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Krieg um Troja - 4. Viele Trümmer und wenig Krieg – Was von Troja wirklich geblieben ist

Krieg um Troja4. Viele Trümmer und wenig Krieg
Was von Troja wirklich geblieben ist

a.) War das „heilige“ Ilion auch das echte Ilion?
Bei dem Hügel Hisarlik im Nordwesten der Troas handelt es sich um eine Anhöhe von heute fünfzehn Metern Mächtigkeit, auf dem die übereinander liegenden Siedlungsschichten einer Stadt liegen.

Eine davon setzt um etwa 700 vor Christus an, also noch zu Lebzeiten Homers.

 

Es ist nicht die älteste, und für 400 Jahre scheint es hier fast mehr Tempel als Wohnhäuser gegeben zu haben. Erst um 300 v. Chr. herum wurden nach der Einweihung eines großen Theaters und eines riesigen Athene Tempels Orte aus dem Umland aufgelöst, und die Bewohner hier angesiedelt (laut Strabo), um aus dieser Siedlung wieder eine Stadt zu machen. Eine, die man das „heilige Ilion“ (ursprünglich: „Ilios“) nannte. Ob dies wirklich die Stätte war, um den die Mythen um den Trojanischen Krieg kreisen, ist schon in der Antike angezweifelt worden (Demetrios von Skepsis, Hestaia von Alexandrie Troas, Strabo) – Und doch trug sie diesen Namen. War vom Perserkönig Xerxes, aber auch von Alexander dem Großen besucht worden, die den Heroen der Vergangenheit Tribut gezollt haben. Haben sie sich dafür wirklich die richtige Stätte ausgesucht?

Wirklich sicher sein können wir uns da auch heute nicht. Was Calvert und auf seine Anregung hin Schliemann im Hügel Hisarlik entdeckt haben, sind zwar die Überreste des griechisch römischen Ilion, und diese sind auch über mehrere Siedlungsschichten älterer Ortschaften gebaut, aber noch kennt man keine Schriftfunde von hier aus vorgriechischer Zeit (mit einer Ausnahme).

Freilich ist schon Schliemann mit der Ilias als „Landkarte“ auf die Suche gegangen, und die geographischen Übereinstimmungen werden herangezogen, um die Ruinen im Hügel Hisarlik als Homers Troja zu identifizieren. Allerdings könnte man da genauso gut versuchen, mit Anne Rice‘ Romanen in der Hand die Lage von New Orleans zu rekonstruieren. Nichtsdestotrotz hat sich hier eine besondere Metropole befunden, und die Lage am Eingang der Dardanellen entspricht genau dem, was uns aus der Antike über Ilion berichtet wird.

So ist die Wahrscheinlichkeit alles in allem recht hoch, daß wir hier tatsächlich die Stadt aus der Legende vor uns haben, und der Einfachheit halber werde ich die Restzweifel im Folgenden ganz einfach ignorieren.

Die übereinander liegenden Fundschichten werden traditionell in zehn Hauptlagen untergliedert. Inzwischen kann man sie exakter untergliedern; insbesondere Troia VII ist in mehrere Sektionen teils ganz unterschiedlicher Stadien aufgeteilt worden. Da sich die Einteilung von I bis X jedoch allgemein eingebürgert hat, werde auch ich sie verwenden.

b.) Das „maritime“ Troja
Aus der Nachbarschaft kennt man Siedlungsspuren, die bis 7000 v. Chr. zurück reichen. Das erste Dorf an der Stelle des späteren Ilion wurde um 3000 v. Chr. gegründet. Dieses „Troia I“ war von Anfang an mit einer Bruchsteinmauer umfriedet, die zunächst 2,5, und später drei Meter dick war. Drei Tore konnten lokalisiert werden, sowie die steinernen Fundamente von Häusern, die mit Lehmziegeln und Holzbalken in Fachwerk Bauweise errichtet waren. Manche standen einzeln, andere wie Waben aneinander. Die Dächer waren wohl flach, die Innenräume nicht in Zimmer unterteilt, und die Fußböden bestanden aus gestampftem Lehm mit Steinsockeln für die Herd und Schlafstellen. Die Töpferscheibe war noch unbekannt, aber es wurde bereits Bronze verwendet. Als lokale Eigenart gelten Messerklingen aus Obsidian. Einzelfunde deuten auf Handelsbeziehungen der an einer Bucht gelegenen Ortschaft in die nördliche Ägäis und ins westliche Anatolien hin.

Die Stadt blühte, und die Bevölkerungszahl nahm zu, so daß es um 2600 v. Chr. zu einem umfangreichen Ausbau kam. Für Troia II wurde der Hügel durch Aufschüttungen vergrößert, und die Stadtmauer immer wieder verlängert und mit Türmen versehen. Die Gebäude nahmen an Größe zu, und nach einer Weile ging man auch dazu über, Megaron Bauten zu errichten (Gebäude mit einer offenen Vorhalle). Noch später jedoch wurde der Platz zu knapp, so daß man wieder kleinere Häuser hochzog.

Erstmals scheint die Töpferscheibe zum Einsatz gekommen zu sein, wenn auch nur sporadisch. Charakteristisch wurden in dieser Ära Vasen, die menschliche Köpfe mit Gesichtern darstellten. Die bislang eher vereinzelt gebrauchte Bronze erfreute sich nun außerordentlicher Beliebtheit bei der Herstellung von Waffen, Werkzeug und sogar Behältnissen. Daß inzwischen ein gewisser Wohlstand eingekehrt sein mußte, zeigen die filigranen Arbeiten der Goldschmiede. Berühmt ist der von Schliemann gefundene „Schatz A“ (fälschlicherweise von ihm auch „Schatz des Priamos“ genannt), der aus nicht weniger als 8700 kleinen Goldperlen besteht.

Schon zu diesem frühen Zeitpunkt reichte der geschützte Bereich auf dem Hügel, dem „Burgberg“, nicht mehr aus, um allen Bürgern Wohnraum zu bieten. Die Basis eines Palisaden Bollwerks läßt darauf schließen, daß es in der Ebene vor der Anhöhe bereits eine – wenn auch noch bescheidene – Unterstadt gegeben haben mag.

In diese Zeit fällt auch die Aushebung eines Systems künstlicher Quellhöhlen im Westen, über welche die Unterstadt auch in Krisenzeiten mit Wasser versorgt werden konnte. Dieter Hertel bezweifelt, daß sie so früh schon genutzt wurden, und beruft sich darauf, daß die ältesten hier gefundenen Scherben erst aus dem dritten vorchristlichen Jahrhundert stammen. Allerdings räumt er ein, daß es Datierungen der Versinterungen gibt, die auf das dritte Jahrtausend verweisen. Warum jemand mit viel Aufwand und Arbeitseinsatz Grotten in den Fels schlagen sollte, um sie dann über Jahrtausende nicht zu nutzen, darauf geht er nicht ein.

Die Handelsbeziehungen müssen sich ausgedehnt haben; den Funden nach reichten sie inzwischen weit ins Schwarze Meer hinein, und bis an die Küste Syriens. Einige der verwendeten Materialien – vornehmlich Lapislazuli, Karneol und Jade – müssen aus Zentralasien importiert worden sein, wo es auch nennenswerte Zinnvorkommen gab, an denen das östliche Mittelmeer so arm war. Tatsächlich sind im Bereich Afghanistan – Usbekistan – Tadschikistan Bergwerke entdeckt worden, die immerhin auf das zweite vorchristliche Jahrtausend datiert werden.

Um 2350 v. Chr. kam es zu einer größeren Brandkatastrophe. Gleich im Anschluß wurde die Stadt wieder aufgebaut, aber offenbar in großer Eile: Die Mauern von Troia III waren dünner und weniger akkurat. Doch noch bevor die Siedlung wieder vollkommen hergestellt war, wurde sie erneut ein Opfer der Flammen.

So kam es, daß man augenfällig gar nicht die Gelegenheit hatte, alles zu bergen, was von Troia II unter Trümmer und Asche verschüttet worden ist (so den berühmten „Schatz des Priamos“). Freilich macht es den Eindruck, als lägen diese Wertgegenstände unter dem Schutt, und nicht mitten drin. Es mag sein, daß es hier schon einen Krieg oder Bürgerkrieg gegeben hat, so daß die Einwohner ihre Habseligkeiten versteckten. So manch einer mochte diese Wirren nicht überlebt, und sein Wissen um die verborgenen Kostbarkeiten mit ins Grab genommen haben.

Im Anschluß wurde der Ort nach ganz anderem Muster wieder aufgebaut. Die Häuser wurden kleiner und waren jetzt ganz aus feuerfestem Bruchstein gefertigt. Man kannte nun Innenhöfe und abgetrennte Zimmer. Die Unterstadt dehnte sich immer weiter über die Ebene aus.

Nicht nur in der Metropole, auch im Umland muß es Probleme gegeben haben. In den Küchenabfällen sind weniger Knochen von Haustieren gefunden worden als zuvor. Dafür nahm der Anteil von Wild zu. Die Viehzucht mußte in eine Krise geraten sein, vielleicht weil die Höfe der Bauern von umherziehenden Kriegern geplündert und abgefackelt wurden. Oder auch, weil die Voraussetzungen zur Landwirtschaft generell schlechter wurden, und Hungersnöte ganze Völkerschaften in Bewegung setzen mochten. In der Tat gab es weiland in der gesamten nördlichen Hemisphäre eine Verschlechterung des Klimas.

Die Phasen I – III sind auch als „Maritime Troia Kultur“ bekannt. Das liegt daran, daß der Ort damals noch direkt an einer in die Dardanellen mündenden Bucht gelegen hatte. Damit hatte es über einen unmittelbaren Zugang zum Meer verfügt. Diese Bucht aber versandete im Laufe der Jahrhunderte mehr und mehr.

c.) Das „anatolische“ Troja
Den Beginn von Troia IV und der „Anatolischen Troia Kultur“ gegen 2200 v. Chr. kennzeichnet ein markanter Wechsel im Fundspektrum und in der Architektur. Langgestreckte, aneinander anschließende Fachwerkhäuser bestimmen das Bild, die Typen aus dem Inneren Kleinasiens entsprechen. Auch bei den übrigen Fundstücken ist eine deutliche Zunahme aus dieser Region stammender Kulturelemente zu verzeichnen. So traten Kuppelöfen neben die sonst üblichen offenen Feuerstellen. Gefäße mit Kleeblatt förmigem Ausguß und hochgezogenen Henkeln verbreiteten sich. Die altvertrauten Gesichtsvasen wirkten stilisierter und erhielten Ärmchen an den Seiten.

Rosiger aber wurden die Zeiten trotz der Zuwanderer nicht; bei den Küchenabfällen hatte der Anteil der Wildknochen noch mehr zugenommen (> 30%).

Erst um 1900 v. Chr. (in Troia V) wurden nach zahlreichen Bränden wieder größere und sorgfältiger konstruierte Häuser aus Steinen, Ziegeln und Lehm hochgezogen. Endlich dominierte wieder deutlich die Viehwirtschaft, was für ruhigere Verhältnisse im bäuerlichen Umland spricht. Auch setzte sich die Töpferscheibe schließlich durch, und der Seehandel scheint dem Fundspektrum zufolge wieder floriert haben.

Um 1750 v. Chr. aber wurde die Stadt beinahe aufgegeben. Warum, ist bislang nicht geklärt; es finden sich lediglich Spuren kleinerer Brände und eines langsamen Verfalls.

Zu dieser Zeit waren die Wanderungen der Indogermanen aber schon längst im Gange (Siehe Kapitel 9 b); in Griechenland beispielsweise hatten längst schon Aiolier und Ionier Quartier bezogen. Und gegen 2500 v. Chr. waren wohl über den Kaukasus Stämme nach Anatolien gekommen, die mit Gewißheit der umtriebigen Völkergemeinschaft angehörten, sollten sie später doch zahlreiche Schriftzeugnisse hinterlassen. Sie teilten sich durch Vermischung mit einheimischen Gruppen schon bald in drei Völker auf: die Hethiter, die Luwier und die Palaer.

d.) Die Hochkultur
Die Luwier waren es, die um 1700 v. Chr. die Troas erreichten. Ihre Neubesiedlung Ilions leitete die Phase der Hochkultur (Troia VI und Troia VIIa) ein. Zugleich erlebten überall am östlichen Mittelmeer Reiche und Großreiche einen ungeahnten Aufschwung. Das minoische Kreta, das mykenische Griechenland, das Hethiter Reich von Kussara bzw. Hattusa, Mittanni, Assyrien und Babylonien bestimmten zunehmend Politik und Handel in der Region (Freilich waren nicht alle Staaten die ganze Zeit über gleich stark oder unabhängig). Auch das altehrwürdige Ägypten erlebte mit dem Neuen Reich noch einmal eine Blüte, und selbst freie Städte wie Ugarit und die früh phönizischen Häfen Byblos und Sidon erlebten eine Ära des Wohlstands. Die Verwendung von Bronze erforderte lange Kaufmannswege, da sich die Lagerstätten der Grundstoffe Zinn und Kupfer an voneinander ziemlich entfernten Orten befanden. Die weite Verbreitung der indogermanischen Sprachen bis in den Norden Europas dürfte mit dafür verantwortlich sein, daß sich der Warenverkehr bis in die entlegensten Regionen erstreckte. Bernstein aus Nord und Ostsee beispielsweise gelangte bis an den Nil. In Ugarit und später in Phönizien operierte man mit Buchstabenschriften, und in Hattusa verarbeitete man Eisen. Es gibt sogar Anzeichen für ein frühes Währungssystem, hatten doch die babylonischen Minen und die kaukasischen Beinringe in etwa das selbe Gewicht. Auch das schon von den Schnurkeramikern verwendete Pferd fand über die indogermanischen (und später die hurritisch semitischen) Wanderungen Verbreitung.

Auf welch tönernen Füßen das damalige Machtgefüge jedoch stand, zeigt bereits, daß eines der mächtigsten Imperien, das Reich der Hethiter, immer wieder von den Kaskäern, unorganisierten Barbaren, überfallen werden konnte. Ja, selbst ihre Hauptstadt Hattusa wurde von ihnen geplündert.

Troia VI an der Nahtstelle zwischen zwei Meeren und zwei Kontinenten kam in diesem Wirtschaftsraum eine besondere Rolle zu. Zeugnis für die ausgedehnten Handelsverbindungen liefern nicht so sehr die wenigen Funde mykenischer Töpferkunst (die allerdings noch recht häufig sind im Vergleich zum Rest Kleinasiens), als die zahlreichen Nachahmungen griechischer Stile (auch als „Grauminyische Keramik“ und „Anatolische Grauware“ bekannt). Umgekehrt fanden diese Imitationen Verbreitung bis nach Hellas. Doch nicht nur den Güterverkehr gelangte die Metropole zu ungeahntem Reichtum, auch kam man auf den Gedanken, die Rösser gleich vor Ort zu züchten, statt nur Umschlagplatz zu sein. Zumindest in den Knochenfunden lassen sie sich ab jetzt sicher belegen.

Ihre Macht und Größe macht sich auch im Grundriß bemerkbar. Die Abhänge des Hügels Hisarlik wurden zu Terrassen planiert, um sie bebaubar zu machen. An Stelle der alten Stadtmauern dort wurde eine regelrechte Burg mit Türmen angelegt, die freilich im Verlauf von 400 Jahren zweimal verstärkt wurde. Am Schluß waren die Mauern fünf Meter dick, zehn Meter hoch, und die Steinlagen zur Abfederung von Erdbeben in Wellenform aufeinander geschichtet. Vier Tore ermöglichten den Zugang. Vor dem Südtor, aber auch bei einem nahen Großbau, waren Steinstelen aufgerichtet, welche die Funktion von Götzenbildern erfüllten.

Erhalten geblieben sind auch je ein abzweigender Ansatz einer weiteren Mauer im Westen und im Osten. Sie allein deuten an, daß auch die Unterstadt südlich des Burgbergs befestigt gewesen ist. Sogar Reste eines Wassergrabens sind gefunden worden, der einen Meter ins Gestein gehauen worden ist. Allerdings ist diese Tiefe zu gering, um wirklich ein effektives Hindernis darzustellen. Leider wird nicht erwähnt, ob sich über der Rinne noch eine Schicht Erde befunden hat, die als Böschung eine Erhöhung des Randes bewirkt hätte.

Die Straßen und Plätze waren mit Steinplatten gepflastert, die teilweise imposanten Bauten zum Teil mehrstöckig. Mindestens vier davon wiesen – wie die Umfassungsmauer – spitze Zinnen auf.

Für die gesamte Anlage dieser prunkvoll repräsentativ gestalteten Oberstadt sind die Überreste der vorangegangenen Siedlungsschichten in Mitleidenschaft gezogen worden. Aber auch von Troia VI fehlen wegen einer späteren Planierung große Bereiche, traurigerweise genau im Gipfelbereich, in dem der Herrschersitz samt Schreibstube vermutet wird.

Die dazu gehörige Unterstadt ist nur zu einem Bruchteil ergraben, aber anhand der festgestellten Begrenzungen (die einen Meter tiefe Rinne) konnte eine Fläche von 270.000 Quadratmetern erschlossen werden. Anhand der in den Graben gekippten Abfälle konnten sogar einige der hier ansässigen Betriebe erschlossen werden, so etwa Schmieden (Schlacke) und Färbereien (Schalen der Purpurschnecke). Aber auch zahlreiche Wohnhäuser konnten anhand von Pfostenlöchern, Stein und Lehmfundamenten lokalisiert werden. Je näher die Bauten an der Oberstadt lagen, um so wohlhabender schienen die Bewohner gewesen zu sein, wie sich an der Größe ablesen läßt. Im offenbar besonders gut betuchten Nordwest Viertel gab es auch wieder eine breite Pflasterstraße.

Gegen 1420 v. Chr. kam es in einem der als Palast gedeuteten Gebäude zu einem Brand, und es wurden viele Gefäße zerschlagen. Man hat spekuliert, ob es einen Zusammenhang mit einem in hethitischen Quellen erwähnten Krieg gegen eine „Assuwa“ Koalition gegeben hat, also gegen einen Staatenbund, der im Nordwesten Kleinasiens lokalisiert wird. Da jedoch weitere Hinweise fehlen, läßt sich hier keine gesicherte Aussage treffen.

Erst gegen 1300 v. Chr. (nach Latacz erst um 1250 v. Chr.) wurden in größerem Ausmaß Teile der Stadt zerstört. Hier sprechen die Risse in mehreren Mauern eine eindeutige Sprache: Kein Trojanischer Krieg hat hier seine Spuren hinterlassen, sondern ein heftiges Erdbeben.

Was nun mit Troia VIIa folgt, ist augenscheinlich immer noch eine reiche Stadt. Aber die Zeiten scheinen unsicherer geworden zu sein. Ein neuralgischer Punkt im Verteidigungssystem, das Westtor, wurde zugemauert. Am Südtor wurde ein gewaltiger Turm errichtet, und auch der Ostturm und die Bastion im Nordosten mögen aus dieser Phase stammen.

Der Fund eines Stiergefäßes, in dem sich hethitische Traditionen mit mykenischen mischen, deutet die politischen Verhältnisse in Ilion an, an der Nahtstelle der Einflußsphäre zweier Großmächte.

Ab Mitte des 13. Jahrhunderts scheint sich die Lage verschlimmert zu haben. Zeugten anfangs noch weitere Großbauten für einen fortdauernden Wohlstand, so wurden sie im Burgbereich nun durch kleine, dicht aneinander gedrängte Häuser ersetzt. Selbst offene Plätze wurden überbaut, und allerorten Vorratsgefäße (Pithoi) im Fußboden eingelagert. Selbst einige Bestattungen sind hier vorgenommen worden, und nicht auf dem Friedhof südwestlich der Unterstadt. Es macht ganz den Eindruck, als habe man nun große Bevölkerungsteile im Schutz der Burg beherbergen müssen. Eine längerfristige Belagerung ist durchaus denkbar. Gleiches gilt aber auch für die Anlage von Nahrungsreserven, um der Hungersnot zu begegnen, die mehreren Quellen zufolge das östliche Mittelmeer heimgesucht haben soll.

An der Wende zum 12. Jahrhundert dann brach die Katastrophe über die gesamte Region herein. Ägyptische Zeitzeugnisse nennen es den „Seevölkersturm“, was ganze Reiche von der Landkarte gefegt hat. Auch in Ilion hat dieses Ereignis (oder besser: diese Kette von Ereignissen) gegen 1190 v. Chr. Spuren hinterlassen: Die gesamte Stadt hat in Flammen gestanden, und vereinzelt finden sich Überreste von Waffen (Pfeilspitzen) und gewaltsam zu Tode gekommenen Menschen. Drei aufgeschichtete Haufen von Schleudersteinen lassen darauf schließen, daß hier ein Krieg stattgefunden hat.

e.) Das dunkle Zeitalter
Eine vollständige Vernichtung ist jedoch nicht erfolgt. Dafür treten im keramischen Fundspektrum von Troia VIIb1 nun Stilrichtungen auf, wie sie bislang für den Balkan (aber auch Griechenland und Norditalien) charakteristisch gewesen sind. Gleiches gilt für das Auftreten der nach ihrer Form, nicht nach ihrer Funktion benannten „Violinbogenfibeln“. Eine Fibel ist eine Art Sicherheitsnadel, die zum Verschließen von Gewändern benutzt wurde, bevor man Knöpfe kannte.

Dass es immer noch vermögende Einwohner gab, zeigt ein Fund aus einem der wieder errichteten Gebäude der Unterstadt. Nebst Gold und Bronzeschmuck lag hier ein Karneolsiegel mykenischen Typs und ein eisernes Ärmchenbeil, wie man es sonst nur aus dem hethitischen Raum kennt.

Um 1130 v. Chr. folgte ein weiterer Großbrand. Hier sind allerdings bislang keine Indizien für ein kriegerisches Ereignis bekannt. Im Anschluß nahm den Funden zufolge in Troia VIIb2 der Anteil der aus dem Balkan stammenden Bevölkerung zu. Kennzeichnend hierfür sind Orthostaten (aufrecht stehende Steinplatten in den Hausfundamenten) und nicht mit der Töpferscheibe gefertigte „Buckelkeramik“ (benannt nach der Form der Verzierungen). Man grub Keller, und die Häuser mit ihren kleinen Räumen deuten auf ein Ende des Reichtums von Ilion hin.

Ausgerechnet hier, zu einer Zeit, wo es das hethitische Großreich seit ungefähr einem halben Jahrhundert schon nicht mehr gab, findet sich ein Beleg für eine luwische Herrscherschicht, und ist damit das älteste erhaltene Schriftzeugnis in der Stadt überhaupt: Ein bronzenes Doppelsiegel! Die luwischen Hieroglyphen darauf weisen den Benutzer als Schreiber aus.

Für den Westen Anatoliens ist ein Reich namens Mira belegt, das zu den Staaten gehört, die den Trümmern des hethitischen Imperiums entstiegen sind. Allerdings wissen wir von ihm kaum mehr als den Namen (und den des Herrschers), so daß wir nicht sagen können, ob das Siegel nun noch aus älteren und glanzvolleren Tagen stammt und an die Nachkommenschaft vererbt worden ist, ob es einem Beamten in Miras Diensten gehörte, oder aber einem, der für ein unabhängiges Ilion arbeitete. Auch kann es auf anderen Wegen hierher gelangt sein, vielleicht als Schmuckstück oder im Gepäck eines luwischen Diplomaten, der hier nur zu Besuch war. Solange nicht weitere Siegel oder gar Tontafeln gefunden werden, die auf ein lokales Archiv hindeuten, kann bestenfalls gemutmaßt werden.

Um 1050 v. Chr. (nach Hertel frühestens um 1020 v. Chr.) brannte auch Troia VIIb2 bis auf die Grundmauern nieder. Diesmal deuten die Funde zahlreicher knöcherner Pfeilspitzen auf einen weiteren Krieg hin. Leider sind diese Spuren noch vager als die am Ende von Troia VIIa, so daß Dieter Hertel glaubt, ungestraft behaupten zu dürfen, es wären „nirgends Reste von Waffen oder Toten“ entdeckt worden.
Außerdem führt er den Befund eines Hauses an, das zwar offensichtlich fluchtartig verlassen, hinterher aber von Trägern derselben Kultur wieder bewohnt wurde. Das allerdings können auch miteinander verfeindete Sippen und Stämme sein. Handelt es sich um eine nur mit archäologischen Mitteln definierte Kultur, können hier sogar mehrere Völker zusammengefaßt worden sein. Soll Hertels Argument Sinn machen, muß es sich bei den Alt und Neubürgern schon um ein und dieselbe Familie handeln. In dem Fall jedoch verwundert es, daß sie die Gegenstände nicht geborgen hat, deren Zurücklassen den Eindruck eines überstürzten Aufbruchs erweckt haben.

Hertel setzt das Ende der Bronzezeit erst mit dem Ende dieser Stadt an. Üblicherweise wird es für das östliche Mittelmeer in die Ära des Seevölkersturms gelegt.

Was dann mit Troia VIIb3 folgt, kommt schon fast einer Vernichtung des Ortes gleich. Es finden sich noch Spuren einer Besiedlung, doch hat sie schon beinahe ländlichen Charakter. Den Küchenabfällen nach ist wieder viel Wild gegessen, also gejagt worden. Dies spricht nicht für eine funktionierende Landwirtschaft und Viehzucht. Bei den erhalten gebliebenen Gefäßen sind viele Gefäße im „protogeometrischen“ Stil verziert, der seinerzeit charakteristisch war für Griechenland. Vielleicht gab es nun griechische Siedler, vielleicht sprechen die Relikte aber auch nur für rudimentäre Handelsbeziehungen nach Westen. Hätten sich jetzt schon Aioler hier niedergelassen, stünde dies ohnehin im Widerspruch zur bisher geläufigen Geschichte der Kolonisation, der zufolge sie die Troas erst um die 250 Jahre später erreicht haben sollen.

Eine erneute Feuersbrunst machte um 950 v. Chr. auch dem Dorf Ilion ein Ende. Was blieb, waren eine Reihe von Ruinen, die nicht wieder aufgebaut worden sind. Hinweise auf einige wenige Bewohner finden sich kaum, aber sie reichen erstaunlicherweise aus, daß Dieter Hertel, der ansonsten alle Indizien für einen gewaltsamen Konflikt um 1190 und 1050 für zu dürftig befunden hat, hier noch eine kontinuierliche Besiedlung annimmt.

Während um 800 v. Chr. im Umland mehr und mehr Kolonisten aus Hellas ihren Wohnsitz nahmen, blieb Troja immer noch weitgehend leer, ja, es wurde sogar als Steinbruch genutzt. Erst gegen Mitte des 8. Jahrhunderts (oder kurz davor) wurde im Südwesten des alten Burgwalles zwei Altäre unter freiem Himmel errichtet, die von Mauern umgeben waren. Hier wurden im Rahmen eines Fruchtbarkeitskultes Löwen gehalten.

Dies ist aber auch schon die Ära Homers, und damit muß ein möglicher Krieg, über den er berichtet, vorher stattgefunden haben.

Aus diesem Grunde werde ich die nachfolgenden Schichten, Troia VIII (griechisch), Troia IX (römisch) und Troia X (byzantinisch), im Rahmen dieses Aufsatzes nicht mehr behandeln. Zu erwähnen wäre allerdings noch, daß um 300 v. Chr. auf dem höchsten Punkt des ehemaligen Burgberges ein gewaltiger, der Athene geweihter Tempel errichtet worden ist. Zu diesem Zweck hat man den Untergrund planiert, und damit auch die dortigen Überreste älterer Siedlungsschichten abgetragen. Da aber Herrschafts und Verwaltungssitze der Bedeutung halber oft an der am weitesten sichtbaren Stelle der Stadt errichtet worden sind, ist so damit zu rechnen, daß sämtliche Spuren von Königspalästen und Archiven aus der Bronzezeit für immer verloren gegangen sind. Wäre dem nicht so, hätte die Geschichte des alten Ilion vermutlich so gut dokumentiert wie die von Mykene und Theben. Damit hätten die Schwerpunkte dieser Abhandlung ganz woanders gelegen.

 

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