... Frank Borsch über Phasen, SF, Perry und nahe Zukünfte
... Frank Borsch ...
... über Phasen, SF, Perry und nahe Zukünfte
: Das meiste ist tatsächlich beim Schreiben entstanden. Mein Ziel war es, ein realistisches Szenario der Welt zu entwerfen, wie sie in fünfzig oder sechzig Jahren sein könnte. Und zwar, bevor die Aliens auf den Plan treten.
Einige Sachen sind da schon beinahe ein Muss. Der Treibhauseffekt etwa, oder eine vernetzte Welt. Schilderte man diese Dinge nicht, müsste man erklären wieso. Aber sie sind nicht mein Fokus. Die Globale Erwärmung hat in "Alien Earth" eingesetzt, man begegnet ihren Konsequenzen immer wieder, aber sie stehen nicht im Mittelpunkt. Viel bestimmender war der Gedanke des zur Neige gehenden Erdöls. Als ich mit der Arbeit an "Alien Earth" begonnen habe, war "Peak Oil" noch ein weithin unbekannter Begriff. Das ist inzwischen anders, nicht zuletzt dank Andreas Eschbach, der sich des Themas mit "Ausgebrannt" angenommen hat. Die Welt von "Alien Earth" ist eine der sich verschärfenden Energiearmut. Das führt zu Spannungen und Elend, sowohl innerhalb der Gesellschaften (siehe die "Überschussmenschen", die in »Phase 1« eine zentrale Rolle spielen) als auch zwischen ihnen (siehe die USAA "Die Vereinigten Staaten von Amerika und Arabien", der Zusammenschluss der größten Militärmacht der Erde mit den Besitzern der größten Ölreserven. Die USAA erhalten sich einen gewissen Wohlstand, während die übrige Welt Jahr für Jahr tiefer ins Elend rutscht ...).
: Das "mitten rein" war mir sehr wichtig. Ich finde nichts langweiliger als SF-Romane, die sich in weitschweifigen, aufgesetzten Erklärungen ergehen. Ein Roman sollte mitreißen und alles Weitere entwickelt sich daraus. Und das Szenario, die Zukunftswelt steht in "Alien Earth" als gleichberechtigter Charakter neben den Figuren. Mit jeder Seite wird das Bild umfangreicher, detaillierter, mit jeder Seite verändert sich das Bild, ergeben sich neue Sichtweisen und immer wieder im Verlauf der Trilogie wird es komplett umgestülpt.
Der Großteil der Kritik, die du ansprichst, hat eigentlich wenig mit einer zukünftigen Welt zu tun, sondern mit dem Wesen des Menschen an sich. Ich denke, die Angst vor dem Fremden ist ein Teil von uns, der Bestand haben wird. Und was die Überschussmenschen angeht, verkörpern sie eines der wichtigsten Themen von »Phase 1«: Was ist Gerechtigkeit? Das Deutschland der Zukunft in "Alien Earth" ist eine wesentlich ärmere Gesellschaft als unsere heutige und jedem ihrer Bewohner ist klar, dass es in Zukunft noch weiter bergab gehen wird. Es gibt also weniger zu verteilen, die Kämpfe um das Wenige nehmen an Schärfe zu und für die Verlierer dieser Kämpfe bleibt weniger übrig. Die Überschussmenschen bleiben nahezu sich selbst überlassen und werden nur dann und wann als Arbeitssklaven benutzt. Und in dieser Situation errichtet Wolf eine Gesellschaft nahezu perfekter Gerechtigkeit ...
Für mich überraschend war, dass gerade die Überschussmenschen viele Leser in besonderer Weise bewegten. Immer wieder fiel auch der Begriff »Hartz IV« (der natürlich nirgends im Roman steht, dort hat er nichts zu suchen!). Ich glaube, das sagt viel über die Ängste aus, die uns heute bewegen.
: Sagen wir es so: Es liegt in der Natur der Sache. »Phase 1« führt in eine Welt, die noch erkennbar in der heutigen wurzelt. Die Aliens sind zwar eigentlich schon da, aber sie verhalten sich noch weitgehend passiv, beziehungsweise die Menschen bemerken ihre Aktivitäten nicht. In »Phase 2« beginnen die Aliens, unsere Erde von Grund auf zu verändern ... um sie in »Phase 3« so sehr umzukrempeln, dass sie nicht mehr als unsere Erde zu erkennen ist. Sie wird uns fremd.
Und die Orte der Handlung wechseln: in »Phase 1« standen in zwei von drei Handlungslinien noch Deutschland im Mittelpunkt. In »Phase 2« spielt nur noch ein kleinerer Teil der Handlung in Deutschland, dafür lernt der Leser andere Orte kennen: die Vereinigten Staaten von Amerika und Arabien, die Alien-Insel, die Tiefsee ...
Die sieben Monate Abstand zu »Phase 1« ergeben sich zum einen aus der Handlung es braucht etwas Zeit für den Einfluss der Aliens, sich weltweit zu manifestieren zum anderen ermöglicht es mir auch, die Charaktere neu durchzumischen, in neue Situationen und Zwänge zu werfen.
: Ich gebe zu, man muss dran bleiben. Aber ich glaube, das lohnt sich: Es gibt einfach viel zu viele voraussehbare Geschichten. Geschichten, in denen vom Anfang an klar ist, wer gut und wer böse ist. In denen klar ist, wer sterben kann und wer nicht. In »Alien Earth« ist das nicht so. Alles ist möglich: Kein Charakter ist unersetzlich, jede Figur kann jederzeit sterben und eine Figur, die im Zentrum der Ereignisse steht, kann sehr plötzlich (und auch sehr oft sehr unsanft) aus der Handlung herausfallen.
Diese Unvorhersehbarkeit macht für mich einen großen Teil des Reizes von »Alien Earth« aus.
: Die Gefahr mit der grandiosen Idee, die einem zu spät kommt, besteht eigentlich immer, auch bei einem einzelnen Roman. Aber zumindest mir passiert das erstaunlich selten. Mir kommen eigentlich ständig neue Idee beim Schreiben doch die allermeisten von ihnen beruhen auf dem, was ich schon geschrieben oder geplant habe. Als Autor versinkt man ja ganz in seiner selbst geschaffenen Welt. Und diese Welt wird im Lauf der Zeit immer detaillierter, immer farbiger, immer stimmiger. Entspricht ein Roman genau dem Plan, den man sich vorher gemacht hat, ist etwas gründlich schief gelaufen. Die Gesamtkonzeption war eher vage. Da war die Grundidee von Aliens, die zur Erde kommen und (zumindest scheinbar) nichts tun. Mir war klar, dass ich mit einer Erde beginnen wollte, die deutlich als eine zu erkennen ist, die aus der Gegenwart gewachsen ist und mir war klar, dass die Erde am Ende der Trilogie so gründlich umgekrempelt sein würde, dass sie bis zur Unkenntlichkeit verändert ist, eine fremde Erde eben. Und das hat eigentlich hervorragend geklappt. Ich hatte damit einen roten Faden, aber gleichzeitig kein zu enges Konzept, dass mich eingeengt hätte.
: Ja, befreiend ist der richtige Ausdruck. »Alien Earth« erzählt ja die einzige Geschichte, die im Perryversum nicht erzählt werden kann: eine nahe Zukunft, die auf den ersten Jahren des 21. Jahrhunderts beruht. Die Perry-Rhodan-Serie zweigt schon im Jahr 1971 mit Rhodans Mondlandung von der realen Welt ab ...
Aber: Das war eine ganz schöne Herausforderung. Eine Geschichte nahe an der Gegenwart anzusiedeln bietet große Chancen. Sie kann richtig unter die Haut gehen. Gleichzeitig ist das für den Autor nicht ganz ungefährlich. Eine Geschichte in einer weit entfernten Zeit und Galaxis anzusiedeln, heißt, nahezu unbeschränkte Freiheit zu genießen. Was immer ich als Autor behaupte, ist Fakt. Die nahe Zukunft ist dagegen ein Minenfeld und gerade deshalb so spannend!
: Das Schreiben an sich hat sich wenig bis gar nicht unterschieden. Egal, ob ich Perry Rhodan oder etwas Anderes schreibe, ich peile immer intelligente Unterhaltung an und ich veröffentliche nie etwas, hinter dem ich nicht stehen könnte.
Aber in den Vorarbeiten gibt es einen gewaltigen Unterschied. Erzählen heißt ja im Grunde genommen nichts Anderes als auswählen. Aus der unendlichen Zahl von Geschichten, die erzählt wählen können, wähle ich eine einzige aus. Perry Rhodan macht diesen Schritt einfacher, viele Dinge sind ja einfach schon vorgegeben. (Aber nicht, dass du mich falsch verstehst: Perry Rhodan schreiben ist nicht etwa eine Variante von »Malen nach Zahlen«. Damit aus einem Exposé ein guter Roman wird, muss man ihn zu seinem eigenen machen ... und das kann auch bedeuten, dass das Expo nur das Sprungbrett ist oder man es, in Absprache, komplett umwirft!). Bei »Alien Earth« hatte ich keine Vorgaben und damit die Qual der Wahl. Deshalb hat es wesentlich länger gedauert, das Szenario und die Story zu entwickeln. Und ich habe mich auch mehr als einmal ein eine Sackgasse verrannt.
Das ist schmerzhaft, gehört aber einfach dazu. Ein guter Roman muss wachsen, sich entwickeln. Und dazu gehört eben auch, dass man Dinge durchspielt, um sie dann zu verwerfen.
: Spaß hat es keinen gemacht, aber eine gewisse Befriedigung kann ich nicht leugnen. Die Szene zählt für mich zu den Schlüsselszenen der gesamten Trilogie. In zweierlei Hinsicht: Einmal greift sie das heimliche Thema von »Alien Earth« auf. Nämlich, die Frage, was den Menschen ausmacht. Für die Aliens in der Trilogie gilt in Abwandlung der Ausspruch Arthur C. Clarkes. Der sagte einmal zum Thema UFOs, dass sie uns herzlich wenig über Intelligenz im Universum verraten, aber eine Menge über ihren Mangel auf der Erde. »Alien Earth« verrät nur wenig über die Natur der Aliens aber eine Menge über die Natur des Menschen. Die Hinrichtung wegen einer Nichtigkeit treibt das auf die Spitze. Die Aliens sind daran nicht beteiligt. Es sind von Angst getriebene Menschen, die einen anderen ermorden.
Auf einer anderen Ebene definiert die Hinrichtung die Großmacht USAA (Die Vereinigten Staaten von Amerika und Arabien), indem ihre ganze Ungerechtigkeit durch den Mord an einem einzelnen Menschen bloßgestellt wird. »Phase 2« beginnt mit einem (echten) Zitat zum 11. September 2001 und das zu Recht. Der Roman greift die Stimmung auf, die sich in der Konsequenz von Irak-Invasion, Guantanamo Bay und Abu Ghraib verbreitet hat: die einer Welt, in der jener Staat, der eigentlich für Menschenrechte stehen will, alles tut, um sie auszuhöhlen. Es ist sozusagen eine konsequente Fortsetzung des Bush-Amerikas.
: Ich will es mal so sagen: Schreiben ist zu einem ganz großen Prozentsatz Handwerk - und darin wird man nur dann besser, indem man es übt. "Alien Earth" wäre ohne die PR-Hefte und -Bücher, die ich in den Jahren davor geschrieben habe, nicht möglich gewesen. Ich habe da einfach sehr, sehr viel Erfahrung gesammelt. Und für Heyne waren Perry Rhodan und Romanhefte offensichtlich ja auch kein Minuspunkt ...
: Da bin ich selbst gespannt. "Alien Earth" hat mich eine Menge Kraft gekostet, im Moment bin ich erst wieder am Auftanken. In Zukunft wird man, denke ich, von mir den einen oder anderen Heftroman sehen und weitere serienunabhängige Taschenbücher. Aber in nächster Zeit nichts, was vom Umfang und der Komplexität an "Alien Earth" herankommen wird. Und eines ist übrigens ausgeschlossen: eine Fortsetzung von "Alien Earth". Was die Zukunft der deutschen Science Fiction angeht, erwarte ich keine großen Überraschungen. Die Serien werden weiter bestimmend sein, vieles wird sich in Kleinverlagen abspielen und serienunabhängige, ambitionierte Romane wie »Alien Earth« werden die Ausnahme bleiben.
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