Mein Nachbar, der Vampyr - Die Reihe »Vampire unter uns!« von Mark Benecke et al.: 5. Psycho
Mein Nachbar, der Vampyr
Die Reihe »Vampire unter uns!« von Mark Benecke et al.
5. Psycho
An der Ostküste der USA soll sich daraus die „spannende Legende“ gebildet haben, ältere Vampire würden sich in die Einsamkeit zurückziehen und die Öffentlichkeit, insbesondere die Presse, meiden. Mark Benecke zufolge haben die in Frage kommenden Personen aber einfach nur „ihren eigentümlichen Hang… in den Alltag und ihre Persönlichkeit integriert“, ähnlich den Gothics der 1980'er und 1990'er Jahre.
Tja, was mag man sich darunter vorstellen? Einen graumelierten Mittfünfziger, der als Nachtwächter oder Barmixer arbeitet, und sich sein monatliches Quentchen Blut vom Lieferservice der örtlichen Schlachterei bringen läßt? Eine zurückgezogen lebende ältere Dame mit Vorliebe für nächtliche Spaziergänge? Herr Benecke hat etwas ganz anderes im Sinn.
Auf der Umschlagseite des ersten Bandes findet sich dazu der Satz: „Die älteren Semester sind verschattete Figuren oder Konzern- Chefs. Die jüngeren können hingegen sexy bis zum Anschlag sein.“
Bis zum Anschlag… Sekretärinnen? „Verschattete Existenzen“ dagegen klingt nach etwas Mystischem. Aber Herr Benecke wird noch konkreter!
Der von ihm interviewten Vampyrin Angelus zufolge gibt es „die Vampire, die anderen Leuten Energie entziehen oder sie manipulieren und dadurch Kraft ziehen können“. Sie würden (mit ihrer gewinnenden Ausstrahlung) sofort ihr Umfeld beherrschen und andere um den Finger wickeln können. Frater Mordor, der diesem Typus wenigstens noch eines seiner Unterkapitel widmet (Siehe „2. Bestiarium“), ergänzt, daß die Mehrzahl von ihnen gar nichts von ihrer Natur wüßte, und sie ihre Opfer unbewußt schwächen oder für ihre Zwecke vereinnahmen würden.
Als Beispiele für „vampirische, also Energie anderer verzehrende Tätigkeiten“ gealterter Vampire nennt Mark Benecke: „der jedes Maß verlierende Schriftsteller, der ewige Fan, Spione, gierige Händler und geizige Chefs, Menschen, die sich an Elend weiden, Unterdrücker, Punks, Kleinkarierte und Schreibtisch- Täter“. Solche Leute wüßten nichts von ihrer Energie- Schwäche, und würden „im Zweifel… als Fieslinge“ durchgehen.
Na, wenn das keine positive Darstellung ist! Mal abgesehen davon, daß es sich die meisten Punks verbeten würden, mit „geizigen Chefs“ gleichgesetzt zu werden (und vice versa), und die faszinierenderweise an erster Stelle genannten maßlosen Schriftsteller (Wen mag Herr Benecke da als Autor mehrerer Bücher wohl im Blick haben?) passen auch schwer in dieselbe Schublade wie „Kleinkarierte“. Die ganze Aufzählung mutet mir ein bißchen so an wie eine Ansammlung von Klischees, die dem Herrn Benecke unangenehm aufgefallen sind, und gleichzeitig auch als eine Fortsetzung der Diffamierung von Energie- oder psychischen Vampiren, die natürlich auch an dieser Stelle nicht selbst zu Wort kommen. Und die „ehemaligen Vampire“, denen diese negativen Klassifizierungen zugeschrieben werden, sowieso nicht…
Aber es geht noch weiter: Sollte die Integration der düsteren Persönlichkeits- Anteile Mark Benecke zufolge aus dem Ruder laufen, hätte man es mit „Gewalttäter(n), Spinner(n) und Kranke(n) zu tun“. Bei den „gesunden schwarzen Gestalten“ aber wäre dies anders. Sie wären durch „eine lang dauernde Selbst- Betrachtung mit anschließender Eingliederung der wunderlichen Wesens- Anteile“ zu einem Awakening, einer Selbsterkenntnis gelangt.
Wenn Herr Benecke schon keinen der so negativ charakterisierten Ex- Vampire zu Wort kommen läßt, so hätte ich spätestens an dieser Stelle wenigstens ein paar wissenschaftliche Studien gewünscht, auf die er seine gewagten Behauptungen stützt. Doch da ist… Nichts! Keine Abhandlung, keine statistische Auswertung, nur die Schwarz- Weiß- Malerei des Herrn Benecke, der von dem Leser erwartet, ihm dies kritiklos abzunehmen.
Letzten Endes bleibt zu konstatieren, daß es leider in keinem der drei Bücher einen Passus gibt, der sich aus erster Hand mit den Energie- oder psychischen Vampiren befaßt, während der überwiegende Teil der mit der Gegenwart befaßten Kapitel die sanguinischen Vampire behandelt, auch in Form von Interviews oder statistischen Erhebungen. Trotzdem findet sich gleich an zwei Stellen die Behauptung, daß die Erstgenannten die „Blut- TrinkerInnen“ als „eine Art niedere Entwicklungsstufe“, „als unterentwickelt und roh, sich selbst aber als Krone des Erwachten sehen“ würden. Da in keinem der drei Bände explizit ein Vertreter der psychischen Fraktion interviewt worden ist, liegt der Verdacht nahe, daß es sich um die Äußerung eines der angeblich so Diffamierten handelt (Eine Quellenangabe fehlt nämlich auch hier). Das aber ist keine Information aus erster Hand; hier wäre eine Stellungnahme von Vertretern der als arrogant klassifizierten Gruppierung wünschenswert gewesen. So besteht die Gefahr, daß das eine Lager Hetze gegen das andere betreibt, ohne daß es Gelegenheit erhält, dazu Stellung zu beziehen. Dabei soll das erstgenannte Lager im Vergleich zur Zweiten laut Frater Mordor quantitativ deutlich überwiegen.
Um einmal einen Vergleich zu bemühen, wie sich solch einseitige Kommentare auswirken können: Ich entsinne mich noch einer SPIEGEL TV- Sendung, die der Grund dafür ist, warum ich Stefan Aust, der sie moderiert hat, niemals die Hand schütteln würde. Als das dem Dunstkreis von Gothic und Vampirismus zugehörige Ehepaar Ruda im Jahr 2001 einen gemeinsamen Freund ermordet hat, gab es ein Fernseh- Special zum Thema „Grufties“, das natürlich auf Einschaltquoten ausgewesen ist. Da wurde zuerst die Einschätzung eines Sektenbeauftragten der Kirche eingeholt. Der verantwortungsbewußte Mann kannte sich allerdings aus, und hatte den merklich nach Sensationen gierenden Reportern nichts Spektakuläres über die schwarze Szene zu berichten. Na, damit hält man aber niemandem vom Umschalten ab! Was tut man also als menschenverachtender Journalist? Man besucht eine just zur Verfügung stehende Gruppe Pfingstgemeindler und präsentiert sie als „Experten“– Natürlich ist für die alles, was sich düster kleidet und Wave oder verwandte Musik hört, ein „Diener Satans“! Liebe Reporter! Hättet ihr auch nur ein kleines bißchen echte Recherche betrieben, hättet ihr überall erfahren können, daß es sich bei Pfingstgemeindlern um christliche Fundamentalisten handelt, für die jeder mit einer abweichenden Ansicht ein „Diener Satans“ ist! AUCH IHR! So aber habt ihr zynisch und des Aufsehens wegen Pogromstimmung geschürt, und ich mußte mich in den folgenden Tagen teils erbosten Menschen gegenüber rechtfertigen. Ich wäre um ein Haar verprügelt worden… Nicht für Dinge, die ich getan habe, sondern für solche, die ihr „Leuten wie mir“ angedichtet habt! Herr Aust, Julius Streicher ist kein Vorbild! Für niemanden!
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