Go West! - 16. Juni 2014
Eine Reise in den ›Wilden Westen‹
16. Juni 2014
Oatman
Mit einer „Träne im Knopfloch“ verließen wir heute Tombstone, die einst so wilde Stadt, die noch heute eine starke historische Atmosphäre ausstrahlt.
Vor uns lag ein langer Weg, fast 500 Meilen quer durch Arizona. Dafür hätten die alten Pioniere früher mehrere Monate benötigt. Wir fuhren in ca. 7 Stunden durch eine spektakuläre Wüstenlandschaft mit Saguaro-Kakteen und Joshua Trees.
Unser Ziel war Oatman im Nordwesten des Staates an der alten Route 66.
Oatman entstand in den ersten Jahren des 20. Jh. als Minenstadt, nachdem schon seit Jahrzehnten Prospektoren in dieser gottverlassenen, zerklüfteten Berglandschaft immer wieder Gold entdeckt hatten. 1915 wurde in diesem zunächst aus Zelten und Buden bestehenden Lager für rund 10 Millionen Dollar Gold aus dem Fels gekratzt. Innerhalb eines Jahres lebten mehr als 3.500 Menschen hier – heute sind davon noch 128 übriggeblieben.
Die Boomgeschichte von Oatman ist lang: Schon 1863 hatte ein Prospektor namens John Moss Gold in den Black Mountains entdeckt und mehrere Claims abgesteckt. Aufgrund der abgelegenen, schwer erreichbaren Lage hielt der Erfolg sich in Grenzen. Zur Boomtown wurde Oatman erst im 20. Jahrhundert mit neuen Erzabbautechnologien und effektiveren Transportmethoden. Die „United Eastern Mining Company“ erzielte zwischen 1915 und 1917 extreme Gewinne. Es war einer der letzten großen Goldbooms in Nordamerika.
Nachdem die Siedlung mehrere andere Namen getragen hatte, wurde sie schließlich „Oatman“ genannt, zu Ehren von Olive Oatman, einem jungen Mädchen aus Illinois, deren Eltern von Yavapai-Indianern getötet worden waren. Sie war entführt worden und mußte als Sklavin arbeiten. Später wurde sie an die Mohave-Indianer verkauft, bei denen sie von einer Familie adoptiert wurde. Entsprechend den Stammessitten, wurde sie danach im Gesicht tätowiert; ihr Bild mit dem "entstellten" Mund wurde in ganz Amerika bekannt. 1855 wurde sie unweit der später nach ihr benannten Stadt freigelassen.
Das sicher prominenteste Bauwerk des Ortes ist das „Oatman Hotel“, das 1902 errichtet wurde und sogar die Feuersbrunst von 1921 überstand, die einen großen Teil der Siedlung vernichtete. Dieses Adobebauwerk hat eine besondere Geschichte. Am 18. März 1939 quartierte sich hier der weltweit bekannte Filmstar Clark Gable ein, der gerade in Kingman Carole Lombard geheiratet hatte. Die beiden verbrachten ihre Hochzeitsnacht in Oatman. Das Zimmer ist noch heute gekennzeichnet.
Gable war so fasziniert von dem Ort, daß er häufiger zurückkehrte und mit den Minenarbeitern Karten spielte – unbelastet und ungestört von seinem Starruhm, der jeden öffentlichen Auftritt von ihm begleitete.
Bis 1941 wurden für über 40 Millionen Dollar Gold in Oatman gefördert – das entspricht einem heutigen Wert von weit über 2,5 Milliarden Dollar.
Bei Eintritt Amerikas in den 2. Weltkrieg wurden die Minen geschlossen – die Ausbeute war allerdings schon vorher geringer geworden. Oatman verlor den größten Teil seiner Bevölkerung. Vor dem Schicksal, zur Geisterstadt zu werden, wurde der Ort von der legendären Route 66 bewahrt. Oatman wurde Zwischenstation für Reisende zwischen Kingman und Needles – bis Anfang der 1950er Jahre der Bau der Interstate-Autobahn begann und die Route 66 Vergangenheit wurde. Um 1960 war Oatman nahezu ausgestorben.
Die aufkommende Nostalgie für die Route 66 brachte neues Leben in den Ort. Oldtimer-Ralleys, Motorradkonvois, historisch interessierte Reisende und Route-66-Romantiker füllen seitdem die kleine Stadt, die sowohl das Flair der Pionierzeit als auch des beginnenden Automobilzeitalters ausstrahlt. Dafür sorgen auch die hier lebenden Menschen - ein besonderer Schlag, der bewußt in diese abgelegene Region gezogen ist, die den meisten von uns als "primitiv" erscheinen mag, die aber auch Freiheit von Hektik und Alltagsdruck bedeutet.
Die direkten Erben des Goldrausches sind heute die Attraktion von Oatman: Als die Minengesellschaften gingen, ließen sie die Lastesel zurück, die die Minenloren gezogen und die Werkzeugtransporte auf den halsbrecherischen Felspfaden durchgeführt hatten. Die Esel verwilderten, und heute leben ihre Nachkommen in Oatman und beherrschen die Straßen – sehr zur Freude der Touristen, die den Ort besuchen.
'Mutter aller Straßen'
Für die Amerikaner, aber auch für viele Nostalgiker der Automobilisierung ist die Route 66 die „Mother Road“, die Mutter aller Straßen. Entgegen der Legende war die rd. 2500 Meilen lange Route 66 aber nicht die erste transkontinentale Straßenverbindung der USA von Ost nach West; das war der „Lincoln Highway“, der um 1912 eröffnet wurde, der allerdings nur eine Kette von kleinen, meist unbefestigten Wegen war, während die Route 66 in der Tat als eine der ersten durchgängigen Straßen Nordamerikas ab 1926 von Chicago bis nach Santa Monica in Kalifornien führte.
Nichtsdestotrotz hat die Route 66 mit Recht Kultstatus erhalten, denn sie beendete eine im Grunde blamable Situation des amerikanischen Verkehrswesens.
Seit Ende der großen Planwagentrecks gab es nur die Eisenbahn, die Atlantik und Pacific miteinander verband. Die übrigen Landrouten bestanden aus häufig unpassierbaren Feldwegen. Es dauerte noch um 1920 mehrere Wochen, von einer Seite des Kontinents zur anderen zu gelangen, und es war ein Abenteuer, das sich unwesentlich von den Trecks der Pioniere im 19. Jh. unterschied.
Die wachsende Automobilindustrie übte massiven Druck auf die Regierung aus, diesen für eine Industrienation unmöglichen Zustand zu beenden.
Die Anlage der Route 66 nahm Jahre in Anspruch. Zunächst handelte es sich um reine Schotterwege. 1926 waren nur 800 Meilen asphaltiert. Es sollte bis 1938 dauern, bis die gesamte Strecke eine Asphaltdecke hatte.
1933 legte der Motorradfahrer Erwin Baker, der als „Canonball“ bekannt war, die gesamte Route in 53 Stunden zurück – ein Rekord.
Zur Legende wurde die Strecke allerdings erst in der großen Wirtschaftskrise der 1930er Jahre, als Farmer und Landarbeiter aus Oklahoma sich mit ihrer Habe auf den Weg nach Kalifornien machten, weil jahrelange Trockenheit ihre Existenz vernichtet hatte.
Zehntausende schleppten sich über die Route 66 nach Westen, um Arbeit auf den Orangen-und Zitronenpflanzungen an der Westküste zu finden. John Steinbek schrieb darüber seinen nobelpreisausgezeichneten Roman „Grapes of Wreath“ (Früchte des Zorns). 1946 entstand der Song „Get your kicks on Route 66“, der durch Nat King Cole, Chuck Berry und die Roling Stones zum Welthit wurde.
Bis in die 1960er Jahre war diese Straße die wichtigste transkontinentale Autoverbindung der USA. Sie war entscheidend für die Wirtschaft und soziale Bindungen. Sie schuf Arbeitsplätze und erhöhte die Mobilität. Neue kleine Städte entstanden.
Ab 1921 entwickelten sich entlang der Route neue Unternehmenskonzepte: Schnellrestaurants, Diners, Drive-In-Restaurants und Motels, in denen die Autofahrer mit ihren Wagen bis vor die Zimmertür fahren konnten. Auch die ersten Tankstellen wurden an der Route 66 eingerichtet – bis dahin war Benzin – man glaube es oder nicht – in Apotheken verkauft worden.
Auch der erste McDonalds Snack wurde am Rand der Route 66 aus der Taufe gehoben (1940).
Zu dieser Zeit war allerdings schon absehbar, daß die schmale Strecke den rasant anwachsenden Verkehr kaum bewältigen konnte. Das Ende der Route 66 kam mit der Präsidentschaft des ehemaligen Generals Eisenhower. Dieser hatte schon als junger Offizier die schlechten Verkehrsverbindungen in den USA beklagt. Als Oberkommandierender im 2. Weltkrieg in Europa hatte er u.a. die deutschen Autobahnen kennengelernt. Als US-Präsident veranlaßte er 1956 ein Gesetz, das heute als „Eisenhower Interstate System“ bekannt ist. Er leitete den Bau von mehrspurigen Autobahnen ein, den heutigen „Interstates“.
Die Route 66 wurde nach und nach überwiegend durch Interstate 40 ersetzt. Weite Teile der ehrwürdigen Strecke versandeten. Es setzte ein dramatisches Sterben von vielen Geschäften und kleinen Städten ein.
1985 hob ein Gesetz die Bezeichnung „Route 66“ offiziell auf – es gibt amtlich also die alte Route gar nicht mehr. Dagegen liefen Geschäftsleute, deren Existenz bedroht war, aber auch geschichtsbewußte Bürger Sturm. Daher gibt es heute an den noch befahrbaren Streckenabschnitten braune Schilder mit dem Aufdruck „Historic Route 66“.
Jahr um Jahr suchen Tausende das Feeling vom Beginn des Motorzeitalters und fahren auf den noch erhaltenen Abschnitten der „66“, kehren in den Diners der erhaltenen Ortschaften ein, genießen auf Plastikstühlen den Charme der 1930er, 1940er und 1950er Jahre. Man begegnet Ford T-Modellen und chromglitzernden Straßenkreuzern jener Zeit, als die „66“ Amerikas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht symbolisierte. Aber auch die Geschichten des Elends der verarmten Farmer, die über die „66“ Rettung suchten sind nicht vergessen.
Mit meiner Gruppe fuhr ich heute den vielleicht spektakulärsten Teil der noch erhaltenen alten Route durch die Black Mountains zwischen Kingman und Oatman. Eine schmale, atemberaubende Serpentinenstrecke, die die hohe Zeit des frühen transkontinentalen Autoverkehrs lebendig werden lässt.
Am Wegesrand findet man manchmal sogar Gräber, aber auch atemberaubende Ausblicke, und durch Kingman wird die 66 zum breiten, 4-spurigen Highway.