DDR, Liebe und Dämonen. Frank Haubold »Dämonenstadt«
DDR, Liebe und Dämonen
Frank W. Haubold »Dämonenstadt«
Vor Ort begegnet Markus nicht nur dem pensionierten Kriminalisten Hombach, der ihn bei seinen Nachforschungen unterstützt, sondern auch einer geheimnisvollen Frau, die ihn in wilden Nächten an die Stätten seiner Jugend führt. Unterdessen geschehen weitere Morde und bald wird klar, dass sie mit einem Verbrechen aus den 80er Jahren zusammenhängen, für das jemand unbarmherzig Rache nimmt." (Klappentext)
Der Autor
Frank W. Haubold wurde 1955 in Frankenberg (Sachsen) geboren. Der studierte Informatiker und Biophysiker schreibt seit 1989 in allen Bereichen der Phantastik. Sein Werk umfasst dabei sowohl Romane als auch Kurzgeschichten, Episodenromane und Kurzgeschichtensammlungen. Auch als Herausgeber war er für etliche Anthologien tätig. Seine Werke fanden in der Szene großen Anklang. Mehrfach wurde er für diverse Preise nominiert. 2008 gewann er den Deutschen Science Fiction Preis in der Kategorie "Bester Roman" mit "Im Schatten des Mars" und in der Kategorie "Beste Kurzgeschichte" mit "Heimkehr". 2012 wurde er mit dem Kurd-Laßwitz-Preis ausgezeichnet für die Erzählung "Am Ende der Reise".
Dämonenstadt
Der nicht mehr ganz junge Schriftsteller Markus Blau hat einen Traum. In Badehose läuft er einen endlos langen Strand entlang. Als ihm eine Gruppe junger Leute entgegen kommt, klettert er eine Düne hinauf, um ihnen aus dem Wege zu gehen. Dort trifft er eine junge Frau. Sie begrüßt ihn mit den Worten: "Jetzt hast Du mich also gefunden oder wir uns." (S.22) Blau reagiert sofort auf diese Frau. Als er sie an sich ziehen will, wird er jedoch abrupt aus dem Traum gerissen. Doch er kann das Aufwachen abwenden und weiter träumen. Leider hat sich die Szene inzwischen verändert.
Zunächst begegnet er einer gealterten und betrunkenen Bekanntschaft aus seiner Jugend, die er nur mühsam abwimmeln kann. Auf der Düne kommt er gerade rechtzeitig um zu sehen, wie sich die Frau von der Klippe stürzt. Scheinbar verwandelt sie sich in einen Vogel. Der enttäuschte zurückgelassen Blau findet aber eine Mappe mit drei Zeichnungen. Eine davon stellt sein Elternhaus dar. Dazu gibt es eine Notiz: "Bilder sind wie Türen, die sich dem öffnen, der sie zu deuten weiß." Unterzeichnet ist die Nachricht mit "Fedora". Als er die Zeichnung betrachtet, scheint sie ihn magisch anzuziehen und immer weitere Einzelheiten zu offenbaren. Doch schließlich wacht Blau auf.
Am nächsten Morgen will er die Arbeit an seinem aktuellen Romanprojekt fortsetzen. Überraschenderweise findet er jedoch in seinem Arbeitszimmer eine Mappe ... mit den Bildern aus seinem Traum. Während er noch nach einer einleuchtenden Erklärung für diese Tatsache sucht, erhält er Besuch von einer sprechenden Elster. Plötzlich fällt ihm auch ein merkwürdiger Anruf wieder ein, den er vor ein paar Tagen erhalten hat. Bei dem alkoholisierten Gesprächspartner dürfte es sich um seinen alten Kumpel Mike gehandelt haben. Doch das Telefonat wurde nach kurzer Zeit unterbrochen. "Irgendetwas ist hier faul ... und es hat mit früher zu tun." hatte der Anrufer gesagt. Früher, damit ist Marks Heimatstadt Raunburg gemeint, wo er seine Kindheit und Jugend verbracht hatte. Die Elster deutet an, dass Mike, eigentlich Michael Zimmermann, etwas passiert ist. Versuche, ihn telefonisch zu erreichen, scheitern denn auch. Als Markus einen befreundeten Hacker einschaltet, wird es zur Gewissheit, Mike ist etwas zugestoßen und die Polizei ermittelt.
Anscheinend ist er einem Mordanschlag zum Opfer gefallen, in den eine attraktive junge Frau, die zudem ein Kind bei sich hatte, verwickelt ist. Mysteriös erscheint, dass das Mordopfer in einem von innen verschlossenen Hotelzimmer aufgefunden wurde.
Irgendwie wird Markus Blau das Gefühl nicht los, dass alles mit seiner Heimatstadt Raunburg zu tun hat. Obwohl er dort schon lange nicht mehr wohnt und auch keine Freunde mehr hat, hat er innerlich noch immer nicht mit ihr abgeschlossen.
"Er erinnerte sich gut an das Gefühl des Unbehagens, das er damals empfunden hatte. Manchmal war es ihm vorgekommen, als sammele sich ein klebriger Dunst in der Stadt, der wie ein lähmender Albdruck auf jeder Bewegung lastete. Er erschwerte das Atmen, obwohl das sicher kein Arzt bestätigt hätte, und ließ nach Einbruch der Dämmerung die Straßen veröden. Niemand hatte je darüber gesprochen, jedenfalls nicht in Markus' Anwesenheit, dennoch war die Verunsicherung allgegenwärtig gewesen. Er hatte sie gespürt, wenn er die Leute auf der Straße beobachtete - ihre hastigen Schritte, die hängenden Schultern und die Manie, sich bei jeder Gelegenheit umzuschauen. Jenseits aller meteorologischen Phänomene hatte er die Atmosphäre in der Stadt wie die Schwüle vor einem herannahenden Unwetter empfunden - nur, dass das erlösende Gewitter über Wochen und Monate ausblieb. Nie waren die Tage zäher verronnen als damals und die andauernde Anspannung hatte mit der Zeit jeden Funken Unternehmungsgeist erstickt. (S.46/47)
Markus Blau bekommt neben der Traumfrau Fedora und dem Hacker Mulder noch einen weiteren Helfer. Es handelt sich um den ehemaligen Polizisten Walter Hombach. Dieser gehört zu den Verlierern der Wende, die er als demütigende Tage des Zusammenbruchs empfunden hat. "Er hatte seinen Schreibtisch in der bitteren Gewissheit geräumt, dass damit nicht nur seine Karriere zu Ende war, sondern alles, wofür er gelebt und gearbeitet hatte." (S.65) Heimlich hat er einige Akten bei Seite geschafft, damit sie nicht in "unrechte Hände" geraten. Darunter befinden sich auch einige Fälle, die er zu seinem großen Bedauern nicht mehr hatte abschließen können. Seine Gesundheit ist jedoch schwer angeschlagen und er lebt in einem Seniorenheim. Auch er hat merkwürdige Träume. Eine junge Frau mit Kind ermordet grausam gefesselte Männer. Als er in der Zeitung über den Mord in Raunburg liest, ist er alarmiert.
Markus Blau verabschiedet sich also von seiner Lebensabschnittsgefährtin Lena, die ihm vorwirft: "Du benimmst dich genau so idiotisch wie die Männer in deinen Geschichten und merkst es nicht einmal. Sie sind sensibel und gebildet, diese Männer , und würden niemals ausspucken, wenn sie etwas im Hals kratzt." Schließlich sucht Markus noch seinen alten Mentor Pater Bertram auf. Dieser Mann des Glaubens warnt ihn eindringlich: "Das hört sich nach einer schlimmen Geschichte an ... Da kehrt etwas zurück, dass keinen Frieden gefunden hat, und ich fürchte auch Du wirst es nicht aufhalten können ..."
Auch Walter Hombach zieht es nach Raunburg. Er aktiviert zwei ehemalige Kollegen, von denen einer noch immer bei der Polizei ist. In einem Hotel in Raunburg begegnen sich schließlich Hombach und Blau. Nach und nach kommen sie sich näher und arbeiten schließlich zusammen an dem Fall. Nachts werden sie von Träumen heimgesucht. Blau wird dabei an Stätten seiner Jugend geführt und begegnet alten Bekannten. Tagsüber geht es eher kriminalistisch zu. Bald werden Zusammenhänge zu einer Serie von verschwundenen Personen aus der Zeit vor der Wende deutlich. Damals wurde das Ganze von höherer Stelle abgewürgt mit der Behauptung, es handele sich um Fälle von Republikflucht.
Meine Gedanken
Frank W. Haubold hat einen ungewöhnlichen Roman geschrieben, der sich der gewohnten Einordnung nicht recht unterwerfen will. Es geht um einen klassischen Kriminallfall, um eine Gespenstergeschichte und ein Stück weit auch wie in einem historischen Roman um einen Blick auf die Endphase der DDR. Der einsame Autor, der desillusionierte pensionierte Polizist, die umtriebige Traumfrau, der gnadenlose Racheengel ergeben mit der trostlosen Stadt Raunburg und den bunten Traumbildern eine ungewöhnliche Melange. Im Kontrast dazu stehen die ziemlich realistischen Einblicke in die Jugendkultur in der Endphase der DDR.
Insgesamt ergibt sich ein ungewöhnlicher, empfehlenswerter Roman. Der Atlantis Verlag, dessen Schwerpunkt ja momentan eher im Bereich Military liegt (Stefan Burban) und den der SF-Leser mit "Rettungskreuzer Ikaraus" in Verbindung bringt, knüpft an eine frühere Tradition an, als dort auch Horror und ungewöhnliche Grenzgänger wie Michael Siefener erschienen.
Dämonenstadt
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