Flewelling, Lynn: Das Orakel von Skala

FotoDas Orakel von Skala (2003)
(The Bone Doll's Twin;  2001)
von Lynn Flewelling
Übersetzung: Frauke Meier
Bastei-Lübbe Fantasy 20467
778 Seiten; 8,90 Euro
ISBN:  3-404-20467-0
Verlagsgruppe Lübbe

Das Orakel von Skala hat prophezeit, dass das Königreich geschützt sei, solange die Krieger-Königinnen auf dem Thron sitzen. Dies ging nun Jahrhunderte lang gut, doch die letzte Königin verfällt dem Wahnsinn, so dass Prinz Erius, zunächst als Regent für die dreijährige Halbschwester Ariani, dann offen mit Unterstützung machtgieriger Magier die Herrschaft okkupieren kann. Weitere Verwandte aus dem Könighaus fallen "gehäuft unglücklichen Unfällen" zum Opfer, und als Ariani Zwillinge entbindet, sind König und Hofmagicker binnen Minuten zur Stelle, um festzustellen, dass von den beiden Kindern ein Mädchen totgeboren wurde.

Der Junge Tobin ist, qua Geschlecht, keine Gefahr für seinen Onkel - wäre er denn einer, denn die ebenfalls von Orakelvisionen heimgesuchten Magierin Iya und ihr Schüler Arkoniel haben vorgesorgt und eine Hexe vom Alten Volk bereitgehalten, die in den wenigen Minuten zwischen Geburt und "Kontrolle durch den König" dunkle, unheilige Blutmagie gewirkt und beider Geschlecht vertauscht hat. So wächst Tobin als Junge auf, doch häufen sich unerklärliche Vorfälle rund um ihn; der Geist des toten Bruders geht um und quält nicht nur Tobin, sondern auch die Mutter, die mehr und mehr ebenfalls dem Wahnsinn verfällt, in einer zerschlissenen Puppe Knochen des toten Babies verbirgt und den Geist dadurch nicht zur Ruhe kommen lässt, bis sie Selbstmord begeht.

Tobin wächst unter der Aufsicht Arkoniels in einer abgelegenen Festung auf, während Iya die Lande bereist, um die "guten" Magier gegen die zunehmende Diktatur des Königs und seiner "bösen" Magicker zu einen versucht. Als auch Tobins Vater, Herzog Rhius, im Krieg gegen die Südländer fällt (von Erius durch arrangierte Befehle in eine ausweglose Lage gebracht), muß der/die nun Zwölfjährige zum Königshof zurück, wo er/sie sich behauptet, bis die natürlich-biologische Entwicklung beinahe das (auch von ihm/ihr noch nicht erahnte) Geheimnis aufzudecken drohen.... 

Manchmal lohnt es, jemand eine zweite Chance zu geben. Die Autorin Lynn Flewelling debütierte mit einer Trilogie ("Die Schattengilde", ebenfalls in der Bastei-Fantasy-Reihe erschienen; Nr. 20327/20353/20415), aber was da als "rasantes Mantel-und-Degen-Abenteuer" apostrophiert wurde, entpuppte sich als ganz und gar grässlicher Langeweiler ohne jeden Schwung. Dieser neue Roman spielt in derselben Fantasywelt, 600 Jahre früher als die "Schattengilde"; dadurch hat man schon einige Vorinformationen und weiß z.B., dass die hier beschriebene Hauptstadt Edo zerstört werden wird; was im übrigen auch das besagte Orakel androht für den Fall, dass der Thron nicht von der rechtmäßigen (hier: Tobin) Königin eingenommen wird.

Das Buch besteht aus drei Teilen. Im ersten wird die allgemeine Vorgeschichte sowie Iyas und Arkoniels Orakelvisionen geschildert, es schleppt sich auch hier alles etwas konventionell und langsam dahin und wäre da nicht zum Abschluß der "magische Geschlechtertausch" bei der Geburt mit seinen interessanten Folgen, würde man nach diesen 200 Seiten auch schon aufgegeben haben. Immerhin wird hier einem, buchstäblich biblisch-alten (Herodes und die Kinder) Plot eine recht neue Variante abgewonnen.

Der zweite Teil, mit den Erlebnissen des aufwachsenden Tobin, gewinnt stark an Tempo, Dramatik und erzählerischer Tiefe, so dass man sich langsam aber sicher mit den Personen anfreunden kann und ihrem weiteren Schicksal (so sehr es auch, siehe Orakel, vorgegeben zu sein scheint) folgen will. Das unheimliche Geschehen um den toten, aber spukenden Zwillingsbruder, weit über die äußerlich zu sehenden (Poltergeist-)Effekte hinaus, schlägt den Leser in den Bann (vor allem, weil man lange Zeit nicht genau erkennen kann, woraus die allgegenwärtige Bedrohung sich nun herleitet).

Es scheint beinahe, als wären hier diverse Erkenntnisse in Tiefenpsychologie bei Kindern o.ä. mitverarbeitet worden; oder geht die Autorin, laut Begleittext ebenfalls Mutter, sowieso davon aus, dass Kinder bis zu einem bestimmten Alter wie "von Dämonen besessen" zu sein scheinen...(Etwas weniger nett, eher peinlich, sind altkluge, aber immer noch höchst amerikanisch-prüde Diskussionen von Zehnjährigen untereinander, wie denn die Kinder zustande kommen...).

Der dritte Teil fällt dann wieder etwas ab. Tobin und sein gleichaltriger Knappe und Freund Ki kommen am Königshof (natürlich) gegen alle Fährnisse und Intrigen von Pubertierenden inklusive des Kronprinzen sehr gut zurecht, sind sie doch die besten Schwertkämpfer (Bogenschützen, Speerkämpfer...und so weiter); all das kennt man schon aus diversen anderen jener "Edukations-Romanen".  Leider etwas stiefmütterlich behandelt wird das Buch vom Verlag. Das Titelbild ist erkennbar nicht zum Roman gehörig und ein beeindruckendes Beispiel schwülstig-kitschiger Scheusslichkeit (verzückte, madonnenhafte Gestalt vor Bergkulisse, in Augenhöhe ein leuchtender Ring mit Taube; man könnte es fast für eine Parodie auf diverse christliche, Heiliger-Geist-Symbolik halten).

Es findet sich weder eine Fantasykarte (die, leider nur oberflächlich und durch einen dicken roten SAMPLE-Aufdruck verunstaltet, auf der Homepage der Autorin <www.sff.net/people/Lynn.Flewelling> zu sehen ist) noch der Hinweis, dass  es sich hier um den ersten Band einer (der sog. TAMIR-)Trilogie handelt. Den zweiten Band gibt es bereits, ist aber dann doch nicht in deutscher Ausgabe erschienen. 

Diese Rezension erschien zuerst in der Publikation des Fantasy Clubs (F.C.) e.V. „Magira -. Jahrbuch zur Fantasy 2004“. Ich möchte hiermit auf diese regelmäßige sehr empfehlenswerte Publikation hinweisen. Siehe auch unter www.magira.com  

 

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