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Die große Nabelschau...

Zauberwort - Der Leit(d)artikelDie große Nabelschau...
Gedanken zur Buchmesse in Frankfurt

Ab Dienstagabend ist es wieder soweit. Die Verlagswelt putzt sich heraus und zeigt sich her. Die Buchmesse in Frankfurt 2008 wird in Anwesenheit der Politprominenz feierlich eröffnet. Von Mittwoch bis Sonntag ist das Buch an sich in aller Munde und in jeder Fernsehsendung.

Endlose Besucherströme werden sich durch die Messehallen in Frankfurt wälzen.

Frankfurter BuchmesseDas Hohe Lied auf Verlagserzeugnisse wird mit Inbrunst nicht nur in den Feuilletons, sondern sogar auf den Titelseiten der großen Zeitungen geschmettert werden. In Sonntagsreden und Kommentaren wird wieder das Unentbehrliche am Buch und der Literatur an sich beschworen. Man setzt bei der politischen Prominenz wieder den Blick auf, der uns fragt, ob ihre Augen lügen könnten.

Alle Medien (inklusive des Zauberspiegel) werden wieder staunend aus den Messehallen berichten und das Ereignis würdigen, Autoren, Verleger und Publikum abfilmen und jede Menge Bücher ins Bild rücken. Auch wir werden das genießen, dabei sein und mit Autoren, Lektoren und anderen reden und uns in den Kreis der Wichtigen einreihen. Da weiß man doch wieder, dass man an etwas Besonderen, gesellschaftlich Relevanten und kulturell Nötigem teilhat.

Und was kommt dann?

Ist man zurück von diesem Muskelspiel der Verlage, dem Laufsteg der Autoren, von dieser Nabelschau des Buches, kommt dann bis zur nächsten Buchmesse im Frühjahr in Leipzig (Frankfurts kleiner Bruder) der Alltag zurück, in dem jeder öffentliche Bibliothekar um sein Budget fürchten muss und schon eine geringere Kürzung wie geplant als großer Erfolg gefeiert wird. Ein Alltag, in dem mehr Buchhandlungen schließen, als Thalia und Weltbild Filialen eröffnen können. Ein Alltag, in dem beklagt wird, dass Kinder und Jugendliche immer schlechter und immer weniger lesen. Ein Alltag, der so ganz anders ist als in den Sonntagsreden und Kommentaren auf bzw. anlässlich der anstehenden Nabelschau des Buches. – Dann merkt auch der gemeine Zauberspiegel-Redaktör, dass zwischen Messefeiertagen und grauem Alltag Welten, wenn nicht gar Universen liegen. Und die politische Prominenz hält anderswo Sonntagsreden, ist nicht mehr greifbar und überlegt sich, ob sie auf der nächsten Buchmesse noch mal ihre Redenschreiber bemühen sollen oder ob es die alte Rede noch mal tut. Immerhin sagt der/die PolitikerIn doch immer das Gleiche.

Die Buchmesse ist ohne jeden Zweifel wichtig. Da trifft sich die Branche, um Geschäfte und gleichzeitig PR zu machen. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erregen und sich der Öffentlichkeit zu präsentieren. Eine knappe Woche klappt das auch ganz prima.

Leider reichen die beiden Messen per anno nicht aus. Die Halbwertzeit solcher Veranstaltungen ist in unserer schnelllebigen Zeit zu gering. Wenn der Rummel in Frankfurt bzw. Leipzig vorbei ist, die Stände noch nicht einmal komplett verstaut sind, verschwindet das Buch und das Thema Lesen an sich wieder in der Versenkung. Die Sonntagsredner aus der Politik haben soviel heiße Luft verbreitet, wie sonst nur im Wahlkampf. Ihre Lippenbekenntnisse wie wichtig Literatur und Lesen doch sind, haben sie schon vergessen, wenn sie in ihren Dienstlimousinen verschwinden. Die nächste Sonntagsrede zu einem anderen Anlass wartet schon (und wenns die Eröffnung einer Besamungsstation ist).

Aber es entsteht ohnehin der Eindruck, dass an allzu vielen Leuten das Thema rund ums Lesen und Bücher ohnehin vielen am Anus vorbeigeht. Ist da Hopfen und Malz verloren. Ich habe Leute kennen gelernt, die nach dem Verlassen der Schule kein Buch mehr in der Hand hatten, die mich fragten, was ein Heftroman oder ein Hardcover sei. Egal was man denen zum Lesen hinhalten würde, ob einen Jerry Cotton, einen Grass oder irgendwas dazwischen, sie würdens nicht lesen. Es gibt ja Fernsehen und DVD. Für die gilt der Satz, den Egon Stantz (Harold Ramis) in GHOSTBUSTERS verkünden durfte: „Gedrucktes ist tot.“ Und manchmal sind sie es auch.

Mit Entsetzen denke ich an einen meiner letzten Auftritte als „Gastdozent“ zum Thema Heftroman in einer Klasse meines alten Deutschlehrers. Da war dieser 15jährige, der meine These Lesen bilde die Phantasie, mit den Worten kommentierte, dass er keine Phantasie brauche, er wolle ja Klempner werden. Nach einigen Hin und Her mühte ich mich um Sarkasmus und erwähnte, dass seine Feierabendgestaltung wohl jetzt schon aussehe: Bier, Fernsehen, BILD. Den Sarkasmus bemerkte er nicht und er fand diese Art Freizeit zu verbringen völlig OK. – Ein Einzelfall? Ich glaube nicht. Ich habe Leute beobachtet, die eine dreiviertel Stunde brauchten, um den Sportteil der BILD zu lesen (!), wofür 5 Minuten mehr als ausreichen.

All diese Leute brauchen fast schon ein bewegtes Bild (oder große BILDer mit wenig Text). Bei einigen machte ich die Erfahrung, dass sie einen Film kaum länger als ne halbe Stunde konzentriert folgen konnten. Die benötigen die Werbepausen, um wieder ihre Konzentration zu sammeln, die dann bis zur nächsten Werbepause reicht. Erstaunliche Menschen. – Ich habe fasziniert beobachtet, dass diese Menschen sich schwer tun, etwas zu beschreiben oder von einem Ereignis zu erzählen. Für diese Menschen fährt NDR2 die durchschnittliche Länge seiner Wortbeiträge auf 90 Sekunden herunter, um sie als Zuhörer nicht zu verlieren. Wo soll denn da noch die Aufmerksamkeit herkommen, um einen Heftroman, geschweige ein Buch vom Format „Die Säulen der Erde“ oder „Das zweite Königreich“ zu lesen? Oder gar das, was das Feuilleton Literatur nennt.

Wie sollte man diese Leute erreichen, um sie von der Faszination zu überzeugen, ein Buch zu lesen? Das Abenteuer vom Kino im Kopf? Ist das eine Gruppe, die dem Lesen komplett abhanden gekommen ist?

Aber die Leseunwilligen bzw. fast schon Leseunfähigen sind noch nicht das einzige Problem. Zu diesem Zweck sehe man sich einmal die Feuilletons an. Da ist man nur Leser, wenn man sich der wertvollen Literatur zuwendet. Gesellschaftlich relevant, anspruchsvoll im Stil und Gebrauch der Sprache soll es sein. Sonst ist es kein gutes, kein wertvolles Buch. Wer sich einen King, Grisham, Rowling, Peinkofer, Eschbach, Meyer oder (Gott verhüte!) einen Heftroman reinzieht, der ist kein echter Leser und sollte am besten gleich Fernsehen gucken. – Das ist Kulturchauvinismus. Und manche der Literaten, die so empfohlen werden, betreiben in meinen Augen literarische Onanie. Da wird um Formulierungen gerungen, seitenweise Details oder Gemütszustände beschrieben, aber eine Geschichte erzählen. Nein, das wäre ja zu einfach.

Der Unterhaltungsliteratur wird nur ein Seitenblick gewidmet. Oft vermeint man beim Lesen der Artikel darüber die herablassenden Minen der Verfasser zu sehen. Schönes Beispiel waren für mich zwei Sendungen des „Philosophischen Quartetts“ im ZDF (läuft sonntags nach Mitternacht). Vier hochkarätige, sich ihrer Bedeutung gewisse Menschen quatschen langwierig über Dieses und Jenes. Aber besonders jene Sendungen über die Filme Stan Laurels und Oliver Hardys und über Superheldencomics trieben mir Lachtränen aus den Augen und erschütterten mein Zwerchfell zutiefst. Jeweils sechzig Minuten lang suchte man dem tieferen Sinn in den Laurel und Hardy-Filmen oder bei Supermann & Co., mühte man sich in der Runde, um die Rechtfertigung, warum man auch als Intellektueller oder Leser bzw. Autor des FAZ-Feuilletons so was ansehen und lesen kann. – Das erinnerte fatal an einen Sketch von Loriot, in de sich zwei Filmkritiker mühen, einer Szene aus einem Buster Keaton-Film die Relevanz abzugewinnen und die komische Sequenz als kulturell wertvoll und als politisches Statement zu entlarven. – Ja, für Unterhaltung muss man sich rechtfertigen. Sich unterhalten, um der Unterhaltung willen ist nicht korrekt. Immerhin ist man, wenn man Unpolitisches goutiert ja in der Brot-und-Spiele-Falle gefangen und macht es den Politikern leicht, weil man sich ja nur unterhält. Diese These bedarf eiligst einer Relativierung und Verfeinerung.

Mit dieser Haltung gewinnt man kaum jemand Neuen und/oder Jungen fürs Abenteuer Lesen. Die Romane, die man in Feuilletons gemeinhin für wichtig hält, unterhalten nicht wirklich, außer man hat Freude an umständlichen Formulierungen und der Suche nach dem Sein und dem Dasein... Ansonsten sind sie als Einstieg fürs Kino im Kopf kaum geeignet. Dann lieber einen Jerry Cotton. Daher sind solche Zeitungen nicht wirklich hilfreich. Aber wenn diese Zeitungen Bucheditionen machen, dann legen sie witzigerweise keine Handkes und andere Literaten auf oder bringen auf DVD nicht die Filme der Unterzeichner des „Oberhausener Manifestes“. Nein, da finden sich dann Bücher aus den Bestsellerlisten und Unterhaltungsfilme ein. – Seltsam, aber so geschieht es.

Aber so ist Deutschland. Wenn über Literatur geschrieben wird, geht es um Sinn, Botschaft und Bedeutung haben, denn Deutschland ist das Land der Dichter und Denker. Wenns ums Geld verdienen geht darf es auch Unterhaltung sein. Die Einteilung in „E“ und „U“ in Deutschland ist zum Kotzen und verhindert, dass zunächst Mal dem Spaß am Lesen das Wort geredet wird. Spaß ist nichts Ungesundes, im Gegenteil etwas höchst Natürliches Wertvolles. Daraus kann man die Kraft ziehen, um sich dem grauen Alltag stellen zu können.

Um also Menschen vom Abenteuer Lesen, vom Kino im Kopf zu überzeugen und sie dafür zu gewinnen, sind schlecht ausgestattete Bibliotheken oder auch elitäre Vorstellung von Literatur wenig hilfreich. Man muss das finden, was dem Einzelnen gefällt und mittels seiner/ihrer Vorlieben das Tor zum Lesen aufstoßen...

Auch der Zauberspiegel erreicht ja in erster Linie Leute, die vom Abenteuer Lesen nicht mehr überzeugt werden müssen. Sie tun es ohnehin. Es gehört zu ihren natürlichen Interessen. Es ist für sie ein Bedürfnis. Aber wie erreicht man die, die kaum oder gar nicht lesen?

Also, für mich stellt sich daher die Frage: Welche Möglichkeiten bieten sich auch dem Einzelnen, zum Abenteuer Lesen zu animieren? Wo gilt es anzusetzen? Wen muss ich erreichen und bei wem gilt der Satz des evangelischen Theologen Friedrich Christoph Oetinger „Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gib mir den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.“.

Ich hoffe auf reichlich Anregungen und Meinungen zum Thema. Vielleicht können wir noch diesen oder jenen Nicht-Leser davon überzeugen, dass Lesen keinesfalls uncool ist, sondern einfach nur ein großer Spaß sein kann.

 

Kommentare  

#1 Mikail_the_Bard 2008-10-12 14:33
Tja, leider muss ich Horst da voll und ganz recht geben. Deutschland "verblödet" - um es mal ganz zu verallgemeinern - an seinem Lesedesinteresse.
Ich muss meinen Sohn, der ist erst 8! - vom TV (ich kenne alle: Spongebob, Dora, Bob der Baumeister, Avatar, Pokemon, Yugi-Oh usw auswendig) oder seiner DS mit einer "Brechstange" entfernen, damit er mal eins seiner Leseanfänger Bücher (Lauras Stern oder solche Sachen) in die Hand nimmt (am liebsten ist ihm sein Papa als Vorleser! - Also mechanisches Hörbuch :-) )
Ich sage dann immer zu ihm: du willst bessere Rechtschreibnoten, nun - dann lese Bücher. Meine Rechtschreibnoten waren in der 1. & 2. Klasse auch mies - in der 3. dann auf 2 (tja, dafür noch heute eine Dankkerze an Karl May!!!). Diese "Selbstoffenbarung", dass Papa auch nicht gerade bessere Noten hatte, hält dann 'ne Weile vor...
Nur wenn's ums draußen spielen geht, da ist er Gott sei Dank normal - da muss man dann ein Lasso zum Einfangen nehmen!

Doch zurück zur Lese(un)lust der Deutschen - und daraus folgenden "Schäden". Ich arbeite z.Zt. in einem sogenannten Call Center und merke selbst bei meinen Einträgen ins Erfassungssystem: ich schreib schon so, wie die Leute reden die anrufen! Das ist die sogenannte Call-Center-Verdummung!
Das schlimmste ist ja nicht wenn ein Ausländer mit seinem "Eh hast du mal nen Teschniker für misch!" anruft, nein, das tiefste Grauen und kosmische Entsetzen packt mich wenn (jetzt muss ich das Wort leider in dieser Kombination benutzen) "reine" Deutsche bei mir landen, die dieses "Ausländerdeutsch" mit solcher Peferktion sprechen, dass man entweder denkt, "die wollen dich verarschen" oder "die sind wirklich ihrer eigenen Sprache nicht mächtig!"

Vor allem fällt mir das bei Menschen der jüngeren Generation aus den Geburtenjahren ab den Mitte 80ern auf.

Und da hieß es mal: "Das Wort ist eine stärkere Waffe als das Schwert, auch es kann töten!"

Jahhaaa... man muss sich wahrscheinlich totlachen! (Anruferorginalton: Eh Alter, isch hab den Größten und Längsten!" - Ich arbeite für eine Firma die TV, Videorecorder usw. repariert. - Der Kunde meinte einen Plasmafernseher.)

Ich selbst schaue mir gerne Dokus in Arte, Phönix usw an - wenn ich dazu kommen - um nicht ganz zu verblöden! Und natürlich schreibe ich hin und wieder kleine Geschichten um in der Übung zu bleiben.

Fazit ist, es müsste mehr gelesen werden - und wenn es nur ein eBook ist. Also Politiker, jeder lesewillige Jugendliche bekommt auf Steuergeld ein eBook-Readergerät und freien Zugang zu einer Bibliothek (jedenfall eine bessere Idee als das für was unsere Steuergelder sonst rausgerworfen werden!)

Sorry, bin etwas ausgeufert, mache jetzt auch Schluss.

Euer, Mikail the Bard (aka Michael Müller)
#2 Bettina.v.A. 2008-10-12 15:19
Hallo Horst, hallo Barde,

da stelle ich doch mal ganz frank und frei die Frage in den Raum, wie man die Lesebegeisterung derr Jgdl. fördern kann.

An den nicht vorhandenen Büchern kanns kaum liegen, von der Buchwelle werden wir uns ab Mittwoch wieder überzeugen und in hervorragenden, weniger tollen und *wurgs*Büchern schwelgen.

Es liegt auch sicher nur zum Teil an den angeblich so unmotivierten Lehrern. Ich arbeite teilweise an Schulen und finde dort die ganze Charge von Lehrern vor, die Angenervten, Müden, Arroganten - und die unglaublich Motivierten, teilweise einfach auch restlos Frustrierten.
Eine Bekannte (Lehrerin an einer Grundschule) erzählt, wie sie nach einem Wochenende von Mo - Mi erst einmal damit zu tun hat die Kinder wieder soweit "einzutakten", dass sie mal 20 Min sitzen bleiben und eine Aufmerksamkeitsspanne von mehr als 10 Min haben - ich rede hier nicht von Kindergarten! Oftmals lernen sie immer wieder neu nach Ferien, Wochenenden, Freitagen die grundlegenden sozialen Fertigkeiten - und ich rede nicht von einer E-Schule, das ist eine "ganz normale" Grundschule.

Ich unterhalte mich mit einem Sozialpädagogen in der Jugendarbeit über Möglichkeiten der Leseförderung - der schaut mich mit großen Augen an und erklärt mir, dass die Leute erst einmal gar nicht lesen. Sie stehen vor einem Plakat im Eingangsbereich auf dem eine Veranstaltung angekündigt wird und rufen ihm um zu erklären, dass er ihnen das mal vorlesen soll.

Sorryk, das so hart zu sagen, Mikail, aber wir können das Problem nicht mit staatl. Geld "zuscheißen", auch wenn eine bessere Finanzierungslage der präventiven Arbeit sicher ein Element der Lösung wäre.

"Jede Gesellschaft hat die Jugend, die sie verdient" - klar, es gibt nicht "die Jugend", und ich kenne viele Jugendliche, die lesen, sich benehmen können, im Bus aufstehen und nicht auf die Straße rotzen - wir (als Gesamtgesellschaft) formen unsere Welt und damit auch die Jugend, die aus unserer Gesellschaft erwächst.

Wir haben uns zu wenig wirklich fundiert und effektiv unserer Themen Familie etc. angenommen. Die Rechnung ist das Desinteresse an Literatur und Bildung gesamt in gewissen Bereichen unserer Gesellschaft.

Ich denke (schon aus beruflichen Gründen) über Wege und Ideen nach - und dann lande ich bei der Tatsache, dass es für solche Ideen kein Geld gibt ... juhu.

Gruß,
Bettina
#3 Norbert 2008-10-12 21:01
Tja, ein leidiges Thema. Es gibt sicherlich verschiedene Gründe, warum die Menschen nicht mehr lesen. Ich glaube, dass das Drama schon im Vorschulalter beginnt. Viele Eltern empfinden ihre Kinder oft als lästig. Um sie ruhig zu stellen, werden sie, wie es so schön heisst, vor dem Fernseher geparkt oder bekommen hübsche Klick-Klick-Spielchen für den Kindercomputer. Man findet schon bei den ganz Kleinen immer weniger Bilderbücher.
Die Tragik meiner Kindheit war das Geschlechterdenken, das gottseidank so nicht mehr existiert. Mein Vater war immer der Meinung, dass Lesen etwas für Mädchen sei. Ich besass bis weit in die Schulzeit hinein lediglich ein einziges Lesebuch (das hatte mir heimlich meine Tante geschenkt. Es war, ich habe es in Ermangelung von Alternativen wohl bestimmt 30 mal gelesen, Spuk auf Schloss Siebenbrück von Rolf Ulrici, das Buch hat bei mir noch heute einen heiligen Platz).
Was ich damit sagen will ist, dass viele Eltern es vorleben und wenige bis gar keine Bücher im Schrank haben. Man trifft sie allenfalls an beim Lesen einer Tageszeitung und abends sitzen sie gemeinsam vor dem Fernseher.
Da ich selbst Kinderlos bin, kann ich mit keinerlei Erfahrungswerten aufwarten. Und leider habe ich auch keine Patentlösung parat, die wird es wohl auch nicht geben. Meines Erachtens sind jedoch nicht die Lehrer gefragt, sondern in erster Linie die Eltern. Das aber hiesse, dass sie sich intensiv mit ihren Kindern beschäftigen und um deren Neigungen und Talente wissen müssen. Aber wie sollen sie einem Kind oder Jugendlichen ein Buch näherbringen, wenn sie selbst keines kennen?
Ein anderer Aspekt der sozusagen Leseverweigerung sind die schon von Holzi in seinem Artikel angesprochenen unverschämten Preise für Bücher. Warum sollte man ein zwar schön aufgemachtes Hardcover für 20 Euro kaufen, wenn man dafür mittlerweile 2-3 DVDs bekommen kann?
#4 Mikail_the_Bard 2008-10-14 00:37
Hallo Kelpie,
das mit dem Ebookreader auf Steuerkosten war auch nur so ne Idee, und ich weiß dass das auch keine Problemlösung sein kann.
Das mit den Grundschülern die wieder "neu angelernt" werden müssen, dass Problem kenne ich Die Klassenlehrerin meines Sohnes hat bei letzten Elternabend auch diese Info gegeben.
Gut, wie Norbert schon sagte, da sind auch die Eltern gefragt (der Trend zum Zweitbuch ist ja wieder in! - Sarkasmus), aber selbst mir , der die Regale voller Bücher (und das Querbeet von Schiller bis Dan Shocker :lol: ) hat fällt es wie gesagt schwer meinen Jr. zum lesen zu bringen. Gut wenn er was findet das ihn interessiert - also die Texte auf den Pokemon-Karten, damit er bei Tausch nicht über's Ohr gehauen wird - dann ließt er es auch.
Bei mir hat die Leselust auch erst im dritten Schuljahr angefangen, deshalb zwinge ich ihn nicht zu Dingen, die er nicht will.
Natürlich sollten sich die Eltern intensiv mit ihrem Kind beschäftigen, aber heutzutage sind meist beide berufstätig und haben meist nur am Wochenende frei. Dann wollen die gestressten Eltern ausschlafen und ihre Ruhe haben... Kind sitzt vor der Glotze.
Es gibt zwei Sorten berufstätiger Eltern:
a) Finanziell reicht der Job eines Partners! - aber Frau (Gleichberechtigung) und Mann (weil wenn Hausmann = Weichei! was meiner Meinung nach = Dummehit ist!) gehen beide arbeiten!
b) Beide gehen arbeiten weil sie müssen, und beide habe nur Geringverdienerjobs bekommen.
Bei beiden Eltern leidet natürlich die Eltern-Kind-Beziehung am Zeitmangel (und bei "b" zustätzlich am Geldmangel).
Aber Vorbilder das man auch ohne Bildung was werden kann gibt es ja dank TV genug. Die Pressesprecherin eine TV-Herstellfirma (wir machen den Techn. Support für die!) lästerte noch das man für diesen Job natürlich nich jeden "Hinz & Kunz" nehmen kann, sondern natürlich profundes Fachwissen gefragt ist. Auf die Frage ob sie mal kurz erklären könne was LCD heiß, antworte sie: "Das ist aber jetzt gemein!" und konnte es nicht erklären. Kein Wunder das die Kunden uns an der Supporthotline für Volltrottel halten!
Naja... wieder abgeschweift. Wenn jeder etwas gegen die Leseunlust im eigenen Haus tut, wäre schon etwas geholfen.

Gruß, Michael
#5 blu 2008-10-14 02:30
Und ich schieß' Euch jetzt einfach mal ein bisschen quer.. 8)

Ich finde eigentlich nicht, daß die jungen Leute heutzutage zu wenig lesen. Es ist nur so, daß Negativ-Beispiele (wie ja z.T. schon genannt) einfach deutlicher im Gedächtnis bleiben - die Positiv-Beispiele werden ja generell in keiner Statistik/Umfrage (ich weiß die taugen nix, sie werden aber trotzdem gemacht) erwähnt, das wäre ja auch langweilig, das würde ja keiner lesen wollen. Ich lache mich auch jede Woche schlapp wenn ich dem "Dummfrager" von Radio FFH lausche, der auf der Straße (auffällig viele) junge Leute und Teenies zu Themen des Allgemeinwissens befragt, und einfach nur dummdämliche Antworten kommen.. natürlich werden aber eben auch nur *diese* Antworten gesendet. Ist komisch, erschreckend.. aber eben auch nur teilweise die Wahrheit.

Natürlich gibt es was die Bildung (ob nun kulturell oder nicht) unsrer Jugend angeht einige Defizite, natürlich sollten sich Eltern, Verwandte und Lehrer da mehr einbringen.. ich sehe trotz allem nicht diesen 'katastrophalen Verfall' unserer Jugend. Ganz im Gegenteil, ich kenne eine Menge an positiven Beispielen.

Ich mag ein unverbesserlicher Optimist sein, aber ich denke grade die Jungen haben in dieser technikorientierten, knalligen Welt auch einfach andere Dinge im Kopf. Mir gehts ja selbst so.. ich gebs gerne zu, mir ist Lesen einfach zu anstrengend (Standard: 2 Kapitel lesen und dann einschlafen, egal zu welcher Tageszeit). Da muss ich ein Buch schon wirklich sehr interresant finden oder mögen, daß ich es komplett lese.. oder gar mehrmals lese. Warum auch, es gibt ja Kino und Fernsehen, oder meine persönliche Lieblingsalternative das Hörbuch! (Nicht zu vergessen, daß es schon vorgekommen sein soll, daß sich jemand nach Genuß eines Kinofilms das Buch gekauft hat! Echt wahr! ;-) )

Wie gesagt, negative Beispiele bleiben einem immer mehr im Kopf, und die habt Ihr ja scheints alle schon erlebt. Vergesst das, ich hab vollstes Vertrauen darauf, daß es sich bei diesen hartnäckigen, unbelehrbaren Fällen wirklich nur um die Ausnahme handelt. Bei Millionen von Menschen in Deutschland sicher ein (mengenmäßig gesehen) großer Anteil - aber nicht der Größere.

Hoffe ich hab nicht zu wirr durcheinander getippt, ich steh heut etwas neben mir. :-)

Gruß, Tina
#6 Stefan Holzhauer 2008-10-14 09:19
Schaue ich mir allein die Verkaufszahlen der Bildzeitung an, sowie die Einschaltquoten gewisser TV-Sendungen, dann glaube ich sehr sicher, dass die Deppen in der Überzahl sind. :-* :sigh:
#7 Harantor 2008-10-14 13:31
Also ich finde die 'Deppendichte' (teilweise nicht nur unter dem Jungvolk) in diesem Lande schon beeindruckend hoch. - Auch schon in den Achtzigern und Neunzigern hätten sich deutsche Schüler bei PISA nicht viel besser angestellt. - Äh, im Sinne von MRR könnte man fragen: Wann kamen Privatfernsehen, Video/DVD und Daddelspiele auf? (Provokant und verkürzt gefragt)
#8 blu 2008-10-14 17:49
@Horst
Hee, ICH war in den 80ern auch ein Teeanger, also vooorsicht ja. 8)

Privatfernsehen ca. 1984 - ich kann mich noch dunkel dran erinnern. Damals ja noch mit groß Löcher bohren und Kabel verlegen für die Satelittenschüssel. DVD und Daddelspiele müsste mitte der 90er irgendwann gewesen sein (zumindest wäre mir nichts bekannt was in diesem Rahmen schon früher gewesen wäre).. die erste Playstation kam um den Dreh raus, das gab der Branche ja dann (würde ich sagen) die Ausmaße die es heute angenommen hat. Meinen ersten DVD Player bekam ich Ende der 90er und da gabs die schon ein bis drei Jahre, also kommt das hin denke ich.

@Holzi
Naja, ich schiebe das eher auf den Unterhaltungsfaktor von Bild und gewisser TV-Sendungen. Schlichte Unterhaltung über die man nicht groß nachdenken braucht ist doch immer was Feines. S'gibt im echten Leben doch schon genug Ernsthaftigkeit, da will man halt auch mal was anderes. Und wem sowas denn wirklich gefällt, naja, das hat für mich nichts mit dem Verstand zu tun, sondern mit Geschmack. Ich erkläre auch prinzipiell jeden für geistig Verwirrt der sich Volksmusik oder Techno anhört - aber gut, jeder wie er es mag. Meiner Ansicht nach (ohne jetzt irgendjemanden provizieren oder angreifen zu wollen) sind zb religiöse oder gläubige Menschen viel eher als hirnlos zu bezeichnen, und ich weiß da sind eine ganze Menge kluger und intelligenter Leute dabei.

Es gibt eben solche und solche, und letztlich sollte doch jeder grade das tun und denken (oder auch nicht in diesem Fall) was er möchte, solang er nur sich selbst schadet, empfinde ich das nicht so dramatisch. Jede Situation ist anders, jeder Mensch ist anders, das kann man einfach generell nicht über einen Kamm scheren.. Gott sei Dank, sonst gäbs niemanden über den man sich aufregen könnte. :lol:
#9 Stefan Holzhauer 2008-10-14 19:14
"Daddelspiele" erst in den Neunzigern? Grins:

* 1975: Pong Heimkonsole de.wikipedia.org/wiki/Pong
* 1977: Atari 2600 de.wikipedia.org/wiki/Atari_2600
* 1979: Atari 400 & 800 de.wikipedia.org/wiki/Atari_400
* 1982: C64 de.wikipedia.org/wiki/C64
* 1985: NES de.wikipedia.org/wiki/Nintendo_Entertainment_System
* 1985: Amiga 1000 de.wikipedia.org/wiki/Amiga

Das erste "Goldene Zeitalter" der Computer- und Konsolenspiele waren die 80er. Ich muß es wissen, ich hatte das Meiste davon. Deswegen lese ich aber trotzdem bis heute mehr als reichlich. :D
#10 blu 2008-10-14 20:13
Ja, da hast Du natürlich Recht. ;-)

Die habe ich jetzt einfach mal außen vor gelassen. Das waren die Anfänge von allem und sicher auch gut (ich kanns nicht beurteilen, in meinem Umfeld gabs niemanden mit Konsolen jeglicher Art).. was aber diesen riesen Boom angeht, so kam der (zumindest aus meiner Sicht) mit der Playstation 1. Seitdem nimmts ja kein Ende, was eben auch dazu geführt hat (um wieder zum eigentlichen Thema zu kommen) daß viele Jugendliche und auch Erwachsene sich eher vom Buch "abgewandt" haben.

Ich wollte da gewiss nichts unterschlagen 8)
#11 Stefan Holzhauer 2008-10-14 21:52
Acht wat, darum geht's gar nicht. Ich wollte mit der Auflistung nur darauf hinweisen, dass das schon viel früher angefangen hat. Spätestens aber Mitte der Achtziger hat um mich rum fast jeder, den ich kannte gezockt, das ist also kein Phänomen der Neunziger. Was ich auch damit sagen wollte, ist, dass man die Problematik nicht an Playstation und DVD festmachen kann, denn vorher gab es auch schon Konsolen und Videorecorder. Das greift zu kurz.
Ich suche die Ursache in gezielter und gewollter Volksverblödung insbesondere auch durch ein katastrophales und seit Jahrzehnten (!) vernachlässigtes Bildungssystem.
#12 Harantor 2008-10-14 22:21
Achtung: Ich ahtte ja angekündigt provoziert und verkürzt zu haben. Auch dem Bldungsystem die Schuld zu geben greift zu kurz. Familienpolitik ist das Schlüsselwort und generelle gesellschaftliche Entwicklungen sind in jedem Fall die Hauptsache. Wie weit, bliebe ausführlich zu erörtern. - Im Grunde beginnts aber in der Familie. Auch an der Unlust oder fehlenden Zeit seine Kinder zu erziehen und ihnen Vorbild zu sein.
#13 Stefan Holzhauer 2008-10-15 13:14
Familienpolitik ist nicht das Schlüsselwort, sondern Sozial- und Wirtschaftspolitik. Wenn Du Dir mehr sorgen darum machen mußt, wie Du die kinder morgen satt bekommst, dann tritt die Sorge, ob das Kind liest, in den Hintergrund. Unsere angeblich soziale Marktwirtschaft hat das "sozial" doch schon lange verloren. Wenn ich sehe, wie jetzt ohne grosse Diskussionen Banken Geld im Milliardenumfang in den Arsch geblasen bekommen, das sie vorher selbst wissentlich selbst vernichtet haben (durch die Gigantblase Aktienmarkt et al), dann könnte ich kotzen.
Die breite Masse wird auf dem Altar "Wirtschaft" geopfert und bleibt auf der Strecke und das in jeglicher Hinsicht. Wer kann sich da darum kümmern ob sein Kind liest?

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