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»Schön war die Jugend?« - Ausflüge in die Romanheftvergangenheit: Der Sensenmann - Gespenster-Krimi Nr. 298 von Mike Shadow

Schön war die Jugendzeit? -  Ausflüge in die RomanheftvergangenheitAusflüge in die Romanheftvergangenheit:
»Der Sensenmann«
Gespenster-Krimi Nr. 298 von Mike Shadow

Nach zwei mehr als robusten, sondern sogar überraschend guten Gespenster-Krimis aus der Frühzeit der Serie wage ich nun mal den Sprung in die Zeit, als so langsam aber sicher alles dahingehend glatt gebügelt wurde, dass die Verlage selten noch wirkliche Experimente zuließen und die Autoren sich mit den Subserienhelden weitestgehend arrangiert hatten.


Intensivplots und starke Gewaltdarstellungen gingen so allmählich zurück und die üblichen Plot-Standards traten immer stärker auf den Plan.

Der dritte „Versuch“ meinerseits findet nun also mit einem Einzelroman statt, der vier Jahre nach dem gewalttätigen „Monster aus dem Jenseits“ veröffentlicht wurde. Keine Subserie, dafür ein Autorendebüt, wenn auch von einem Verfasser, der aufgrund seiner übrigen Beiträge zu anderen Serien zu einer – noch aktiven – Institution geworden ist.

Hinter dem Verlagspseudonym „Mike Shadow“, seit Gespenster-Krimi 243 am Start, versteckt sich in diesem Fall Wilfried A.Hary, der für viele der heute nostalgisch beäugten SF-Serien der 70er schrieb, sich mit dem Dämonenjäger „Mark Tate“ im „Geister-Krimi“ samt Folgeserien ein Denkmal setzte und im Bereich „E-Books“ früh das Eis für ein potentielles Publikum brach. Seine Serie „Star Gate“ läuft noch immer höchst erfolgreich, steht aber aufgrund des Mediums eben weder im Bahnhofshandel noch im Blickpunkt der Öffentlichkeit.

Für den „Gespenster-Krimi“ schrieb Hary „nur“ zwei Romane (bei „Damona King“ war er als „H.P. Usher“ wesentlich aktiver, aber da er seine Fußspuren praktisch überall hinterlassen hat (u.a. bei Professor Zamorra, „Vampir“ und – als wohl einziger gesonderter Gastautor – bei einem Larry Brent-Roman), aber das macht die Sache meistens noch attraktiver, weiß man doch nie so recht, ob das Thema bei der Konkurrenz abgelehnt worden war oder ein notdürftiges Loch im Line-Up bei Bastei gestopft werden musste.

Obwohl ich Hary beim „Geister-Krimi“ (noch) nicht unter die Lupe genommen habe, scheint mir nach der Lektüre dieses Romans zumindest halbwegs ersichtlich, wenn Bastei ihn nicht mit offenen Armen empfangen hat. Das heißt nicht, „Der Sensenmann“ wäre ein üblen Langweiler geworden, aber der Roman wirkt dann doch wie ein bemüht gerupftes Hühnchen, eine gewollt kompliziert angelegte Angelegenheit, die in bester Krimitradition eine ganze Reihe von Verdächtigen präsentiert und zwischen diversen Handlungsorten wie wild hin und herspringt, ohne den Gesamtzusammenhang dann doch vor der mysteriösen Seite 49 zu präsentieren (tatsächlich war die Seite in letzter schon mehrfach so eine Art inhaltliche Wendeboje).

Ich habe ja nichts gegen das Prinzip „Hauptsache, es ist was los!“, denn wer mag schon zum drölften Mal lesen, wie sich ein weibliches Opfer drei Seiten lang auf der Flucht vor dem Werwolf, Monster oder der dämonischen Steuerfahndung durch ein variabel in Schottland, Spanien oder im Schwarzwald befindliches Mischuntergehölz schlägt und windet – aber der flotte Aktionismus sollte nicht gänzlich auf Kosten der generellen Verständlichkeit gehen. „Der Sensenmann“ ist knallvoll, knallbunt und leider stetig auf der Suche nach demjenigen, der die ganz Plotfäden endlich zusammen führt – und hier sind nicht nur der Geisterjäger, sondern auch die Opfer über fast die volle Distanz auf der Suche.

Aber der Reihe nach...

Der SensenmannZum Inhalt:
Der Sensenmann als Partygast! Bei Peter Carlson ist gerade eine Kostüm- und Maskenparty schwer am Laufen, als der schwarz bekuttete Sensenmann vor der Tür steht, die baldige Verdammnis ankündigt und eingebeten wird. Drinnen ist man verwirrt, der Gast steht auf keiner Liste, der Gastgeber ist irritiert, seine Frau Maryann ist sonstwo, seine Exfrau Therese Gabriel auch ist beunruhigt, doch die zickt eh an einem anderen Gast namens Benno Clasen herum.
Als der unheimliche Gast soweit ist, explodiert die Butze und zurück bleiben nur Trümmer und ein großes Loch im Boden – die Menschen sind verschwunden.

Letzteres erfährt der Yard-Beamte Rex Gardiner wie auch der Leser aber erst aus der Zeitung und beide sind sichtlich interessiert. Gardiner besitzt hellseherische Fähigkeiten und hat noch ein paar andere Para-Tricks drauf und daher ist er inzwischen Freiberufler. Er wendet sich an seinen alten Superintendent Watson und bittet darum, sich den Tatort mal ansehen zu dürfen, auch wenn alles nach einer Gasexplosion ausschaut. Dabei hat er eine Vision des Todes, wie der Sensenmann gerade das Opfer eines Selbstmordversuchs per Tabletten in Empfang nimmt.

Besagtes Opfer trägt den Namen Frank McDowell und sieht sich selbst über seinem Körper schweben, während der Tod sich seiner bemächtigt – und er ist ganz und gar nicht glücklich darüber.

Im Anschluß hat Rex die Vision leider schon wieder vergessen (sein Chef aber nicht) und macht sich zum Tatort auf. Dort hat er erneut eine Vision von eben diesem explosiven Party-Vorfall, wobei er selbst fast zu Tode stürzt. Er wird gerade noch von Chefinspector Simens gerettet. Gardiner hat den Verdacht, dass seine psychischen Kräften von der Gegenseite angepeilt werden können, sobald sie aktiv werden.

An der Themse bemächtigt sich inzwischen Peter Carlsons Neffe Tony Henderson eines Bootes seines Onkels (vermeintliche Erbmasse) und bricht mit seiner Freundin Janet Falk zu einer kleinen Ruderpartie auf. Doch der Tod naht auch über das Wasser...

Auf Hendersons Spur gerät Gardiner, als er erfährt, dass Tablettenopfer McDowell der Exmann von Partyopfer Therese Gabriel war – und sie ihn aus Rache wegen Untreue ruiniert hat, was zum Suizid führte.

Doch die Verfolgung wird durch die Gegenseite erschwert: Gardiner wird von drei Killern angegriffen und kann sich nur durch konsequenten Einsatz seiner telekinetischen und telepathischen Kräfte retten. Derweil erfährt Super Watson davon, dass ein mafiöser Verbrecher namens George Kelly gerade nach 22 Jahren aus dem Knast entlassen wird. Watson erscheint dieses Zusammentreffen von Ereignissen schon zu zufällig – und tatsächlich hat Kelly Rachegelüste im Sinn. Er besucht aber erstmal sein altes Liebchen Lil Babs in deren Stammkneipe und nimmt sie in den Arm. Dann ruft er Watson an und droht ihm eine Runde. Dazu legt er noch ein paar Einflüsse aus dem Jenseits und erklärt den Tod zu seinem Helfer und jagt Watson eine Heidenangst ein.

Gardiner hat derweil Henderson und seine Freundin Janet vor dem Ertrinken gerettet und diese in Hendersons Wohnung untergebracht. Dort lässt er sie sich aufwärmen und beschuldigt Henderson testweise des Mordes an seinem Onkel. Mit Erfolg, denn dieser wird renitent, will erst fliehen, eröffnet dann aber auf Rex das Feuer und will ihn zusätzlich vom Dach stoßen.

Derweil ist McDowall in einer Zwischendimension wieder aufgewacht und hat sich in eine monströse geflügelte Chimäre verwandelt – und nicht nur er, die gesammelten Partygäste sind dort versammelt und gehen als Mutanten aufeinander los. Und wer verliert und stirbt, erwacht als neues Fabelwesen. Irgendwann gerät er an ein anderes Wesen, das etwas gesprächiger ist und es entpuppt sich als derjenige, der den Todesdämon beschworen hat. Die beiden wollen – gegen ihren Willen- zusammen arbeiten...

Gardiner hat inzwischen mit Hilfe seiner Fähigkeit den Beinahe-Sturz verhindern können und sogar Henderson vor einem weiteren Eingreifen des Dämons gerettet. Als er in McDowalls Wohnung weiter forschen will, tut sich dort ein Höllenschlund in die Zwischendimension auf. Derweil erfährt McDowell von seinem Begleiter, Benno Clasen, die Vorgeschichte...

Verzettelte Eindrücke
Ich mache hier mal ganz schnell Schluss, weil ich das Ende und den Verantwortlichen natürlich nicht spoilern will, aber vor allem weil die Entwirrung des Plotkonstrukts noch einmal so lang geworden wäre.

Was hier jetzt halbwegs Inhaltsangabenstruktur hat, ist in Harys Roman leider in 100 kleine Häppchen zerschnippelt worden, die den Leser stetig zwischen den Handlungsorten hin und herpendeln lassen, je nachdem wo gerade irgendwas los ist. Mache Dinge sind dabei breiter als nötig geraten, manche schmaler – die Henderson-Story etwa nimmt ungewöhnlich viel Platz ein, führt aber schlussendlich zu nichts, während die Figur des George Kelly stimmungsvoll eingeführt wird, dann aber meistens inaktiv vor sich hindümpelt, ehe sie am Ende in einem Feuergefecht verheizt wird.

Da nützt der größte Grusel-Zwischenwelts-Aufwand nichts, Hary hat hier einen klassischen Whodunitkrimi geschrieben und um magische Flüche und dämonische Bündnisse ergänzt. Das wäre an sich ganz interessant, wenn er nicht die meisten der logischen Verdächtigen schon auf Seite 4 gekillt hätte, um sie erst 40 Seiten später als mögliche Beteiligte in diesem Höllenkomplott zu entlarven.

Man hat Agatha Christie und ihren Kollegen in einem sehr lustigen Film mal vorgeworfen, sie würden auf den letzten fünf Seiten noch Figuren zwecks Auflösung einführen, von denen vorher nie die Rede war und so ähnlich funktioniert auch „Der Sensenmann“. Hary hat den Fall offenbar von hinten nach vorne konzipiert und spielt so am Anfang „namedropping“, um später Bedeutungen dazu zu erfinden. Das tut er aber so zögerlich, dass ich wiederholt zurückblättern musste, ob ich da nicht irgendwelche biographischen Details übersehen hatte.

Hatte ich aber zumeist nicht, denn während die Chose mit dem dämonischen Pakt schon bald klar ist, spielt der Autor in der Frage, wer denn der Verantwortliche sein könnte, lieber mit allen Beteiligten Ringelreihen und präsentiert zum guten Schluss denjenigen als Täter, der bis dato am unauffälligsten geblieben war. Das Prinzip des nachträglichen Erklärens wird aber ganz schön strapaziert, da man sich hier von selbst überhaupt keinen Reim auf die Ereignisse machen kann, denn letztendlich gibt es hier eine ganze Latte von lichtscheuen Elementen, Dämonenbeschwörern und mehr oder weniger echte Hexen, die nach und nach alle mal an der Uhr gedreht haben – Raymond Chandler hätte an dem Konstrukt seine helle Freude gehabt.

Das ist dann auch interessanter als das übernatürliche Element des „Todes“, der übrigens recht inaktiv nur mit Anwesenheit glänzt und im Laufe des Romans immer unwichtiger wird. Auch die Höllendimension ist weniger schrecklich als putzig, denn da war wohl die muntere Bastelei mit Tierversatzstücken der Antrieb (mein Favorit ist die Dame, die in eine Mischung aus Biene und Schaf verwandelt wurde) – gruselig ist das alles nicht.

Anlass für eine Runde Stirnrunzeln gibt auch der Allzweckheld Rex Gardiner, der natürlich gut gebaut, blond und Yard-Beamter ist bzw. war. Hellseher, Visionär, Telekinet, Psychokinet, Schutzschirmmutant gegen dämonische Einflüsse – der Mann kann einfach alles, wenn es nötig ist. Und es ist immer nötig, so dass Hary eine Fähigkeit nach der anderen aus dem Hut zaubert, sobald die Kacke mal wieder am Dampfen ist. Weil die Fähigkeiten so wenig fassbar sind, kann er auch aus dem Vollen schöpfen. Zwar wird die mögliche Totalerschöpfung am Anfang mal erwähnt, später spielt die im Dauereinsatz aber keine Rolle mehr. Etwas abstrus dann aber schließlich das endgültige Finale, das mittels einer Flasche Hochprozentigen entschieden wird – ein Schlusskampf, der wohl nicht nur mir ein herzhaftes „Häh? Wat?“ entlocken würde.

Was ich als Whodunit-Freund wirklich mochte, war das fröhliche Rumreichen des schwarzen Peters auf den letzten 15 Seiten, wo stetig ein neuer Erzbösewicht präsentiert wird, um ihn dann wieder zu entlasten – allein ist das alles nicht sonderlich überzeugend geplottet.

Wer also mal einen richtig schönen Actionkrimi im Heftromanformat lesen möchte, der soll hier nochmals zugreifen, mit reichlich Drive und Kugelhagel und dämonischen Angriffen aus allen vier Zimmerecken hat „Der Sensenmann“ viel zu bieten.

Dabei ist er aber auch komplett keimfrei geraten, denn so blutarm kam mir selten ein Gruselroman daher, obwohl reichlich Leute sterben. Aber wenn sie es tun, dann meistens im Off oder man bekommt nur das Ergebnis berichtet oder passiert als dämonisches Erstarren oder via Verkehrsunfall.

Offenbar hatte man die wesentlichen Freiheiten beseitigt, doch das ist nicht zwangsläufig schlimm, eher fällt hier wieder mal das Problem der Strukturierung von stets 3-4 parallel laufenden Cliffhanger-Szenarien auf, mit denen man gut Seiten schinden kann, die aber lange Zeit den Leser ratlos in der Schwebe halten, bis darauf eine ziemlich überkomplizierte und stark konstruierte Erklärung folgt, bei der man aufgrund der immer erst nachträglich entwickelten Charaktere und nachgeschobenen Vorgeschichten sich stark übertölpelt vorkommt.

Also auch hier: keine Enttäuschung, mehr eine Irritation darüber, was für seltsame Blüten tatsächlich eine Anthologieserie trieb.

Springen wir also nochmals voran, so zwei Jährchen, und schauen dann nochmals nach...

Kommentare  

#1 Andreas Decker 2016-03-22 11:03
Hary war nicht der Einzige, der Larry Brent geghostet hat, da gibt es unter anderem noch 2 Romane von Uwe Anton und gerüchteweise noch weitere Fremdautoren.

Das Christie-Zitat - ich mag diesen Film, der blinde Butler und die taubstumme Köchin :D - ist schon nicht ganz falsch. Dergleichen hat sie gelegentlich gemacht, und das hat nie funktioniert. (Auch wenn Millionen von Christie-Fans das Gegenteil behaupten :-) )

Ich konnte mit Hary auch nie viel anfangen. Und irgendwann fand ich diese Allzweckhelden nur noch langweilig, genau wie der Verzicht auf jede Atmosphäre. Wo einem auf dem Weg zum Supermarkt zwei Vampire, ein Werwolf und mindestens ein Dimensionstor begegnet und keiner sich drüber wundert.

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