Isau, Ralf: Die Dunklen

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Die Dunklen
von Ralf Isau

Die Vermischung von Realität und Fiktion gehört zu den interessantesten Aspekten, die Romane bieten können. Auf der einen Seite hat man das Gefühl, sich in vertrauter Umgebung zu bewegen, auf der anderen Seite weiß man ganz genau, dass einen beim Lesen noch etwas Neues, Ungewöhnliches erwartet.

Dieses Zusammenspiel von Wahrheit und Erfindung sorgt von vorneherein schon für ein gewisses Maß an Spannung.


Dan Brown, Wolfgang Hohlbein, Michael Crichton, Kai Meyer, dies sind nur einige Autoren, die dieses Stilmittel in ihren Büchern immer wieder nutzen und die Leser dadurch anregen, das ihnen Vertraute und Bekannte einmal mit anderen Augen zu sehen. Der Übergang von Realität und Fiktion ist dabei von Schriftsteller zu Schriftsteller verschieden. Bei den einen ist es klar ersichtlich, was nur der Fantasie entsprungen ist, bei anderen ist der Übergang oftmals kaum noch feststellbar. Ein Autor, der letzteres geradezu perfekt beherrscht, ist Ralf Isau.

Der Kreis der Dämmerung, Der Silberne Sinn oder Der Herr der Unruhe sind nur einige von den Werken Isaus, in denen er das Zusammenspiel zwischen Realität und Fiktion auf einzigartige Weise zelebriert. Mit Die Dunklen ist nun ein neuer Roman erschienen, bei dem man ständig den Kopf schütteln möchte und sich fragt, ob das beschriebene Geschehen nun tatsächlich möglich ist oder nicht.

Zum Inhalt: Die junge Sarah d'Albis weist einige Besonderheiten auf. Sie sieht gut aus, beherrscht das Piano meisterlich, weswegen sie eine weltbekannte Pianistin ist, und sie gilt als Nachfahrin des berühmten Komponisten Franz Liszt. Doch ein Talent zeichnet sie ganz besonders aus: Sie besitzt die Gabe der Synästhesie. Sarah sieht Töne als Farben und Formen.

Als in Weimar ein wieder entdecktes Stück von Liszt aufgeführt wird, ist Sarah unter den Konzertgästen. Dabei geschieht etwas, das auch für sie unglaublich ist. Während das Orchester die Sinfonie spielt, formen die Töne vor Sarahs Augen eine geheime Botschaft, die der berühmte Komponist in sein Werk eingeflochten hat und die nur jemandem zugänglich ist, der über die Audition colorée, das „Farbenhören“, verfügt.

Dies ist der Beginn einer unglaublichen Schatzsuche durch ganz Europa, von deren Ausgang nicht weniger als das Schicksal der Menschheit abhängt. Sarah erfährt von der so genannten Purpurpartitur, einem enorm mächtigen Musikstück, mit dessen Hilfe man den freien Willen aller Menschen beeinflussen kann, und von einem Geheimbund, bekannt unter dem Namen „Die Dunklen“, der ebenfalls nach der Partitur sucht, um sie für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen. Sarah setzt alles dran, die Rätsel Liszts zu lösen, doch die Schergen der Geheimgesellschaft sind ihr dicht auf den Fersen, und jedes neue Rätsel bringt sie zwar einen Schritt weiter, doch wirft auch wieder neue Fragen auf.

Soviel dazu. Fangen wir mal mit den negativen Punkten des Romans an.

Isau hat sich intensiv mit der Musik und ihren Eigenarten auseinander gesetzt, bevor er den Roman verfasst hat. Das hierbei erworbene Wissen lässt er in sein Buch einfließen. Das ist zwar schön und gut und beabsichtigt, doch einen unbedarften Leser wie mich, der von Musik kaum eine Ahnung hat, verwirrt es doch hin und wieder. Gerade auch durch die vielen Rückgriffe auf die Biografie Franz Liszts und Orte, die er bereist hat, können einem Kopfschmerzen bereiten, wenn man nicht eh schon ein Experte auf diesen Gebieten ist. Schnell verliert man hier die Übersicht und muss manche Passage mehrmals lesen, um in etwa zu verstehen, was gerade passiert ist.

Auch die gegebenen Rätsel fallen in diese Kategorie. Ohne intensives Studium von Liszts Leben und eigentlich allem, was mit Musik zu tun hat, sind sie einfach nur verwirrend, und auch ihre Auflösung durch die Protagonisten ist manchmal nur schwer nachvollziehbar.

Ein weiteres Problem hatte ich damit, mich überhaupt einmal in den Roman reinzulesen. Die Handlung (z.B. gleich im Prolog der Zweikampf mit Hilfe von Musikinstrumenten) wirkt bunt, übertrieben und, in Ermangelung einer treffenderen Beschreibung, „abgehoben“. Das macht es dem Leser recht schwer, den Roman ernst zu nehmen und aufmerksam am Ball zu bleiben, ohne ständig auflachen zu müssen.

Doch genug der kritischen Worte, hin zum positiven Teil, der deutlich überwiegt.

Wenn man sich nämlich erst mal in den Roman hineingefunden hat und das Geschehen akzeptiert, erwartet einen eine durchaus spannende, wenn auch nicht allzu rasante Handlung, die gut formuliert und exzellent recherchiert ist. Die Protagonisten sind lebendig gezeichnet, man kann wunderbar mit ihnen mitfühlen, sich in sie hinein versetzen und sich gar vorstellen, solche Personen auch im wahren Leben anzutreffen (vielleicht mit Ausnahme des uralten Russen Nekrasow, doch der passt einfach ideal in den Roman hinein).

Wirklich beeindruckt war ich von der Art und Weise, wie Isau bei all den Rätseln und Hintergrundinformationen zu Liszt, Orten und Musikinstrumenten niemals die Handlung aus den Augen verliert. In angenehmer Harmonie stehen beiden nebeneinander und erlauben dem Leser so, bei aller Verwirrung hinsichtlich der Rätsel und ähnlichem, der Story zu folgen. Man will einfach wissen, wie der Roman nun ausgeht.

Geradezu genial ist die Vermischung von Realität und Fiktion. In keinem seiner früheren Bücher ist Isau dies so gut gelungen wie in Die Dunklen. Auch wenn man fast immer ungläubig den Kopf schütteln möchte, die meisten der hier angesprochenen Phänomene sind wahr! (Etwa die Synästhesie, von der ich, shame on me, zuvor noch nie gehört habe, auch wenn Isau sie, wie er im Nachwort selbst zugibt, ein wenig übertrieben darstellt) Der Autor hat sich hier viel Mühe mit Recherche und dem Einbau der unterschiedlichsten Ereignisse und Besonderheiten in die Handlung gegeben. Großes Lob hierfür; eine derartige Gratwanderung zwischen Realität und Fiktion erlebt man viel zu selten.

Was mag man nun hieraus als Fazit ziehen? Die Dunklen ist ein durchaus spannender, wenn auch manchmal etwas verwirrender Roman, dem etwas mehr Tempo nicht geschadet hätte, der aber auch so eine gewisse Faszination ausübt und den man nur ungern wieder aus der Hand legt. Das angesprochene Thema der Synästhesie ist in der Literatur weitestgehend unbearbeitet (zumindest mir war es bisher unbekannt, und ich konsumiere Unmengen an Fiktion) und daher erfrischend neu, so dass man auch den altbekannten Plot um den Geheimbund und das Schicksal der Welt verzeiht. Wer aber solche Verschwörungsthriller gerne liest und nach Abwechslung sucht, der ist hier genau richtig. Fans anspruchsvoller Thriller sei das Buch wärmstens empfohlen.

Ein persönlicher Tipp noch: Wer zum ersten Mal ein Buch von Ralf Isau liest, der sollte sich lieber zunächst mit Der Kreis der Dämmerung oder ganz besonders mit Der Silberne Sinn befassen. Diese Bücher sind, meiner Meinung nach, deutlich spannender als Die Dunklen, und gerade Der Silberne Sinn ist ein wahres Meisterwerk.

Die Dunklen
von Ralf Isau
erschienen: Herbst 2007 (Deutschland)
588 Seiten, 19.90 €
ISBN 978-3-492-70139-6
Piper Verlag GmbH

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