Vom Thomastag und den Raunächten
Vom Thomastag und den Raunächten
Viele Künstler haben sich mit dem Thema der Begegnung zwischen Jesus und Thomas auseinander gesetzt. Mein persönliches Lieblingswerk ist "Das Wiedersehen" von Ernst Barlach.
Kalendarisch ist der Thomastag von so großer Bedeutung, da ihm die längste Winternacht vorangeht. Das sommerliche Gegenstück ist die Johannisnacht. Laut christlicher Überlieferung hat es einen guten Grund, dass gerade Thomas der Namespatron dieses Tages ist. Da er jener war, der am längsten in der "Nacht" des Zweifelns stecken geblieben war, wurde ihm auch die längste Nacht mit dem kürzesten Tag zugeteilt.
Nach einer Überlieferung bzw. Rechenweise beginnen am 21. Dezember auch die sogenannten Raunächte (teilweise auch Rauhnächte geschrieben). Als der Tag und die Nacht, durch die eine Wende von der immer größer werdenden Zeit der Dunkelheit hin zu den wieder länger werdenden Lichtstunden hat der Thomastag schon immer eine große kultische Bedeutung. Die Raunächte selbst gehören zu den wichtigsten keltischen Traditionen, verbunden mit Verehrung und großer Angst.
Aufgrund verschiedener Kalenderverschiebungen kann man den Beginn der Raunächte aber nicht nur auf den 21. Dezember legen. Manche lassen sie mit der Heiligen Nacht beginnen und bis zum 6. Januar andauern. Das ist dann jene sogenannte "Perchten-Nacht" an Heilig-Drei-König.
Die zwölf Raunächte repräsentierten die zwölf Monate des kommenden Jahres und dienten vielfach für Orakel und Deutungen.
Auch ansonsten gab es um den Thomastag viele Sitten, die so auch in der Silvesterzeit zu finden sind und wieder Zeugnis ablegen für die kultische Bedeutung der Wintersonnenwende. Da gab es zum einen die eher amüsante Variante des Liebesorakels, in der heiratswillige Mädchen bis Mitternacht wach bleiben mussten, um dann in einem Wasser- oder realen Spiegel das Gesicht ihres zukünftigen Gatten sehen zu können.
Sehr viel bedeutsamer war das sogenannte Thomasorakel, von dem man sich eine Vorschau auf die Ernte im kommenden Jahr erhoffte. Anhand eines Keimtopfes, der am Thomastag mit Gerstenkörner bestreut wurde, versuchte man nach Weihnachten an der gekeimten und wachsenden Gerste zu erkennen, womit man zu rechnen hatte.
Vor allem in der Silvesternacht war besondere Vorsicht geboten. Diese Nacht gehörte nicht den Menschen, sondern dem Geisterreich. Wotan brach in dieser Nacht nach altem Volksglaube mit seinem Heer der Wilden Jagd auf und machte die Gegend unsicher, Geister konnten sich auf Erden bewegen und durch die Lande ziehen. Schließlich erklärt sich dadurch auch unser Brauch, an Silvester möglichst viel Lärm zu machen: Man wollte die Schrecken der Nacht und der Geisterwelt von sich, seinem Hof und seinen Leuten fern halten. Dies wurde dann an Fasching durch die Auskehr des Winters (und der Geister, die sich vielleicht eingenistet haben) vollendet.
Noch viele andere Sitten ranken sich um die Raunächte, besonders um vier spezielle Nächte. So durfte keine weiße Wäsche gewaschen und aufgehängt werden, Streit wurde nicht geduldet, die Schwerter hatten zu ruhen. Es durfte nicht geschmiedet werden - die heilige Zeit sollte nicht durch die mögliche Herstellung von Waffen besudelt werden. Frau Holle achtete mit Argusaugen darauf, dass in dieser Zeit nicht gesponnen wurde. Und eine Hausfrau, die sicher gehen wollte, dass ihre Obstbäume im kommenden Jahr gut trugen, hatte in diesen Tagen ihr letztes Früchtebrot zu backen, um mit bemehlten Händen nach draußen zu gehen und die Stämme der Bäume zu umarmen.