... Jörg Weigand übers Schreiben und Herausgeben
... Jörg Weigand ...
... übers Schreiben und Herausgeben
: Eigentlich in keiner, wenigstens nicht bewusst. Ich hatte viel gelesen und habe dann einfach angefangen zu schreiben. So. wie mir das in den Sinn gekommen ist. Einer der ersten Texte war „Die kleine rosa Wolke“, ein Kindermärchen, das ich zuerst in einem Familienblatt unterbringen konnte und das bis heute etwa zehnmal gedruckt wurde. Davor hatte ich, damals studierte ich als Stipendiat der französischen Regierung in Paris, zwei Science Fiction-Stories geschrieben; eine davon war „Die Bitte der Cylianer“. Es handelte sich dabei um eine Parodie, oder vielleicht sogar Satire, auf die „Rolling Stones“. Ich habe das damals der „Bravo“-Redaktion angeboten und erhielt eine sehr freundlichen Absagebrief: Die Story habe zwar gefallen, man könne sie aber den Leserinnen und Lesern der Zeitschrift nicht zumuten. Die Geschichte, aber auch die „Kosmische Geburt“, erschien kurze Zeit später auf der Leserseite von „Ren Dhark“. In Traditionen habe ich zur damaligen Zeit gar nicht gedacht. Ich las viel und hatte den Drang zu schreiben – daraus entstanden Geschichten, die möglicherweise von da oder dort beeinflusst worden waren. Aber ob das so ist, keine Ahnung!
: Ich habe schon sehr frühzeitig über Science Fiction geschrieben, Ende 1961 erschien mein erster Aufsatz dazu in der Würzburger „Literatur-Revue“. Und als ich anfing, Kurze Prosa zu schreiben, da habe ich eigentlich überhaupt nicht überlegt, wo und worüber und warum… Ich habe geschrieben, wozu ist Lust hatte, was ich in mir vorgefunden habe. Das war SF, war Märchen, war Horror (damals für den Luther-Verlag und seinem Magazin einige Geschichten). Aber da war kein Kalkül dahinter, sondern mich trieb die Lust am Formulieren. Das war alles. Und dann kam in Folge dazu, dass ich neben meiner Fernseharbeit in Bonn das Schreiben nicht verlernen wollte. Denn als Fernseh-Reporter schreibt man eine „Spreche“, der wohlformulierte Satz findet da keinen Platz.
Und um auf den ersten Teil Ihrer Frage zu kommen: Fasziniert hat mich immer das Unbekannte. Und was kann unbekannter sein als phantastische Welten? Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob sich das im klassisch-phantastischen Bereich abspielt oder in der Science Fiction oder in einer märchenhaften Fantasy. Neugier ist immer da und die Faszination entsteht durch die Könnerschaft des Autors, unterstützt durch die eigene Phantasie, die das möglicherweise noch ausmalt beziehungsweise weiterspinnt, was der Autor zu Papier gebracht hat.
: Darf ich diese Frage splitten in Sachbuch und Belletristik?
: Im Sachbuchbereich sind, was den Bereich der Aufarbeitung phantastischer Literatur angeht, mein Pseudonymen-Lexikon wie auch meine Monographie über das Leihbuch sicherlich bedeutsam. Im Bereich Sinologie, also Chinakunde (mein Studienfach), hat meine Dissertation über „Staat und Militär im altchinesischen Militärtraktat Wei Liao Tzu“ (Würzburg 1969) internationale Resonanz gefunden, da sich Mao Tse-tung sich bei seiner Guerillataktik und dem Aufbau der Bauernmilizen auf diesen Text beruft, der von 200 vor Christus stammt. Bis zu meiner Aufarbeitung war das unbekannt gewesen. Heute steht meine Arbeit auch z. B. in West Point, der Kadettenanstalt der Vereinigten Staaten von Amerika.
Im belletristischen Bereich ist die Novelle „Isabella oder eine besondere Liebe“ (1993, Katzmarz-Verlag) wahrscheinlich meine wichtigste Tat. Nach Friedhelm Schneidewind, dem Vampir-Experten, ist es eines der wenigen modernen Innovationen in der Vampir-Literatur (zumindest was den deutschsprachigen Raum betrifft). Professor John Gordon Melton, der weltweit wohl der bedeutendste Kenner der Blutsauger-Literatur ist, hat die „Isabella“ in seinem „The Vampire Book – The Encyclopedia oft he Undead“ als einen der wenigen erwähnenswerten Texte in Deutschland nach 1945 aufgeführt (3. Auflage 2010 und folgende). Die „Isabella“ ist ein Tagesvampir, etwas das es bislang nicht gab, und inzwischen in dem Erzählband „Der rote Duft des Blutes und fünf andere Vampirgeschichten“ (2013, Schillinger Verlag Freiburg) wieder aufgelegt worden.
: Ich habe immer nur geschrieben, was mir selbst gefallen hat bzw. was ich vermisst habe und meiner Ansicht nach geschrieben werden musste. Das geschah nie mit einem scheelen Blick auf den Leser. Er sollte das natürlich gut finden und mit Vergnügen konsumieren, doch ein Autor, der sich danach richtet, was Leser erwarten, landet meines Erachtens rasch in einer Sackgasse. Selbst der Heftroman erlaubt dem Autor, unabhängig von gängigen Klischees zu schreiben und eigene Konzepte, Länder und Leute zu vorzustellen. Ich denke, der Leser folgt dankbar neue Pfaden, wenigstens haben meine Frau und ich diesen Eindruck.
: Meine allererste Anthologie „Vorbildliches Morgen“, zusammengestellt und gedacht als Handhabung für den Unterricht, war international ausgerichtet und bot eine Auswahl bereits auf Deutsch veröffentlichter Texte, die mir geeignet erschienen. Zu jeder Geschichte gab es den Kommentar eines Experten, der sich zu dieser Story äußerte. Auf dem angelsächsischen Gebiet, USA und Großbritannien“ hatte ich zu wenig Überblick, hatte bislang überhaupt zu wenig im Original gelesen, um da wirklich in gelungener Weise tätig zu werden. Daher wandte ich mich dem Französischen zu, denn da kannte ich mich besser aus. Interessent war damals der Marion von Schröder Verlag, der gerade seine Paperback-Reihe mit Science Fiction gestartet hatte. Ich traf mich mit der Lektorin in Hamburg, das gemeinsame Essen in der „Gurke“ wird mir immer unvergessen bleiben, und erfuhr als erstes, dass man von der Qualität der ausgewählten Geschichten sehr angetan sei, aber… Und dann hörte ich etwas so Unglaubliches: Es gebe in dieser Zusammenstellung zu viele Autoren mit teutonischen, also deutschen Familiennamen wie Walther, Klein oder Henneberg. Ob man vielleicht die Autoren bewegen könne, für die deutsche Übersetzung französische Namen zu akzeptieren? Angesichts solcher absurder Erwartungen wurde nichts aus diesem Vorhaben. Dafür zeigte Heyne Interesse und da ist dann auch etwas daraus geworden.
: Anders als bei uns in Deutschland trennt der Franzose die einzelnen Genres nicht so strikt voneinander. In den USA finden wir auch eine Trennung, aber sie ist nicht so strikt wie bei uns. Die französischen Autoren haben geradezu Lust, in die SF zum Beispiel Horrorelemente hineinzunehmen oder Fantasy oder auch eine Geistererscheinung wie in der Klassik. Das stört da niemanden. Außerdem ist die französische Art zu erzählen, leichtfüßiger, man nimmt viele Themen nicht so bierernst, sondern versucht, sie z. B. durch satirische Elemente aufzulockern. Das gefällt mir. Auch hat es der Franzose nicht so mit der Technik. Sie ist wichtig oder kann wichtig sein, aber es dreht sich nicht alles nur darum. Der Mensch in den jeweiligen Situationen ist oft genug dem Franzosen wichtiger als die Situation selbst. Die fungiert oft genug nur als Vorwand, sich mit dem Menschen zu beschäftigen.
: Ich glaube nicht, dass sich daran etwas ändern wird. Eine Kurzgeschichte macht, wenn sie gut geschrieben sein soll, unverhältnismäßig viel Arbeit und bringt dem Autor vergleichsweise nur wenig Honorar – wenn überhaupt. Umgekehrt schätzt der durchschnittliche deutsche Leser die Kurzgeschichte viel weniger als etwa der Leser in Frankreich, England oder den USA. Dazu kommt, dass das Lektorat einer Kurzgeschichte vergleichsweise auch für den Verlagslektor mehr Arbeit bedeutet als ein Roman. Daher stand z. B. Wolfgang Jeschke auf dem Standpunkt, er als Lektor habe keinerlei Veranlassung, mit einem Autor an dessen Geschichte zu arbeiten. Dieser müsse vielmehr seine Story druckreif einreichen, ansonsten sah er keine Möglichkeit des Abdrucks. Das hat mir Jeschke nicht nur einmal mündlich gesagt, er hat es mir auch geschrieben. Jeschkes Einstellung mag aus seiner Sicht verständlich gewesen sein, gut war sie nicht, denn der junge Autor hat nun einmal Hilfe nötig. Thomas Le Blanc und ich haben solche Arbeit mit Autoren bei unseren Anthologien praktiziert, sehr zum Wohle der Autoren und – denke ich – auch für die deutsche Science Fiction.
: Kleine Verlage hat es immer gegeben und nicht wenige deutsche Phantastik und SF ist auch in solchen kleinen Verlagen schon immer erschienen. Warum also heute nicht? Selfpublishing leidet oft daran, dass es – ähnlich wie bei den kleinen Verlagen – an der Vermarktung der Objekte und damit an der Verbreitung der Texte mangelt. Aber prinzipiell ist eine Veröffentlichung „on demand“ einem reinen Privatdruck vorzuziehen, denn so erhält der Band zumindest eine ISBN und ist über Buchhandlungen abrufbar bzw. bei der Deutschen National-Bibliothek registriert.
: Es gab in den achtziger Jahren genügend deutsche Autoren, die in der Lage waren, qualitätsvolle Geschichten im Bereich der SF (die Phantastik und Fantasy war damals noch nicht so aktuell) zu schreiben. Das habe ich einmal in einem Beitrag für Hans-Joachim Alpers SF-Almanach aufgeführt und nachgewiesen. Ich bin der Meinung: Deutsche Autoren können genauso gut SF und Phantastik schreiben wie Engländer, Franzosen oder Amerikaner. Da wie dort gibt es in der Tat große Qualitätsschwankungen. Die angelsächsischen Autoren hatten lange Zeit den Vorteil, dass man ihnen von Seiten der Lektorate unterstellte, sie seien besser. Was zwar teilweise stimmte, zum Teil aber eben auch nicht.
Heute haben wir sehr viel beschränktere Möglichkeiten für die Veröffentlichung von phantastischer Kurzprosa, aber andererseits haben wir erstaunlich gute Autoren. Es gilt ähnliches für den gesamten phantastischen Bereich wie damals für die SF, das sieht man an den „Phantastischen Miniaturen“ , die Thomas Le Blanc im Rahmen der Arbeit der Phantastischen Bibliothek in Wetzlar herausgibt. Le Blanc ist jeder Art von phantastischer Schilderung aufgeschlossen, sofern die Aufarbeitung qualitätsvoll genug ist. Er sieht die Sache anders als etwa Jeschke, der bei der Auswahl der Erzählungen meinem Eindruck nach stets danach schielte, was in den USA gerade „in“ war, wie sich der Trend in den einschlägigen Magazinen abzeichnete. So oder so ähnlich erwartete er dann auch Stories von deutschen Autoren.
Aus eigenem Erleben kann ich das genauer ausführen: Ich habe eine ganze Reihe Erzählungen in Jeschkes Anthologien veröffentlicht, doch es gab eine gewisse Anzahl, die er ablehnte. Stories wie „Pepes Welt“ oder „Löwenzahn“. Seine Begründung war nicht, weil sie schlecht geschrieben seien oder sie ihm nicht gefielen, sondern: solche Geschichten wolle heutzutage keiner mehr lesen. Anlässlich einer Veranstaltung im Münchner Gasteig konnte ich ihm eine Liste vorlegen mit dem Nachweis, dass gerade diese Geschichten bis zu jeweils zehnmal (!) Abdrucke gefunden hatten. Gut erzählen heißt eben nicht, gerade aktuellen Trends nachzulaufen.
: Das waren diverse Erzählungen in Anthologien von Herausgeber Figatowski, u. a. zum Thema Beatles, aber auch von ihm betreute Regionalanthologien zu Bonn, Niederrhein, Ruhrgebiet oder Köln. Dazu sehr viele Kurzgeschichten in den „Phantastischen Miniaturen“ von Thomas Le Blanc sowie in den von ihm betreuten Anthos „Auf phantastischen Pfaden“ (zu Karl May) sowie „Die Rückkehr des grünen Planeten“ zu Ehren von Herbert W. Franke, der gerade seinen 90. Geburtstag feiern konnte.
Selbst herausgegeben habe ich zuletzt den dritten Band unserer Anthologien-Reihe „Phantastischer Oberrhein“ mit dem Titel „Morgestraich“; im Druck befindet sich ein zusammen mit Rainer Schorm zusammengestellter Band zu Ehren von Hanns Kneifel. Und schließlich möchte ich noch einmal hinweisen auf meinen ersten längeren Roman „Die unheimliche Brücke“, der gerade im Kelter-Verlag erschienen ist, den ich nach ersten kürzeren Publikationen in den Reihen „Irrlicht“ und „Gaslicht“ schreiben durfte.
: Und der Dank auch von mir.
Kommentare
Stichhaltig ist einfach das Argument: viel Aufwand, wenig Honorar. In Deutschland fehlt die angelsächsische Tradition, wo es viele erfolgreiche Autoren gab, die hauptsächlich Kurzgeschichten geschrieben haben wie etwa Poe.
Das Veröffentlichen steht halt auf einem anderen Blatt und scheint mir heutzutage schwieriger denn je.