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Die Bewandtnis mit Atlantis: 5. Die Interpretation - Die Visionäre (oder Phantasten?)

Die Bewandtnis mit Atlantis5. Die Interpretation
Die Visionäre (oder Phantasten?)

Es dürfte deutlich geworden sein, daß sich keine der archäologisch erschlossenen Kulturen in allen wesentlichen Punkten mit Platos Beschreibung deckt. Die Geologie kennt keine untergegangenen Inseln der Nacheiszeit, die größer als „Asien und Libyen zusammen“ gewesen sind. Die Vor- und Frühgeschichte weiß nichts von einer Hochkultur gegen 9600 v. Chr.. Die Geschichtsschreibung vor Plato erwähnt an keiner Stelle ein mächtiges Inselreich jenseits der „Säulen des Herakles“. Wie also geht man damit um?

 

Im Großen und Ganzen scheint es bei den „Atlantologen“ vier Strömungen zu geben. Zur ersten, die ich ein wenig despektierlich „Phantasten“ getauft habe, gehören die Okkultisten, die aufgrund angeblicher Visionen oder Träume eine Lehre verbreiten, welche ganz und gar kein wissenschaftliches Fundament hat. Wenn hier der Begriff „Atlantis“ oder „Lemuria“ verwendet wird, so wie bei Edgar Cayce oder Helena Petrovna Blavatsky, so bedient man sich vor allem des Namens und des Nimbus‘. Genauere Details sind da nur erwünscht, wenn sie sich ohne große Mühe in das eigene Gedankenmodell integrieren lassen. Ziel ist es schließlich, sich selbst als Medium oder Hohepriester für die hoffentlich finanzkräftigen „Eingeweihten“ zu profilieren, und da müssen mysteriöse Orte und Legenden als Schminke des eigenen Erscheinungsbildes herhalten. Im Grunde genommen bedienen sich die Okkultisten wie Eklektiker aus dem gesamten Fundus an wissenschaftlichen Theorien, alten Schriften und folkloristischen Überlieferungen. So wie man sich im Supermarkt die Zutaten für das Abendessen zusammenstellt, so wird mal hier ein Detail aus dem Zusammenhang gerissen, und mal dort ein einzelner Befund verallgemeinert. Was nicht so recht passen will, wird passend gemacht. Ziel ist es schließlich nicht, durch Sammlung und Auswertung von Forschungsergebnissen zu einem Resultat zu kommen, sondern umgekehrt einer bereits fertig verfaßten Lehre einen pseudo- akademischen Anstrich zu verleihen.

Ihnen verwandt sind die sogenannten „Geheimwissenschaftler“, die sich nicht auf Träume oder Visionen berufen, dafür aber auf Fund- und Quellenmaterial, das der Öffentlichkeit angeblich niemals zugänglich gemacht worden ist. Seltsamerweise haben sie weniger Probleme damit, die auf dieser Basis gewonnenen Lehren publik zu machen. Also kann sie niemand widerlegen, weil niemand beweisen kann, daß die besagten Relikte und Dokumente inkorrekt gedeutet worden sind, es sich bei ihnen um Fälschungen handelt, oder sie aber gar nicht existieren. So wird das, was eigentlich der Bildung aller dienen sollte, zu einer mystisch verbrämten Geheimniskrämerei mit sektiererisch- religiösem Charakter. Ergo gehören die „Geheimwissenschaftler“ mehr in die Nachbarschaft von Okkultisten und Esoterikern, als in die der Schulen und Universitäten.

Leider bedient sich auch die sogenannte „seriöse“ Forschung immer wieder solcher Methoden. Eines der berühmt- berüchtigtsten Beispiele hierfür ist wohl der sogenannte „Piltdown- Mensch“, der lange Zeit als ältester Europäer galt. Nationalistische Interessen verhinderten über Jahrzehnte eine unvoreingenommene Untersuchung der Fundstücke, so daß man erst sehr spät erkannte, daß hier jemand einen Menschenschädel und den zurechtgefeilten Unterkiefer eines Orang Utan zusammengepackt hatte.

Manch einer aber hat auch gar nicht die Absicht, eine reale Welt zu schildern. So nannte Francis Bacon seinen idealen Staat „Neu- Atlantis“, obwohl es mit dem Vorbild kaum mehr als den Namen gemein hat (Nebenbei bemerkt, steht auch Thomas Morus‘ Utopia in Platos Tradition, eine perfekte Welt zu konstruieren). Hier sind wir dann bei den ehrlichen Phantasten gelandet.

Aber als „Phantasten“ werden manchmal auch die Vertreter der nächsten Gruppe tituliert, obwohl sie sich immerhin echter wissenschaftlicher Methoden bedienen.

 

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