SAGA 11: Jack Vance - Die älteren Inseln
In der vorherigen Folge wurden der Autor Jack Vance und seine Geschichten um Die sterbende Erde vorgestellt.
Im Golf von Biskaya erheben sich vor der Zeit König Arthurs die Älteren Inseln, eine Inselgruppe, die von Völkern keltischer und germanischer Abstammung besiedelt ist. Außerdem gibt es manch zauberisches Volk, darunter Elfenvölker, die hauptsächlich im Wald von Tantrevalles inmitten der Hauptinsel Hybras ihr Unwesen treiben. Seitdem Uther II, der Enkel von König Olam III, nach England floh, sind die vorher größtenteils unter einheitlicher Herrschaft befindlichen Inseln in zehn Teilkönigreiche zerfallen. Auf der westlichen Insel Skaghane leben die Ska, Abkömmlinge von Skandinaviern, die nach und nach angrenzende Gebiete auf der Hauptinsel unter ihre Herrschaft gebracht haben. Die Könige der größten Teilkönigreiche auf der Hauptinsel, Audry II von Dahaut und Casmir, der Herrscher von Lyonesse, trachten als Rivalen danach, die Inseln wieder unter ihrer Herrschaft zu vereinen. Der Anspruch der beiden Könige hat historische Gründe. Ein Vorfahre Audrys verlegte den Königssitz von Lyonesse nach Avallon und nahm den heiligen Thron Evandig und den großen Tisch Cairbra ad Meadhan mit – das Vorbild der Tafelrunde von König Artus. König Casmir argumentiert aber damit, dass der historische Sitz des Königreiches Lyonesse ist. Casmir und seine Königin Sollace sind Eltern der Prinzessin Suldrun und des Thronfolgers Cassander. Der König behandelt seine Tochter lieblos. Die Mutter Sollace interessiert sich mehr dafür, dass der einschmeichlerische Mönchsbruder Umphred eine Kathedrale bauen darf, aber der König hat keine Lust zu konvertieren und sein Geld für einen Tempel des Christengottes hinauszuwerfen. Die herangewachsene Suldrun weigert sich, Herzog Faude Carfilhiot, den Herrn der Burg Tintzin Fyral, zu heiraten, der für Casmir ein wichtiger Verbündeter für seine Eroberungspläne wäre. Sie hat erkannt, dass Carfilhiot jemand ist, der Freude am Verletzen und Töten hat. Suldrun wird daraufhin von ihrem Vater in ihren Garten unterhalb des Schlosses verbannt, der seit ihrer Kindheit ihr liebster Aufenthaltsort ist. Da wird eines Tages ein fremder Prinz an Land gespült. Es ist Aillas, der Neffe des Königs von Trocinet, der von seinem Cousin Trewan, der ihn als Rivalen um die Thronfolge beseitigen will, bei einer Seereise über Bord ihres Schiffes geworfen wurde und beinahe ertrunken wäre. Suldrun findet Aillas, pflegt ihn gesund und es entspinnt sich eine zarte Liebe zwischen den beiden. Aillas stiehlt den magischen Spielgel Persilian aus der geheimen Kammer des Königs, doch die beiden werden vom hinterhältigen Mönch Umphred entdeckt und verraten. Aillas wird in einen tiefen Schacht geworfen, der als Gefängnis dient. Suldrun ist von Aillas schwanger und bringt ihren Sohn Dhrun zu Welt. Sie lässt ihn durch eine Amme zu einer Pflegefamilie geben. Dort tauschen ihn aber Elfen gegen einen Wechselbalg aus, ein Mädchen, das Madouc geheißen wird, und er wächst bei ihnen auf. Die erneut in ihren Garten verbannte Suldrun wird endgültig schwermütig, denn sie glaubt, dass Aillas und Dhrun tot sind.
Mit gesenktem Kopf schritt sie an ihrem Strand entlang, und nur einmal hielt sie inne, um auf das Meer zu blicken. Dann stieg sie wieder den Pfad hinauf und setzte sich zwischen die Ruinen.
Die Sonne sank sanft und ruhig. Suldrun nickte versonnen, als wäre Erleuchtung in eine Ungewißheit gekommen. Tränen liefen über ihre Wangen.
Die Sterne erschienen am Himmel. Suldrun ging hinunter zu dem alten Lindenbaum, und im blassen Schein der Sterne erhängte sie sich. Der Mond, der über die Klippen stieg, schien auf eine schlaffe Gestalt und ein trauriges, süßes Antlitz, schon versunken in sein neues Wissen.
Zitiert aus: Jack Vance: Herrscher von Lyonesse. München 1985, Knaur SF 5832
Doch Aillas kann sich in Wirklichkeit nach langer Kerkerschaft befreien. Er kehrt in den Garten zurück und findet dort Suldruns Gespenst, welches ihm eröffnet, dass er einen Sohn hat. Er beobachtet das Gefolge des Königs und sieht die Prinzessin Madouc, welche der König als sein vermeintliches Enkelkind an den Königshof geholt hat. Bei seinen Nachforschungen erfährt Aillas vom Austausch der Kinder und macht sich auf die Suche nach seinem Sohn. Bei den Elfen ist dieser zwar nicht mehr, sie geben aber Aillas ein Nimmerfehl mit, welches ihm die Richtung anzeigt, in der er Dhrun suchen muss. Er wird von den Ska gefangen, nach Süd-Ulfland verschleppt und versklavt. Als Diener des Skaherzogs Luhalxz soll er dreißig Jahre auf Burg Sank schuften. Er verknallt sich in die Herzogstochter Tatzel, doch diese behandelt ihn mit der einem Sklaven gegenüber üblichen Herablassung. Aillas flieht mit zwei anderen Skalingen, doch sie werden geschnappt und im Norden zum Graben eingesetzt, wo die Ska mittels eines Tunnels die Festung Poëlitetz an der Grenze zu Dahaut erobern wollen. Er kann erneut fliehen, das Nimmerfehl führt ihn in Richtung Avallon, der Hauptstadt Dahauts.
Dhrun wächst bei den Elfen in Thrimpsey Shee heran, wo die Zeit etwa neunmal so schnell vergeht als in den Menschenreichen. Er wird zwar gut behandelt, muss aber nach einem Menschenjahr dann doch den Elfenhügel verlassen und sein Glück in der Welt versuchen. Allerdings wird er vom verschlagenen Elfen Falael mit sieben Jahren Pech belegt. Dhrun bricht in den verwunschenen Wald von Tantrevalles auf. Er erlebt einige Abenteuer, rettet das Mädchen Glyneth, verliert aber sein Augenlicht, denn als er fünf Dryaden beim Baden beobachtet, senden sie ihm Bienen in die Augen. Die beiden werden von Dr. Fidelius aufgelesen, einem Quacksalber, der mit einem Gespann mit zwei doppelköpfigen Pferden unterwegs ist und vorgibt, allerlei Krankheiten heilen zu können, unter anderem kranke Knie. Fidelius ist eine Tarnexistenz des Magiers Shimrod. Dieser ist ein Spross von Murgen, dem obersten Magier der Älteren Inseln, aber mehr als ein Klon, sondern hat eine eigene Identität entwickelt. Er hatte eine Beziehung mit der geheimnisvollen Frau Melancte begonnen, wurde aber wegen ihres Verhaltens misstrauisch und suchte Rat bei Murgen. Dieser riet ihm, die Beziehung zu beenden, denn es sah so aus, als stünde eine Intrige seines Rivalen Tamurello dahinter. Als Shimrod zu seinem Heim Trilda zurückkehrte, fand er das Haus geplündert und seinen Diener aufgehängt vor. Mittels seines Hausauges konnte er die Einbruchsszene nachträglich betrachten und sich die beiden Räuber einprägen. Er verließ Trilda, machte sich als Dr. Fidelius auf den Weg Richtung Dahaut, um die Verbrecher zu finden, und nahm sich der beiden Kinder an. Shimrod gerät auf die Spur der Räuber, denn Rughalt, einer der zwei, hat kaputte Knie und möchte sie bei ihm behandeln lassen. Shimrod holt aus ihm den Namen seines Kompagnons Carfilhiot heraus. Dieser ist mittlerweile auch in Avallon und sucht seinen Komplizen. Carfilhiot ist ein Schüler und Geliebter von Murgens Widersacher Tamurello und hat in dessen Auftrag Shimrods Heim ausgeraubt. Er erkennt Shimrod und entführt die beiden Kinder. Mittlerweile ist auch Aillas bei Shimrod angekommen, doch die Kinder sind weg. Doch er kann nicht sofort hinterhereilen, denn er erfährt, dass in Troicinet sein Vater im Sterben liegt und sein Vetter Trewan, der ihn ermorden wollte, König wird, falls er nicht rechtzeitig zurückkehrt. Schweren Herzens reist er nach Troicinet zurück und kann den Usurpater in letzter Minute an der Thronbesteigung hindern. Aillas ist der neue König. Noch mehr, nachdem der König von Süd-Ulfland gestorben ist, ist er aufgrund seiner Verwandtschaft dessen rechtmäßiger Nachfolger. Er landet mit Truppen in Süd-Ulfland und greift mit ihnen Carfilhiots Festung Tintzin Fyral an, wohin dieser die Kinder gebracht und sich dort verschanzt hatte. Der Sturm auf die Festung ist erfolgreich und Aillas kann endlich seinen Sohn in die Arme schließen. Dhrun war es gelungen, sein Augenlicht wiederzuerlangen, indem er solange auf seiner Flöte gespielt hatte, bis die Bienen verärgert aus seinen Augen geflogen waren. Carfilhiot, der auf seiner Burg eine Schreckensherrschaft ausgeübt hatte, wird gehängt. Aus seinem verbrannten Körper steigt grüner Rauch auf und ballt sich zu einer grünen Perle zusammen, die im Meer versinkt und von einem Fisch geschluckt wird.
Als die Flunder einige Jahre später Bestandteil des Fanges eines Fischers wird und dieser Die grüne Perle findet, hinterlässt sie eine Blutspur, denn alle ihre Besitzer erliegen nacheinander der abgrundtiefen Bosheit, die sie ausstrahlt. Sie werden habgierig und gewalttätig, bis sie selbst eines gewaltsamen Todes sterben, sei es durch Mord oder den Scharfrichter. Sir Tristano, Aillas' Vetter, der von seinem König auf eine diplomatische Mission in die nördlichen Königreiche gesandt worden ist, erliegt fast dem Bann der Perle, erkennt aber rechtzeitig die Gefahr und schafft es, sie aus seinem kurzzeitigen Besitz wieder loszuwerden. Er bekommt die Information, dass sich am Hof von König Aillas unter seinen hochrangigen Beamten mindestens ein Spion Casmirs befinden muss. Vom heimgekehrten Tristano informiert, lädt Aillas seine Minister zu einem Bankett ein und hofft, dabei den Verräter herauszufinden:
Das Bankett nahm seinen Verlauf. Dem ersten Gang, einer Farce aus Oliven, Krabben und Zwiebeln, mit Käse und Petersilie bestreut und in Austernschalen überbacken, folgte eine Suppe aus Thunfisch, Muscheln und Schnecken, Weißwein, Lauch und Dill. Dann wurden geschmorte, mit Morellen gefüllte Wachteln auf Scheiben von gutem Weißbrot aufgetragen, begleitet von Erbsen; Artischocken, in Wein und Butter gegart, wurden mit einem Salat von Gartengemüsen serviert. Dann gab es Kutteln und Würste mit Sauerkraut und einen Hirschrücken, mit Kirschsauce glasiert und umlegt mit Gerste, die erst in Brühe gekocht und dann mit Knoblauch und Salbei gebraten worden war. Den Abschluß bildeten Honigkuchen, Nüsse und Apfelsinen, und während des ganzen Mahls waren die Becher stets gefüllt mit edlem Voluspa und SanSue aus Watershade und dem herbgrünen Muskatwein aus Dascinet.
Zitiert aus: Jack Vance: Die grüne Perle. München 1990, Heyne SF 4591
Guten Appetit! Diese Beschreibung zeigt die Vorliebe des Autors für lukullische Genüsse, die in seinen Romanen immer wieder detailliert geschildert werden, deutlich auf.
Mittels eines Tricks schafft der König, die beiden Spione zu enttarnen, entlarvt sie aber nicht, sondern befiehlt ihnen, an einer Flottenexpedition teilzunehmen, mit der Süf-Ulfland befriedet werden soll, und mit ihren Fähigkeiten beim Aufbau des Landes mitzuarbeiten. Dort ist Aillas bereits König, bis jetzt aber nur dem Namen nach, weil die Barone bis jetzt ungestört als Raubritter ihre Fehden austragen konnten. Die Bemühungen von Aillas verlaufen recht erfolgreich, werden aber durch Banditenüberfalle unter den von König Casmir ausgesandten Agenten Shalles und Torqual behindert. Bei einer Militäraktion gegen Burg Sank entdecktt Aillas die fliehende Tatzel wieder, reitet ihr nach und rettet sie, nachdem sie abgestürzt ist und sich das Bein gebrochen hat. Zusammen mit ihr durchquert er Nord-Ulfland, besiegt den Banditenführer Torqual und landet unbeschadet an der Nordküste, wo ihn ein troicisches Schiff aufnimmt. Seine Schwärmerei für Tatzel hat er komplett abgelegt. Er reist nach Xounges, der Hauptstadt von Nord-Ulfland, wo er den kurz vor seinem Tod stehenden König Gax davon überzeugt, ihn als Nachfolger zu ernennen. Das ist ein schwerer Schlag für die Ska, die formell die Herrschaft über das Land antreten wollten, das sie seit langem ausgeplündert haben. Aillas kehrt eilig nach Troicinet zurück, weil er schlechte Nachricht über Glyneth bekommen hat.
König Casmir brütet nach wie vor über der Prophezeihung seines in Verlust gegangenen magischen Spiegels Persilian, dass dereinst Suldruns Sohn auf dem Thron Evandig setzen würde. Suldrun hatte doch nur eine Tochter? Er bittet den Zauberer Tamurello um Hilfe, welcher Casmir den durchtriebenen Zaubererschüler Vishbume schickt. Dieser findet tatsächlich durch seine Nachforschungen bei den Verwandten der Pflegefamilie von Madouc und bei den Elfen heraus, dass Madouc ein Wechselbalg ist und der Knabe Dhrun nach seinem Weggang von den Elfen in Begleitung des Mädchens Glyneth war. In Aillas Heimat Troicinet gibt es doch eine Prinzessin mit diesem Namen? Vishbume fragt sich, ob das die gleiche ist. Er reist nach Troicinet, entführt die zu einer reizenden jungen Frau Herangewachsene, und versteckt sie in Tanjecterle, einer Welt, die durch ein Dimensionstor von der Erde getrennt ist. Der Oberzauberer Murgen erkennt, dass sein Rivale Tamurello sein Edikt verletzt hat, sich aus den Angelegenheiten der Menschen herauszuhalten. Deshalb unterstützt er die nach Glyneth Suchenden, indem er einen Avatar mit Namen Kul herstellt, dem er die Fähigkeiten von Aillas verleiht. Kul dringt nach Tanjecterle ein und macht sich auf die Suche nach Glyneth, welche Vishbume entflohen ist und in der fremdartigen Welt mit zwei Sonnen in Lebensgefahr gerät. Vishbume entlockt Glyneth das Geheimnis um Dhrun und kehrt auf die Erde zurück, sie mit Kul zurücklassend. Bei Twittens Kreuzweg im Wald von Tantrevalles taucht er wieder auf, wo der Goblin-Markt stattfindet. Viele Zauberer haben sich versammelt, Murgen und Shimrod von der guten sowie Tamurello, Melancte und Vishbume von der bösen Seite. Die Bösen gieren nach der grünen Perle, die hier wieder aufgetaucht ist. Nachdem Tamurello von Vishbume erfahren hat, dass Dhrun Suldruns Sohn und wegen des anderen Zeitablaufs im Elfenhügel älter als erwartet ist, verwandelt er Vishbume in eine Schlange, denn er hat seine Schuldigkeit getan. Dieser will das nicht hinnehmen und verschluckt die Perle, doch Tamurello verwandelt sich in ein Wiesel und tötet ihn. Er trägt die Perle in seiner Schnauze, als Murgen in Gestalt eines rotgesichtigen Bauern ein Glas über ihn stülpt. Das Wiesel löst sich zu einem Skelett auf, in dessen Mitte die grüne Perle hockt. Die beiden Zauberer haben ein somit unrühmliches Ende gefunden und Murgen ist seinen größten Wiedersacher los. In der Zwischenzeit führt Kul Glyneth zum Durchgang zwischen den Welten und haucht sein Leben aus, denn er ist zu Tode verwundet – er hat die ihm zugedachte Aufgabe vorbildlich erfüllt. Aillas schließt Glyneth in die Arme und gesteht ihr endlich seine Liebe, die er ihr durch den Geist Kuls bereits bewiesen hat.
In Lyonesse wächst am Hofe König Casmirs das Mädchen Madouc heran. Obwohl Casmir weiß, dass sie nicht seine Enkelin ist, hat sie nach wie vor den Rang einer Prinzessin, denn der König möchte sie für seine Politik nutzen und beizeiten vorteilhaft verheiraten. Madouc hat von den Elfen ihr sprunghaftes Wesen geerbt und hält den Hof mit einer Reihe von Streichen in Atem. Bei einem Ausritt mit ihrem Stallburschen werden die beiden von Banditen überfallen. Das Mädchen flüchtet in den Wald, wo sie ein Wefkin über ihre wahre Herkunft aufklärt und ihr den Wunsch erfüllt, ihre Mutter herbeizurufen, die Elfin Twisk. Sie erfährt von ihr nur, dass ihr Vater unbekannt ist. Twisk lehrt Madouc einige nützliche Zaubertricks, denn sie sieht ein, dass ihre Erziehung am Königshof bisher ungenügend war. Als König Casmir zum achtzehnten Geburtstag von Prinz Cassander, dem Thronfolger, ein großes Fest auf dem Sommersitz der Königsfamilie ausrichten lässt, ist Madouc überhaupt nicht begeistert. Lady Desdea versucht mit wachsender Verzweiflung, der Widerspenstigen etwas Benehmen beizubringen:
„Sitzt still, zappelt nicht und kratzt Euch nicht; räkelt oder lümmelt Euch nicht auf Euren Stuhle; hampelt nicht herum. Haltet die Knie fein beieinander; streckt die Beine nicht von euch, spreizt sie nicht, scharrt nicht mit den Füßen. Die Ellenbogen haltet dicht am Körper, daß sie nicht erscheinen wie die Schwingen einer Möwe, die auf den Winden gleitet. Wenn Ihr jemanden Bekanntes im Raume erblickt, erhebet kein ungestümes Geschrei; das ist kein artiges Betragen. Wischt Euch nicht die Nase am Handrücken ab. Schneidet keine Grimassen und blast nicht die Backen auf; kichert nicht, gleich mit oder ohne Grund. Könnt Ihr all das behalten?“
Zitiert aus: Jack Vance: Madouc. München 1993, Heyne SF 5021
Zuerst hat Madouc überhaupt keine Lust, für irgendwelche pickeligen und schielenden Jungs als potenzielle Heiratskandidatin Eindruck zu machen, aber dann wird alles ganz anders, denn unter den Gästen ist Prinz Dhrun von Troicinet, der aber als Sohn seines Feindes natürlich nicht Casmirs Wunschkandidat ist.
Nachdem sich Madouc weigert, für eine arrangierte Ehe mit einem Prinzen zur Verfügung stehen, setzt sie Casmir als Preis für denjenigen aus, der für die im Bau befindliche Kathedrale den Heiligen Gral als Reliquie beschafft. Der listenreiche Bruder Umphred hatte Casmir davon überzeugen können, dass dann eine große Pilgerschar ins Land kommen und damit auch die Staatskassen füllen würde. Casmir tritt zum Schein auch zum Christentum über, denn er hatte das Umphred versprochen, wenn dieser ihm das Rätsel um Suldruns Sohn löst. Umphred kennt das Geheimnis um Dhruns Alter, denn er war es auch, der damals Aillas verraten hatte. Madouc macht sich selbst unter Mitnahme ihres Stallburschen Sir Pom-Pom, der den Gral gewinnen will, auf die Suche nach ihrem Stammbaum, um Casmirs Pläne zu vereiteln, und sucht dazu zuerst Tantrevalles auf:
Der Pfad führte tief in den Wald hinein. Die Luft wurde kühl und schwanger vom Duft hundert verschiedener Kräuter. Im Walde veränderten sich alle Farben. Grün zeigte sich in mannigfachen Schattierungen: von Moos und Farn, von Kraut, Malve, Ampfer und Laub. Die Brauntöne waren schwer und satt: schwarzbraun und umbra waren die Stämme des Eichenbaumes, rostbraun rostbraun und lohfarben der Waldboden. In den Dickichten, wo die Bäume eng beisammen standen und das Laub üppig und schwer hing, waren die Schatten tief und getönt mit Kastanienbraun, Indigo und Schwarzgrün.
Zitiert aus: Jack Vance: Madouc. München 1993, Heyne SF 5021
Hier fällt besondert die grandiose Schilderung der Farben auf, ein für Vance typisches Stilmerkmal.
Madouc ist bei den Elfen nur insoweit erfolgreich, als sie von ihr widerborstigen Mutter den Namen ihres wahrscheinlichen Vaters erfährt. Es war ein sonst unbekannter Galan mit Namen Sir Pellinore, und es ist fraglich, ob das sein richtiger war. Unverzagt gewinnen die Abenteurer dann den Heiligen Gral aus dem Besitz des Ogers Throop, aber Sir Pom-Pom wird bei seiner Rückkehr von Casmir und Sollace um seinen wohlverdienten Lohn betrogen. Madouc rettet dann Dhrun bei einem Kolloquium der Herrscher der Königreiche in Avallon vor einem Mordversuch Casmirs, der die Prophezeihung des magischen Spiegels unterlaufen will. Sie wird gefangengenommen, aber von Aillas und Dhrun befreit. In der Zwischenzeit kommt es in Murgens Landsitz Swer Smod zum großen Showdown, denn durch die grüne Magie der Hexe Desmeȉ, deren Sprosse Carfilhiot und Melancte sind, wird der große Magier festgehalten. Der Riese Joald, der auf dem Grunde des Meeres haust, erwacht, weil seine Fesseln gelockert wurden, und sein auftauchender Kopf lässt eine Flutwelle gegen das Land brausen, sodass die uralte Stadt Ys an der Westküste des Landes versinkt. Der herbeigeeilte Shimrod verhindert das Schlimmste und befreit Murgen. Desmeȉ und Tamurello, der kurzzeitig aus seinem Gefängnis freikommt, werden endgültig vernichtet. Doch kann Joald wieder sicher für alle Zeiten in Fesseln gelegt werden?
Obwohl viele seiner Pläne zunichte gemacht wurden, holt Casmir zum großen Schlag aus, die gesamten Älteren Inseln unter seine Kontrolle zu bringen. Er greift das Königreich Dahaut an und provoziert damit den Gegenschlag von Aillas. König Audry und Casmirs Thronfolger Cassander überleben den Krieg nicht, Casmir wird gefangen und wartet im Kerker auf seine Hinrichtung. Aillas erklärt sich selbst als König der Älteren Inseln und Dhrun als seinen Erben. Sollace wird ins Exil geschickt, ihr Traum von der Heiligsprechung wegen ihrer Stiftung der Kathedrale Sollace Sanctissima ist ausgeträumt. Umphred, der seine Felle davonschwimmen sieht und mit dem Boot flieht, wird von Aillas noch eingefangen und ertränkt. Dhrun darf endlich Madouc küssen, welche zu guter Letzt ihren Stammbaum gefunden hat, denn ihre Mutter erkennt Shimrod als Sir Pellinore, der mit ihr einst in einer romantischen Stunde das Mädchen gezeugt hatte. Das Ende könnte zwar nicht schöner sein, aber die Älteren Inseln sind heute - rund eineinhalbtausend Jahre später - nur noch in Legenden existent. Was ist geschehen? Letzten Enden waren Murgens Bemühungen offensichtlich vergebens. Es ist anzunehmen, dass sich der Riese Joald aus seinen Fesseln befreit hat, und durch sein Wüten ist die letzte Heimstätte der Magie und der Zauberwesen in Europa im Meer versunken.
Herrscher von Lyonesse war 1985 der hundertste Band der Knaur SF und Fantasy-Reihe und wurde von Herausgeber Werner Fuchs in seinem Vorwort als das Beste gewürdigt, was seit langem in der High Fantasy geschrieben worden war. Doch bald darauf musste diese Reihe im Zuge des Reihen- und Seriensterbens bei SF-Taschenbüchern und -Heften Mitte der achtziger Jahre eingestellt wurden, und so sprang der Heyne Verlag ein und publizierte die beiden Folgebände. In dieser Trilogie konnte Vance das einzige Mal ein Thema über mehrere Bände in epischer Breite durchziehen. Die Längenbeschränkungen der Bücher wie früher gab es nicht mehr, und im Unterschied zu anderen Serien, ganz augenfällig z. B. bei der Cadwal-Trilogie, blieb sein Interesse am Stoff in allen drei Bänden auf gleichem Niveau, was sich auch an der Länge der Romane dokumentiert. Wenn man die Geschichten auf der sterbenden Erde als Aneinanderreihung verschiedener Farbtupfer sieht, denn die einzelnen Episoden könnten auch in ganz anderer Reihenfolge angeordnet sein, so wurde in Lyonesse eine komplexe Handlung mit vielen ineinander verschachtelten Strängen aufgebaut und zu einem geschlossenen Ganzen zusammengeführt. Dabei griff Vance auf ein großes Fantasy-Inventar mit Königen, Kriegern, Zauberern, Elfen und anderen Zauberwesen, einer Prise keltischer Mythologie und Anklängen an Sagenstoffen wie der Arthuslegende und den Heiligen Gral zurück. Außerdem würzte er das Ganze mit seinen bekannten Spezifika wie Ironie, seltsamen Bräuchen, intriganten und skrupellosen Personen, erzählt in einer quasibarocken Sprache mit Schilderungen von lukullischen Genüssen und leuchtenden Farben. Die handelnden Personen sind nicht ganz so abgedreht wie auf der sterbenden Erde und deshalb glaubwürdiger als Cugel oder gar Rhialto. Wie schön ist es, mit Dhrun und Glyneth zusammen in Tantrevalles zu wandern, und wie muss man den armen Jungen bedauern, als ihm das Pech an den Füßen klebt und ihm die summenden Goldbienen das Augenlicht nehmen! Für Madouc erhielt Vance den World Fantasy Award, nach meiner Einschätzung hätte ihn aber bereits Herrscher von Lyonesse verdient.
Als Kurzgeschichtenautor präsentierte sich Jack Vance vor allem – der Entwicklung der den Markt dominierenden Publikationsformen von den Magazinen zum Buch- und Taschenbuchmarkt entsprechend - in der früheren Phase seiner Karriere. Die Bücher um die sterbende Erde sind letzten Endes samt und sonders Episodenromane aus miteinander verbundenen Kurzgeschichten. Der Großteil der anderen Storys liegt auch auf Deutsch in verschiedenen Sammelbänden vor. Für den Fantasy-Leser ist davon der Band Grüne Magie am interessantesten. In diesem sind neben einigen eher der SF zuzurechnenden Erzählungenen mit Die Pilger und Liane der Wanderer zwei Geschichten aus Die Augen der Überwelt und Die sterbende Erde enthalten, außerdem mit Das Geheimnis eine Erzählung über das größte Mysterium, das es gibt - den Tod. Die titelgebende Geschichte hat eine thematische Verbindung zur Lyonesse-Trilogie, denn in dieser haben wir die grüne Magie der Hexe Desmeȉ kennengelernt. Hier entdeckt Howard Fair das Tagebuch seines verschwundenen Großonkels Gerald McIntyre und taucht durch jahrelanges Studium in die Tiefen der grünen Magie ein, die ihm umfassende Macht verleiht, bis er am Ende seinen Onkel wiederfindet. Beide müssen erkennen, dass das Beherrschen zauberischer Macht auf die Dauer zu großer Langeweile führt, aber sie sind noch nicht so weit, sich von der Zauberkraft abwenden zu können und wieder so naiv und unschuldig zu werden wie damals.
Die Spitzenerzählung in diesem Band ist aber der Kurzroman Die Wundermacher. Vor eintausendsechshundert Jahren suchten während des großen Krieges einige Raumschiffe auf dem Planeten Pangborn Zuflucht. Die Soldaten demontierten ihre Schiffe und bauten eine Anzahl von Festungen auf, die Keimzelle einer neuen Zivilisation wurden. Die insektoide Urbevölkerung wurde von den Flüchtlingen in die Wälder verdrängt. Die technischen Errungenschaften gerieten in Vergessenheit und wurden als barbarische Werke von Wundermachern betrachtet, während die Menschen telepathische Kräfte entwickelten, mit denen sie Feinde geistig bekämpfen konnten. Lord Faide zieht mit seiner Streitmacht von Faidefeste gegen Ballantfest unter Lord Ballant, die sich als letzte Bastion gegen die Alleinherrschaftsansprüche von Falde behauptet. Der Kampf wird nicht nur mit den Waffen der Ritter geführt, sondern auch mit den geistigen Möglichkeiten der Unglücksbringer, welche die gegnerischen Kämpfer verhexen und die Entscheidung für Faide erzwingen. Beim Rückmarsch nach Faidefeste wird die siegreiche Streitmacht vom Ersten Volk, das endlich wieder den Zutritt zum Moos gewinnen will, angegriffen, schwer dezimiert und muss dann eine Belagerung durch die Ureinwohner hinnehmen. Die wissenschaftlichen Kenntnisse der Unglücksbringer unter Hein Huss sind nutzlos, denn die Eingeborenen haben eine komplett andere Denkweise und die Suggestionsversuche laufen ins Leere. Ausgerechnet Sam Salazar, der scheinbar tölpelhafte Unglücksbringer-Novize, bringt die Entscheidung zugunsten der Menschen. Denn mit seinen ziellosen chemischen Versuchen schafft er es, ein Gegenmittel gegen den Schaum zu finden, mit dem das Erste Volk die Burg umgeben hat, was ihren Bewohnern fast die Luft genommen hätte. Endlich schließen die Menschen und die Eingeborenen einen für beide Seiten akzeptablen Frieden. Nun brechen ganz andere Zeiten an:
„Die Beschäftigung mit Narrendingen könnte sich als eine sehr ernsthafte Angelegenheit erweisen“, entgegnete Salazar mit fester Stimme. „Zweifellos waren unsere Ahnen Barbaren. Sie benutzten Symbole, um Entitäten zu kontrollieren, die sie nicht verstanden. Wir gehen heute methodisch und rational vor. Warum sollte es nicht möglich sein, die Wunder unserer Vorfahren zu systematisieren und ihre Grundlagen zu begreifen?“
Zitiert aus: Jack Vance: Die Wundermacher. In: Derselbe: Grüne Magie, München 1988, Heyne SF 4478
Die Umkehrung der Einordnung von Magie und Wissenschaft ist ein typisches Beispiel für die feine Ironie des Autors. Dieser Kurzroman gehört in die gleiche Kategorie wie Die Drachenreiter und Die letzte Burg, die beiden preisgekrönten Erzählungen, welche zwar oberflächlich Fantasy-Touch ausstrahlen, sich aber bei näherer Betrachtung klar als Science Fiction herausstellen:
Einige Gruppen von Menschen haben sich auf dem Planeten Aelith niedergelassen und mehrere Siedlungen gegründet. In unregelmäßigen Abständen werden sie aus dem Weltraum von einem Schiff der außerirdischen Grephen heimgesucht, die Menschen rauben und für ihre Zwecke in verschiedene Sklavenrassen züchten. Die Grephen fallen immer dann ein, wenn sich ihr Heimatstern Coralyn an Aelith annähert. Doch bei einem der „Besuche“ gelingt es den Menschen unter Führung von Kergan Banbeck, die Invasoren zu besiegen und dreiundzwanzig Grephen gegangenzunehmen. Aus diesen, die sie „Standards“ nennen, züchten sie analog zu den außerirdischen Vorbildern unterschiedliche Rassen von Kampfdrachen, denen sie je nach Rasse unterschiedliche Namen geben. Die Siedlungen der Menschen rivalisieren miteinander und führen etliche Kriege, wobei Die Drachenreiter und ihre Geschöpfe den Kampf gegeneinander führen. Nach vielen Jahren steht wieder eine Invasion der Standards bevor. Joaz Banbeck will sich mit Ervis Carcolo von Glückstal gegen die Menschenräuber verbinden, doch der auf den erfolgreicheren Konkurrenten eifersüchtige Ervis ignoriert die Bedrohung durch die Fremdwesen und greift stattdessen Banbeck-Grund an. Kergan Banbeck schlägt den Angriff zurück. Doch dann kommen tatsächlich die Invasoren wieder und zerstören die menschlichen Siedlungen. Es kommt zum Kampf der gezüchteten Sklavenwesen gegeneinander:
Die Standards hielten vorsichtig vor den Banbeck-Wirren, während die Spürer in Hundehaltung vorwegliefen, über die ersen Felsblöcke kletterten und sich hoch aufrichteten, um die Luft nach Düften zu überprüfen. Sie spähten, lauschten, gestikulierten und schnatterten miteinander. Die Schweren Dragoner schlossen vorsichtig auf, und ihre Nähe spornte die Spürer an. Jede Vorsicht fahrenlassend, sprangen sie in das Herz der Wirren und stießen Quietscher entsetzter Bestürzung aus, als als ein Dutzend Blauer Schrecken unerwartet zwischen sie trat. Sie rissen Hitzewaffen heraus und verbrannten in ihrer Aufregung Freund und Feind gleichermaßen. Die Blauen Schrecken rissen sie mit fast zärtlicher Grausamkeit entzwei. Schreiend, um sich schlagend, tretend, stoßend flohen die, die noch dazu imstande waren, so jäh, wie sie gekommen waren. Nur zwölf der ursprünglich vierundzwanzig erreichten den Talboden, und gerade, als sie ihre Erleichterung über ihr Entrinnen vor dem Tod herausschrien, brach eine Abteilung Langhörniger Mörder über sie herein. Die überlebenden Spürer wurden zu Boden geworfen, aufgespießt, zerhackt.
Zitiert aus: Jack Vance: Die Drachenreiter. In: Derselbe: Drachenbrut, Bergisch Gladbach 1986, Bastei Science Fiction Special 24087
Die Entscheidung fällt zugunsten der Menschen durch Einsatz einer Waffe der Geweihten, einer Menschengruppe, die sich von den anderen Menschen abgespalten hat, über besondere geistige Kräfte verfügt und ganz eigene Ziele verfolgt. Doch durch den Kampf wird auch das geheime Raumschiff der Geweihten zerstört, an dem sie seit achthundert Jahren gebaut hatten. Was ist nun zu tun? Mit dem schwarzen Raumschiff der Grephen nach Coralyn fliegen und dort Rache nehmen? Doch zuerst muss die Heimat neu aufgebaut werden. Wie alles enden wird, weiß niemand.
Die bekannte Serie über die Drachenreiter von Pern der Autorin Anne McCaffrey scheint mir von diesem Kurzroman in mehr als einer Hinsicht inspiriert zu sein. In beiden Fällen züchten Menschen intelligente Drachen, bei Vance aus fremden Intelligenzen, bei McCaffrey aus einer einheimischen halbintelligenten Lebensform. Das wäre noch nicht so auffällig. Aber zusätzlich werden beide Planeten der Menschen in größeren Abständen von einer anderen Welt bedroht, die sich periodisch der Menschenwelt nähert. Im Fall von Vances Drachenreitern ist es Coralyn, die Heimat der Standards, welche die Urform der Drachen sind und die Menschen überfallen, um Sklaven in ihre Raumschiffe mitzunehmen. Bei McCaffreys Drachenreitern von Pern ist es der Rote Stern, der seine todbringenden Fäden über Pern ablädt. Weyr Search, die erste Geschichte von Pern, erschien fünf Jahre nach Vances Drachenreitern und wurde dann in den Roman Die Welt der Drachen (im Original Dragonflight) eingebaut.
Drei Jahrtausende lag die Erde nach dem Sechs-Sterne-Krieg brach, nur mehr bewohnt von wenigen halbwilden Nomaden. Doch dann beschlossen einige reiche Herren von Altair zur Erde zurückzukehren und gründeten neun Burgen, auf denen sie vornehme Gesellschaften aufbauten. Die Arbeit übernahmen speziell ausgebildete Sklavenvölker, die von verschiedenen anderen Planeten stammten. Siebenhundert Jahre lang entwickelte sich auf der Erde eine neue aristokratische Zivilisation mit hervorragenden Umgangsformen, hochverfeinerten Bräuchen und einem exquisiten Geschmack. Hochgebildete Männer mit tadellosen Manieren übernahmen die verantwortungsvolle Aufgabe, diese ideale Gesellschaftsform aufrecht zu erhalten. Doch eines Tages verlassen die Meks, neben den Bauern das wichtigste Hilfsvolk, ohne Vorwarnung ihre Herren und beginnen damit, die Burgen zu zerstören und ihre Herren zu massakrieren. Nachdem Burg Janell gefallen ist, bleibt Hagedorn als Die letzte Burg der zivilisierten Menschheit zurück. Obwohl auch hier die Meks mit der Belagerung beginnen, halten die Konservativen nach wie vor starrköpfig an ihren Traditionen fest, weil körperliche Arbeit unter ihrer Würde wäre. Dafür sind ja die Sklaven da:
„Was mich angeht, so kann ich meinen Status als als Edelmann von Hagedorn nicht in den Schmutz ziehen. Diese Überzeugung ist für mich so selbstverständlich wie das Atmen; wenn sie jemals beeinträchtigt wird, werde ich zur Karikatur eines Edelmannes, zu einer grotesken Maske meiner selbst. Dies ist Burg Hagedorn, und wir repräsentieren die Vollendung der menschlichen Zivilisation. Jedes Abweichen wird somit zur Erniedrigung; jedes scheinbar noch so zweckmäßige Absenken unseres Niveaus gerät hier zur Schande. Ich hörte hier jemanden das Wor „Notstand“ in den Mund nehmen. Was für eine erbärmliche Haltung! Das rattenartige Schnappen und Zähnefletschen solcher Kreaturen wie der Meks mit dem Wort „Notstand“ aufzubauschen, ist meiner Ansicht nach eines Edelmanns von Hagedorn unwürdig!“
Zitiert aus: Jack Vance: Die letzte Festung. In: Jack Vance: Drachenbrut, Bergisch Gladbach 1986, Bastei Science Fiction Special 24087
So ist auch Burg Hagedorn zum Untergang verdammt. Einzig der Adlige Xanten befreit sich aus den Fesseln der Tradition und verlässt die Festung. Er verbündet sich mit den barbarischen Nomaden und den Büßern, Flüchtlingen aus den Burgen, die mit den herrschenden Verhältnissen nicht einverstanden sind. Zusammen besiegen sie die geistig unflexiblen Meks und verfrachten sie nach deren Niederlage zurück auf ihren Heimatplaneten. Die überlebenden Menschen bauen eine neue Gesellschaft auf, Burg Hagedorn bleibt nur noch die Aufgabe als Museum einer vergangenen Epoche.
Alle drei besprochenen Kurzromane weisen das gleiche Muster auf: Eine überkommene Gesellschaft, in der sich konservative Kräfte gegen jede Veränderung sträuben, das Aufbrechen bzw. die Vernichtung dieser Gesellschaftsordnung in einem existenzbedrohenden Kampf gegen Nichtmenschliche, die ganz andere Denkstrukturen besitzen, und nach erfolgreich bestandenem Krieg der Aufbruch in eine ungewisse Zukunft.
Wie auch schon in Folge 20 meiner Artikelserie über Flaggschiffe, Flottenkadetten und Flops darf ich hier nochmals auf die Edition Andreas Irle hinweisen, die seit mittlerweile mehr als zwanzig Jahren sukzessive das Gesamtwerk von Jack Vance in hochwertigen, ungekürzten Hardcoverausgaben in Liebhaberauflage herausbringt. Ein Großteil davon ist von Irle selbst neu übersetzt. Unter den bisher neu verlegten Büchern sind auch die vier Bücher um Die sterbende Erde, die Lyonesse-Trilogie gibt es bis jetzt aber noch nicht bei Irle. Ich nehme an, dass hier die Priorität nicht so hoch ist, denn im Gegensatz zu vielen früher erschienenen Werken von Vance wurde diese gleich in ungekürzten Taschenbuchausgaben bei Knaur und Heyne auf Deutsch präsentiert, gefolgt von einer Hardcoverausgabe im Area Verlag. Bis Herbst 2017 sind 33 erzählende Bücher von Vance bei Irle herausgekommen, dazu auch Sekundärmaterial über den Altmeister und eine Autobiographie. Einige der Werke gibt es seit einiger Zeit auch als kostengünstige E-Books.
Falls Sie, werte(r) Leser(in), wenig oder gar nichts mit Jack Vance anfangen können, gilt Ihnen mein tiefstes Bedauern. Ich respektiere trotzdem Ihre Meinung, lüfte meinen Hut vor Ihnen und wünsche Ihnen einen angenehmen Tag. Warum wird Vance so unterschiedlich beurteilt, von Anhängern als einer der absoluten Superstars der SF und Fantasy (und des Kriminalromans) gefeiert, von anderen Lesern bestenfalls ignoriert? Vielleicht liegt es daran, dass ein Großteil der Protagonisten seiner Bücher nicht als Identifikationsfiguren taugen. Vances „Helden“ sind im Sinn des Wortes amoralisch, nicht böse im Sinn, dass sie Befriedigung in der Bösartigkeit finden, sondern, dass sie ihre Ziele ohne irgendwelche moralischen Skrupel verfolgen. Außerdem muss eingeräumt werden, dass sein Stil nicht jedermanns Sache ist. Eine Reihe von skurrilen Wortschöpfungen, Fußnoten, die Fragen nicht wirklich beantworten, sondern eher neue aufwerfen, die Schilderung von exotischen Gesellschaftsformen und verschrobenen Personen, die sich in einer gestelzten Sprache unterhalten, der zwischen Ironie und Zynismus intermittierende Humor, Hedonismus und Skrupellosigkeit der handelnden Personen ergeben zwar ein farbenprächtiges Bild, können aber auch so manche Leser langweilen oder gar abschrecken:
„Ich zeigte ihm den Hexer Amach al Eil von Caerwyddwn in der Fülle meines schwarzen Dreuhwy*.“
*Dreuhwy: Aus dem Altgälischen und nicht übersetzbar. Etwa: eine selbst herbeigeführte Stimmung von grämlicher außermenschlicher Intensität, in welcher jede auch noch so groteske Unmäßigkeit im Benehmen möglich ist; volle Identifikation des Selbst mit der Inspiration, die das Unheimliche, das Grausige, das Schreckliche treibt.
Zitiert aus: Jack Vance: Die grüne Perle. München 1990, Heyne SF 4591
Vances Stil wurde von Andreas Irle in seinem ausgezeichneten Artikel Wunderwerker, Weltenschöpfer, Wortschmied als impressionistisch bezeichnet. Allerdings meinte Irle, dass der Zauber verfliegt, wenn man die Farbtupfer aus der Nähe betrachtet. Ich teile diese Auffassung nicht, denn wenn ich Wortschöpfungen des begnadeten Sprachkünstlers Vance ausspreche, hallt ihr Klang noch lange in mir nach.
Kommentare
Ich tue mich mit Vance ebenfalls schwer. Eigentlich sollte er ganz auf meiner Linie liegen. Ich habe ihn früher nie gelesen, und nach den vielen oft hymnischen Besprechungen habe ich u.a. mit der "Dying Earth" angefangen und konnte nicht nachvollziehen, was an Cugel so ungeheuer humorvoll sein soll. Ich fand auch den Weltenentwurf etwas schmalbrüstig für all den Hype. Ich bin auch nie über den ersten Tschai oder Trullion:Alastor hinausgekommen.
Andererseits bin ich der Erste, der Vances Talent für Namensfindungen, Wortschöpfungen und exotische Völker zum Niederknien findet und als Messstab für andere Autoren nimmt, die ihm nur selten oder nie das Wasser reichen können. Bei ihm - genau wie C.A.Smith in der Hinsicht - sieht das immer so mühelos aus.
Danke für die tolle Zusammenfassung. Ich war immer neugierig, worum es in Lyonesse eigentlich geht.