»Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu« - Der Kulturkampf
»Was du nicht willst, dass man dir tu’,
... das füg’ auch keinem anderen zu«
Der Kulturkampf
Wie ich schon in meinem Zwischenruf ›Null Blog‹ im Elfenbeinturm - Der falsche Ansatz der Frau Berg zu einer von Sybille Bergs Spiegel-Online-Kolumnenbeiträge schrieb, wird auf der einen Seite ein Schwanengesang auf die Literaturkritik gesungen, aber auf der anderen Seite beklagt, dass sich eine höchst lebendige Bloggerszene (zu der im weitesten Sinne auch der Zauberspiegel gehört) mit Unterhaltungsliteratur auseinandersetzt (das ist dann eher minderwertige Literatur, die nicht in den Kanon des künftigen oder vorhandenen Lehrstoffs für Oberstufe gehört). Immerhin ist der Absatz von Frau Berg gut und richtig. Die Literaturkritik ist jene Instanz, die den Kanon auffüllt.
Ich lieb neben Barden auch Stoffe wie Heinrich Manns Untertan, Borcherts Draußen vor der Tür und so manchen Titel mehr. Ich kann wenig mit Handkes Texte anfangen. Und schon beim Titel um den Torwart, der Angst vorm Elfmeter hat, kommt es mir hoch (was aber eher an meinem Geschmack liegt und daran, dass ich als Torwart nie Angst vorm Strafstoß hatte). Dennoch finde ich in den letzten Jahrzehnten immer weniger Literatur, die in den Kanon gehört. Ich bin am Ulysses grandios in deutscher Übersetzung und im Original gescheitert (will aber diesen Text unbedingt noch mal lesen). Und so ließe sich die Liste von Titeln aus diesem Kanon fortsetzen, die ich mit mehr oder weniger Genuss gelesen habe.
Aber ich bin ja auch nicht ›die‹ Literaturkritik und somit für den Kanon (mit-)verantwortlich. Um Bruno Jonas zu paraphrasieren: Ich bin gnadenloser Belletristiker. Literatur ist für mich immer nur Nebenfach beim Lesen gewesen und um so manche Pflichtlektüre habe ich mich herumgedrückt und bei den Klausuren dazu oft Glück gehabt, dass sich die Themenstellung eher um das Drumherum als um den Text an sich drehte. Ausnahme hiervon ist Shakespeare, den ich sowohl unterhaltend als auch enorm literarisch empfinde und den ich schon gelesen habe, bevor er Pflichtlektüre im Leistungskurs wurde.
Aber im Grunde halte ich diesen Kanon höchster kultureller Leistungen für wichtig. Er schult den Geist. Dagegen kann man nichts haben. Das ist eines der Aushängeschilder unserer Kultur und unseres Landes (welches immerhin mal jenes der Dichter und Denker genannt wurde). Auf die Jahrhunderte herausragender Werke kann man stolz sein.
Es stört mich dabei nicht, dass man sich von unterhaltender Literatur, der Belletristik, abgrenzt, um den Kanon zu füttern. Vielmehr stört mich, wie diese Abgrenzung erfolgt. Frau Berg, andere Vertreter des Feuilletons und was da sonst noch kreucht und fleucht, belassen es eben nicht bei der Abgrenzung. Die Belletristik, gleich welchen Genres, wird quasi zum Verdauungsendprodukt erklärt oder fast schon als ›entartet‹ bezeichnet (um mich mal bewusst im Nazi-Jargon zu äußern). Das ist ungerecht, denn Belletristik erhebt nicht den Anspruch in den Kanon der kulturellen Höchstleistungen erhoben zu werden. Diese Art Literatur ist eben dem Zeitgeist verpflichtet. Ihre Aufgabe ist nicht, noch in ein paar hundert Jahren den Gymnasiasten als Lehrstoff zu dienen, sondern hier und jetzt zu unterhalten und notfalls auch in ein paar Jahren mal vergessen zu sein. Eine Marginalie des sogenannten Kulturbetriebs. Man frage doch (selbst lesende) junge Leute nach Konsalik oder Simmel. Kennt die noch jemand? Aber beide Autoren dürften selbst nicht erwartet haben, in einem Atemzug mit Goethe oder Schiller genannt zu werden. Konsalik noch mehr als Simmel waren Erscheinungen ihrer Zeit, wurden von vielen gelesen. Und als ihre Zeit vorüber war, hat man sie nach und nach vergessen. Das ist das Schicksal belletristischer Autoren und ihrer Werke. Nur wenige schaffen es, die Jahre, Jahrzehnte oder Jahrhunderte zu überdauern.
Wie kann ich das eine mit dem anderen vergleichen? Warum muss jemand die Belletristik niedermachen?
Andersherum funktioniert das aber auch. Manch Kommentar zu ›Null Blog‹ im Elfenbeinturm - Der falsche Ansatz der Frau Berg beweist das sehr eindrücklich. Der Reflex, es denen aus dem Elfenbeinturm und dem Feuilleton heimzuzahlen, greift wunderbar. Und natürlich die Verteidigung der eigenen Vorlieben oder auch Werke. Diese böse ätzende Literaturelite, die immer eine kleine Minderheit bzw. Elite bedient. Baah. Was soll dieses Niedergemache? Das bringt doch auch nix und führt zu nix.
Denn beide Arten von Literatur sind in der Regel gut voneinander zu trennen. Die Kritiker aus Feuilleton und Elfenbeinturm reden dann gern von der Masse, die das liest. ›Masse‹ wird dabei so abfällig gemeint, dass der Leser von Belletristik das Gefühl bekommt, man wäre etwas, dass demnächst aus der menschlichen Gesellschaft ausgeschlossen wird. Muss so was sein? Hat die Kanon-Literatur (oder die, die es werden will oder soll) keine eigenen Qualitäten? Muss man zur Erhöhung derselben gänzlich andere Literatur und deren Konsumenten zu tumben Toren erklären? Oder aber diese Elte zu verkopften Minderheiten, die der gesellschaftlichen Realität nicht gewachsen sind?
Statt voneinander zu lernen, wird drauflos geschlagen. Völliger Blödsinn. Ich kann gut mit der Kanon-Literatur leben. Aber mit Menschen, die mir erklären wollen, meine Vorlieben gleichen einem Verdauungsendprodukt, nicht. Aber jenen, die meine Vorlieben teilen, sei auch gesagt, dass reflexartiges Zurückbeißen auch nicht die feine englische Art ist.
Vielleicht versucht man es mal mit der alten Redensart: Leben und leben lassen. Oder greift dann gleich in die Kiste des ›Alten Fritz‹: »In meinem Staate kann jeder nach seiner Fasson selig werden.« Darüber hinaus kann man wie gesagt auch voneinander lernen. Aber fürs Erste würde es mir reichen wenn in diesem Kulturkampf die Beteiligten eher die Stärken der bevorzugten Literatur betonen würden, ohne dabei die nicht bevorzugte Literatur in Bausch und Bogen zu verdammen. Das wäre doch schon mal ein Fortschritt.
Aber auf der Buchmesse stehen die Bücher friedlich nebeneinander. Papier ist eben geduldiger als Menschen.
Kommentare
Voltaire soll gesagt haben: "Ich verabscheue Ihre Meinung, aber ich lasse mich totschlagen für Ihr Recht, sie zu äußern."
Wäre halt schön, wenn sich diese Denkweise auch in den Elfenbeintürmen dieser Welt herumsprechen würde. Von da geht ja das ganze Schlechtmachen in erster Linie aus. Natürlich bringt das Zurückbeißen eher wenig, weil die vornehmen Herrschaften das eher noch als Beweis ihrer geistigen Überlegenheit werten: Ach, die Dummen gehen ja nur auf die Barrikaden, weil sie eben zu dumm sind, um unsere gehobende Sichtweise zu begreifen.
Ich bleibe trotzdem dabei: So, wie viele junge Leute aus der Kirche rauskonfirmiert werden, verlieren viele Leute komplett die Lust am Lesen, weil ihnen immer vorgeworfen wird, dass das, was sie interessiert, Mist wäre. Das macht dann nämlich keinen Spaß mehr.
Horst, nenn mir einen deutschen Gegenwartsroman der letzten 15 Jahre, der im Gedächtnis haften geblieben ist oder die Leute über seine Verfallszeit hinaus bewegt hätte. Das Handke-Buch, das du zitierst, ist 40 (!) Jahre alt. Und noch immer fällt es dir auf Anhieb ein, um als Zitat zu dienen. Wo ist das Äquivalent zu z.b. 2001? Oder die Bestandsaufnahme zur deutschen Einheit mit all ihren Schattenseiten (und Erfolgen)? Literatur über echte Probleme oder andere politische Meinungen? Fällt dir da was ein? Mir jedenfalls nicht.
Da ist von Autorenseite nichts nachgewachsen. Man sehnt sich ja beinahe nach den Zeiten, als ein Böll von der Bild mit Goebbels verglichen wurde. Da muss er wohl einen Nerv getroffen haben. Schrill über Frau Roche und ihr "Skandalbuch" zu jaulen oder was es dieses Jahr ist – heute qualifiziert sich ja alles als Medienskandal, und wenn es bloß ein Nippelblitzen oder ein anderer gottverdammter Blödsinn ist – ist als vermeintliche Kritik nicht mal in der gleichen Liga. Oder auf demselben Planeten.
Leute wie Berg werden mir immner sympahtischer. Denn die empörten Reaktionen zeigen, dass sie einen Nerv treffen. Vielleicht regen sie ja mal zum Nachdenken an, was unsere Literatur schon längst nicht mehr schafft.
Davon abgesehen zeichnet sich doch immer mehr ab, dass die Meinungen gerade solcher Leute wie Berg nur noch ein Rückzugsgefecht und nicht der Aufregung wert ist. Im Zeitalter der Blogs hat jeder eine Stimme. Und tausende Stimmen ergeben nur noch weißes Rauschen.
Wer sich von anderen sein Hobby vermiesen lässt ist m.E. selbst schuld.
Ansonsten ist die Literaturkritik in Deutschland in meinen Augen letzte Woche verstorben. Denn außer Marcel Reich-Ranicki ist mir kein Literaturkritiker bekannt. Warum auch? Die haben ihre Spielwiese, ich meine.
Mein Hobby lasse ich mir bestimmt nicht von solchen Möchtegern-Genies vermiesen, dafür bin ich viel zu stur und zu dickköpfig. Andere haben allerdings weniger Rückgrat und die meinte ich. Bei den jungen Leuten sinkt die Zahl der Leser doch besorgniserregend und auch in meiner Generation sind viele, denen die Lehrer mit ihrem unerbittlichen Schwarz-Weiß-Diktat, was gute und was schlechte Literatur ist, das Lesen endgültig ausgetrieben haben. Wenn ich noch lese, dann nicht wegen der Schule, sondern trotz der Schule. Erwachsene unterstehen nicht mehr der Zensur der Lehrer, sondern hier greifen dann die Literaturkritiker ein oder die, die sich dafür für berufen halten. Nur gut, dass ich nie auf andere höre, sondern mir lieber selber eine Meinung bilde.
Die einzigen, die mir das Lesen vermiesen könnten, sind die Verlage, die am liebsten den ewig gleichen Kram wiederkäuen lassen und nichts Neues auf den Markt bringen.
Was Verlage angeht, die produzieren was sich verkaufen lässt. Das ist Marktwirtschaft. Zuerst die Fantasiewelle, dann die Vampirwelle und aktuell die Zombiewelle.
Vielleicht könnten die ja viel mehr Bücher verkaufen, wenn sie mal frischen Wind ins Programm bringen würden.
Wenn Andreas Decker in seinem Posting nach deutschen Büchern der Gegenwartsliteratur fragt, die auch in Erinnerung geblieben sind, so kann man auf Anhieb kaum etwas nennen. Allenfalls ein paar sinnfreie Biografien von Prominenten haben es in die Charts geschafft. Von restlichen Einheitsbrei bleibt eben nichts in Erinnerung.
Ich will aber nicht glauben, dass es hier keine fähigen Autoren gibt. Die haben nur keine Chance. Selbst wenn ein Kleinverlag ein gutes Manuskript veröffentlicht, geht das schon wegen der schlechteren Marketingmöglichkeiten an weiten Teilen der Bevölkerung vorbei.
Den Kritikern möchte ich gern mal die Frage stellen, ob sie wirklich wissen, unter welchen finanziellen Bedingungen und Verlagsdiktaten Bücher entstehen.
Gegenwartsliteratur und reine Belletristik - vor allem die numerierte Variante - sind völlig verschiedene Baustellen. Auf dem Sektor für anspruchsvollere Literatur sind die Verkäufe oft sogar besser als irgendwelches Genrezeugs.
Die Meinung ist ja nicht totzukriegen, aber es stimmt einfach nicht, dass "fähige" Autoren keine Chance haben. Sie haben mehr Chancen als je zuvor. Allein in der Top 25-Liste Jahresbestseller von Amazon sind 11 Romane von deutschsprachigen Autoren. Auf der Spiegel-Bestenliste sind es von den ersten 30 10.
Nur ein beliebiges Beispiel. Platz 22. Hat einer der Kommentatoren Katharina Hagena gelesen, Geschmack von Apfelkernen ? 250000 verkaufte Exemplare seit 2008? Ein deutscher Erstlingsroman? Ich nicht, weil es mich nicht die Bohne interessiert. Eine beträchtliche Zahl von Käufern offenbar schon.
Diese Zahlen sprechen für sich. Sicher, es ist nichts Phantastisches darunter. Sagt eigentlich auch schon viel aus, oder? Also bitte Schluß mit diesem "Die Autoren haben keine Chance". Es ist einfach unwahr.
zitiere Kerstin:
Kritiker, die für Zeitungen und Kulturresorts schreiben, sich also berufsmäßig damit beschäftigen, dürften in der Tat sogar sehr genau wissen, wie der Markt funktioniert.
Selbsternannte Kritiker, Blogger, Hobbyrezensenten - da kommt es auf den Einzelfall an.
Noch nie von dem Buch gehört und nun gleich zweimal davon gelesen.
Die Schauspielerin Hannah Herzsprung lobt es
www.focus.de/kultur/leben/13fragen/dreizehn-fragen-hannah-herzsprung-schauspielerin_aid_867800.html