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... Jo Zybell über 'Gutelfen', 'literaturfähige Fantasy' und '600 Seiten Entfaltung'

Joe Zybell ... Jo Zybell ...
... über  ›Gutelfen‹, ›literaturfähige Fantasy‹ und ›600 Seiten Entfaltung‹

Im phantastischen Genre ist Jo Zybell schon lange zu Hause. Vor über zehn Jahren war er Geburtshelfer des Bastei-Heft-Erfolgs “Maddrax”, er schreibt nach wie vor für die Serie und ist als Autor der Ren Dhark-Nachfolge-Serien tätig. Jetzt steht sein Name auch für große Fantasy in einem traditionsreichen Literatur-Verlag.  Der Zauberspiegel fragte nach, wie es dazu kam.
Traummeister
Zauberspiegel
: Seit 2000 wird Jo Zybell mit dem überaus erfolgreichen Start der Heftroman-Reihe „Maddrax“ bei Bastei-Lübbe in Verbindung gebracht. Jetzt veröffentlicht der einstige „Maddrax“-Autor Jo Zybell beim Verlag Hoffmann und Campe in Hamburg unter dem Titel „Die Traummeister“ nach „Die Tochter der Goldzeit“ seinen zweiten Fantasy-Roman außerhalb von Roman-Serien.
Joe Zybell: „Einstiger“ Maddrax-Autor? Ich schreibe immer noch für diese schöne Serie; wenn auch nicht mehr jeden vierten Roman. Zu viele Figuren, die ich „geboren“ habe, tummeln sich in diesem Kosmos, als dass ich mich davon trennen könnte. Dennoch: Eigene Figuren und Welten in großen Geschichten auf 600 Seiten entfalten zu können, ist natürlich ein besonderer Glücksfall, für den ich sehr dankbar bin.

Zauberspiegel: Wie kam es zu dieser Verbindung zwischen dem Heftchen-Schreiber Zybell und dem Verlag von Heinrich Heine und anderen Klassikern der bürgerlichen deutschen Literatur? Anders: Passen ein gediegen hanseatisches Verlagshaus und der süddeutsche Autor aus dem Schwarzwald wirklich zusammen?
Joe Zybell: Gegenfrage zunächst: Wo steht geschrieben, dass Fantasy nicht literaturfähig sein darf? Und vor allem: Wer sagt, dass Fantasy nur im Mittelmaß des Mainstreams herumdümpeln muss? Bei Piper schreibt z. B. Tobias Meißner literarisch anspruchsvolle Fantasy, bei Blanvalet Claudia Kern (übrigens ehemalige Maddrax-Autorin), Kiepenheuer & Witsch brachte Ch. Krachts fantastischen Roman „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“, Fischer „Im Rausch der Stille“ von A. S. Pinol. Und erschien Tolkiens „Herr der Ringe“ nicht in jenem bekannten, süddeutschen Verlag für allerhand bürgerliche Schulbücher? Wie auch immer: Hoffmann und Campe ist weiß Gott nicht der erste Literaturverlag, der Fantasy für verlegenswert hält.
Wie aber kommt nun „Heftchen-Schreiber“ Zybell aus dem Schwarzwald zu Hoffmann und Campe? Genauso, wie Heftchen-Schreiber Ken Follett zu Arbor House bzw. Lübbe kam: durch seinen Agenten. Ich gebe gern zu, dass ich ein wenig überrascht war von dem erfreulichen Interesse des Verlages an meiner Geschichte von der „Tochter der Goldzeit“ – andererseits lieben wir Schwarzwälder diese Art von Überraschungen; sie ereilte mich übrigens eines frühen Morgens nach der letzten Heuernte beim Kühe melken. Oder war es beim Holzfällen gewesen? Egal. Nun jedenfalls das zweite Buch – offenbar passt da was zusammen zwischen Hamburg und Schwarzwald.

Zauberspiegel:Der Erfolg von „Maddrax“, den Jo Zybell nicht unmaßgeblich mitgestaltet hat, kann auch eine Last sein: Wie groß ist die Gefahr, dass Leser, die mit der Welt von „Maddrax“ vertraut sind, in „Die Traummeister“ oder „Die Tochter der Goldzeit“ nach versteckten Parallelen zwischen den doch verschiedenen Lese-Welten suchen? Anders: Wie schwer oder wie leicht ist es für einen Autor des phantastischen Genres, Originalität zu erreichen und zu bewahren?
Joe Zybell: Das sind zwei Fragen, und die erste ist leichter zu beantworten: Maddrax-Leser suchen und finden natürlich. Manchmal Motive, die es gar nicht gibt: Zum Beispiel ist in „Tochter der Goldzeit“ von einem „Stern“ die Rede, der alten Legenden zufolge tausend Jahre zuvor „vom Himmel fiel“. Ich dachte dabei an Nuklearwaffen als Gipfelpunkt einer Jahrhunderte währenden Kriegs- und Katastrophenzeit. Ein Maddrax-Leser machte daraus einen „Kometen“, und seitdem hält sich unter Maddrax-Lesern das Gerücht, ich hätte den Maddrax-Kosmos samt Komet in ein dickes Buch übertragen. Stimmt nicht, aber kann passieren. Vielleicht bin ich nicht ganz unschuldig: Bei der Bezeichnung von Mammutratten griff ich in der „Goldzeit“ auf einen Namen zurück, den ich vor Jahren mal für die Maddrax-Serie erfand: „Taratzen“.
Maddrax ist in erster Linie spannende Genre-Unterhaltung, in einem Buch erzählt ein Autor – in der Regel und hoffentlich, während er spannend unterhält – immer auch von Liebe, menschlichen Abgründen, Tod und Hoffnung. Kurz: von den großen Themen der Menschheit. Und natürlich schwingen z. B. in „Tochter der Goldzeit“ gewisse Lieblingsthemen mit, die ich da und dort auch in der Maddrax-Serie anklingen lasse. Etwa die kulturpessimistische Frage: „Sind wir Menschen reif genug für den Umgang mit unseren technischen Errungenschaften?“ In den „Traummeistern“ – auch sonst nicht vergleichbar mit der „Tochter der Goldzeit“ – sind es wieder andere Themen. Aber so etwas plant man nicht, das schwingt einfach mit. Im Grunde habe ich auch nichts dagegen, wenn man mich wiedererkennt.
Damit ist die Frage nach der Machbarkeit von Originalität in der Fantasy schon halb beantwortet: Ich habe keine Ahnung, wie man sie erreicht. Und falls ich sie – ungeplant – erreiche, merke ich das nur am entsprechenden Feedback meiner Leser.
Für die Bewahrung von Originalität gibt es möglicherweise schon ein paar Regeln: sich Zeit lassen zum Beispiel, viele genrefremde Texte lesen, lernbereit bleiben, Fließbandschreibe meiden und so weiter.

Zauberspiegel: In „Die Traummeister“ wird eine sehr kontrastreiche Fantasy-Welt geschildert. Auf der einen Seite gibt es die mit Elementarkräften ausgestatteten „lieben“ Elfen, in deren heller, mit Musik aufgeladener Welt so viel gelacht, gefeiert und geliebt wird, dass sich die Balken biegen. Dagegen steht eine von missgünstigen Magiern und fiesen Zwergen beherrschte Dunkelwelt, in der intrigiert, gefoltert und getötet wird, dass die Streckbank kracht. Warum fehlen in einer solchen Welt der eindeutigen Zuordnungen die Grautöne? Mag Fantasy grundsätzlich keinen Zustand „zwischen Gut und Böse“? Ist das nicht unterhaltsam genug?
Joe Zybell: „Liebe Elfen“? In meinem Buch? Nein.
Machen wir uns doch die Mühe und schauen ein zweites Mal und etwas aufmerksamer auf die Geschichte, um die „Grautöne“ zu entdecken: Es gibt vitale Wesen, sog. Zaoten, die vor Lebenskraft, Lust, Wut etc strotzen; sicher: sie singen, komponieren und lieben (und sind tatsächlich an das Konzept der üblichen Elfen angelehnt). Aber sie toben auch ganz hemmungslos herum, haben bindungslosen Sex, trinken zuviel, lügen und zerstören Leben und Lebensentwürfe.
Eine Art Magier – er nennt sich „Meister des reinen Herzens“ – gibt es wohl, doch ist er keineswegs missgünstig, sondern hasst das sog. Böse, will die Welt retten – wie der eine oder andere bekannte Zeitgenosse - und scheitert.
Es gibt Menschenvölker und Individuen mit unterschiedlichen moralischen Auffassungen. Es gibt einen Antagonisten, der genau die Verwüstung und das Leid in die Welt bringt, die ihm selbst widerfuhren, der also nicht einfach nur grundlos böse ist.
Und es gibt schließlich Menschen, die mit aller Gewalt „lieb“ sein wollen und dadurch eine Menge Unheil anrichten – eben die Traummeister. Aber „liebe Elfen“? Habe ich nicht beschrieben.
Ob die Fantasy grundsätzlich schwarz-weiß malt, um zu unterhalten? Mag schon sein – im Mainstream begegnet man diesem Schema sicher öfter und bedient mit ihm wohl ein Bedürfnis nach Ordnung und einfachem, angstfreiem Weltbild, wie es jede Soap tut und wohl tun muss.
Meine Protagonisten jedenfalls – auch die richtig „lieben“ – geraten eigentlich immer in Situationen, in denen sie lügen, zerstören, ja töten müssen; sie sind schon in „Die Tochter der Goldzeit“ nicht unbedingt „lupenrein“. Und so liebe ich’s.

Zauberspiegel: Abschließend etwas zur Person von Jo Zybell. Als Thomas Ziebula des Geburtsjahrgangs 1954 war er mal als Diakon und Sozialarbeiter tätig. Die damit eingeleitete „Gutmenschen-Karriere“ scheint aber irgendwann einen Knick erhalten zu haben – waren daran allein der Absturz des Kometen  Christopher-Floyd auf die Erde 2012 und in der Folge „Der Gott aus dem Eis“ (Maddrax Band 1) beteiligt? Und überhaupt: Hat das Pseudonym „Jo Zybell“ etwas zu bedeuten?
Joe Zybell: Jede nicht ganz lebensfremde Biographie hat so ihre Brüche oder „Knicke“, und das, was ihnen folgt, nennt man dann Entwicklung. So ist das eben, und was einer schreibt, lässt sich, falls es lesenswert ist, auch als Folge einer Entwicklung verstehen, sicher. Auch „Die Traummeister“, sogar mancher Maddrax-Roman.
Die hier nahegelegte Verbindung „Diakon - Sozialarbeiter – Gutmensch“ liest sich allerdings wie eine von Klischees in Gang gesetzte Assoziationskette. Wahr ist immerhin: Als Autor verdanke ich meinen Berufen – der Krankenpfleger und der Trauerredner fehlen noch – sehr viel: Die Begegnung mit unzähligen Menschen und ihren Lebenssituationen und mit einem wichtigen Stück Weltliteratur: der Bibel. Ich habe sie oft und sehr gründlich gelesen. Ohne all die Menschen und ohne dieses große Buch sind die so realen wie extremen Figuren und Lebenswelten meiner Geschichten kaum denkbar.
„Jo Zybell“ dagegen ist einfach nur ein Pseudonym – abgeleitet aus einer alten Form meines Familiennamens – und dient der Abgrenzung meiner Fantasygeschichten von Texten anderer Gattungen, die ich schreibe oder noch schreiben werde.

Zauberspiegel: Jo Zybell, vielen Dank für die ausführlichen Antworten auf unsere Fragen.

Kommentare  

#1 Hermes 2011-06-15 22:14
Mhm, die Fragen sind ja teilweise richtig provokant. "Heftchenschreiber", "Gutmenschen-Karriere".
#2 Cartwing 2011-06-16 07:49
Ich verstehe auch diese unpersönliche Art der Befragung nicht so wirklich.
Immerhin kennt Friedrich die Bücher, insofern fand ich das Interview trotzdem informativ und interessant
#3 Pisanelli 2011-06-16 09:00
Ich finde auch, das hört sich bisweilen unfreundlich an. Irgendwie hat man immer das Gefühl, dass nur die Autoren, die PR schreiben, sich nicht mehr rechtfertigen müssen, dass sie Heftromane schreiben. Ich will hier mal eine Behauptung aufstellen, die ich mit gutem Gewissen aufstellen kann, da ich beides gelesen habe: rein sprachlich gesehen, braucht MX sich überhaupt nicht zu verstecken und ist teilweise sogar besser als PR. Meine persönliche Meinung. Von daher ist Jo Zybell absolut geeignet und fähig, einen oder mehrere Bücher zu schreiben. Claudia Kern hat es schon getan. Uschi Zietsch ebenso. Timothy Stahl ebenso. Alles MX-Autoren. Mich ärgern diese Anspielungen in Interviews mit Heftautoren, sie würden ja "nur" Hefte schreiben, weil sie keine Bücher schreiben könnten. Großer Unsinn!
Selbst Wolfgang Hohlbein hat mal mit Heften angefangen. Kann man diese Art der Befragung nicht einfach lassen?

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