SAGA 10: Jack Vance - Die sterbende Erde
Würden Sie mich fragen, bei welcher Folge der vorliegenden Artikelserie mir das Schreiben am meisten Vergnügen bereitet hat, wäre meine Antwort zweifelsohne die vorliegende inklusive des in einer Woche erscheinenden zweiten Teils. Ich gestehe gern, dass Jack Vance seit vielen Jahrzehnten einer meiner absoluten Lieblingsautoren ist. John Holbrook Vance (1916 – 2013) war ein amerikanischer Schriftsteller, der durch eine Reihe von Science Fiction und Fantasy-Werken sowie Kriminalromanen bekannt wurde. Er debütierte mit der Kurzgeschichte The World-Thinker 1945, sein erstes veröffentlichtes Buch war The Dying Earth 1950. Der Autor wurde für seine Werke mit den wichtigsten einschlägigen Preisen ausgezeichnet. Der Hugo Award, Nebula Award, World Fantasy Award sowie der für Kriminalromane vergebene Edgar Allan Poe Award wurden ihm zuerkannt. Eine Reihe von anderen Autoren waren von seinem Stil so beeinflusst, dass sie versuchten, Ähnliches zu schaffen. Darunter sind Michael Shea, David Alexander und Gene Wolfe zu nennen. Unter den deutschsprachigen Autoren haben sich Hans Kneifel und Gisbert Haefs als Vance-Anhänger geoutet. Bei Haefs Dante Barakuda-Abenteuern ist das deutlich zu spüren, und seine Geschichten um den Detektiv Mungo Carteret hat er dezidiert Vances literarischen Figuren Cugel, Gersen, Hetzel, Reith und Ridolph gewidmet.
Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die „puren“ Fantasywerke von Jack Vance, das bedeutet die Geschichten um Die sterbende Erde und die Lyonesse-Trilogie. Aber wurde nicht Die sterbende Erde als Science Fantasy und damit als Zwischenform der beiden nahe verwandten Genres gesehen? Ja, aber abgesehen von der sowieso problematischen Definitionsfrage steckte meiner Ansicht nach der Irrtum dahinter, dass man meinte, wenn es um die Zukunft geht, müsste das auch mit Science Fiction zu tun haben. Diese Meinung teile ich keinesfalls, denn Fantasy bedeutet für mich fantastische Erzählungen aus einer (pseudo-)historischen Umgebung ohne irgendeinen wissenschaftlichen Bezug der fantastischen Elemente, und diese Umgebung kann auch durchaus in der Zukunft angesiedelt sein. Zweifellos gibt es viele andere Werke Vances, die irgendwie nach Fantasy riechen. Dabei stechen besonders die beiden preisgekrönten Kurzromane Die letzte Burg (The Last Castle) und Die Drachenreiter (The Dragon Masters) heraus. In ihnen tragen Menschenabkömmlinge mit absonderlichen Gesellschaftsformen und Gebräuchen (wie bei Vance gewöhnt), aber ohne jedwede zauberische Fähigkeiten, und Außerirdische ihre Konflikte aus. Die Drachenreiter kann man gut mit der berühmten Serie um die Drachenreiter von Pern von Anne McCaffrey vergleichen (deren erste Geschichte einige Jahre später erschien). Auch hier handelt es sich um intelligente Reittiere, allerdings sind die Erzählstile der Verfasser höchst unterschiedlich.
Die sterbende Erde ist ein Episodenroman aus sechs teilweise durch die Protagonisten verbundenen Kurzgeschichten. Er fand bei der Kritik zuerst geteilte Aufnahme, und es wurde Vance auch unterstellt, James Branch Cabell imitiert zu haben. Obwohl es die eine oder andere Ähnlichkeit gibt und auch eine Prise von Clark Ashton Smith zu spüren ist (für mich mehr als von Cabell), sehe ich das Werk als absolut eigenständig an. Im Lauf der Jahre wurde erkannt, dass Vance einen Fantasy-Klassiker geschrieben hatte. Auf der sterbenden Erde sind auch die Geschichten um Cugel den Schlauen und Rhialto den Wunderbaren angesiedelt.
Die Sonne flackert wie eine Kerze im Wind. Menschenfeindliche Wesen durchstreifen die Wälder, Berge, Täler, Wüsten und Ruinenstädte der Erde. Graus, Erbs, Leukomorphen und Deodander – alptraumhafte Geschöpfe biologischer Experimente, die vor Jahrzehntausenden stattgefunden haben.
Die Macht der wissenschaftlichen Zauberer ist geschwunden.
Jene, die noch ihre Fähigkeiten besitzen, setzen sie in Intrigen und Kämpfen gegeneinander ein.
Nur entlang der Küsten von Ascolai und Almery leben noch echte Menschen. Die meisten von ihnen warten müde und mutlos auf den Tag, da die Sonne erlischt und die Erde erkaltet.
Klappentext zu: Jack Vance: Das Auge der Überwelt. Rastatt 1976, Terra Taschenbuch 277
Turjan von Miir ist ratlos. Zum wiederholten Male hat er erfolglos versucht, in seinen Trögen einen künstlichen Menschen zu erschaffen, doch herausgekommen ist eine entstellte, Mitleid erregende Kreatur, die bald ihr Leben aushaucht. Da erinnert er sich an Pandelume aus dem Lande Embelyum, der das notwendige Wissen besitzen soll. Und so sucht Turjan den alten Magier auf, der ihm zusagt, das Geheimnis zu verraten, allerdings um einen hohen Preis. Turjan muss für ihn das Amulett von Prinz Kandive, dem Goldenen, stehlen. Nachdem der Prinz auch ein Zauberer ist, erfordert die Aufgabe alle magischen Kräfte Turjans, doch er ist erfolgreich. Der erfreute Pandelume lässt ihn bei sich in die Lehre gehen, lehrt ihn viele Zauber, darunter ein ganz ungewöhnliches, überliefertes Wissen, das er Mathematik nennt und das ganze Universum erschließt. Schließlich gelingt es Turjan nach Anleitung Pandelumes, eine schöne junge Frau zu erschaffen, mit der er sehr zufrieden ist und die er Florimel nennt. Das Mädchen wird aber von T'sais getötet, einer Frau, die ein Fehlschlag von Pandelumes Versuchen war, denn sie sieht alles was gut ist, für schlecht an, und die ganze Welt für verderbt und ekelerregend. Turjan baut daraufhin mit Pandelumes Unterstützung eine weitere Frau, die T'sais wie eine Zwillingsschwester ähnlich sieht, aber den gegenteiligen Charakter hat. Er nennt sie T'sain. Als T'sais auf ihre Schwester stößt und diese ihr sagt, dass sie sie liebt, ist sie total verwirrt, will aber nicht mehr töten und auf die Suche nach der Schönheit gehen.
Turjan ist in Nöten. Mazirian der Magier hat ihn gefangengenommen, auf Spielzeuggröße verkleinert, und lässt ihn von einem Minidrachen durch sein Gefängnis hetzen. Denn Mazirian hat ebenfalls erfolglos versucht, Menschen zu erschaffen, doch Turjan weigert sich, ihm das Geheimnis ihrer Herstellung zu verraten. Zähneknirschend macht sich Mazirian an eine andere Aufgabe. Er will eine Frau einfangen, die immer wieder rund um seinen Garten reitet, und macht sich daran, sich zu diesem Zweck mit einer Auswahl von Zaubersprüchen aus seinen Büchern zu bewaffnen. Mit größter Willensanstrengung prägt er sich fünf davon ein. Solcherart gerüstet, kann nichts schiefgehen, denkt er. Mazirian macht sich mit den Lebenden Stiefeln an den Füßen, die ihm eine enorme Geschwindigkeit erlauben, an die Verfolgung der Frau. Doch auch diese ist mit Zaubersprüchen zu ihrer Verteidigung gewappnet und entkommt immer wieder. So muss sich der Magier im magischen Wald mit einem Deodanden, der ihn fressen will, dem Ghulbären Thrang und Vampirkraut herumschlagen. Zum Schluss sind alle seine Zaubersprüche verbraucht und er wird Opfer eines Peitschenbaumes. T'sain, denn sie ist es, dringt in Mazirians Burg ein, befreit Tujran aus seinem Gefängnis und nimmt mit einer Rune dem Zauber die Macht, der Turjan verkleinert hatte. Dann sinkt sie nieder, denn sie ist wahrlich zu Tode erschöpft. Doch Turjan wird sie in den Trog zurückgeben und eine neue T'sain von gleicher Gestalt und ihrem Liebreiz erschaffen. Sie wird wiedererstehen.
Zu Pandelume kommt sein Geschöpf T'sais. Wenn er schon nicht ihre Einstellung ändern kann, möchte sie doch die Schönheit suchen, und diese vermeint sie auf der Erde zu finden. Der Magier erfüllt ihr den Wunsch und setzt sie im Lande Ascolais ab. Bei einer Ruine beobachtet sie Lian, den Wegelagerer, wie er ein Paar vor sich hertreibt und foltert, bis die Frau stirbt. Sie ist verwirrt und beunruhigt. Bald fällt sie unter die Räuber, die lachen, als sie sagt, dass sie auf der Suche nach Liebe und Schönheit ist. Schönheit können ihr die drei schmuddeligen Typen nicht bieten, aber Liebe werden sie mit ihr ganz sicher machen. Doch T'sais weiß sich zu wehren, denn als sich die betrunkenen Typen um sie prügeln, macht sie ihnen mit ihrem Degen ein Ende. Traurig denkt sie an ihre Heimat Embelyum, und dass sie die Blumen und die Schmetterlinge für schlecht und abscheulich gehalten hatte. Doch dann findet sie auf der Flucht vor einem Deodanden Hilfe in einer Hütte, denn Etarr, der Bewohner, nimmt sie auf und behandelt sie gut. Er verbirgt aber sein Gesicht hinter einer Kapuze und erzählt ihr, dass ihn die Zauberin Javanne betrogen und sein Gesicht gegen eine Dämonenfratze ausgetauscht hat. Doch am Abend ist der Schwarze Sabbat, und da will er versuchen, sie zu finden und sein Gesicht zurück zu erlangen. T'sais spürt ein eigenartiges Gefühl in ihr wachsen, ist es Liebe zu Etarr? Die beiden suchen ihren Weg zum Hexensabbat, beobachten die obszönen Riten und es gelingt ihnen, Javanne festzunehmen. Ein Zauber zwingt sie, die Wahrheit zu sagen, und so gesteht sie, dass Etarr durch den Gott der Gerechtigkeit sein Gesicht zurückgewinnen könnte. Sie reisen zu ihm, und der Gott ist tatsächlich bereit, jedem zu geben, was er verdient. Etarr nimmt seine Kapuze ab, und mit zitternden Fingern betastet er das Gesicht, mit dem er geboren wurde. T'sais sieht ihn wie betäubt an, denn sie ist geheilt und sieht die Welt endlich, wie sie ist. Doch Javanne hat jetzt statt ihres früheren Gesichts die Dämonenfratze bekommen.
Lian, der Wegelagerer, ist allerbester Laune, denn er hat einen Reif gefunden, den er über den Körper ziehen kann, wodurch er unsichtbar wird. Das magische Artefakt wird ihn bei seinen weiteren Unternehmungen großartig unterstützen, glaubt er. Von einem Twkmann erährt er einige Neuigkeiten, unter anderem, dass auf der Thamberwiese die wunderschöne goldhaarige Hexe Lith eingezogen ist. Vergnügt eilt Lian zur Wiese, denn diese goldene Hexe will er sich ansehen. Doch wehe, ihre Liebe zu gewinnen erfordert eine schwierige Aufgabe zu lösen, die sie ihm stellt. Denn Lith hat einen Wandteppich, der das Zaubertal von Ariventa darstellt, aber dessen untere Hälfte wurde heruntergerissen und gestohlen. Der Dieb ist Chun, der Unausweichliche, welcher in einer Marmorhalle in den Ruinen bei Kaiin wohnt. Voller Tatendrang schreitet Lian von dannen. Doch der Weg zu Chuns Halle ist gepflastert mit Leichen, die samt und sonders leere Augenhöhlen haben. Trotzdem eilt Lian weiter und findet tatsächlich in der Halle den Teppich. Er will ihn gerade herunternehmen, da sieht er Chun und schreit, denn dieser trägt einen schwarzen Umhang, der mit Menschenaugen bedeckt ist. Lian flieht, aber Chun bleibt hinter ihm. Schließlich zieht er erschöpft den Ring über seinen Körper. Endlich in Sicherheit! Doch er spürt einen Lufthauch hinter sich und erfährt, warum Chun der Unvermeidliche heißt. Lith sitzt in ihrem Zimmer auf dem Diwan, als sie ein Scharren an der Tür und die Stimme Chuns hört. Als sie nachsieht, findet sie zwei lange leuchtende Fäden, weil die Augen, denen sie gehörten, so leuchtend, so groß, so rund waren. Sie flicht die Fäden in den Teppich ein. Tränen stehen in ihren Augen. Wenn er wieder ganz ist, kann sie wieder nach Hause ins goldene Tal von Ariventa zurück.
Die Geschichte wurde auch in eine Reihe von Anthologien aufgenommen. Bezeichnend für Vance ist ihr alternativer Originaltitel Loom of Darkness, den die Erzählung in der Dezemberausgabe 1950 im Magazin Worlds Beyond bekam. Die zweifache, komplett unterschiedliche Bedeutung des englischen Wortes „loom“, einerseits als Webstuhl und andererseits als sich drohend abzeichnen, kann nur Absicht sein und ist mit einem einzigen deutschen Wort nicht ausdrückbar. Ein ausgezeichneter deutscher Titel ist Dunkles Wirken, unter dem die Geschichte in der von Terry Carr herausgegebenen und von Birgit Reß-Bohusch übersetzten Anthologie Traumreich der Magie im Heyne Verlag vorgestellt wurde.
Prinz Kandive, der Goldene, erteilt seinem Neffen Ulan Dhor den Auftrag, zur Stadt Ampridatvir zu reisen und die Magie Romol Domedonfors' zurückzubringen, des früheren Herrschers der Stadt, Dort findet Ulan zwei Bevölkerungsgruppen vor, die Grünen und die Grauen, die so untereinander verfeindet sind, dass sie nicht nur einander ignorieren, sondern die anderen gar nicht mehr sehen können. Er dringt in die Tempel der beiden Gruppen vor, denn in jedem von ihnen ist eine Tafel, die nebeneinander eine Botschaft ergeben. Die Gehirnsperre der beiden Gruppen erlischt und sie fallen wieder übereinander her wie zur Zeit, als es sie noch nicht gab. Die Botschaft der Tafeln führt Ulan zum Turm des Schicksals, wo er Romol als Gehirn vorfindet, das nach fünftausend Jahren wahnsinnig geworden ist. Nachdem der Herrscher sieht, dass sich seine Untertanen bekämpfen, zerstört er die Stadt endgültig. Ulan Dhor keht zwar ohne Magie nach Hause zurück, aber mit einem Flugwagen, den er aus den Ruinen gerettet hat, und mit dem Mädchen Elai.
Guyal von Sfere ist anders als seine Mitmenschen, denn seit Geburt plagt ihn ein unstillbarer Wissenshunger. Schließlich schickt ihn sein Vater los, um das Museum der Menschheit zu suchen, dessen Kurator ihm alle Fragen beantworten kann. Nach einigen überstandenen Gefahren landet Guyal in der Stadt Sapons, wo er dazu verpflichtet wird, das schönste Mädchen auszuwählen. Er entscheidet sich für Shierl, die Tochter des Vogts, die als Konsequenz der Wahl als Opfer zum Museum der Menschheit gesandt wird. Guyal begleitet sie. Im Museum werden sie beinahe von einem Dämon gefressen, der aus den Gedächtnisspulen entstanden ist. Sie beseitigen ihn durch Aufspulen der Bänder. Der uralte Kurator Kerlin, der fast unendlich lang für die Erhaltung des Wissens gesorgt hat, stirbt und ernennt vorher noch die beiden zu seinen Nachfolgern. Aber Guyal und Shierl, die gemeinsam durch die Augen des Wissens geblickt haben, bleiben nicht. Was werden sie tun?
Als Cugel, der selbsternannte Meisterdieb, beim Zauberer Iocounu wertvolle magische Utensilien zu stehlen versucht, gerät er in eine Falle des Zauberers. Zur Wiedergutmachung seiner Missetat bekommt er von ihm den Auftrag, eines der Augen der Überwelt zu beschaffen, die weit oben im Lande Cruz zu finden sind. Zur Vorsicht lässt der Zauberer seinen Freund Firx, ein stacheliges Lebewesen vom Stern Achenar, in Cugels Körper verschwinden. Falls er von seinem Auftrag abweicht, wird ihn Firx kräftig mit seinen Stacheln in die Leber pieksen. Ein Dämon bringt Cugel flugs zu seinem Ziel. Dort findet dieser ein heruntergekommenes Dorf mit Leuten, die halbkugelige Schalen über den Augen tragen – Die Augen der Überwelt, mit denen sie statt ihrer tristen Umgebung eine prächtige Stadt sehen, mit allem nur denkbaren Luxus ausgestattet. Nur wenn jemand stirbt, bekommt ein Nachfolger seine Augen. Cugel will nicht einunddreißig Jahre hier arbeiten, bis er sich ein Auge verdient hat, deshalb ergaunert er eines, indem er den Kandidaten für das nächste beseitigt, und sucht das Weite. Auf dem Weg hat er einige Begegnungen, die für beide Seiten nicht ganz zufriedenstellend ausgehen und ihm einige Flüche eintragen, die an ihm hängen bleiben und manchen Plan zunichte machen. Doch dann hat er am Meeresstrand scheinbar Glück, als er ein mit dreißig Karfunkeln bestücktes Armband findet. Dieses könnte ihm die Herrschaft über die nahe Stadt Cil sichern, denn je nachdem auf welchen der Steine man drückt hat das unterschiedliche magische Auswirkungen. Cugel hat leider keine gebruiksaanwijzing, muss daher das Armband nach einigen Missgeschicken wieder hergeben und wird aus der Stadt geworfen. Verfolgt von Deodanden, die nach seinem Fleisch gieren, überquert er das Magnatzgebirge und verdingt sich in der Stadt Vull als Wächter des Turms, der die Bewohner vor dem Riesen Magnatz warnen soll. Nachdem die Stadtbewohner Cugel betrügen und ihn keineswegs mit dem versprochenen Luxus ausstatten, türmt er. Weil der Wächter nicht mehr da ist, kommt Magnatz über die Stadt, aber Cugel ist bereits entkommen. Halb verhungert heuert er als Steinmetz beim Zauberer Pharesm an, kann sich aber mit ihm nicht einigen. Dann begeht er aber einen schweren Fehler:
Der Zauberer holte tief Luft. „Du verstehst offenbar nicht, was du mir angetan hast! Ich werde es dir erklären, damit du dich nicht über die strenge Bestrafung wunderst. Wie ich bereits erwähnte, war die Ankunft des Geschöpfes die Krönung meiner gewaltigen Mühen. Aus dem Studium von zweiundvierzigtausend Büchern, alle in einer vergessenen Sprache – eine Aufgabe, zur deren Bewältigung ich hundert Jahre benötigte - , erkannte ich die Natur dieses Geschöpfes. Während weiterer hundert Jahre entwickelte ich ein Muster, um dieses Geschöpf in sich selbst zu ziehen, und bereitete in aller Sorgfalt die erforderlichen Bedingungen vor. Als nächstes holte ich Steinhauer herbei, die in den vergangenen dreihundert Jahren meinem errechneten Muster feste Formen verliehen. Da Gleiches sich mit Gleichem verbindet, führen die Varianten und Interkongelen zu einer Superpullulation aller Regionen, Eigenschaften und Intervallen, wodurch ein krysthorroider Wirbel entsteht, der schließlich die Ponentiation eines proubitalen Trichters ermöglicht. Heute kam es zur Konkatenation. Die „Kreatur“, wie du sie nennst, pervolvierte in sich, und du, in deiner idiotischen Bosheit, hast sie gefressen!“
Zitiert aus: Jack Vance: Die Augen der Überwelt. München 1986, Knaur SF 5835
Zur Strafe wird Cugel von Pharesm eine Million Jahre in die Vergangenheit geschleudert, um das Wesen zurückzuholen, das sich aus seinem Magen in der Zeit dorthin zurückbewegt hatte. Dies gelingt zwar, doch dann wird die Kreatur endgültig von einem Geflügelten hinweggetragen. Cugel enteilt dem verzweifelten Zauberer. In einer Gaststätte trifft er eine Gruppe von Pilgern, die nach Erze Damath reisen, und schließt sich ihnen an. Mit einem Floß reisen sie den Fluss hinab. Als ein schmutzigpurpurner Belag die Sonne überzieht, glauben die Pilger, dass das Weltende gekommen ist, doch er löst sich wieder auf. Mit einem Trick bringt Cugel die Pilger nach Erreichen der Stadt dazu, mit ihm durch die silberne Wüste weiterzureisen, dann denn durch diese führt sein weiterer Heimweg. Wie bei den zehn kleinen Negerlein schrumpft ihre Zahl bei verschiedenen Zwischenfällen immer weiter zusammen, und zum Schluss ist Cugel wieder allein, nachdem er über das Meer bis in die Nähe seiner Heimat gekommen ist. Im alten Wald gerät er in die Falle von Rattenmenschen, die ihn verspeisen wollen, wenn er ihnen nicht weitere Opfer bringt. Doch im Zauberbuch des mit ihm gefangenen Zauberers Zaraides findet der schlaue Cugel einen Spruch, der ihm die Freiheit gibt. Der ebenfalls freigekommene Zaraides bedankt sich bei Cugel dadurch, dass er ihm den schmerzerzeugenden Firx austreibt. Endlich kommt Cugel in Iocounus Haus an. Er nimmt den Zauberer gefangen und will sich für die Demütigungen rächen, die er auf der langen Reise erlitten hat. Als er ihn mit dem Zauber der Fernverschickung nach Norden senden will, wo er selbst vor langem seinen Rückweg beginnen musste, macht er einen Fehler beim Zitieren der Formel. Der Dämon ergreift Cugel und transportiert ihn selber statt des Zauberers dorthin, wo er schon einmal abgeliefert worden war. Cugel sitzt mit gebeugtem Kopf am Strand und blickt in die Ferne.
Die deutsche Erstausgabe des Romans, welche unter dem Titel Das Auge der Überwelt als Terra Taschenbuch erschien, wurde um etwa ein Drittel gekürzt, was im Vergleich zur vollständigen Ausgabe geradezu niederschmetternd ist. Gerade bei einem Autor wie Vance sind sorgfältige ungekürzte Ausgaben besonders wichtig. Da geht es nicht nur um vollständige Wiedergabe der Handlung, sondern auch darum, die sprachliche Qualität des Originals so gut wie möglich in der anderen Sprache nachzuempfinden, was zugegebenermaßen bei Vance für jeden Übersetzer eine anspruchsvolle Aufgabe ist.
Der Autor Michael Shea war von Cugel so begeistert, dass er (mit Genehmigung von Vance) eine Fortsetzung verfasste: A Quest for Simbilis, das auf Deutsch den Titel Reise in die Unterwelt bekam und kurz nach Das Auge der Überwelt in der Terra Taschenbuchreihe erschien. Dieser Roman erschien einige Zeit vor Vances eigener Fortsetzung Cugel der Schlaue und stellt somit eine alternative Geschichtsentwicklung vor. Shea schrieb noch einen weiteren Roman, der stark von Vance beeinflusst ist und die Abenteuer eines Diebes behandelt, aber eine gänzlich unabhängige Handlung hat. Nifft the Lean wurde auf Deutsch in der Ullstein SF-Reihe herausgegeben, allerdings auf zwei Bände aufgesplittet, wovon der erste unglücklicherweise auch den Titel Die Reise in die Unterwelt bekam, obwohl er nichts mit dem vorhin erwähnten Titel zu tun hat.
Erneut macht sich der Gescheiterte unter mannigfachen Flüchen auf den vermeintlich an seinem traurigen Schicksal schuldigen Zauberer Iocounu auf den Weg in die Heimat. Dass er Cugel der Schlaue ist, hat er mit seinem fehlgeschlagenen Zauberspruch nicht gerade bewiesen, eher das Gegenteil. Er muss nun vermeiden, Stätten aufzusuchen, wo er bereits auf seiner ersten Reise war, denn uneinsichtige Leute könnten vorgefallene Ereignisse falsch deuten und ihm etwas anhängen. So landet er auf der Suche nach Obdach im Landsitz Flutic des Händlers Twango, wo dieser nach Drachenschuppen graben lässt, die er über einen Zwischenhändler ausgerechnet an Cugels Intimfeind Iocounu verkauft. Er lässt sich von Twango anstellen, stellt aber bald fest, dass er die Bedingungen der Arbeit falsch eingeschätzt hat. Sein Versuch, wertvolle Schuppen auf die Seite zu bringen, geht fehl. Cugel kann nur mit Mühe Saskervoy erreichen, wo er an Bord des Schiffes Galante als Wurminger anheuert. Er weiß natürlich nicht, was das bedeutet, und ist dann vom Knochenjob geschlaucht, die das Schiff ziehenden Riesenwürmer zu versorgen und zu pflegen. Der Kapitän will Cugel im nächsten Hafen gegen einen Fachmann austauschen, doch Cugel türmt mit dem Schiff, auf dem sich zum Zeitpunkt nur vier weibliche Passagiere befinden. Die Damen sind allerdeings gewitzt und steuern das Schiff nächtlich, nachdem Cugel ermattet von ihren Streicheleinheiten ist, immer wieder zurück nach Norden. Der selbsternannte Kapitän muss sich wieder zu Fuß unter Zurücklassung seiner Barschaft auf den Weg machen, nachdem das Schiff auf einer Sandbank aufgelaufen ist. Notgedrungen verdingt er sich als Assistent von Nisbet, der für die Männer seines Ortes Tustvold Säulen erhöht, damit sie oben näher zur Sonne liegen zu kommen. Cugels Versuche, die Arbeit mit Tricks zu erleichtern, werden aufgedeckt, und so muss er erneut das Weite suchen. Endlich findet er im Haus des Zauberers Faucelme Obdach. Nachdem Cugel gehört hat, dass es dort gefährlich zugeht, fesselt er den Zauberer vorsichtshalber. Doch wehe, dieser windet sich problemlos aus seinem eigenen Seil, und Cugel kann nur mit knapper Mühe mithilfe seiner gewichsten Stiefel entkommen, die eine Aufhebung der Schwerkraft ermöglichen.
In Port Perdusz schlägt sein Vesuch fehl, mit dem Schiff Avventura nach Süden weiterzureisen. Das Schiff will da gar nicht hin, und Cugel ist beim Lösen des Fahrscheins einem Betrüger aufgesessen, der ihm die letzten Sesterzen aus der Tasche gezogen hat – das hätte er selbst sein können. So schließt er sich einer Karawane an, welche nach Süden zieht. Als Luftkutsche verwendet er das Schiff, welches er vorher requriert und mit einem Tritt seiner Zauberstiefel gewichtslos gemacht hat. Cugel deckt zwar mehrere Morde einer verkleideten Wespe auf, muss aber nach Erreichen des Zieles der Karawane wieder das Hasenpanier ergreifen, denn die Schiffseigentümer sind aufgetaucht und verfolgen ihn. In Gundar werden seine guten Dienste aber wieder gebraucht, und so schließt er sich erneut einer Karawane an, die siebzehn Jungfrauen ihrer Bestimmung zu den Großen Festspielen in Lumarth entgegenführt. Cugel wird als Wächter der Schönheiten engagiert. Am Bestimmungsort gibt es aber großen Aufruhr, als sich herausstellt, dass nur noch zwei von ihnen unberührt sind. Cugel entkommt mit einem Segelboot, und gerät in die nächsten Schwierigkeiten mit dem Traumfänger Iolo, der an Herzogs Orbal großer Ausstellung der Wunder teilnehmen wird. Ein Beutel voller Träume ist Iolos Schatz, doch Cugel bringt sie durcheinander und bringt so Iolo um den verdienten Sieg beim Wettbewerb. Cugel nähert sich seiner Heimat und verbündet sich mit vier Zauberern, die zusammen nur noch ein Auge, ein Ohr und einen Arm besitzen und wegen des Verlustes der anderen Körperteile auf Cugels Feind Iocounu schlecht zu sprechen sind. Zusammen hecken sie einen Plan aus, und Cugel gelingt es tatsächlich, mithilfe der wertvollen Schuppe des Drachens Sadlark, die er den ganzen Weg von Flutic mitgenommen hatte, den Lachenden Magier ins Nichts zu schicken. Was wird Cugel jetzt tun? Doch warum Pläne schmieden, denn die Sonne kann schon morgen erlöschen...
Die beiden Unterkapitel Die siebzehn Jungfrauen und Ein Beutel voller Träume wurden bereits vor Aufnahme in den Roman als Kurzgeschichten in Folgen von Lin Carters Anthologiereihen The Year's Best Fantasy und Flashing Swords veröffentlicht und kamen dadurch auch zu deutschen Ausgaben in der Terra Fantasy-Reihe.
Im einundzwanzigsten Äon hat sich in Ascolais und Almery eine Gesellschaft von zweiundzwanzig Magiern zusammengefunden, um ihre Interessen gemeinsam zu vertreten. Unter ihnen befindet sich Rhialto der Wunderbare. Die Zauberin Lloria, besser unter dem Namen Murthe bekannt, ist durch die Zeit gereist und versqualmt eine ganze Anzahl der Zauberer, was bedeutet, dass sie im Endstadium zu Frauen werden. Rhialto, der sich von ihr angezogen fühlt, fällt in den eiskalten Teich und ist deswegen auf Die Murthe verschnupft. Die Zauberer halten Konklave, wobei der Zeitreisende Lehuster ihnen von den Ränken der Murthe in seinem Äon berichtet. Doch sie kommen bezüglich der zu ergreifenden Maßnahmen zu keiner Einigung, und bald sind alle außer Rhialto und dem Präzeptor Ildefonse versqualmiert. Mit einem künstlichen Calanctus, der die Murthe bereits einmal besiegt hatte, können sie diese zwar verwunden, aber nicht ganz ausschalten. Doch da kommt auf, dass Lehuster in Wirklichkeit der echte Calanctus ist, welcher die Murthe liebt. Zankend schreiten die beiden auf Nimmerwiedersehen von dannen.
Eine Anzahl von intriganten Streichen seines Kollegen Hache-Moncour rückt Rhialto bei seinen Zaubererkollegen in ein schiefes Licht. Er möchte sich von den Anfeindungen erholen und reist zu einem Kuraufenhalt zu den Sxyzyxkzyiks (sind das Polen?) ab.
Die Zivilisierten Menschen – um sich selbst zu beschreiben – nahmen den Sinn des Wortes tatsächlich ernst. Ihre Kultur schloß eine Staffelung von Regeln ein, deren Beherrschung als ein Statusindex diente.
Die Folge war, daß ambitionierte Personen einen großen Teil ihrer Energie aufwandten, um Fingergebärden, Ohrdekorationen und die angemessenen Verknotungen ihres Turbans, ihrer Schärpen, ihrer Schuhbänder zu erlernen; die Art und Weise, wie man die gleichen Knoten für seinen Großvater knüpfte, die passende und kennzeichnende Plazierung von Eingepökeltem auf Tabletts mit Petersilie, Schnecken, geschmorten Walnüssen, fritiertem Fleisch und anderen Nahrungsmitteln; die Flüche, die speziell nach einem Tritt in einen Dorn, nach einem Treffen mit einem Geist, einem Fall von der Leiter, von einem Baum oder hunderter anderer Umstände verwendet wurden.
Zitiert aus: Jack Vance: Rhialto der Wunderbare. Bergneustadt 1996, Edition Andreas Irle
In der Zwischenzeit halten seine Kollegen zuhause wegen Rhialtos angeblicher Vergehen ein Konklave ab und verurteilen ihn zum Verlust seiner magischen Utensilien. Als er zurückkehrt und sein Haus geplündert vorfindet, eilt er wutentbrannt zum Präzeptor Ildefonse und beschuldigt ihn der Verletzung der Blauen Prinzipien, des Verhaltenskodex der Zauberer. Es findet ein erneutes Konklave statt, aber unglücklicherweise wurde das Monstrament mit den Blauen Prinzipien bei der Plünderung von Rhialtos Haus zerrissen. Das Originaldokument befindet sich in Faders Hauch. Als sie dort ankommen, entdecken Rhialto und Ildefonse, dass es durch eine Fälschung ersetzt wurde. Rhialto muss ein Zeitreise ins sechzehnte Äon unternehmen, um es zurückzugewinnen und seine Unschuld zu beweisen. In einem weiteren Konklave wird der wahre Schuldige entlarvt und seiner magischen Fähigkeiten beraubt. Der siegreiche Rhialto zieht sich mit Shalukhe der Schwimmerin, die er aus der Vergangenheit mitgenommen hat, ins Private zurück, denn die Sonne könnte ja jederzeit erlöschen.
Der Erzveult Xexamedes fällt den Zauberern in die Hände. Sie verhören ihn, denn sie wollen seine wertvollen IOUN-Steine in die Finger bekommen, doch der schlaue Erzveult entkommt ihnen. Da entsinnen sich die Zauberer, dass vor langer Zeit nach einem Friedensschluss die Erzveulte versprachen, die Quelle der magischen Steine bekanntzugeben und der edle Morreion hinausgegangen war, um das Geheimnis zu erfahren. NICHTS BEDROHT MORREION, erfahren sie auf einer geheimnisvollen Botschaft. Deshalb beschließen sie, zum Ende des Universums aufzubrechen. Dort müssen sie Morreion wiederfinden, denn dahinter beginnt das Nichts. Dort hinzufinden ist ganz einfach, denn egal in welche Richtung man fliegt, irgendwann kommt man am Ende an. Und so gelangen die Zauberer nach langem Flug tatsächlich zum Planeten am Rande des Nichts, wo die IOUN-Steine gewonnen werden, und finden dort Morreion, der allerdings das Gedächtnis verloren hat. Doch als er es nach und nach zurückgewinnt, kommt er drauf, dass ihn nicht die Erzveulte verraten hatten, wie er zuerst geglaubt hatte, sondern seine Zaubererkollegen ihn im Stich gelassen haben, allen voran Ildefonse und Rhialto. Dieser wirkt gegen Morreion den Zauber der temporalen Stasis. Morreion wird sich sehr lange ausruhen.
Die Erzählung wurde erstmals in der ersten von Lin Carter herausgegebenen Flashing Swords-Anthologie publiziert und erhielt in der deutschen Übersetzung den Titel Flug der Zauberer. Der komplette Episodenroman wurde auf Deutsch bisher nur in der Edition Andreas Irle in einer Miniauflage herausgebracht. Die Handlung ist so abgedreht und sinnbefreit, dass möglicherweise die großen Taschenbuchverlage dankend darauf verzichteten, das Buch zu produzieren.
In der nächsten Folge werden die Lyonesse-Trilogie um die Älteren Inseln sowie einige kürzere Werke mit Fantasy-Einschlag vorgestellt sowie eine sehr persönliche Wertung des Autors vorgenommen.
Kommentare
Über eine allfällige Kürzung der Heyne-Ausgabe kann ich zwar explizit nichts sagen, weil ich keine amerikanische Ausgabe habe (und habe das auch im Artikel im Gegensatz zu den Augen der Überwelt nicht), aber aufgrund der Seitenangaben der amerikanischen Ausgaben in ISFDB kann man davon ausgehen, dass die Übersetzung zumindestens weitgehend vollständig ist.