Brandhorst, Andreas: Die Stadt
Die Stadt
von Andreas Brandhorst
von Andreas Brandhorst
- 1. Jeder Autor schreibt mal ein (in den Augen des Lesers) schlechtes Buch, und mit »Äon« hat Brandhorst gezeigt, dass mir seine Werke durchaus zu gefallen wissen.
- 2. Bei »Die Stadt« handelt es sich wie bei »Äon« um einen Mystery-Thriller. Und was einmal gutgeht (sprich: die Wahl des Genres), klappt vielleicht auch ein zweites Mal.
- 3.
Die Inhaltsangabe klang schlichtweg zu verlockend, als dass ich es mir erlauben konnte, das Buch NICHT zu lesen.
Worum geht es in dem Werk? Im Mittelpunkt der Geschichte steht Benjamin Harthmann, der an seinem 40. Geburtstag bei einem Autounfall ums Leben kommt und sich nach seinem Ableben in einer seltsamen Stadt wiederfindet. Hier trifft er auf eine Reihe anderer Personen, die alle eines gemeinsam haben: Sie sind tot und doch nicht vergangen.
Was hat es mit der Stadt auf sich? Ist sie das Paradies oder die Hölle, ist sie das Fegefeuer oder überhaupt eine Form von jenseitigem Aufenthaltsort? Doch warum sind dann nur so wenige Menschen hier, und warum ist die Stadt von einem undurchdringlichen Nebel umgeben und verändert sich ständig? Die Suche nach der Wahrheit wird für Benjamin zu einem gefährlichen, teils recht bizarrem Unterfangen. Einem Unterfangen, mit dem er zudem eine Tür in seine Vergangenheit aufstößt und erkennen muss, dass der Tod einem manchmal mehr nimmt als nur das Leben
Um es gleich vorweg zu sagen: »Die Stadt« ist ein Buch, dessen Lektüre man sich vorab gut überlegen sollte. Die Umschreibung Mystery-Thriller trifft das Werk ausgesprochen gut. Waschechte Fantasy-, SF- und Horrorfans werden mit dem Roman ihre liebe Mühe haben. Obwohl zweifelsohne der phantastischen Literatur zuzurechnen, entzieht sich Brandhorsts mitunter ein wenig grotesk anmutendes Werk jeglichen Konventionen, die diese drei Genres ausmachen. Stattdessen bekommt der Leser eine eigenwillige, charakterorientierte Geschichte geboten, die am ehesten an eine Mischung aus »The Sixth Sense«, Dmitri Glukhovskys »Metro 2033«, Wolfgang Hohlbeins »Im Netz der Spinnen - Videokill« sowie Karl Olsbergs »Glanz« erinnert. Wer diesen und ähnlichen Erzählungen nichts abgewinnen kann, sollte die Finger von dem Buch lassen. Alle anderen dürfen sich auf einen erstklassigen Mystery-Roman freuen.
»Die Stadt« lebt von zweierlei. Zum einen wäre dies der Hauptprotagonist des Romans, Benjamin, aus dessen Sicht die ungewöhnliche Handlung geschildert wird und dessen Innenleben, seine Vergangenheit und die Art, wie er die absurde Situation bewältigt, den größten Teil der Geschichte einnehmen. Brandhorst gelingt es, seinen Helden glaubwürdig und lebensnah zu beschreiben. Zumeist geschickt verwebt er den Kampf Benjamins mit seinen inneren Dämonen mit den teils grotesken, teils hochdramatischen Erlebnissen des Mannes in der Stadt. So erschafft er eine charakterbezogene, abwechslungsreiche Story, die den Leser immer wieder aufs Neue zu faszinieren weiß.
Zum zweiten lebt der Roman von seinem ungewöhnlichen Setting. Mit der Stadt (die einfach nur Die Stadt genannt wird und keinen anderen Namen bekommt) hat Brandhorst den geradezu perfekten Schauplatz für einen Mystery-Roman erschaffen: Vertraute und phantastische Strukturen reihen sich hier nahtlos aneinander und nehmen den Leser mit in eine Welt, in der alles bekannt und doch ganz anders ist, als man es im ersten Moment erwartet. Ob Supermärkte, deren Auslagen nie leer werden, oder Hochhäuser, die wachsen, stets überrascht Brandhorst sein Publikum durch die enge Verknüpfung des Alltäglichen mit dem Übernatürlichen.
Die Geschichte als solche ist nicht immer leicht zu verdauen. Eingepackt in eine (ausgesprochen fesselnde, wie ich finde,) Rahmenhandlung reihen sich philosophische Betrachtungen des Lebens und Sterbens an handfeste Action, skurrile Visions-Erlebnisse an hintergründige Dialogszenen. Wer nicht bereit ist, sich auf ein Konglomerat der verschiedensten Versatzstücke einzulassen, der wird den Roman bald als unentschlossen und zerfasert betrachten und ihn genervt aus der Hand legen. Was schade ist, denn es ist gerade dieser Mix, welcher der ohnehin spannenden Handlung ihren eigentlichen Reiz verleiht, weil er sie so unvorhersehbar macht.
Was das Finale des Buchs angeht, so werden sich die Geister daran scheiden. Ob einem die von Brandhorst gewählte Auflösung um das Geheimnis der Stadt zusagt, muss schlussendlich jeder für sich selbst entscheiden. Ich persönlich fand sie exzellent was nicht zuletzt daran lag, dass ich bis zum Schluss fest mit einem ganz anderen Ende gerechnet hatte und erfreut darüber war, dass dem Autor eine sehr viel bessere Lösung eingefallen ist, als man sie aus den im Laufe des Romans gemachten Andeutungen im Vorhinein zu wissen glaubt.
Fazit: »Die Stadt« ist ein Roman, an den ich mit großer Freude zurückdenke. Ein Mystery-Thriller, der mich von Anfang an gepackt hat und wiederholt zu überraschen wusste. Ein Buch, das sich Mystery-Fans auf gar keinen Fall entgehen lassen sollten.
Bleibt zu hoffen, dass Brandhorst schnell wieder einen weiteren Mystery-Thriller schreibt. Darauf versteht sich der Autor nämlich ausgesprochen gut!
Informationen zum Buch
: 2011 (Deutschland)
: 978-3-453-52764-5
Kommentare
n. b.: ich habe mit "Kinder der Ewigkeit" begonnen und bislang gefällt mir der Roman ausgesprochen gut.
Gemeinsamer Nenner zwischen diesen vom Rezensenten so gegensätzlich bewerteten Romanen scheint mir die Erzählweise von Andreas Brandhorst zu sein, die ich bei bizarren bzw. exotischen Weltentwürfen sehr fesselnd finde.
Es stimmt zwar, dass es einige Brüche gibt, einige Stellen schon "zerfasert" wirken können. Mir ist jedoch wichtiger, dass die Spannung bis zum Schluss erhalten bleibt. Die Auflösung ist sicherlich Geschmackssache. Ist sie glaubwürdig? Das muss jeder letztlich für sich selbst entscheiden!