Der »Lord of Misrule« - Vom »König Hofnarr« (Update)
Der »Lord of Misrule« - Vom »König Hofnarr«
Man kann mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass diese Bräuche auf die römischen Saturnalien zurück gehen, in der man den Gott Saturn feierte. Während dieser Zeit fand eine Art "soziale Revolution auf Zeit" statt, in der gesellschaftliche Schranken durchbrochen und das soziale Gefüge auf den Kopf gestellt wurde. Herr über dieses Treiben war der König der Narren. Mit dem Übergang der römischen Gesellschaft hin zur christlichen Staatsreligion, behielten die Menschen diese Bräuche offenbar bei. Die christliche Kirche, die bei vielen heidnischen Riten darum bemüht war eine christliche Umdeutung zu schaffen, blieb hier untätig.
Polydore Vergil, Schöpfer eines ungemein bedeutendes Werks hinsichtlich der englischen Geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts erwähnt den Lord of Misrule. Seiner Aussage nach gab es ein festival of Christmas, einzigartig in der christlichen Welt, mit eben jenem Lord of Misrule, der bereits seit 1170 bekannt war und als eine Besonderheit eben Großbritanniens galt. Es gab Gesang und Tanz, Würfelspiele sowie Maskenspiele. Die verschiedenen Berichte aus dem 18. und 19. Jahrhundert, die von den Umtrieben berichten.
Von den Königshöfen in Großbritannien oder einigen öffentlichen Einrichtungen gab es die feste Institution des Lord of Misrule. Auch an Universitäten oder großen Gasthäusern ist bekannt, dass man diesen Brauch aktiv förderte.
In der mir erreichbaren historischen englischen Literatur sprach man von Christmas sports and their lord. Vor allem die Puritaner waren darum bemüht, diese Bräuche, die sie als unchristlich empfanden und rein von Aberglauben geprägt, einzudämmen, wenn sie diese schon nicht verbieten konnten.
Diese Herrscher auf Zeit begannen ihre Herrschaft an Allerheiligen und behielten ihr Amt bis zum Tag der Candlemas am zweiten Februar des Folgejahres. 40 Tage nach Weihnachten gefeiert, war die traditionell der Tag, an dem in der Kirche die Kerzen für das folgende Jahr gesegnet. Hier definierte die christliche Kirche einen wahrscheinlich bereits bestehenden festlichen Tag der heidnischen Riten um und machte daraus einen Tag in christlicher Bedeutung. Ursprünglich als Fest des Lichtes gefeiert, wurde es als der Tag in den Jahreskreislauf der Kirche als der Tag ausgewiesen, an dem Maria nach der Geburt des Kindes rituell jüdisch gereinigt wurde. Und da man an diesem Tag auch die Weihnachtsdekorationen aus natürlichen Materialien verbrannte (und sie der Erde zurück gab), war dies ein guter Tag, um die üblichen Regeln innerhalb der Gesellschaft wieder her zu stellen.
Eine schöne Beschreibung der Umtriebe fand sich in "The popular history of England"2.
Thus in every borough and more especially in every village the Lord of Misrule chosen by universal suffrage at Christmas or at Whitsuntide headed his company of lusty mummers in their gaudy liveries their scarfs and laces their legs hung with little bells and then march this heathen company towards the church and churchyard their pipers piping their drummers thundering their stumps dancing their bells jingling their handkerchiefs swinging about their heads like madmen their hobby horses and other monsters skirmishing amongst the throng.
This sporting, in which kings did not disdain to be actors, was prohibited in Scotland upon the Reformation, by a statute of the 6th Parliament of Queen Mary, c. 61, A. D. 1555, which ordered, under heavy penalties that na manner of person be chosen Robert Hude (Anmerkung: entspricht Robin Hood), nor Little John, Abbot of Unreason, Queen of May, nor otherwise.
Noch Queen Marys Vater (James V. aus dem Hause Stuart, König von Schottland und Neffe von Heinrich VIII.) soll so wird zumindest erzählt soll seine eigene Krone in der Mitra des Abtes der Weihnachtsspiele versteckt haben. Der Brauch des Abbot of Unreason war so beliebt und Wert geschätzt, dass hochstehende Adelige diese Rolle wahrnahmen.
Während der Regierungszeit der Tudors (etwa 1485 bis 1600) wurde dieses Fest immer ausschweifender und kostspieliger. Historische Literatur aus dem frühen 19. Jahrhundert hat in vielfacher Weise die Bräuche und Entwicklung des Brauchs des Lord of Misrule untersucht. Geprägt (natürlich) von einer eher reaktionänren gesellschaftlichen Haltung, werden die Bräuche eher als Ausuferung einer (noch) wenig zivilisierten Gesellschaft gesehen.
Aus dem Trinity College in Cambridge, das 1546 gegründet worden war, wurde sogar ausdrücklich ein ganzes Kapitel aufgenommen, das sich mit nichts anderem beschäftigte als den Aufgaben, die einer der Lehrer am College in jenen Tagen des Lords of Misrule haben sollte. Jedes Jahr wurde ein Praefecto Ludorum qui Imperator dicitur ernannt, der darauf achten sollte, dass die Schüler es mit ihren Games and Diversions nicht übertrieben. Seine Aufgabe in den Regularien genannt sovereignity - dauerte die twelve days of Christmas und ging darüber hinaus eben bis zum bereits erwähnten Candlemas Day4.
Während des Konzils zu Basel im Jahr 1431 wurde das Narrenfest verboten, hielt sich dennoch noch lange Zeit hartnäckig. Sowohl der Bürgermeister von London als auch die Sheriffs der Stadt hatten einen oder sogar mehrere Lords of Misrule, die in den öffentlichen Gebäuden und der Stadt ihr Unwesen trieben. Dies ging so weit, dass es 1555 es sogar einen offiziellen Beschluss der Londoner Stadtverwaltung gab, die die Aufwendungen für dieses Fest stark begrenzte. Quellen erzählen davon, dass im Jahre 1561 der Narrenkönig auf einem Pferd durch London ritt, hundert Gentlemen im Gefolge, behängt mit goldenen Ketten.
Einen sehr umfangreichen Bericht über die historischen Grundlagen des Brauches Lord of Misrule und eine ausführliche Schilderung verschiedener historischer Entwicklungen in England bietet der Autor Isaac Disraeli (nein, nicht der spätere britische Außenminister sondern dessen Vater) in seinem Buch Curiosities of literature.
- Isaac Disraeli - Curiosities of literature, Verlag W. Pearson & co., 1835
- Sir Walter Scott, J. W. Lake - The poetical works of Sir Walter Scott: with a sketch of his life, Verlag J. Crissy, 1838
- Clifford Davidson - Festivals and plays in late medieval Britain, Verlag Ashgate Publishing, Ltd., 2007