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Die Bewandtnis mit Atlantis: 5. Die Interpretation - Die Interpretierer (oder Verfälscher?

Die Bewandtnis mit Atlantis5. Die Interpretation
Die Interpretierer (oder Verfälscher?

Die dritte Strömung versucht, Platos Dialoge so zurecht zu biegen, daß sie zu der jeweils gewünschten Lokalität passen. Man sucht sich dazu diejenigen Passagen heraus, die mit der eigenen Hypothese konform gehen, verbiegt ein paar weitere so, daß man sie integrieren kann, und diskutiert den Rest einfach weg. Diese Praxis ist Gang und Gäbe, daß man nicht fragen sollte, ob man das machen darf, sondern wie.

Am plausibelsten lassen sich die 9000 Jahre widerlegen, die von der Ära Atlantis bis in Solons Epoche verstrichen sein sollen. Sowohl Manetho, als auch Herodot überliefern uns ähnlich absurde Zahlen, was das Alter der Kultur am Nil anbelangt. Doch die Ägypter standen damit nicht allein; viele Völker übertreiben gern, wenn es um ihr Alter geht. Die 6000 Jahre, die die Gesetze von Tartessos als sein sollen, gehören ebenso dazu, wie das Jahr Null des Maya- Kalenders.

Auch die Größenangaben lassen sich noch relativ frei von Watschen in Frage stellen. Zum einen kann man nicht davon ausgehen, daß die Maßeinheiten in der fernen Vergangenheit die selben gewesen sind, wie in der Gegenwart, selbst wenn die Namen identisch sind. Zum anderen gab es damals keine Vermessungstechnik im heutigen Sinne. Die Landkarten (so es schon welche gab) waren voller Fehler und weißer Flecken. Die Angabe „größer als Libyen und Asien“ zusammen irritiert, wenn man bedenkt, daß man erst seit der Herrschaft Nechos II. eine ungefähre Vorstellung von der Größe Afrikas hat, und die Ausdehnung Asiens zu Platos Zeit noch ein völliges Mysterium gewesen ist. Dementsprechend variieren die Vorstellungen darüber, was man unter „Libyen“ und „Asien“ wirklich zu verstehen hat.

Auch, was die Namen angeht, die Plato erwähnt, hat man einen gewissen Interpretationsspielraum. Schließlich schreibt er selbst, es würde sich um Übertragungen aus dem Ägyptischen handeln, wobei auch dies nicht die originale Sprache gewesen ist.

Kritisch aber wird es, wenn man die geographischen Angaben seiner eigenen Theorie anpassen möchte. Da kann man ähnlich lautende oder aussehende Schriftzeichen (griechische wie ägyptische) anführen, um Übersetzungsfehler zu postulieren. Oder aber man behauptet, ein Detail im Text könne so nicht stimmen, und müßte deswegen ignoriert werden. Beispielsweise gehören die „Säulen des Herakles“ zum Tempel des Baal- Melkart in Gades, aber diese Stadt gibt es erst seit 1100 v. Chr. – Was also hätte man um 9600 v. Chr. unter dem Begriff verstanden? Schon hat man freie Hand, den Bosporus, die Straße von Messina oder die Meerenge zwischen Tunesien und Sizilien an die Stelle von Gibraltar zu setzen.

Schwer zu begründen schließlich ist es, warum man bestimmte Einzelheiten in Platos Bericht als Ausschmückung, andere aber als verläßlich einstufen möchte. Beispielsweise kann man behaupten, die Schilderung der Regierungsformen würden nur die Idealvorstellungen des Philosophen widerspiegeln, während der Rest auf Tatsachen beruhen mag.

An dieser Stelle aber haben wir einen Punkt erreicht, wo man letzten Endes alles für gültig oder ungültig erklären kann. Da stellt sich die Frage, ob man die Timaios und die Kritias überhaupt noch braucht, um seine Theorie zu begründen. Die Grenzen zwischen den Verfälschern und den anderen drei Strömungen sind fließend.

 

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