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Der »Lord of Misrule« - Vom »König Hofnarr« (Update)

Küsse unterm MistelzweigDer »Lord of Misrule« - Vom »König Hofnarr«

Der "Lord of Misrule", übersetzt der "König Hofnarr", ist einer der verlorenen Charaktere der mittelalterlichen ausschweifenden Weihnachtsfeiern. Im Mittelalter gab es in einigen Regionen Europas den Brauch, per Los aus der Reihe der Landbevölkerung, der Bauern und einfachen Leute, eben diesen seltsamen König zu bestimmen. Dies war Teil eines Festes, das sich in der Art eines wilden Karnevals um die Jahreswendenzeit zog. In England nannte man es das "Feast of Fools" - "Das Fest der Narren" - und nahm damit vorchristliche Feiern rund um Wintersonnenwende und Jahreswende auf.

2. Advent„King of the Bean“ – oder eben Lord of Misrule - in England, „Abbot of Unreason“ in Schottland, oder auch „Abbe de la Malgouveme“ in Frankreich. Die Begriffe stehen alle für das Gleiche: Ein Mann bekommt während der Tage um Weihnachten auf Zeit das Recht, die Menschen zu Unordnung aufzurufen. Männer in Frauenkleidern, zotige Lieder, exzessives Trinken, Spielen um Geld, teilweise sogar Würfelspiele auf dem Altar in der Kirche – das sind nur ein paar jener gesellschaftlichen Unmöglichkeiten, die während dieser Zeit des „Feast of Fools“ erlaubt waren.

Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass diese Bräuche auf die römischen Saturnalien zurück gehen, in der man den Gott Saturn feierte. Während dieser Zeit fand eine Art "soziale Revolution auf Zeit" statt, in der gesellschaftliche Schranken durchbrochen und das soziale Gefüge auf den Kopf gestellt wurde. Herr über dieses Treiben war der König der Narren. Mit dem Übergang der römischen Gesellschaft hin zur christlichen Staatsreligion, behielten die Menschen diese Bräuche offenbar bei. Die christliche Kirche, die bei vielen heidnischen Riten darum bemüht war eine christliche Umdeutung zu schaffen, blieb hier „untätig“. 

Polydore Vergil, Schöpfer eines ungemein bedeutendes Werks hinsichtlich der englischen Geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts erwähnt den Lord of Misrule. Seiner Aussage nach gab es ein „festival of Christmas“, einzigartig in der christlichen Welt, mit eben jenem Lord of Misrule, der bereits seit 1170 bekannt war und als eine Besonderheit eben Großbritanniens galt. Es gab Gesang und Tanz, Würfelspiele sowie Maskenspiele. Die verschiedenen Berichte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die von den Umtrieben berichten. 
 
Lord of Misrule Ein Bericht1 erzählt von den Geschehnissen in einer Landgemeinde: In der Gemeinde traf man sich zu einem vereinbarten Termin, an dem die Wahl des Lord of Misrule stattfinden sollte. Aus ihren Reihen wählte man dann den "Captaine of Mischiefe", den sie mit dem Titel des "Lord of Misrule" bedachten. Die Krönungszeremonie wurde als eine sehr ernsthafte Angelegenheit betrachtet. Sodann wählte der König aus den Reihen seines Gefolges sein Hofgefolge und seine Dienerschaft, die ihm in der folgenden Zeit als sein Hofstaat zur Verfügung stsehen sollten. Jeden dieser Männer nahm der König offiziell in sein Gefolge auf und stattete sie mit der Livree aus, die zumeist aus grün-gelb gestreiften Gewändern bestand. Zusätzlich verzierten sie diese Kleidung mit langen bunten Bändern und Spitze, behängten sich mit goldenen Ketten und Schmucksteinen, die sie von ihren Frauen geliehen hatten, befestigten an den Beinen Schellen und Glöckchen und hatten um ihre Schultern große rote Tücher gelegt, die sie später beim Zug durch die Gemeinde über ihren Köpfen schwenkten.
Wenn dies alles zur Zufriedenheit des Lords of Misrule erledigt war, schnappten sich die Männer seines Gefolges die Steckenpferde und andere Spielsachen, dazu ihre Bagpipes und die Trommeln, und zogen in einem "devil's daunce" mit allen durch die Gemeinde. Die anderen Mitglieder des Ortes zogen hinter ihnen her, tanzten, lachten und sangen. Der Zug führte in die Kirche, wo sie dann - egal ob der Pfarrer dort nun betete, einen Gottesdienst abhielt oder eine andere Zeremonie durchführte, durch die Reihen tobten. 
 
Im Mittelalter war dieses Fest zu dem "Fest der Narren" geworden. Der König der Narren und ihrer Narrentage trug eine Papierkrone und ein bunt geschecktes Gewand (die uns eher bekannte Kleidung des Hofnarren oder des Eulenspiegel) und hatte besondere Rechte. So konnte er zum Beispiel aufgrund der "Autorität" seiner Rolle jeden dazu bringen, seine Wünsche zu erfüllen - und seien sie noch so verrückt.

Von den Königshöfen in Großbritannien oder einigen öffentlichen Einrichtungen gab es die feste Institution des Lord of Misrule. Auch an Universitäten oder großen Gasthäusern ist bekannt, dass man diesen Brauch aktiv förderte.

In der mir erreichbaren historischen englischen Literatur sprach man von „Christmas sports and their lord“. Vor allem die Puritaner waren darum bemüht, diese Bräuche, die sie als unchristlich empfanden und rein von Aberglauben geprägt, einzudämmen, wenn sie diese schon nicht verbieten konnten.

Diese „Herrscher auf Zeit“ begannen ihre Herrschaft an Allerheiligen und behielten ihr Amt bis zum Tag der „Candlemas“ am zweiten Februar des Folgejahres. 40 Tage nach Weihnachten gefeiert, war die traditionell der Tag, an dem in der Kirche die Kerzen für das folgende Jahr gesegnet. Hier definierte die christliche Kirche einen wahrscheinlich bereits bestehenden festlichen Tag der heidnischen Riten um und machte daraus einen Tag in christlicher Bedeutung. Ursprünglich als Fest des Lichtes gefeiert, wurde es als der Tag in den Jahreskreislauf der Kirche als der Tag ausgewiesen, an dem Maria nach der Geburt des Kindes rituell jüdisch gereinigt wurde. Und da man an diesem Tag auch die Weihnachtsdekorationen aus natürlichen Materialien verbrannte (und sie der Erde zurück gab), war dies ein guter Tag, um die üblichen Regeln innerhalb der Gesellschaft wieder her zu stellen.

Eine schöne Beschreibung der Umtriebe fand sich in "The popular history of England"2.

Thus in every borough and more especially in every village the Lord of Misrule chosen by universal suffrage at Christmas or at Whitsuntide headed his company of lusty mummers in their gaudy liveries their scarfs and laces their legs hung with little bells and then march this heathen company towards the church and churchyard their pipers piping their drummers thundering their stumps dancing their bells jingling their handkerchiefs swinging about their heads like madmen their hobby horses and other monsters skirmishing amongst the throng.

 
Als Vergleich einen kurzen Exkurs zu dem schottischen „Abbot of Unreason“: Es ist durchaus bemerkenswert, dass es im (katholischen) Schottland keinen „Adeligen“ (also Lord) gab, sondern der Herrscher hier ein Abt war. Unter Queen Mary ließ das schottische Parlament diese Bräuche 1566 verbieten3.
 

This sporting, in which kings did not disdain to be actors, was prohibited in Scotland upon the Reformation, by a statute of the 6th Parliament of Queen Mary, c. 61, A. D. 1555, which ordered, under heavy penalties that ‘na manner of person be chosen Robert Hude (Anmerkung: entspricht Robin Hood), nor Little John, Abbot of Unreason, Queen of May, nor otherwise.

 
Die hier erwähnten Gestalten galten allesamt als rein  mythologische Figuren, Robin Hood als gegen die Obrigkeit gewandt, ebenso Little John als sein unmittelbarer „Vertreter“. 

Noch Queen Marys Vater (James V. aus dem Hause Stuart, König von Schottland und Neffe von Heinrich VIII.) soll – so wird zumindest erzählt – soll seine eigene Krone in der Mitra des Abtes der Weihnachtsspiele versteckt haben. Der Brauch des Abbot of Unreason war so beliebt und Wert geschätzt, dass hochstehende Adelige diese Rolle wahrnahmen.

Während der Regierungszeit der Tudors (etwa 1485 bis 1600) wurde dieses Fest immer ausschweifender und kostspieliger. Historische Literatur aus dem frühen 19. Jahrhundert hat in vielfacher Weise die Bräuche und Entwicklung des Brauchs des Lord of Misrule untersucht. Geprägt (natürlich) von einer eher reaktionänren gesellschaftlichen Haltung, werden die Bräuche eher als Ausuferung einer (noch) wenig zivilisierten Gesellschaft gesehen.

Aus dem Trinity College in Cambridge, das 1546 gegründet worden war, wurde sogar ausdrücklich ein ganzes Kapitel aufgenommen, das sich mit nichts anderem beschäftigte als den Aufgaben, die einer der Lehrer am College in jenen Tagen des Lords of Misrule haben sollte. Jedes Jahr wurde ein „Praefecto Ludorum qui Imperator dicitur“ ernannt, der darauf achten sollte, dass die Schüler es mit ihren „Games and Diversions“ nicht übertrieben. Seine Aufgabe – in den Regularien genannt „sovereignity“ - dauerte die „twelve days of Christmas“ und ging darüber hinaus eben bis zum bereits erwähnten Candlemas Day4.

Lord of Misrule Während des Konzils zu Basel im Jahr 1431 wurde das Narrenfest verboten, hielt sich dennoch noch lange Zeit hartnäckig. Sowohl der Bürgermeister von London als auch die Sheriffs der Stadt hatten einen oder sogar mehrere Lords of Misrule, die in den öffentlichen Gebäuden und der Stadt ihr Unwesen trieben. Dies ging so weit, dass es 1555 es sogar einen offiziellen Beschluss der Londoner Stadtverwaltung gab, die die Aufwendungen für dieses Fest stark begrenzte. Quellen erzählen davon, dass im Jahre 1561 der Narrenkönig auf einem Pferd durch London ritt, hundert Gentlemen im Gefolge, behängt mit goldenen Ketten.

Einen sehr umfangreichen Bericht über die historischen Grundlagen des Brauches Lord of Misrule und eine ausführliche Schilderung verschiedener historischer Entwicklungen in England bietet der Autor Isaac Disraeli (nein, nicht der spätere britische Außenminister sondern dessen Vater) in seinem Buch „Curiosities of literature“.
 
 
Zitate und Quellen:
1   John Nichols - The Gentleman's magazine, Band 130, Verlag E. Cave, 1821
Charles Knight - The popular history of England, Verlag Bradbury and Evans, 1856
3  Geeraert Brandt, Henry Ellis - Observations on popular antiquities, Band 1, Verlag Rivington, 1813
4   http://www.suite101.com - Rachel Bellerby - The Feast of Candlemas in Medieval Times, Dez 2008,  
 
  • Isaac Disraeli - Curiosities of literature, Verlag W. Pearson & co., 1835
  • Sir Walter Scott, J. W. Lake - The poetical works of Sir Walter Scott: with a sketch of his life, Verlag J. Crissy, 1838
  • Clifford Davidson - Festivals and plays in late medieval Britain, Verlag    Ashgate Publishing, Ltd., 2007
 
Abbildung:
Robert Chambers - The Book of Days, Verlag W. & R. Chambers, 1864
William Sandys - Christmastide, its History, Festivities and Carols, Verlag John Russell Smith, 1852

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