Verkaufen und verschenken
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk und seine Widersprüche
Krame ich ganz tief in meinen Erinnerungen, kommen heimelige Gefühle an die späten Sechziger und frühen Siebziger auf. Am Montag gegen 20:05 Uhr nach den Nachrichten kuschelte ich mich auf dem Sofa in die Decken und Kissen. Herbststürme tobten ums Haus, der Wind heulte. Meine Mutter saß in ihrem Sessel und strickte. Heißer Kakao dampfte in den Tassen. Es gab Schokolade, Marzipan oder geschälte Äpfel und Birnen. Und das wichtigste: Es gab auf Radio Bremen 1 (der Hansa Welle) das Hörspiel der Woche in plattdeutscher Sprache. Ursula Hinrichs, damals noch am Bremer Niederdeutschen Theater, war oft der Star des Stücks. Ihre Stimme zog mich in den Bann und ich versank in der Welt des Hörspiels. Das waren beileibe nicht nur Schwänke oder seichte Komödien, die in den Äther gesendet wurden. Wunderschöne Kindheitserinnerungen an großes Radio-Hörspiel...
Womit wir beim Thema wären... dem Radiohörspiel beziehungsweise der Umgang damit. Die Sender der ARD zeigen seltsame Verhaltensweisen.
Die Sendeanstalten der Arbeitsgemeinschaft des öffentlich-rechtlichen Rundfunks haben über die Jahrzehnte ihres Bestehens hinweg großartige Hörspiele produziert. Dazu gehören: Der Herr der Ringe, Der kleine Hobbit, Die Säulen der Erde, Der Radio-Tatort und vieles andere mehr.
Dann gibt es Audio-Verlage, die dann diese Produktionen übernehmen und netterweise als CD produzieren. Die ARD verschenkt dann natürlich diese Hörspiele nicht an die Verlage, sondern kassiert dafür Lizenzen. Und wohl nicht zu knapp. Das erscheint nur recht und billig. Das ist ein Weg, einen Teil der Produktionskosten wieder einzuspielen und somit den Gebührenzahler zu entlasten.
Aber... Und nun beginnt sich der Verstandesmensch zu fragen, was die Sender umtreibt und wes Geistes Kinder die Verantwortlichen sind. Sie verkaufen nicht nur die Lizenzen an den Hörspielen, sie bieten diese auch dauerhaft und kostenlos zum Herunterladen an.
Verkaufen und verschenken... Das geht doch nun wirklich nicht. Ich kann doch nichts verschenken, wenn ich die Lizenz an eben diesem Produkt (ein identisches Hörspiel) an jemand anders verkauft habe! Oder entgeht mir da was...
Die Sender stehen aber auf dem Standpunkt, dass der Gebührenzahler ja an die GEZ gezahlt hat und ihm daher ein kostenloses Herunterladen zusteht. Aber hat z. B. der Hörverlag nicht auch Gebühren gezahlt. Warum muss der dann noch Lizenzen zahlen? Und der Käufer und Hörer der CD-Editionen hat doch auch schon Gebühren gezahlt (daher stünde ihm doch ein lizenzfreies Produkt zu). Denn letztendlich zahlt natürlich eben dieser Endverkäufer auch die Lizenz mit, die der Hörverlag an die ARD zahlen muss. Warum kassiert dann die ARD denn für dieses Produkt Lizenzen, wo sie es doch an Gebührenzahler verkaufen
Und man merke auf: Es geht nicht um ein innovatives Vertriebskonzept, wie es sich nun abzeichnet. Denn die Audioverlage haben keine Möglichkeit, diese Praxis zu beeinflussen. Die ARD verkauft und verschenkt. Es wird gar befürchtet, dass Produktionen der Verlage, die die ARD übernimmt von ihnen kostenlos zum Download bereitgestellt werden, weil der Rundfunkstaatsvertrag sagt, dass Sendungen der ARD-Anstalten zum Download bereitgestellt werden können.
In einer gemeinsamen Erklärung zeigen sich die Audio Verlage durchaus kompromissbereit.
Die Hörbuchverlage fordern daher die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender auf, das Internet-Angebot von Hörbuchproduktionen, die an Verlage lizenziert sind oder werden, auf ein Streaming, die Möglichkeit des Abhörens im Internet, von maximal sieben Tagen zu begrenzen.
Sieben Tage können Werbung sein. Und den Audioverlagen dürfte klar sein, dass nicht jeder, der so ein Stück herunter lädt auch ein Käufer ist. Das ist doch was, das auch die Sendeanstalten aufnehmen könnten. Was soll das dauerhaft zur Verfügung stellen von bereits verkauften oder zum Verkauf anstehenden Stücken? Sicherlich ließe ich auch im Zusammenhang mit dem Zwischenruf im Zauberspiegel über das Konzept ein kostenloses eBook zusätzlich zum Buch anzubieten, argumentieren, dass dies doch ähnlich wäre. Aber dazu sollte der Audioverlag auch ein Mitspracherecht bekommen, ob man dies denn auch wünsche und in welcher Form das passieren kann. Dazu müsste man als gleichberechtigter Partner darüber entscheiden, was in dieser dann zu tun wäre. Das kann man aber nicht, weil die Sendeanstalten das nach ihrem Gusto handhaben.
Hier ließen sich sicherlich Ideen entwickeln und umsetzen. Doch dazu müsste man auch das kostenpflichtige Produkt vorstellen und dessen Mehrwerte herausarbeiten. Das aber geschieht in den Mediatheken der Sender nicht. Dazu ist man zu sehr damit beschäftigt sich selbst zu beweihräuchern und den Service hochleben zu lassen.
Und auch die Verlage haben eigene Portale oder beliefern kommerzielle Portale wie claudio.de oder andere.
Daher sollte man nach gemeinsamen Wegen suchen oder eben komplett auf Lizenzen verzichten. So können die kommerziellen Anbieter günstiger werden.
Auch das Vorhalten von Mitschneidesoftware stößt den Audioverlagen auf. Nicht, dass man unbedingt auf die Software der Sender zurückgreifen muss. Hier kann man auch geteilter Meinung sein, denn nicht jeder Mitschneider ist ein Käufer. Ich erinnere mich da an die Tage des Kassettenrecorders. So manches, was ich mitgeschnitten habe, hätte ich nie und nimmer gekauft. Wirklich nicht. Anderes habe ich tatsächlich erworben.
Aber der gewichtigste Grund kommt noch. Die Audio-Verleger stellen nämlich folgendes fest:
Die deutschen Buch- und Hörbuchverlage weisen darauf hin, dass die Rundfunkanstalten für Streaming- und Downloadangebote sowohl von Eigen- als auch von Fremdproduktionen keine oder keine relevanten zusätzlichen Vergütungen an die Autoren und ausübenden Künstler vorsehen. Urheberund Leistungsschutzrechte haben jedoch einen Wert. Die kreativen Leistungen sind die Grundlage unserer Kultur, auch der Programme der Sender. Wenn eine Institution wie der öffentlich-rechtliche Rundfunk vom Auftrag her Kulturförderer und in seiner Historie Entwickler wichtiger Autoren, Werke und Formate diese nun verschenkt, entzieht er den Kulturschaffenden Umsätze und Einkommen, schließlich ihre Existenzgrundlagen.
Jetzt beginnt man sich ernsthaft zu fragen, ob gewisse Gremien der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten wirklich in den richtigen Anstalten sitzen. Das ist hirnrissig.
Ich bin für einen starken öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aber das geht zu weit. Wahr und wahrhaftig. Es gilt das eigene Angebot zu überdenken oder mit den Lizenznehmern zusammen Wege zu entwickeln, die für alle Seiten gangbar sind.
Oder aber die Audioverleger kaufen einfach keine Lizenzen mehr und produzieren stattdessen selber. Mal gucken, wie die Lizenzabteilungen dann aus der Wäsche gucken. Auch Mist.
Also bleibt der gemeinsame Weg...
Und in den Archiven der ARD schlummern noch einige Schätze. Wie wäre es, wenn Radio Bremen wieder einige plattdeutsche Hörspiele zu Tage zu fördert, die Anfang der Siebziger liefen, als der Kakao in meiner Tasse dampfte und Schokolade oder frisches Obbst auf dem Tisch stand, während der Herbststurm um das Haus tobte und Ursula Hinrichs der Star eines plattdeutschen Hörspiels war.
Auch die übrigen Sender bergen noch so vieles, was des Hörers Herz erfreut... Die könnte man doch zum Herunterladen anbieten. Das ist auf jeden Fall besser als das jetzige Gebahren und erfreulicher für alle Seiten.
Kommentare
Äh, moment mal,
alles schön und gut, aber Deine Rundfunkgebühren zahlst
Du für das laufende Programm, Screambird.
Und der Mitschnittdienst kostet deswegen 40 Euro für eine
Stunde Programm, weil sich extra jemand hinsetzen
muss und Deine von dir verpasste Sendung nochmal
überspielen muss.
Hat sich eigentlich schon mal jemand erkundigt, wie denn
die Verträge zwischen Autoren, Künstler und Rundfunk
aussehen. Soetwas ist doch eigentlich von vorneherein
vereinbart und bekannt.
Oder hab' ich was versäumt?
Deswegen ja auch die derzeitige massive Diskussion darum, ob die Gebührenzahler die aufgeblasenen Internetpräsenzen der ÖR zahlen müssen. Das hat mit ihrem Auftrag nämlich eigentlich nix zu tun. Die hier beschriebene Problematik hängt direkt mit diesem Themenkomplex zusammen.
Ergebnis: Nichts. Es gibt ein Hörspiel-Archiv, in dem ich nachschauen kann, wer wann wie wo was produziert oder gesprochen hat und wann es veröffentlicht wurde. Nixo Downloado. Njet.
Und ich es sieht auch nicht danach aus, dass ich die o.g. Produktionen irgendwo kaufen kann.
Werfe das nur ein, weil ich an den beiden obigen interessiert wäre. Oder "Otherland" - wurde auch gesendet.
Wer mal im NDR-Archiv stöbern möchte:
www.ard.de/radio/hoerspiel-lesung/hoerspielarchiv/-/id=570460/1d30kla/index.html