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Kopflose Hessen und Menschenhandel - Sleepy Hollow und die Hintergründe

Sleepy Hollow und die HintergründeKopflose Hessen und Menschenhandel
Sleepy Hollow und die Hintergründe

 Ein kopfloser Soldat reitet durch einen gespenstischen Wald und schlachtet scheinbar wahllos unschuldige Bewohner des kleinen Ortes Sleepy Hollow an der Ostküste der USA ab. Die Menschen sind hilflos. Da trifft es sich gut, dass Ichabod Crane, ein in New York in Ungnade gefallener Ermittler der Polizei, gerade nichts zu tun hat. Er wird in das verschlafene Loch geschickt und soll dort für Klärung sorgen. Dies tut er dann auch.

Eine vollkommen andere Geschichte erzählt Washington Irving in seiner Kurzgeschichte "The Legend of Sleepy Hollow", erschienen 1820 in einer Geschichtensammlung namens "The Sketch Book of Geoffrey Crayon, Gent."1.

Dort gibt es ebenfalls einen Ichabod Crane, ein Sleepy Hollow und den berühmten kopflosen Hessen, damit hat sich die Ähnlichkeit dann auch bereits.

Die Geschichte von Sleepy Hollow
Anders als in Tim Burtons Film fällt in Irvings Geschichte Ichabod Crane höchstselbt dem Hessen zum Opfer. Hier ist Crane ein wandernder Schulmeister, der sich immer dort verdingt, wo gerade Bedarf an einem Lehrer ist. Auch in Irvings Sleepy Hollow gibt es eine Katrina van Tassel, die Objekt der Begierde Cranes wird. Irving allerdings schildert diese nicht als Schönheit (im Film mit großen Kinderaugen verkörpert von Christina Ricci), sondern als eine 18jährige junge Frau, deren hervorstechendstes Merkmal die Tatsache ist, dass sie das einzige Kind (und damit Erbin) eines reichen holländischen Farmers ist. Er beschreibt sie als "plump wie ein Rebhuhn, reif und schmelzend und mit rosigen Wangen wie einer der Pfirsiche ihres Vaters", als ein "bisschen kokett wie man schon an ihrer Kleidung sehen kann, die eine Mischung aus altmodischer und moderner Mode war, ausgesprochen geeignet dafür ihren Liebreiz zur Schau zu stellen".

Die Menschen dieser Ortschaft kamen aus Holland und haben sich in diesem Tal angesiedelt, das auch der Namensgeber der Geschichte ist: "Sleepy Hollow" - "schläfriges/verschlafenes Tal". Das Tal wurde durch den Bachlauf geformt, der es durchzieht und offenbar ein Zufluss zum Hudson River ist.

Schon vor dem Auftauchen des kopflosen Hessen ist die Rede von einem Deutschen - wenn auch für einen kurzen Moment:

Some say that the place was bewitched by a high German doctor, during the early days of the settlement; others, that an old Indian chief, the prophet or wizard of his tribe, held his pow-wows there before the country was discovered by Master Hendrick Hudson. Certain it is, the place still continues under the sway of some witching power, that holds a spell over the minds of the good people, causing them to walk in a continual reverie. They are given to all kinds of marvellous beliefs; are subject to trances and visions; and frequently see strange sights, and hear music and voices in the air. The whole neighborhood abounds with local tales, haunted spots, and twilight superstitions; stars shoot and meteors glare oftener across the valley than in any other part of the country, and the nightmare, with her whole nine fold, seems to make it the favorite scene of her gambols.

In dieser seltsamen Welt lebt Ichabod Crane. Ichabod Crane, wie ihn Irving schildert, eignet sich nicht unbedingt als Protagonist einer Geschichte: Er wird als lang und dürr beschrieben, mit schmalen Schultern und Füßen so groß, dass die Schuhe als Schaufeln dienen konnten. Wenn er nicht mit Unterrichten beschäftigt war, half er den Bauern bei einfachen Arbeiten, war der Traum aller Schwiegermütter - er liebte es Kinder auf seinen Knien zu wiegen - und konnte singen. Er verdiente sich so manchen Cent damit, den Jugendlichen das Singen der Psalmen zu lehren.

Bei seinen Besuchen in den Häusern der holländischen Familien fand man ihn oftmals abends bei den alten Frauen am Feuer und ließ sich von ihnen die Geschichten der alten (und neuen) Heimat berichten, darunter auch die des kopflosen Hessen, der sich in der Gegend herumtreiben sollte. 

 

Ausschnitt aus einer Spielzeugschachtel mit Spielsoldaten "Revolutionary War Soldiers" Der "Headless Horseman of Sleepy Hollow" soll der Geist eines Hessischen Kavalleristen sein, der in einer der vielen "namenlosen Schlachten" des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges seinen Kopf durch eine Kanonenkugel verloren hat. Es kam immer wieder vor, dass ihn die Menschen in der Region Nachts übers Land reiten sahen, wie "on the wings of the wind". Sein Radius beschränkt sich nicht allein auf das Tal, sondern auch auf die umliegenden Straßen, vor allem jedoch auf das Gelände einer Kirche, die nicht weit vom Tal entfernt lag.

(Der Bildausschnitt rechts öffnet sich auf Klick zu einer Abbildung aus einer Spielzeugbox der 60er Jahre. Rechts im Bild ist dann eine Truppe hessischer Soldaten in typischer Uniform zu sehen - siehe auch unten - einer von ihnen trägt eine falsch eingefärbte Version des Union Jack2).

An dieser Stelle erwähnt Irving - wie um die Authentizität der Geschichte zu unterstreichen - dass es glaubwürdige Historiker der Region geben würde, die mit größter Sorgfalt die Fakten gesammelt hätten. Diese stellten fest, dass der kopflose Hesse wahrscheinlich auf diesem Friedhof beigesetzt worden war. Und man könnte davon ausgehen, dass dieser sich des Nachts auf den Weg vom Platz seiner letzten Ruhestätte hin zum Schlachtfeld machte, um nach seinem Kopf zu suchen. Und das Bemühen darum rechtzeitig vor Sonnenaufgang wieder zurück an seinem Grab zu sein, sorgte dafür, dass er wie ein "mitternächtlicher Windstoß" durch das Tal fegte.

Ichabod Crane hat eine - wie sich später herausstellt fatale - Affinität zu Geschichten wie der des kopflose Hessen:

He was, in fact, an odd mixture of small shrewdness and simple credulity. His appetite for the marvellous, and his powers of digesting it, were equally extraordinary; and both had been increased by his residence in this spellbound region. No tale was too gross or monstrous for his capacious swallow.

 

Noch größer allerdings wird Cranes Interesse an Katrina van Tassel. Er begleitet die junge Frau eines Tages nach Hause und sieht den ganzen Reichtum ihres Vaters, der eine großartige Zukunft verspricht - dem Mann, der Katrina vor den Traualtar führt. Allerdings hat Crane einen Rivalen, den lokalen Herkules, Brom Van Brunt. Auch dieser hat Interesse an Katrina, und als Lokalmatador gute Chancen darauf, den armen Schullehrer auszustechen.

Die Geschichte erreicht ihren Höhepunkt an einem geselligen Abend im Hause der Familie van Tassel. Wie so oft bei den gesellschaftlichen Veranstaltungen in der Gegend spricht man auch zu dieser Gelegenheit über den vergangenen Krieg. Die britischen und amerikanischen Linien waren während des Krieges ganz in der Nähe gewesen, und entsprechend hatte jede Familie ihre Erfahrungen mit Flüchtlingen, marodierenden Soldaten und allen Arten von Kriegshandlungen gemacht. Einige Geschichten werden kurz gestreift und vertiefen den Eindruck einer zutiefst von Aberglaube und übernatürlichen Geschehnissen geprägten Landschaft und Gesellschaft.

Auf seinem Heimweg kommt Crane an einigen jener Stellen vorbei, die so eng mit den unterschiedlichsten Spukgeschichten verbunden sind. An jedem Ort meint man die Bedrohung würde jetzt real werden, so steigt die Spannung bis zu dem Moment, an dem dem unglücklichen Ichabod klar wird, dass er es tatsächlich mit niemand anderem zu tun hat als mit dem "Headless Hessian". Und - Crane kann es kaum glauben - auf dem Sattelknauf des untoten Soldaten findet sich der Kopf des Unglücklichen. Es kommt zu einem verzweifelten Wettrennen, bei dem Crane versucht den Kirchhof zu erreichen. Angeblich, so zumindest hat es sein Konkurrent um die Hand Katrinas erzählt, würde der kopflose Reiter dann verschwinden und ihn nicht weiter verfolgen können.

Am kommenden Morgen entdeckt man das Pferd, das der Schulmeister benutzen durfte. Es hat seinen Sattel verloren, den man später neben einem zerplatzten Kürbis in der Nähe des Baches findet. Von Ichabod Crane fehlt jede Spur.

Die Geschichte endet mit dem Aufstellen zweier Theorien zum Verschwinden des Schulmeisters: Es wird von einem Bauern berichtet, der Ichabod Crane in New York gesehen haben will. Und dann sind da noch die alten Frauen von Sleepy Hollow, die fest daran glauben, dass der kopflose Hesse ihn geholt hat. Brom Van Brunt, der übrigens tatsächlich Katrina als seine Braut nach Hause führen kann, scheint mehr zu wissen, bricht er doch jedes Mal in lautes Lachen aus, wenn man über die ganze Geschichte spricht - und besonders  bei der Erwähnung des Kürbis. Aber er schweigt.

 

Washington Irving und seine Bücher

Washington IrvingWashington Irving (1783 - 1859) war Sohn einer kinderreichen New Yorker Familie schottischer Abstammung. Die Familie litt keine finanzielle Not, der Vater war ein wohlhabender Kaufmann. Zu Ehren des großen Kriegshelden des Unabhängigkeitskrieges General George Washington erhielt er den Vornamen Washington. 

Er versuchte sich mit Jura-Studien und arbeitete im väterlichen Unternehmen mit, wirklich interessiert war er jedoch daran zu schreiben, zu reisen, die Welt zu erkunden.  Seine schriftstellerische Tätigkeit begann mit Beiträgen in der Zeitschrift "Morning Chronicle" (Herausgeber war sein Bruder Pete) oder dem satirischen Magazin "Salmagundi", das er gemeinsam mit einem seiner Brüder und einem Freund herausgab. 

Gleich sein erstes Buch, das er unter dem Pseudonym Dietrich Knickerbocker veröffentlichte, war sein Durchbruch als Autor. Hinter dem Autoren D. Knickerbocker sollte sich ein schrulliger Gelehrter verbergen, der über die Herrschaft der Holländer über die Region des heutigen New York schrieb. Der Begriff "Knickerbocker" wurde so populär, dass er sich als Bezeichnung für jene New Yorker verfestigte, die ihre Wurzeln auf die holländischen Einwanderer zurückführen können.

Seine Reisen führten ihn nach Spanien, ein Land, das ihn ganz besonders faszinierte, er lebte viele Jahre in ganz Europa (1815-1832), darunter lange in England. Um Land und Leute kennen zu lernen (er gilt als der erste amerikanische Schriftsteller, der von seiner schreiberischen Tätigkeit leben konnte), diente er in England beim diplomatischen Korps, wieder zurück in Amerika nahm er an einer Expedition der US-Army in das weitgehend unbesiedelte Oklahoma teil. 

Die Erfahrungen, die er in Spanien, England und Amerika sammelte, verarbeitete er in seinen Büchern, die allesamt sehr populär wurden. 

Sunnyside - Das Haus von Washington Irving1835, nach Abschluss der Expedition, hatte er offensichtlich genug von seinem rastlosen Leben. Er kaufte ein Haus, spaßigerweise war es gerade ein Haus holländischer Einwanderer in dem Tal, durch das er seinen kopflosen Hessen gejagt hatte. Es gibt sogar ein von Irving in Wasserfarben gemaltes Bild mit dem Titel "The Van Tassel House - The Residence of Washington Irving". 

Irving heiratete nie, hatte jedoch ein lebendiges Haus, in dem er ständig Gäste aus seinem Freundeskreis oder seiner Familie beherbergte. Sein letztes Werk, eine umfangreiche fünfbändige Chronik über das Leben seines Namesgebers George Washington, an dem er viele Jahre arbeitete, betrachtete Irving als seinen persönlichen Triumpf. 

Washington Irving war bei nicht nur bekannt und beliebt, sondern genoß auch bei seinen Zeitgenossen in der Autoren- und Gelehrtenwelt hohes Ansehen. Bereits zu seinen Lebzeiten sah man in ihm den ersten ursprünglich amerikanischen Schriftsteller und bezeichnete ihn als Schöpfer der amerikanischen Literatur. Seine Geschichtensammlung "The Sketch Book of Geoffrey Crayon, Gent." (erschienen 1819-1820), aus der neben "Sleepy Hollow" auch die nicht minder berühmte Geschichte "Rip van Winkle" beherrbergt mit den beiden genannten Geschichten zwei klassische Shortstories, die man als die ersten amerikanischen Kurzgeschichten bezeichnet.

Insgesamt umfasst das literarische Werk von Washington Irving 18 Bücher und Zeitschriften, von denen  einige unter Pseudonymen erschienen. Etwa die Hälfte von ihnen umfassen Biografien. In ihnen tauchen immer wieder die Wurzeln der amerikanischen Einwohner auf, die Legenden und Märchen, die sie aus ihren Heimatländern mitgebracht haben (z.B. "Rip van Winkle" basiert auf einem deutschen Märchen, es gibt holländische Legenden, Geschichten der amerikanischen Ureinwohner.

Neben Tim Burtons Verfilmung von "Sleepy Hollow", die einen recht freien Umgang mit der Ursprungsgeschichte wählt, gibt es eine ganze Reihe anderer Verfilmungen und Adaptionen, Audioträger und sogar ein Broadway Musical (man solls nicht glauben). 

Ich will jedoch auf die verschiedenen Adaptionen nicht eingehen, sondern etwas ausholen und den geschichtlichen Ursprung und Hintergrund der Geschichte Irvings ein wenig "erhellen".

 

Die "Hessians" und der amerikanische Unabhängigkeitskrieg

Quer durch Irvings Geschichte ziehen sich die Erwähnungen des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges und der "Hessians", die darin beteiligt waren.

Was wir heute als Menschenhandel der übelsten Sorte bezeichnen würden, war in den feudalistischen Zeiten und unter den in Europa herrschenden Zuständen nichts Außergewöhnliches. Männer wurden als Söldner angeheuert, allerdings nicht direkt sondern über ihren Landesherren, der Geld für sie erhielt. Aufgrund der großen "territorialen Zersplitterung", die auf deutschem Boden groteske Züge angenommen hatte (es gibt zeitgenössische Karrikaturen, bei denen ein Pferdekarren einen jener Zwergstaaten durchquert - und während das Pferd bereits im Nachbarland ist, befindet sich das Hinterrad des Karrens noch im Nachbarstaat der anderen Grenzseite - ich erinnere mich aus dem Geschichtsunterricht lebhaft an sie, leider habe ich sie nirgendwo finden können), gab es in jedem Staat eigene Armeen. 

Nicht wenige dieser Landesherren haben die Gelegenheit des Krieges in dem fernen Kontinent genutzt, um auf Kosten ihrer Bevölkerung ihren Beutel zu füllen, beleibe nicht alle Fremdsoldaten stammten aus Hessen. Dennoch verbindet sich bis heute der Begriff "Hessians" mit diesen Soldaten.

Abbildung - Engl. Zahlungen an die dt. Landesherren - aus Knapp, a.a.O. Dieser Beginn einer Liste von Ersatzzahlungen Englands an die deutschen Staaten für gefallene Soldaten stammt aus dem Buch von Knapp3 und basiert auf "Schloezer's Staats-Anzeigen", einem (eigentlich dem einzigen) unabhängigen politischen Journal seiner Zeit.

Insgesamt kam eine Zahl von über 30.000 deutschen Soldaten über den Ozean. Mit fast 17.000 Mann stammte der weitaus größte Teil von ihnen aus dem Staat Hessen-Kassel, die übrigen verteilten sich auf Hessen-Hanau, Braunschweig, Ansbach, Bayreuth, Anhalt-Zerbst und Waldeck. Wenn man dann noch rechnet, dass Hessen-Hanau und Waldeck ebenfalls als Hessisch gelten, kommt man auf eine Zahl von fast  21.000 Mann, die aus hessischen Landen stammten. Dies macht auch verständlich, warum man diese fremden deutschen Truppen undifferenziert bis heute als "Hessians" bezeichnete.

Für uns heute unvorstellbar ist die Tatsache, dass es unter ihnen auch in gewissem Sinn "Freiwillige" gab, die in diem Kriegsgeschäft ihre (einzige) Chance auf eine Zukunft sahen. Die wachsende Bevölkerung machte es immer schwieriger sein Auskommen zu haben, die damaligen deutschen Staaten waren sehr landwirtschaftlich geprägt und boten schon lange nicht mehr allen Kindern der Familien die Möglichkeit, eine eigene Familie zu gründen und zu ernähren. So wählten eine ganze Reihe junger Männer diesen Weg um auf der Basis eines bezahlten "Jobs" in jenes vielversprechende Land zu kommen, noch dazu umsonst. Natürlich trugen sie dabei ihre Haut zu Markte, aber dies war eben so...

England hatte bei seinen holländischen und russischen Verbündeten versucht Truppen zu bekommen - diese wären erheblich preiswerter gewesen als deutsche Männer, allerdings ging man dort leer aus4. Also suchte man auf dem Kontinent weiter - und wurde rasch fündig, in Braunschweig - und in Hessen.

Ihre Soldaten (Ergänzung: Der hessischen Landgrafen), aus einem kräftigen, unverdorbenen und tapfern Volksstamme hervorgegangen, wurden durch Disziplin und Uebung  bald die besten und zuverlässigsten, darum auch gesuchtesten Truppen in Europa, und von England bis Griechenland gab es vom Ende des siebzehnten bis zum Ende des achtzehnten Jahrhunderts kaum ein Schlachtfeld, auf welchem sich die hessische Infanterie nicht rümlich ausgezeichnet hätte.5

 

The Hessians - Darstellung des Regiments von DonopIn den Jahren zwischen 1776 und 1782 (der Unabhängigkeitskrieg dauerte von 1775 bis 1783) starben von den gut 30.000 Soldaten knapp 8.000, über 4.000 - soweit die Schätzungen, Zählungen und Erkenntnisse - entschieden sich dazu in Amerika zu bleiben. Knapp 45% der Soldaten kehrten nicht nach Hause zurück. 

Auf der Abbildung rechts sind zwei Soldaten aus dem hessischen Donopschen Regiment zu sehen, beide in den typischen senfgelben Uniformen. Ganz rechts ein einfacher hessischer Soldat mit dem hohen Helm und den hochgeknöpften rotgefütterten Schürzen, links ein Kommandeur mit Dreispitz und Brustplakette.

Stiefel "The Hessian"Linke Abbildung: Eine Zeichnung aus der englischen Zeitschrift "Punch" mit dem Stiefeltyp "The Hessian", einem Stiefel mit vorne bis ans Knie hochgezogenem kurvig gestalteten Schaft und einem Stiefelband mit Quastenverzierung. Diese Stiefelform war die charakteristische Schuhform der hessischen Soldaten und wurde über ihre Beteiligung am amerikanischen Unabhängigkeitskrieg in die Mode eingeführt.

 Viele US-Amerikaner können ihre Wurzeln auf jene Soldaten zurückführen, die dort Kinder gezeugt haben und wieder nach Europa zurück kehrten, oder aber in den Staaten blieben.  Eine große Gruppe von ihnen bezeichnet sich als die "Schwälmer", nach der Schwalm, einer  Region in Mittelhessen. Sie liegt zwischen Kellerwald, Vogelsberg und Knüllgebirge (mit den Kleinstädten Treysa und Ziegenhain als Zentren). Es sind nur knapp 30 Dörfern, aus denen jedoch eine große Zahl an Soldaten sich auf den Weg machten.

 

Vor allem auf den vielen Seiten der amerikanischen Ahnenforscher, die ihre Familien auf diese Hessians zurückführen, finden sich sehr interessante und ausgesprochen eindrucksvolle Berichte, zu großen Teilen Briefe und Aufzeichnungen der Soldaten selbst. 

 

Deutschlandreise der "Schwalm Historical Ass.", ca. 1960

Etwa aus dem Jahr 1960 stammt das Foto einer Reisegruppe aus USA, die als "Schwalm Assoc." erstmals als organisierte Gruppe auf Spurensuche nach ihren Schwälmer Ahnen gingen.

Eine dieser Geschichten wird in aller Kürze über den Hessen und Soldaten Johannes Ulrich Zeth berichtet. Im Alter von 17 Jahren wird er mit den anderen Männern seines Regiments auf die lange Reise geschickt. Von Hanau aus führt der Weg per Boot nach Holland, wo dann die Verschiffung nach Amerika stattfand. Im Juni 1776 angekommen, gingen sie im Oktober ins Winterlager und waren ein Jahr später in Gefangenschaft. Dieser Soldat "entschied" sich dazu nicht sein Heimatland zurück zu kehren. Er wird als fahnenflüchtig und zum Feind übergelaufen geführt6

Andere kehrten zurück, verwundet, teilweise als Krüppel, teilweise starben sie noch Jahre später an den Verwundungen, die sie in dem fernen Land erhalten hatten. 

Sehr pragmatisch waren die Gründe, die die deutschen Staatsmänner dazu brachten, ihre Landeskinder in die Dienste des englischen Königs George III. zu geben: Zum einen bot sich hier die großartige Möglichkeit, ihren Staatssäckel relativ einfach zu füllen. Es gab offensichtlich "genug" "Menschenmaterial", das entbehrlich gewesen zu sein schien. Die Zahl von 150.000$ geistert als Bezahlung durch das Netz.

Gleichzeitig erhielten diese Regimenter durch die Kämpfe die dringend benötigte Kampferfahrung, die man ihnen in Deutschland nur begrenzt "zu Gute" kommen lassen konnte - und das auch noch ohne für den Unterhalt der Soldaten sorgen zu müssen. Und - last but not least - war George III. nicht irgendjemand und nicht nur König von England, sondern auch noch Herr über das Land Hannover, und damit eines der tonangebenden Territorien im kleinstaatlichen Deutschland. Neben den politischen Interessen gab es eine ganze Reihe verwandtschaftlicher Verknüpfungen des europäischen Hochadels - nicht von ungefähr war der damalige Landgraf von Hessen-Kassel ein Onkel des englischen Königs.

In allen kriegerischen Auseinandersetzungen des 18. Jahrhunderts gab es jene bezahlten Soldaten, die für einen ausländischen Herren zum "Einsatz" kamen, gerade für England war dies eine gängige Praxis, durchaus akzeptiert zu seiner Zeit als sogenannte "Auxiliartruppen". Einen ähnlichen Handel mit Truppen gab es im 30jährigen Krieg, bis heute gibt es in Schottland das Traditional "High Germany", in dem sich ein schottischer Soldat, der mit seinem Regiment nach Deutschland (vermutlich in den 7jährigen Krieg) aufbrechen muss.

Der französische Militärexperte Guibert schilderte diesen Verkauf deutscher Truppen als "mania of all these (little) German sovereigns to have battlements and troops", ein englischer Reiseführer beschreibt Deutschland sogar als die "große Kinderstube des Nordens, aus der Schwärme von Männern in alle Richtungen getragen werden"7

Gerade die hessischen Soldaten, relativ unspezifisch als Nachfahren der Chatten bezeichnet, galten als besonders kampftüchtig und gefährlich. Der hessische Landgraf Karl verkaufte/vermietete bereits 1677 Truppen nach Dänemark, später an Venedig und schließlich nach Holland. Hessen-Kassel hatte sich einen gewissen Ruf als Marktplatz gut ausgebildeter, leicht verfügbarer und offensichtlich erfolgreicher Zahlkämpfer gemacht. Wobei man dabei immer wieder betonen muss, dass es sich bei diesen Soldaten nicht um Söldner im eigentlichen Sinn der "Glücksritter" handelte, die auf eigene Rechnung arbeiteten, sondern um "Verfügungsmasse" ihres Landesherren. Eine sehr gute geschichtliche Übersicht über die Bedeutung des Soldatenhandels gerade für Hessen-Kassel bietet die Seite History.net mit ihrem Artikel "Hessians - The Best Army Money Could Buy"8. Ein wirkich ausgesprochen spannendes, erhellendes und gleichzeitig erschreckendes Bild eines deutschen Feudalherrschers.

Landgraf Karl starb erst 1785. Seine Entscheidungen des ausufernden Soldatenhandels hatten in Hessen-Kassel Spuren hinterlassen. Es fehlten schlicht und ergreifend die Männer. Sein Nachfolger, Wilhelm IX., sah sich zu Veränderungen gezwungen und richtete einen 12jährigen Militärdienst ein, mit dem man sich "freikaufen" konnte. Was man heute in Kassel als touristische Kleinode besichtigt, Schloss Wilhelmshöhe, den Herkules, die Löwenburg - all dies wurde bezahlt mit dem Blut dieser "Hessians", und mit den Leiden dieser Männer und ihrer Familien.

Das Blut und die Kraft des Landes wurde in der Residenz in Marmor und in Prachtbauten umgemünzt. (...) Hand in Hand mit dieser täglich und kostspieliger auftretenden Baulust und Verschwendung ging natürlich auf der anderen Seite der Menschenhandel und die Verarmung des Landes an Einwohnern.9

Quellen:

1 Copyrightfreier Originaltext der Geschichte von W. Irving: http://www.bartleby.com

2 http://home.att.net/~1.elliott/comicbooktoysoldiers3d.html

3, 4, 5, 9  Friedrich Kapp, Der Soldatenhandel deutscher Fürsten nach Amerika (1775 bis 1783), 1864, Leipzig

6 http://www.bobhudson.com

7 The Hessians (Paperback) von Rodney Atwood, 2002, Cambridge University Press

8 http://www.historynet.com

http://www.hudsonvalley.org
http://www.u-s-history.com
members.tripod.com/~Silvie/Hessian.html
www.ushistory.org

 

 

Kommentare  

#1 Mainstream 2008-09-29 11:32
:roll:
Jawohl, wieder was gelernt.
Wunderbarer Artikel und
sehr aufschlussreich.

Tim Burtons Film mag ich trotzdem.
;-)
#2 Ruzi the Spider 2010-01-02 16:11
Ich schließe mich Mainstream an, schön wieder etwas gelernt zu haben. Auf das Thema gekommen bin ich aber auch durch Tim Burtons 'Sleepy Hollow' und Christopher Walkens überragende Darstellung des Kopflosen (hessischen) Reiters.
#3 Bettina.v.A. 2010-01-02 16:43
Ich kam auf das Thema auch durch den grandiosen Film. Mich hat der historische Hintergrund interessiert - da ich mir die Frage gestellt habe, woher der "Hesse" kam.
Ich glaube auch irgendwo gelesen zu haben, dass die Soldaten sich die Zähne spitz zufeilten, um noch erschreckender zu wirken.
#4 Gerhard Schäffer 2011-08-25 07:37
hierbei wäre noch zu empfehlen: Der Winter, der ein Sommer war.

de.wikipedia.org/wiki/Der_Winter,_der_ein_Sommer_war
#5 Jessixa 2012-03-03 12:53
"plump wie ein Rebhuhn" ist falsch übersetzt. Plump bedeutet im Englischen soviel wie "mollig" oder "rundlich" und ist eher positiv belegt. Kathrina von Tassel wird in "Sleepy Hollow" daher durchaus als Schönheit beschrieben.

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