Vom Vampyr zum Positronenhirn. Alte phantastische Literatur im Verbrauchertest: Teil 33: Larry Brents Ahnen - Geisterjäger-Serien vor Dan Shocker
Teil 33:
Larry Brents Ahnen
Geisterjäger-Serien vor Dan Shocker
Als Jürgen Grasmmück 1968 den ersten Larry Brent-Heftroman im Silber-Krimi des Zauberkreis-Verlags herausgab, ahnte er vielleicht nicht, dass er damit eine Mode etablierte – denn schon bald sollte es in der deutschen Heftszene von Agenten, Reportern und Detektiven nur so wimmeln, die regelmäßig gegen die Mächte der Hölle kämpften. Ihm bleibt das Verdienst, einer der ersten – und nicht zu vergessen – der besten Autoren solcher Serienromane gewesen zu sein. Er hat den Markt für Deutschland geöffnet, und so mancher Fan denkt dankbar zurück an amüsante Stunden mit Larry Brent, John Sinclair, Tony Ballard oder Rick Masters.
Doch natürlich waren schon viel früher Geisterjäger unterwegs.
Der erste dürfte wohl – Sherlock Holmes höchstselbst gewesen sein. Auch er hat es in seinen 60 „echten“ Fällen von Arthur Conan Doyle immer wieder mit sehr unheimlichen Phänomenen zu tun. Am bekanntesten ist natürlich der Kampf gegen den Höllen-Hund von Baskerville. Doch auch in den kleinen Erzählungen finden sich gruslige Elemente – zu meinen Lieblingsgeschichten zählen „Der Teufelsfuß“, vielleicht die düsterste Holmes-Erzählung überhaupt, und „Der Vampir von Sussex“.
Erstaunlicherweise klären sich aber all diese okkulten Fälle rational auf. Erstaunlich deshalb, weil Doyle selbst durchaus an das Jenseits glaubte – er war ein bekennender Spiritist und hat auch außerhalb des Holmes-Kanons einige sehr beeindruckende Horror-Stories hinterlassen.
Es ist sicher kein Zufall, dass die ersten Serien-Geisterjäger aus England kamen, dem Land von Holmes.
Die heute fast von allen Quellen übereinstimmend genannten Erfinder des Geisterdetektivs waren ein seltsames Gespann, aber vielleicht muß man das auch sein, um auf sowas zu kommen. Ein schreibendes Mutter-Sohn Duo! Er hatte den sonderbaren Namen Hesketh Hesketh-Pritchard (Dopplung ist kein Druckfehler!), die Verleiherin des Namens und Erzeugerin des Co-Autors hieß Kate O'Brien Pritchard. Beide veröffentlichten skurrile Geschichten unter dem Pseudonym „Heron“.
Ihr Geister-Detektiv hieß Flaxman Low. Die Flaxman-Low-Erzählungen erschienen von 1898-99 in der Zeitschrift Pearsons Magazin. Bei einigen Scifi-Fans regt sich da vielleicht was im Hinterkopf – genau, das war die Zeitschrift, die Wells' legendären „Krieg der Welten“ in Fortsetzungen als Erstdruck herausbrachte – und zwar nur wenige Monate, bevor Flaxman Low die Bühne betrat als erster okkulter Ermittler. Er hat schon viel von den späteren Hero-Exemplaren: Exzellenter Wissenschaftler, aber auch durchtrainierter Athlet, stürzt er sich mit Begeisterung in 12 Kurzgeschichten in die Welt des Übersinnlichen.
Stephen King postuliert in seinem wunderbaren Zeitreise-Roman „Der Anschlag“ immer wieder: Die Vergangenheit harmonisiert mit sich selbst. Damit meint er, das es an neuralgischen Punkten der Geschichte – privat oder offiziell – zu verblüffenden Ähnlichkeiten kommt.
Er scheint recht zu haben, wenn man sich den ersten Serien-Geisterjäger ansieht, der von einem weltberühmten Autor erschaffen wurde. Er hieß John Silence. Eine gradezu unheimliche Namens-Ähnlichkeit zu John Sinclair! Und ich glaube kaum, dass Jason Dark den gekannt hat. Er ist heute total vergessen. Also John Silence, nicht Jason Dark.
Sein Schöpfer war der legendäre Horror-Schriftsteller Algernon Blackwood (1869-1951). Der Seriencharakter hielt sich allerdings in Grenzen: Es handelt sich um die kleine Anzahl von nur sechs Kurzgeschichten, die 1908 gesammelt erschienen.
1909 gibt’s es dann den ersten echten Heftroman-Geisterjäger. In diesem Jahr erschien in Frankreich die kurzlebige Heftserie „Sar Dubnotal, der große Geisterbanner“. Wie auch der Luftpirat ist die Serie recht geheimnisumwittert. Wir wissen nichts über den oder die Autoren. Es erschienen 20 Hefte, 11 davon wurden wohl fast parallel auch ins deutsche übersetzt.
Sar Dubnotal, ein undurchsichtiger, geheimnisvoller Abenteurer, ein Guru, der mit seinem Lieblingsschüler Rudolf durch die Lande reist, bearbeitet eine Menge bizarrer und okkulter Fälle – die er bemerkenswerterweise auch mit okkulten Mitteln löst. Wir begegnen den typischen unheimlichen Figuren der Jahrhundertwende-Trivialliteratur, Hypnotiseuren, Maharadschas, Psychogogen und unheimlichen Prinzessinnen.
Mit viel Energie und Sorgfalt hat der Dieter-von-Reeken-Verlag es geschafft, diese extrem rare Heftreihe fast vollständig in einer dreibändigen Buchserie zu rekonstruieren: 17 von 20 Heften werden dort ungekürzt präsentiert, die meisten aus dem französischen übersetzt, bei einigen verschollenen wurde auf spanische Übersetzungen zurückgegriffen.
Etwas später, vermutlich im Fahrwasser der deutschen Sar-Dubnotal-Übersetzungen, erschien dann die erste deutsche Geisterjäger- Heftserie: Minx, der Geistersucher (ca. 1910/11).
Aber Moment – das hieße ja, Grasmück/Shocker war doch nicht der Erfinder des Serien-Heft-Grusels? Doch. Lassen wir ihm diesen Ruhm, denn Minx war alles andere als eine konsequente Grusel-Serie. Zunächst schaffte sie es nur auf 10 Hefte. Und erst in Heft 3 schwenkte man aufs Übersinnliche ein.Vorher hieß die Reihe nur: Minx – moderne Detektiv-Romane. Und ab Heft 8 beschloß man, vermutlich wegen der schlechten Verkaufszahlen, die Serie anderen Fällen wieder zu öffnen, dann hieß sie nämlich einfach nur noch Minx. Auch folgt die Mini-Serie eher dem Holmes-Konzept; die unheimlichen Vorfälle stellen sich meist als raffinierte Trickbetrügereien heraus.
Immerhin gebührt dieser wenig spektakulären Fehlgeburt eines Genres die Ehre, den ersten Versuch gemacht zu haben, eine deutsche Grusel-Serie mit identischem Helden zu kreieren.
Auch in England tauchte um 1910 ein neuer Geisterdetektiv auf. Der war zwar nicht sehr langlebig, stammte aber von einem Schöpfer, der fast keine einzige schwache Zeile geschrieben hat und zu den größten Horror-Autoren aller Zeiten gehört: William Hope Hodgson (1977-1918). Er steuerte einige der verstörendsten Grusel-Erzählungen und -Romane zum Kanon bei, unter anderem den Dark-Fantasy-Roman „Das Haus an der Grenze“ (1908). Hodgson gehört zu den wenigen Autoren, die mich nicht mehr nur amüsieren, sondern die mir wirklich Angst einjagen. Ich lese ihn nie nach Einbruch der Dämmerung, nachdem ich diesen Fehler als 25jähriger leider gemacht habe. Dennoch (oder grade deshalb) finde ich es bedauerlich, dass die einzige deutsche Übersetzung von „Carnacki, der Geisterfinder“ (1910-13) hoffnungslos vergriffen ist. Auch hier handelt es sich nur um eine Mini Serie (9 Kurzgeschichten, die bequem in ein Taschenbuch passen), allerdings gehören sie zu den schönsten Geisterjäger-Geschichten der Weltliteratur, für die ich gerne vier Kisten späterer John-Sinclair-Hefte hingäbe. Vielleicht auch fünf.
Der erste bedeutende Geisterjäger, der auch quantitativ etwas zu bieten hat, hört auf den lustigen Namen Semi Dual. Dessen Abenteuer in Buchform zu bringen, bräuchte es schon 7-9 Bände, je nach Umfang der Seitenzahl. (Der Verlag Altus Press hat seine kürzlich begonnene englische Edition auf 9 Bände angelegt, 2 sind erschienen.)
Semi Dual hat gleich zwei Väter: J.U. Giesy & Junius B. Smith. (Smith starb 1945, Giesy 1947. Die Geschichten werden also 2018 gemeinfrei. Wäre das nichts für den Festa-Verlag?)
Beide erschufen den vielleicht schillerndsten und extravagantesten Geisterjäger überhaupt, und zwar für den Munsey-Konzern, den damals wichtigsten Pulp-Verlag Amerikas. Die dreiteilige Pilotserie begann am 17. Februar 1912 im Pulp-Magazin „The Cavalier“. Sie war so erfolgreich, dass beide Autoren – übrigens auch im wirklichen Leben Hobby-Okkultisten und -Astrologen – die Reihe bis 1934 in diversen Zeitschriften fortsetzten, manchmal sogar bei der Konkurrenz – erstaunlich, dass Munsey sich das gefallen ließ, aber die Reihe war derart populär, dass sie es wohl nicht wagten, die Verfasser zu verprellen. Allerdings hatten beide nicht die Produktionswut eines Jason Dark – die Geschichten erschienen nach dem Ersten Weltkrieg nur noch in großen Abständen, manchmal lagen 2 Jahre zwischen ihrem Erscheinen. Insgesamt waren es über 30. Und da sich die meisten Stories über 3 und mehr Folgen hinzogen, kamen sie oft auf eine beträchtliche Länge, in vielen Fällen Romanheftlänge, in einem sogar Taschenbuchlänge.
Semi Dual heißt übersetzt „Zwischen zwei“ und soll die Grauzone verdeutlichen, in denen die bizarren Fälle spielen - zwischen Realität und der dämonischen Jenseitswelt.
Semi Dual ist das stinkreiche Kind eines persischen Adligen und einer russischen Prinzessin. Er hat einen ganzen Wolkenkratzer in New York gekauft, wo er in Saus und Braus lebt, dem Urania-Gebäude. Semi ist Psychologie, Okkultist, Hypnotiseur, Gedankenleser und Astrologe. Viel erfährt er über seine Gegner aus den Horoskopen. Und er hat einen sehr sympathischen Side-Kick, einen Reporter, der die gemeinamen Erlebnisse in der Ich-Form schildert, quasi die bewährte Watson-Methode.
Die wählt auch der berühmteste amerikanische Geisterjäger-Autor Seabury Quinn (1889-1969), den man durchaus, was seine Popularität angeht, als amerikanischen Jason Dark bezeichnen kann. Sein Geisterdetektiv hieß Jules de Grandin und war eine Art Mischung aus Sherlock Holmes und Hercule Poirot. Seine Geschichten erschienen von 1925 an in der legendären Zeitschrift Weird Tales und liefen dort über Jahrzehnte, bis fast zum Ende des Magazins 1954. Eine beeindruckende Zahl kam so zustande – über 90 Stück! So überschätzt sie einst waren, so unterschätzt sind sie heute.
Man macht sich heute keinen Begriff mehr von der rasenden Beliebtheit dieses Geisterjägers. Man muß sich vorstellen: Für Weird Tales schrieben einige der besten Horror-Autoren, die Amerika je hatte: H. P. Lovecraft, Robert Bloch, Clark Ashton Smith und viele andere. Doch keiner konnte je die Popularität überbieten, die Quinns Grandin-Geschichten hatten. Nicht einmal Robert E. Howard mit der Conan-Saga schaffte das.
Heute wirkt die Rezeption von Quinns Schaffen wie ein Rachefeldzug, weil er den heutigen Ikonen die Show stahl, indem er es wagte, für seine Zeitgenossen selbst eine zu sein.
Die Geschichten gelten als mies, so liest man es jedenfalls immer wieder bei Weird-Tales- und Pulp-Forschern.
Doch wenn ich ihnen begegne in den Heft-Reprints, finde ich sie durchaus noch lesenswert, sie sind amüsant, stilistisch sehr elegant, und entgegen den Behauptungen der Kritiker gar nicht sooo formelhaft. Da gibt’s viel Schlimmeres im deutschen Heftroman. Eine Übersetzung der besten Stories ins Deutsche wäre wunderbar.
Zum Schluß noch eine Fußnote zum Thema. Nur wenige wissen, daß erwähnter Schöpfer der Conan-Saga, Robert E. Howard, in den 1930er Jahren ebenfalls einen Geister-Detektiv erschuf. Und damit meine ich nicht den relativ bekannten Salomon Kane, der war ja eher ein fanatischer Exorzist und fällt etwas aus dem Rahmen des Üblichen. Ich meine Steve Harrison. Doch der brachte es meines Wissens nur auf vier Kurzgeschichten. Trotzdem ist er erwähnenswert, denn Howard war neben seiner Tätigkeit als Fantasy-Autor auch ein grandioser, wenn nicht sogar überragender Horror-Schriftsteller.
Nächste Folgen:
Abraham Merritt: Die Puppen der Madame Mandalipp (1932) (13. Junii)
Paul W. Fairman: Der Mann, der im Nichts steckenblieb (1951) (27. Junii)
David H. Keller – Horror-Storys (1928-53) (11. Juli)
Ethel Lina White – Eine Dame verschwindet (1936) (25. Juli)
E. T. A. Hoffmann – Meister Floh (1822) (08. August)
Edgar Rice Burroughs – Tarzan bei den Affen (1912) (22. August)
Kommentare
"Heimliche Anbetung" in: Spuk, herausgegeben von Peter Haining (Fischer-Taschenbuch Bd. 1447)
Zitat: Im Zauberspiegelartikel über Rottensteiner wird diese auf 1987 datiert.
brombonesbooks.com/occult-detectives-ghost-hunters-in-fact-and-fiction/the-chronological-bibliography-of-early-occult-detectives/
Matthias