Heyne Science Fiction Classics 51 - Thea von Harbou
Die Heyne Science Fiction Classics
Folge 51: Thea von Harbou
Frau im Mond
Wenn man sich die Frage stellt, was wohl der bekannteste bzw. der bedeutendste deutsche Science-Fiction-Film war, landet man möglicherweise weit in der Vergangenheit im Jahr 1927 beim expressionistischen Monumentalfilm Metropolis, der vom Regisseur Fritz Lang in Szene gesetzt wurde. Das Drehbuch zu diesem Film kam von seiner damaligen Partnerin Thea von Harbou, die bis zu seiner Emigration 1933 sowohl privat als auch bei seinen Filmprojekten an seiner Seite stand. Harbou (1888 – 1956) war eine deutsche Schauspielerin, Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Regisseurin. Sie wuchs in Sachsen auf und wurde bereits im späten Kaiserreich als Unterhaltungsschriftstellerin bekannt. Als Schauspielerin war sie an Theatern in mehreren deutschen Städten tätig. Nach dem Krieg begann sie, Drehbücher zu schreiben. Nach einer gescheiterten ersten Ehe heiratete sie 1922 Fritz Lang und schrieb alle seine Drehbücher, bis er emigrierte, weil er sich nicht mit den Nazis einlassen wollte. Die Ehe der beiden war aber bereits früher wegen einer Affäre Langs auseinandergebrochen. Harbou, die aus ihrer nationalen Einstellung nie ein Hehl gemacht hatte, sympathisierte mit den Nazis und war nach der Machtergreifung weiterhin eine vielbeschäftigte Frau. Nach dem Krieg musste sie im Zug der Entnazifizierung einige Zeit in einem Lager verbringen. Ab 1948 war sie bis zu ihrem Tod 1954 nach einer Verletzung aufgrund eines Sturzes wieder in der Filmbranche tätig.
Heute weniger bekannt als das in einer futuristischen Riesenstadt spielende Werk Metropolis ist der 1929 entstandene Mondfahrtfilm Frau im Mond, obwohl dieser im Gegensatz zu ersterem, der an den Kinokassen total floppte, kommerziell äußerst erfolgreich war. Frau im Mond war einer der letzten Stummfilme. Auch dieser Film hatte als Vorlage ein Drehbuch Harbous, und nahezu parallel dazu kam auch das gleichnamige Buch in die Schaufenster. 1989 wurde zum Anlass 20 Jahre erste Mondlandung vom Heyne-Verlag eine Neuausgabe des Romans in der SF-Reihe aufgelegt.
Als Wolfgang Helius die Treppe zu seinem väterlichen Freund, dem alten Professor Manfeldt, hochsteigt, fällt ihm ein menschlicher Körper entgegen. Helius fängt im Reflex den Stürzenden auf, der mit einem gemurmelten Wort des Dankes verschwindet. Manfeldt steht am oberen Ende der Treppe – er hatte in seiner Wut den Eindringling hinuntergeworfen. Er beruhigt sich aber, als ihm Helius erzählt, dass er nunmehr die Fahrt mit seinem neu konstruierten Weltraumschiff nach dem Mond wagen will. Der Alte ist ganz aus dem Häuschen, endlich ist sein Jahrzehnte alter Traum der Verwirklichung nahe, den Trabanten zu erreichen, auf dem er riesige Schätze Goldes vermutet. Er will Helius unbedingt begleiten, um seine Forschungen direkt am Ort seiner Sehnsucht fortzusetzen und erreicht die Zustimmung von Helius. Weiters wird Hans Windegger, enger Freund von Helius und Vollender des Mondgefährt nach dessen Plänen, an der Reise teilnehmen. Hans hat sich vor kurzer Zeit mit der jungen Friede Velten verlobt, sagt Helius mit belegter Stimme. Ob noch jemand von dem Plan weiß, fragt der Alte. Helius verneint. Das kommt dem Professor seltsam vor, denn der Mann, den er so schwungvoll die Treppe hinuntergeworfen hat, muss irgendwie Bescheid wissen. Er ist eine vertrackte Mischung, sagt Manfeldt, ein Ausländer, nicht Mestize, nicht Mulatte, amerikanischer Staatsbürger, und hinter dem Gold her, von dem der Alte träumt.
Bei der Heimfahrt wird Helius durch die Hinterlist eines Blumenmädchens im Fond seines Wagens in Bewusstlosigkeit versetzt und kommt zuhause ohne seine wertvolle Mappe mit den Unterlagen über den Mond an. In seiner Wohnung erwartet ihn eine weitere unangenehme Überraschung. Es ist Walt Turner, der Mann, den Manfeldt so rüde hinausgeworfen hatte. Turner hat in der Zwischenzeit den Safe von Helius aufgebrochen und alle relevanten Unterlagen über das Mondprojekt entwendet. Er ist Abgesandter eines internationalen Finanzsyndikats, das die Oberherrschaft über das Vorhaben gewinnen will. Er versucht, Helius zum Verkauf seines Raumschiffes zu bewegen. und will selbst an der Mondexpedition teilnehmen. Als dieser ablehnt, weil er keine finanzielle Unterstützung benötigt, erpresst er ihn mit der angedrohten Vernichtung seiner Raumschiffswerft. Zähneknirschend stimmt Helius zu. Und noch etwas läuft seinen Plänen zuwider: Friede will unbedingt an der Monfahrt teilnehmen, und Helius schafft es nicht, ihrem mit allem Nachdruck vorgetragenem Ansinnen zu widerstehen. Friede ist Die Frau im Mond.
Am 24. Juni startet das Raumschiff, das nach seiner weiblichen Passagierin „Friede“ getauft wurde, unter großer Anteilnahme der halben Welt in den Kosmos. Es ist huckepack auf ein Trägerflugzeug aufgeschnallt, das auf einer schrägen Gleitbahn die Startrampe hinauffährt, sich in den Himmel schwingt und dann das Raumschiff ausklinkt.
Das Flugzeug begann zu beben. Und jäh in die Nacht hinein brüllte das Untier und heulte – hundert Sirenen von Ozeanriesen gemeinsam hätten nicht solch ein Heulen hervorgebracht. Krachender Schlag, als platze die Erde auf. Feuer schoß meterlang lohend aus zwanzig entflammten Düsen. Brüllendes Feuer. Schreiendes, heulendes Feuer. Das Flugzeug begann zu gleiten, zu rennen, zu rasen, stürmte, laut brüllende Urgewalt, die Steigung hinauf.
Wie eine Woge erhob sich das Menschengebirge rings um den See...
Und brauste wie ein Sturm in den Bergen und Sturm auf dem Meere...
Wortloses Schreien...
Und eine Million von Händen emporgeworfen...
Und Hunderttausende von Gesichtern ekstatisch in Schreien und Schluchzen dem großen Erlebnis zugekehrt...
Mit dem Sprung eines übergewaltigen, herrlichen, siegenden Tieres ließ das Flugzeug, das die Bürde des Weltraumschiffs auf seinem Rücken trug, aus allen seinen Düsen Feuer verheulend, die Gleitbahn hinter sich, schwang sich hinaus ins Leere und raste, sich mehr und immer mehr beschleunigend, schäghin gegen den Himmel, ein aufwärts dem Monde zustürzender Meteor...
(Zitiert aus: Thea von Harbou: Frau im Mond. München 1989, Heyne SF 4676, S. 120f)
Die fünf Raumfahrer leiden unter dem starken Andruck in der Startphase des Raumschiffes. Fünf? Friede entdeckt eine seltsame Ausbuchtung an einem der Reserve-Raumanzüge, die an der Wand hängen. Als Helius, den Anzug öffnet, entdeckt er einen bewusstlosen Jungen mit blau angelaufenen Händen und einem Gesicht von tödlicher Erschöpfung. Der blinde Passagier ist der zwölfjährige Gustav Maschke aus Berlin, der unbedingt die Mondreise mitmachen wollte und sich vor dem Start ins Raumschiff geschlichen und im Anzug versteckt hatte. Gustav erholt sich schnell und erringt sogar das Vertrauens des Schiffsführers, der ihn als einziges Besatzungsmitglied sogar in die Führerkabine des projektilförmigen Schiffes lässt.
Die Raumfahrer sind von den durch die Luken sichtbaren Wunder des Alls fasziniert:
Schwärze. Kein Stern in der Schwärze. Nur am äußersten Rande des Blickfeldes schimmernde Punkte, wie in den Schoß der Nacht zurückgezogen. Aber plötzlich bildete sich in dieser vernichtenden Schwärze ein Halbkreis aus Feuer, unfaßbar riesenhaft groß.
Der Halbkreis aus Feuer, zuerst nur glühende Linie, begann zu zucken, zu sprühen, aufzuflammen. Nach allen Seiten schossen Strahlenbündel aus Farben, wie kein Maler je gemischt hat, doch jede einzelne durchtränkt von Gold, in dem berauschten Firmament vertriefend.
„Was ist das?... Mein Gott, was ist das!“ fragte die leise Stimme des Mädchens, die klang, als wollte sie niederknien.
„Die Erde... Auf Erden geht die Sonne auf...“ antwortete Helius. Und auch seine Stimme klang, als wäre sie sehr bereit zur Anbetung.
Ja, das Weltraumschiff war aus dem Schatten der irdischen Nacht getreten, und seine Menschen sahen unter sich die Erde liegen, die sie verlassen hatten: eine schwarze Onyxscheibe, zwölfmal so groß wie der Mond, mit flammensprühendem Rande, in ihre von Licht durchtränkte, tausendfarbige Atmosphäre eingebettet, gleich einer schwarzen Insel auf einem Ozean von sprühenden Juwelen ruhend.
Da, wo die Sonne hervortauchen wollte hinter dem Rand der Erde, zuckten grell weiße Kaskaden heroischen und bezwingbaren Lichts empor. Als glanzüberströmte Sichel löste die Erde sich los von der großen Mutter. Und die Sonne ging auf für die Erde und für das Weltraumschiff.
Warmes, beglückendes Licht erfüllte plötzlich den Raum und machte ihn schimmernd mit allen seinen Metallen. Die Ränder der Fenster schienen in Feuer zu stehen. Und vor den anderen Fenstern, die der Sonne abgekehrt waren, lag Schwärze der Nacht, lag tiefstes samtenes Dunkel, in dem die Sterne strahlten.
Der ganze Himmel Gottes schien aufgetan, in dem am hellsten das Kleinod Sonne blühte. Schön von der Sonne gesegnet, blühte die Erde auch. Zart und verblassend, preisgegeben und traurig folgte der schwebende Mond seiner Gottheit, der Erde.
(Zitiert aus: Thea von Harbou: Frau im Mond. München 1989, Heyne SF 4676, S. 128f)
Mit einer Geschwindigkeit von 11200 Meter pro Sekunde rast das Weltraumschiff durch die schwärzeste Nacht. Bald erreicht es den Mond und schlägt eine Kreisbahn um ihn ein. Helius befiehlt das Licht auszumachen, denn er möchte am Horizont sehen, ob der Trabant eine Atmosphäre hat. Als die Sonne als glühender Halbring hinter dem Mond aufsteigt, hat er den Beweis dafür. Die Landung wird hart, aber es sind nur kleinere Verletzungen zu beklagen. Die „Friede“ steht beschädigt schräg im Mondsand, und es wird vieler Arbeit bedürfen, die Triebwerksdüsen freizulegen sowie das Schiff zu reparieren und es wieder startklar für den Rückflug zur Erde machen. Helius arbeitet wie ein Besessener. Inzwischen haben die anderen Besatzungsmitglieder Zeit, die Umgebung zu erkunden. Turner fällt Friede durch sein verdächtiges Gehabe auf. Sie entdeckt, dass er sich einmal eine Maske überzieht, in der er wie Helius aussieht. Was hat er vor? Eine große Erleichterung für die Mondfahrer ist es, als sie Wasser entdecken, was neben der atembaren Atmosphäre ein längeres Überleben sichert.
Professor Manfeldt ist verschwunden. Nach intensiver Suche wird er zwar wiedergefunden, er hat aber rettungslos den Verstand verloren. Seine Entdeckung, die Erfüllung seiner lebenslangen Sehnsucht, hat seinen Geist zerrüttet. Er hat eine ungeheure Ruinenstadt entdeckt, ein Überrest einer versunkenen Zivilisation, mit gigantischen Götterbildern aus purem Gold. Damit ist auch Turner am Ziel, das ihm seine Auftraggeber gestellt haben. Er will allein mit dem fertiggestellten Schiff zur Erde zurückfliegen, die Reisegefährten dem Verderben aussetzend, um in einer weiteren Expedition noch einmal den Mond aufzusuchen und die ungeheuren Schätze bergen zu können. Es kommt zum Kampf auf Leben und Tod zwischen Turner und Helius, dessen Waffe Turner tödlich trifft. Doch auch Turner hat einen Schuss abgegeben, der die Ventile der Sauerstoffapparate getroffen hat, was mehr als die Hälfte des Sauerstoffs ausströmen ließ. Somit können nicht alle Raumfahrer zur Erde zurückkehren, das lebensnotwendige Atemgas reicht nicht. Helius beschließt, hierzubleiben und auf eine spätere Rettungsmission zu warten. Doch als er die Kameraden losgeschickt hat, sieht er am Eingang des Expeditionszeltes eine Gestalt stehen. Es ist Friede, die Helius immer geliebt hat, so wie er sie, und die Verlobung mit Windegger nur eingegangen ist, weil Wolf ob seiner Pläne zur Mondfahrt keine Bindung eingehen wollte. Zusammen mit ihm blickt Friede, die Frau im Mond, der Zukunft entgegen.
Man kann des öfteren lesen, dass der Film nach der Romanvorlage gedreht wurde. Ich ziehe das einmal in Zweifel. Es gibt ja bei der Beziehung Roman – Film drei Varianten: Die erste ist ein Film, der nach einer früheren Romanvorlage gedreht wird, und mehr oder weniger davon abweicht, je nachdem wieweit die Überlegungen der Filmemacher, ein erfolgreiches Produkt herzustellen, Änderungen bedingen. Die zweite ist ein Filmroman, der nach einem erfolgreichen Film diesen auch literarisch verwerten will und sich exakt an die Vorlage hält. Dann gibt es die dritte Version, die zur Zeit des Filmprojektes parallel zum Drehbuch geschrieben wird und ebenfalls die Filmhandlung 1:1 widergibt. Dies scheint mir bei Frau im Mond der Fall zu sein, denn es ist unwahrscheinlich, dass man nach Erscheinen des Romans gleich feststellte, dass er verfilmt werden sollte und man binnen weniger Monate den Film aus dem Boden stampfte. Roman und Film sind hier also als Einheit zu betrachten. Zudem ist hinzuzufügen, dass Frau im Mond von der Konzeption her eigentlich einen Nachspann zu Metropolis hätte bilden sollen. Nachdem dieser Film aber bereits so schon monumental genug war, gliederte man die Handlung über die Mondfahrt einfach in ein zweites Werk aus, in dem die Protagonisten nicht Fredersen und Maria, sondern Helius und Friede hießen.
Interessant ist auch der Vergleich mit Franz Nehers Raumfahrtroman Menschen zwischen den Planeten, der fünfundzwanzig Jahre später erschien und in der vorliegenden Serie vor wenigen Wochen vorgestellt wurde. Beiden Werken ist gemeinsam, dass sie unter Assistenz von Raumfahrtexperten entstanden. Bei Frau im Mond war das der Vater der deutschen Raumfahrt Hermann Oberth, bei Menschen zwischen den Planeten Wernher von Braun. Neher machte aus dem Stoff einen Roman, in dem die physikalisch-technischen Details das Werk dominieren und vor allem für die technisch interessierte junge Generation Faszination ausströmen. In Frau im Mond spielen die Gefühle der Protagonisten und damit verbunden natürlich auch eine scheinbar hoffnungslose Liebesgeschichte eine wesentlich größere Rolle. Die technischen Details sind zwar einigermaßen stimmig geschildert (nach dem damaligen Wissensstand, z. B. was heute auch widerlegte Einzelheiten wie eine atembare Atmosphäre auf dem Mond betrifft), laufen aber nebenbei mit. Ein Zufall, dass Frau im Mond von einer Frau und Menschen zwischen den Planeten von einem Mann geschrieben wurden?
Die Heyne-Ausgabe ist dem Anlass des Jubiläums würdig für ein Taschenbuch reich ausgestattet. Es finden sich zahlreiche Fotos von der Autorin und dem Regisseur, Filmszenen sowie weitere Bilder zu anderen literarischen und filmischen Mondreisen von Jules Verne bis zu den Gebrüdern Méliès. Das Werk wurde von dem Politologieprofessor und SF-Experten Rainer Eisfeld herausgegeben, der auch ein umfangreiches Nachwort beisteuerte, in dem neben Information zu Harbou, Lang und den Film auch das gesellschaftspolitische Umfeld beleuchtet wurde, in dem das Werk entstand, bis zu den weiteren Entwicklungen und der Verstrickung Harbous, aber auch von Weltraumforschern wie Oberth und von Braun in die Nazi-Ideologie. Ein amüsantes Detail der Verfilmung ist, dass Fritz Lang dafür das Zählen des Countdowns erfand: Zwei … eins … null!
Obwohl die Ausgabe in der Heyne-SF erst drei Jahre nach der Einstellung der Heyne Science Fiction Classics erschienen ist, passt sie ausgezeichnet zu dieser Subreihe dazu und wurde von mir deswegen bewusst in die vorliegende Artikelserie aufgenommen.
Bibliographie
Anmerkung:
Es werden die Ausgabe in den Heyne Science Fiction Classics sowie die Originalausgabe des Werks angeführt.
1989