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... Kaspar Maase über Hefte, Schund, Perry und Forschung

Prof. Dr. Kaspar Maase ... Prof. Dr. Kaspar Maase ...
... über Hefte, Schund, Perry und Forschung

Prof. Dr. Kaspar Maase kreuzte meinen Weg auf der Eröffnungskonferenz der DFG-Forschungsgruppe »Ästhetik und Praxis populärer Serialität« in Göttingen. Er stellte dort seine Teilprojekte vor. Zugleich unterhielt man sich recht lang über den Heftroman, das Sammeln, Fans und mehr. Prof. Dr. Maase entpuppte sich dabei als jemand, der abseits der klassischen Feindbilder aus Akademikerkreisen des Heftromanlesers anzusiedeln ist. Grund genug, ihn a) zu unterstützen und b) zu befragen. Hier ist das Ergebnis ...

Zauberspiegel
: Moin Herr Prof. Dr. Maase. Sie sind Kulturwissenschaftler. Da haben wir Konsumenten und Leser dieser Literaturform unsere eigenen (leidvollen) Erfahrungen gesammelt. Ich kenne Lehrer, die sich nicht zu ihrem Hobby bekennen wollen, weil Heftromane und Kultur zwei Welten seien und sie Hohn und Spott im Kollegium fürchten.
Was macht Heftromanserien nun zum Kulturgut und zum Forschungsobjekt?

Prof. Dr. Kaspar Maase: Wir sind Alltagskulturforscher. Romanhefte und alles, was damit zusammenhängt - Abonnieren, Lesen, Sammeln, Tauschen, darüber reden und schreiben, Fan sein usw. -, sind ein erstrangiger Forschungsgegenstand, weil sie im Leben vieler Menschen eine große Rolle spielen. Und: Heftromangeschichten gehören zu den populären Künsten - Künsten, die anderen Regeln und Wertmaßstäben gehorchen als denjenigen, die Literaturwissenschaftler auf „anspruchsvolle“ Romane anwenden. Letztlich ist es die ästhetische Erfahrung, die Heftromane für ihre Leser und Liebhaber so wichtig macht.

Zauberspiegel: Wie sind Ihre eigenen Erfahrungen mit dem Romanheft?
Prof. Dr. Kaspar Maase: Gemischt, wie mit anderer Literatur auch. Ich habe in meiner Jugend vor allem Jerry Cotton gelesen; aber die eindrücklichsten Erinnerungen habe ich an Geschichten aus den „Kontra“-Heften, einer „guten“, gegen „Schund“ gerichteten Reihe aus den frühen 1960ern. Die meisten Erzählungen hatten mit Autos zu tun, das hat mich damals sehr beeindruckt.

Zauberspiegel: Lesen Sie selbst Hefte? Wie ist Ihr Eindruck von den Heften?
Prof. Dr. Kaspar Maase: In meinem Beruf kann ich immer mal wieder das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. So weiß ich inzwischen die Qualitäten von „Nick Carter“, dem „Weltdetektiv“ oder „Sun Koh“ zu schätzen, während ich beispielsweise „Nat Pinkerton“ und „Jörn Farrow“ recht fad fand und auch „Rolf Torring“ nicht viel abgewinnen konnte. Momentan lese ich „Perry Rhodan“; das ist richtig gut gemachte Unterhaltungsliteratur, und ich spüre, dass das Perryversum einen wirklich gefangen nehmen kann.

Zauberspiegel: Sehen Sie in den Kulturwissenschaften Defizite in Sachen Heftromanserien? Wenn ja, wo sind die und wie sind diese aus Ihrer Sicht abzubauen?
Prof. Dr. Kaspar Maase: Die ganze Geschichte der populären Lesestoffe - und ihrer Leserinnen und Leser! - ist bis heute ein weithin unvermessener und unerforschter Kontinent. Das geht von der Bestandsaufnahme, die aus mehr Lücken als gesichertem Wissen besteht, bis zur Frage nach der besonderen literarischen Machart unterschiedlicher Genres und den Mischungen aus Nutzen und Vergnügen, die sie den Lesern ermöglichten und ermöglichen. Um diese Defizite abzubauen, bedarf es noch eines erheblichen Wandels in der gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Anerkennung der Leistungen, die populäre Kultur und insbesondere die Massenkünste für die Selbstverständigung und ästhetische Bildung unserer Gesellschaft erbracht haben und weiter erbringen.

Zauberspiegel: Eines Ihrer Hauptziele in Sachen Heftroman ist das ›Flaggschiff‹ dieser Publikationsform: Perry Rhodan. In welcher Form nehmen Sie sich dieser Serie an?
Prof. Dr. Kaspar Maase:  Wir sind Teil einer Forschergruppe (http://serialitaet.uni-goettingen.de), die insgesamt nach Eigenschaften und Funktionen „populärer Serialität“ fragt - sowohl mit dem Blick auf Serientexte unterschiedlicher Art wie mit Blick auf die Rolle, die das Handeln von Lesern, Zuschauern, Kritikern, Fans, Autoren, Unternehmen dabei spielt, dass Serien im Zentrum der populären Kultur überhaupt stehen. PR wird von uns exemplarisch als Vertreter eines „klassischen“ Formats, der Romanheftserie untersucht - eines Formats, das heute seinen Platz in der sich wandelnden Medienwelt behaupten muss.

Zauberspiegel: Was macht Perry Rhodan so interessant für Sie? Bieten Jerry Cotton und John Sinclair nicht ähnliche Bedingungen zur Erforschung des Objekts?
Prof. Dr. Kaspar Maase: Für PR sprachen die einzigartige Fanszene und die Ausfaltung in verschiedene Medien, die wir bei den genannten Serien nicht so markant und vielfältig sehen.

Zauberspiegel: Wird man Sie auf dem Weltcon im September antreffen können? Wenn ja, werden Sie dort das Gespräch mit Lesern und Fans der Serie suchen?
Prof. Dr. Kaspar Maase: Ja. Mit der Redaktion ist bereits abgesprochen, dass wir einen kleinen Stand haben werden.

Zauberspiegel: Eines Ihrer beiden Teilprojekte in Sachen »Ästhetik und Praxis populärer Serialität« nennt sich »Sammeln: Serienhefte zwischen Populärkultur und Kanon«. Was muss sich nun der gemeine Sammler von Heftromanen darunter vorstellen? Was kann er/sie dazu beitragen, damit Ihr Forschungsziel erreicht wird?
Prof. Dr. Kaspar Maase:  Wir untersuchen, wie die Nationalbibliothek im 20. Jahrhundert mit Heftreihen umgegangen ist und umgeht. Als 1912 die „Deutsche Bücherei“ gegründet wurde, galten „Groschenromane“ als „Schundliteratur“. Hat das Auswirkungen darauf gehabt, wie Serienhefte gesammelt, bibliographisch eingeordnet, zugänglich gemacht und erschlossen wurden? Hat man sie anders behandelt als andere literarische Gattungen? Und was haben im Vergleich dazu Sammler in den letzten Jahrzehnten geleistet, um Heftserien materiell zu sichern, historisch zu erschließen und so zur gesellschaftlichen Anerkennung des literarischen Erbes beizutragen, das die Heftromane darstellen? Für die letztgenannte Frage suchen wir Gesprächspartner aus der Sammlerszene, die uns ihr Selbstverständnis, ihre Erfahrungen mit den etablierten Institutionen des Sammelns und Bewahrens und ihre Leistungen bei der Pflege dieses Teils des deutschen kulturellen Erbes darstellen mögen.

Zauberspiegel: Ein weiteres Teilprojekt im Rahmen des DFG-Projekts »Ästhetik und Praxis populärer Serialität« heißt »Alltagsintegration und soziale Positionierung von Heft- und Fernsehserien«. Wie habe ich mir das vorzustellen? Was wollen Sie hier erforschen?
Prof. Dr. Kaspar Maase: Im Mittelpunkt stehen Leser und Fans von „Perry Rhodan“. Wie nutzen sie die Serie ganz konkret? Welche mediale Form (Heft, Buch, Hörbuch, e-book, Comic etc.) wird warum gewählt? Wo und wie bewahren sie ihre Schätze auf? Wie wird die Lektüre in den Alltag und in andere kulturelle Interessen eingebunden? Wie gehen sie damit um, dass „Hefte“ immer noch schlecht angesehen sind? Was macht den ästhetischen Reiz des Perryversums aus? Die Befunde wollen wir dann mit den entsprechenden Nutzungsgewohnheiten von Zuschauern und Fans einer TV-Serie, „Tatort“, vergleichen.

Zauberspiegel: Sie sind Empiriker. Ich werde jetzt mal gemein. Empiriker kennen das Ergebnis und versuchen das mittels gezielter Fragen und Beobachtungen zu bestätigen bzw. zu erzielen.
Was haben also Interviewpartner bei Ihren Projekten zu erwarten und wie werden Ihre Mannschaft und Sie auf ihre ›Opfer‹ bzw. Forschungsobjekte zugehen?

Prof. Dr. Kaspar Maase: Was Sie beschreiben, nennen wir „hypothesenüberprüfende Forschung“. Was wir hingegen machen, ist ethnographische Forschung. Deren Witz besteht unter anderem darin, dass wir davon ausgehen, dass wir nicht wissen, wie die Antworten auf die genannten Fragen aussehen. Natürlich haben wir die einschlägige Forschungsliteratur gelesen und kennen die gängigen Vermutungen. Aber die eigentlichen Experten sind unsere Interviewpartner. Wir führen offene Interviews, damit die Gesprächspartner uns erzählen, wann, wo, wie sie Hefte lesen, wie sie dazu kamen und warum sie dabei bleiben, was für sie das Vergnügen und den Gewinn der Lektüre ausmacht. Unser Interesse ist, die Sicht der Leser, Fans, Autoren auf ihr Tun herauszuarbeiten, ihre Erwartungen und Wertmaßstäbe. Dabei haben wir schon vieles erfahren, was wir am Anfang des Projekts nicht vermuteten oder erwarteten - und so geht es hoffentlich weiter.

Zauberspiegel: Und zum Abschluss: Was macht Serien auf allen Gebieten so ungeheuer populär?
Prof. Dr. Kaspar Maase: Darüber werden sich 15 Leute in der Forschergruppe noch mehr als zwei Jahre lang den Kopf zerbrechen; und die Spannweite der Erzählformen zwischen (beispielsweise) den Sherlock Holmes-Geschichten, Superman, Tatort und GZSZ ist so groß, dass allgemeine Aussagen immer nur für Segmente der Serien gelten. Unter den vielen Gesichtspunkten scheinen mir folgende besonders spannend. Bei der Serie passt das ökonomische Interesse an rationeller Produktion und Käuferbindung offenbar hervorragend zusammen mit Nutzungsmöglichkeiten und ästhetischen Erwartungen des breiten Publikums. Erfolgreiche serielle Erzählungen verbinden das Vergnügen am Wiedererkennen und Sichauskennen (in der Welt der Serie) mit dem Vergnügen am Neuen, Unbekannten, Überraschenden (in jeder einzelnen Folge). So wird es möglich, dass die Balance zwischen der Anstrengung, die die Erschließung der Werke uns abverlangt, und der emotionalen Belohnung, die wir dafür erhalten, als optimale ästhetische Befriedigung erlebt wird. Zugleich lassen sich Serien gut in die Rhythmisierung unseres Alltags einbauen und sich sozusagen vor konkurrierenden Pflichten und alternativen Freizeittätigkeiten schützen. Sonntagabend, Viertel nach acht, setzen wir einen schönen Schlusspunkt unter das Wochenende - der ideale Platz für eine unendliche Serie.

Zauberspiegel: Besten Dank fürs Interview und viel Erfolg bei der Erforschung der Serie im Romanheft und Fernsehen.

Kaspar Maase
(*1946)
... außerplanmäßiger Professor am Ludwig-Uhland-Institut für Empirische Kulturwissenschaft der Universität Tübingen. Studium der Germanistik, Soziologie, Kunstgeschichte und Kulturwissenschaft in München und Berlin (DDR). Nach der Promotion freiberufliche Tätigkeit als Lektor, Publizist und Lehrbeauftragter. Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Marxistische Studien und Forschungen, Frankfurt/M., und am Hamburger Institut für Sozialforschung. Habilitation an der Universität Bremen 1992 mit einer Studie über die Verwestlichung der Jugend in der Bundesrepublik. Seit 1995 Arbeit am Ludwig-Uhland-Institut. Gastprofessuren und Lehraufträge u. a. in Basel, Berlin (HU), Eichstätt, Zürich.

Kommentare  

#1 Torshavn 2011-06-19 08:28
Ein sehr interessantes Interview.
Der Begriff der Ästhetik fällt hier öfter. Die Definition im Zusammenhang ist mir nicht immer klar geworden.
Was meint Herr Maase z.B. mit folgendem Satz:

Zitat:
Letztlich ist es die ästhetische Erfahrung, die Heftromane für ihre Leser und Liebhaber so wichtig macht.
?
#2 Pisanelli 2011-06-19 10:28
@Torshavn: Über das Wort "Ästhetik" kann man in der Literaturwissenschaft Doktorarbeiten schreiben. Aber ich will es Dir mal ganz grob übersetzen:
Du machst eine Erfahrung durch Dein Medium, aus dem Du einen individuellen, persönlichen Wert schöpfen kannst.

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