendwann selbst ins Visier des Irren, worauf das übliche Katz-und-Maus-Spiel seinen Lauf nimmt, das in einem übertrieben dramatischen Finale seinen vermeintlichen Höhepunkt findet. Das Einzige, was Melzers Roman von Dutzenden anderer, ähnlicher Romane unterscheidet, ist das Vorhandensein eines Tattoos, das den Killer und den Ermittler verbindet.
Neben ihrer Vorhersehbarkeit leidet die Story von »Dämonisches Tattoo« unter einer Reihe weiterer Mängel. Melzer bedient sich eines Klischees nach dem anderen, und die Handlung wirkt mitunter so sehr konstruiert (allen voran die Art und Weise, wie Chase zu seinem Tattoo kommt), dass man Mühe hat, die Geschichte Ernst zu nehmen. Hinzu kommt noch die allzu oberflächliche Charakterisierung der Protagonisten, was die Sache auch nicht besser macht.
Dass man »Dämonisches Tattoo« dennoch nicht vollkommen abschreiben sollte, liegt hauptsächlich an dem exzellenten Erzählstil, den Melzer an den Tag legt. Die Geschichte mag noch so simpel sein, die Autorin weiß, wie man sie an den Leser bringt. Melzer legt ein ungeheures Geschick an den Tag, was den Umgang mit Worten angeht. Die Spannungsmomente des Romans sind ebenso ausgezeichnet gestaltet wie ruhigere Szenen, in denen Tragik oder zwischenmenschliche Beziehungen im Mittelpunkt stehen. Das Tempo der Geschichte schwillt in genau dem richtigen Maße an und ab, das benötigt wird, um immer wieder Spannung zu erzeugen oder dem Leser eine Verschnaufpause einzuräumen. Kurzum: Das Buch ist wirklich hervorragend geschrieben, weshalb es nicht ganz leicht fällt, es trotz des schwachen Plots vor dem Finale wieder aus der Hand zu legen.
Ein exzellenter Erzählstil ist aber leider nicht genug, um einen Roman ganz alleine zu tragen. Irgendwann ist man nämlich am Ende der Lektüre angelangt, und kaum hat man die Buchdeckel zugeklappt, stellt sich aufgrund der wenig berauschenden Handlung ein allzu fader Nachgeschmack ein.
Melzer kann schreiben. Ganz hervorragend schreiben sogar. Wenn die Autorin sich in kommenden Werken ein wenig mehr traut, wenn sie abkehrt von altbekannten Mustern und sich wagt, eine ganz eigene, originelle Story zu erzählen, dann steht einem kleinen Meisterwerk nichts mehr im Weg.
»Dämonisches Tattoo« ist davon leider ein gutes Stück entfernt. So gut der Roman auch geschrieben sein mag, kann das doch nicht über die uninspirierte Geschichte hinwegtäuschen, die Melzer erzählt. Ein Buch, das sich vor allem für Menschen eignet, die prinzipiell alle Serienkiller-Thriller lesen, sowie für all jene, die mit dem Genre bislang noch nicht oder nur selten in Berührung gekommen sind. Oder eben für alle, die bereit sind, für eine herausragende Schreibe die Geschichte als solche zu opfern.
Ich bin gespannt auf den nächsten Roman von Melzer, der hoffentlich in genau demselben Stil verfasst ist, in Sachen Einfallsreichtum und Handlung aber deutlich mehr zu bieten hat als »Dämonisches Tattoo«.